Transkript
INTERVIEW
Die neuen Anliegen der SGGG
Von der Fachvertretung bis zur politischen Arbeit
Auf der Jahresversammlung der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG) in Interlaken Ende Juni wählte die Gesellschaft turnusgemäss einen neuen Präsidenten:
Professor Wolfgang Holzgreve, Klinikdirektor der Universitäts-Frauenklink Basel, übernimmt für die nächsten zwei Jahre den Vorsitz und löst damit seinen Vorgänger Dr. Lucio Bronz, Bellinzona, ab.
Gynäkologie: Herr Prof. Holzgreve, Sie sind als neuer Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG) für die neue zweijährige Amtszeit gewählt. Welche Hauptanliegen stehen für die SGGG kurz- und mittelfristig an? Wolfgang Holzgreve: Die SGGG hat eine Doppelfunktion als wissenschaftliche Fachgesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, und gleichzeitig vertritt sie wie ein Berufsverband die Interessen der Mitglieder. Es ist wichtig, dass in unserer Arbeit, insbesondere auch bei den Kongressen, beide Aspekte gleichermassen zur Geltung kommen und nicht als konkurrenzierend empfunden werden. Ein zweites Hauptanliegen ist, dass wir vor allem durch Absicherung und Ausbau unserer Kompetenzen auch in der Öffentlichkeit immer wieder klar machen, dass wir Frauen ganzheitlich und besser betreuen können als andere Disziplinen. Dies gilt beispielsweise in der Mammadiagnostik und -therapie sowie in der Ultraschalldiagnostik. Ein weiteres Anliegen ist mir der Beitrag der Schweiz zu internationalen Organisationen wie dem European Board and College of Obstetrics and Gynecology (EBCOG) und unserem Weltverband FIGO, der vor 50 Jahren in der Schweiz gegründet wurde. EBCOG hat zum Beispiel bei der Definition von Subspezialitäten und beim Visiting Program zur Akkreditierung Pionierarbeit geleistet. FIGO hat im Moment enorm nützliche Programme (z.B. die «Safe the Mothers-Initiative») zur Bekämpfung der weltweit über 500 000 mütterlichen Todesfälle um die Geburt sowie Partnerschaftsstipendienprogramme zwischen entwickelten und sich ent-
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang Holzgreve Departementsvorsteher/Chefarzt Universitäts-Frauenklinik Basel und Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG)
wickelnden Ländern, die aber weiter ausgebaut werden sollten.
Sehen Sie Diskrepanzen zwischen den Bedürfnissen der Praxis- und denen der Klinikgynäkologen? Stichwort: «Der Gynäkologe/die Gynäkologin als Hausarzt/Hausärztin der Frau»: Auch wenn die niedergelassenen Gynäkologen per Definition nicht zu den Hausärzten gehören: Sind sie mit ihren Hauptangeboten im Alltag nicht eigentlich Grundversorger? Wolfgang Holzgreve: Die Vernetzung von Ärztinnen und Ärzten in Praxis und Klinik halte ich für enorm wichtig. Man muss die wechselseitigen Bedürfnisse gut kennen und den hohen Wert der Arbeit der KollegInnen in den jeweils anderen Bereichen hoch anerkennen. Die Prinzipien, beispielsweise der auf Evidenz basierenden Medizin, sind dabei in Praxis und Klinik gleich. Zudem haben die Kollegen an Universitätskliniken bei-
spielsweise, reichlich Kontakt mit der Praxis, da an der Universitäts-Frauenklinik Basel, als Beispiel, über 60 000 ambulante Konsultationen pro Jahr stattfinden, nicht nur innerhalb der Spezialsprechstunden. Auch wenn die GynäkologInnen per definitionem nicht zu den Hausärzten (wie Allgemeinmediziner, Internisten und Kinderärzte) gehören, bearbeiten sie mit ihrem Hauptangebot wie Vorsorgeuntersuchung, Schwangerschaftskontrolle, Kontrazeptions- und Menopausenberatung, Infektionsabklärung und -behandlung auch Aufgaben der sehr wichtigen Grundversorgung.
In welchen Bereichen sehen Sie Chancen für neue und erweiterte Entwicklungsmöglichkeiten der Frauenärzte und Frauenärztinnen? Wolfgang Holzgreve: Durch den Fortschritt der medizinischen Wissenschaften ergeben sich ständig neue Tätigkeitsbereiche, ein gutes Beispiel hierfür sind die Screening-Untersuchungen im ersten Schwangerschaftstrimenon, welche vor wenigen Jahren noch ganz undenkbar gewesen wären. Wir haben hier in der Schweiz eine hervorragende Startposition erarbeitet mit einem flächendeckenden Programm zur Fortbildung der KollegInnen für diese schwere, aber sehr hilfreiche neue Beratungsmöglichkeit zur Risikoeinschätzung, basierend auf Ultraschall und biochemischen Markern. So werden sich ständig neue Entwicklungen ergeben, die dann wieder eine strukturierte Fortbildungsaktivität nach sich ziehen. Mein Ziel ist es, dass wir bei der Ersttrimesterdiagnostik, als Beispiel, nicht nur wenige Centers of Excellency haben, sondern dass jede Frau in der Schweiz eine Garantie hat,
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Die neuen Anliegen der SGGG
dass die Untersuchungen bei ihr nach den neuesten Erkenntnissen der Wissenschaft und mit rigoroser klinischer Qualitätskontrolle angeboten werden. Ein Konsensus lässt sich aber in einem überschaubaren Land wie der Schweiz leichter erreichen als zum Beispiel im Nachbarland Deutschland, wo ich bis vor zehn Jahren tätig war.
Welche Themen würden Sie persönlich gern in den nächsten Jahren mehr in den Vordergrund stellen? Wolfgang Holzgreve: Die Möglichkeiten der Prävention werden immer wichtiger und werden bei kluger Anwendung letztlich auch die Kosten im Gesundheitswesen vermindern. Wir werden genau entscheiden müssen, welche Screening- oder Routineuntersuchungen wir in der Schwangerenvorsorge wie auch in der gynäkologischen Vorsorge anbieten. Hier sehe ich für die SGGG eine grosse Aufgabe, zur Sicherheit in der Praxis beizutragen. Wegen der zunehmenden Verunsicherung der KollegInnen halte ich auch eine verstärkte Beschäftigung mit juristischen Aspekten in unserem Fach für wichtig, damit nicht in der Schweiz einmal eine Situation entstehen kann wie in den
USA, wo jetzt das American College of Obstetricians and Gynecologists eine Aktion laufen hat unter dem Titel «Who will deliver your baby?». In einigen USamerikanischen Landesteilen haben nämlich viele KollegInnen wegen der hohen Versicherungsprämien auf das Angebot der Geburtshilfe ganz verzichtet.
Welche Themen sollten – Ihrer persönlichen Meinung nach – in der Öffentlichkeit aus dem Thema Frauenheilkunde stärker ins Bewusstsein treten? Wolfgang Holzgreve: In der Öffentlichkeit sollte klar werden, dass wir als Fach eine ganzheitliche Betreuung anbieten können, zum Beispiel in der Senologie – angefangen bei der klinischen Jahresvorsorgeuntersuchung über die bildgebende Diagnostik, die Operation, die Begleittherapien bis hin zur Beantwortung der fast regelmässig gestellten Fragen nach den Möglichkeiten der Hormonsubstitution und weiteren Krebsrisiken. Hier ist unser Fach in einer guten Position, die wir aber verstärkt in der Öffentlichkeit klar machen können. Wir sollten in den Medien auch verdeutlichen, welche enormen Anstrengungen im Bereich der Fortbildungen von den
einzelnen Mitgliedern unserer Gesell-
schaft unternommen werden. Hier wird
viel Freizeit «geopfert», zudem werden
grosse finanzielle Aufwendungen er-
bracht, letztlich zum Wohle unserer Pati-
entInnen.
Wir sollten uns auch politisch engagie-
ren, beispielsweise dafür, dass die Prä-
implantationsdiagnostik endlich freige-
geben wird. Denn hierdurch werden
spätere Abbrüche verringert und gleich-
zeitig wird eine Zweiklassenmedizin ver-
hindert, die es bislang finanziell gut ge-
stellten Frauen erlaubte, eine IVF mit
frühester Diagnostik im Ausland vorzu-
nehmen. Um hier effektiv zu sein,
kommt es darauf an, das Vertrauen von
Entscheidungsträgern wie Politikern und
Krankenkassenvertretern zu gewinnen.
Der amtierende SGGG-Vorstand hat
durch seine Erfahrung und kollegiale Zu-
sammenarbeit die beste Voraussetzung,
diese schwere Arbeit zu leisten.
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Herzlichen Dank für das Interview.
Interview: Bärbel Hirrle
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