Transkript
SCHWERPUNKT
Screening und Prophylaxe in der Schwangerschaft
Was ist aktuell Evidenz bei Niedrigrisiko-Schwangerschaften?
Dr. med. Etienne Horner, PD Dr. med. Irène Hösli
Routinekontrollen in der Schwangerschaft entstanden Anfang des 20. Jahrhunderts in Europa und wurden immer wieder durch neue Technologien erweitert, ohne dass deren Evidenz zuvor bewiesen war. So ist die Schwangerenvorsorge oft mehr zu einem Ritual als zu einer rationalen Handlung geworden. In
dieser Übersichtsarbeit wird auf die Screeninguntersuchungen in der Schwangerschaft vor allem anhand evidenzbasierter Untersuchungen eingegangen. Vorgestellt werden verschiedene Schemata von Routineuntersuchungen. Die Richtlinien gelten primär für die unauffällige Einlingsschwangerschaft.
Ziel eines Screenings ist die Früherkennung von Erkrankungen mit bekannter Prävalenz, die somit frühestmöglich behandelbar sind, womit sich Spätschäden soweit wie möglich verhindern lassen. Zugleich sollte das Screening kostengünstig, einfach und zuverlässig sein, das heisst eine hohe Sensitivität und Spezifität und eine niedrige Falsch-PositivRate aufweisen. Im Hinblick auf ein Schwangerschaftsscreening bedeutet dies das frühzeitige Erkennen von mütterlichen und fetalen Risikofaktoren und Erkrankungen. Hierauf basierend lassen sich Massnahmen zur Reduzierung der perinatalen Morbidität und Mortalität ergreifen und letztlich eine individuelle Zufriedenheit mit Schwangerschaft und Geburt für die Schwangere/das Paar erreichen. Das Ziel ist die Geburt eines gesunden Kindes mit einem minimalen Risiko für die Mutter. In der Schweiz haben die 1996 veröffentlichten und revidierten Verordnungen des Krankenversicherungsgesetzes, die die besonderen Leistungen in der Mutterschaft betreffen nationale Gültigkeit (2). Das National Health System (NSH) in England orientiert sich an den am National Collaborating Centre for Women’s and Children’s Health im Oktober 2003 herausgegebenen klinischen, evidenzbasierten Richtlinien für die Vorsorgeuntersuchungen bei der gesunden Schwangeren (3). Selbstverständlich wird bei Informationsvermittlung an die Schwangere immer auch der Partner mit einbezogen.
Erwartungen vonseiten der Schwangeren an die Ausführenden der Schwangerenvorsorgeuntersuchungen sind: ◗ Vermittlung von Information an die
Schwangere, auch Miteinbeziehen bei Entscheidungen ◗ Respekt ◗ Kompetenz ◗ Antizipation und Prävention von Problemen ◗ soziale und psychologische Unterstützung ◗ Kontinuität der Untersucher ◗ Berücksichtigung soziokultureller Aspekte.
Folgende Punkte werden im Einzelnen betrachtet: allgemeine Informationen über Ablauf und Anzahl der Kontrollen, klinische Untersuchungen, blutgruppenserologische Untersuchungen, Hämoglobinbestimmung, Ultraschall, Screening auf fetale Chromosomenstörungen, Screening auf Infektionen, Screening auf ausge-
Unkomplizierte Schwangerschaft?
Im Vorsorgekonzept sollten die Massnahmen kritisch, auch hinsichtlich ihrer Evidenz, überdacht werden, ganz im Sinne von Archibald Cochrane, den Begründer der Cochrane Library:
«By some curious chance, antenatal care has escaped the critical assessment to which most screening procedure have been subjected.» (1)
wählte klinische Situationen. Die entsprechenden Evidenzstufen für die einzelnen Massnahmen in der Schwangerschaftsvorsorge sind, soweit vorhanden, aufgeführt.
Risikoschwangerschaften
In dieser Übersichtsarbeit sind Massnahmen bei so genannten Risikoschwangerschaften ausgenommen; dies gilt vor allem für Frauen mit: ◗ kardialen, renalen, endokrinen, psych-
iatrischen, hämatologischen, autoimmunen, pulmonalen, neurologischen, malignen oder infektiösen Erkrankungen ◗ BMI > 35 oder < 18 ◗ Alter > 40 Jahre oder Teenager ◗ mangelnder sozialer Unterstützung. Ebenso ausgenommen sind Frauen mit «belasteter» geburtshilflicher Anamnese wie: ◗ Präeklampsie/Eklampsie, HELLP ◗ wiederholten Aborten, Spätaborten,
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Screening und Prophylaxe in der Schwangerschaft
Frühgeburten ◗ Status nach zervikalen/uterinen Ein-
griffen (Konisation, Myomektomie, Sektio) ◗ ante-, intra- oder postpartaler Hämorrhagie inklusive Plazentaretention ◗ Rhesus- oder anderer Blutgruppeninkompatibilität ◗ intrauteriner Wachstumsretardierung < 5. Perzentile ◗ Makrosomie: > 4500 g ◗ intrauterinem Fruchttod ◗ fetalen Fehlbildungen ◗ Status nach postpartaler Depression oder Psychose ◗ Mehrgebärende (> 5 Geburten).
Aufklärung der Schwangeren
Die Erstaufklärung sollte ausführlich sein und über die Anzahl der Konsultationen und die Inhalte der Routineuntersuchungen informieren. In randomisierten Studien konnte gezeigt werden, dass die Zufriedenheit mit der Informationsvermittlung bei Abgabe von schriftlichen Unterlagen signifikant zunimmt (4) und damit gleichzeitig Ängste im Verlauf der Schwangerschaft deutlich abnehmen (5) (Evidenz 1b). Der Schwangeren wird durch die umfassende Information die Möglichkeit gegeben, bei Screeninguntersuchungen mitzuentscheiden und für die Wahrnehmung der festgesetzten Kontrolltermine mitverantwortlich zu sein. Voraussetzung für die adäquate Aufklärung ist, dass der Arzt/die Ärztin oder die Hebamme über das entsprechende Training verfügen, wie Informationen sinnvoll weitergeleitet werden, ferner dass sie die notwendige Zeit und das Hintergrundwissen besitzen. Mehrere Studien sind der Frage nachgegangen, ob sich klinische Auswirkungen ergeben oder sich die Perzeption von Arzt/Hebamme und Patientin ändert, wenn in einem Low-Risk-Kollektiv schwangerer Frauen die Routinekontrollen von Allgemeinmedizinern beziehungsweise Hebammen oder auf der anderen Seite von Fachärzten für Gynäkologie/Geburtshilfe vorgenommen werden. Der Vergleich der beiden Gruppen ergab keinen
Evidenzstufen
Stufe
Definition
Ia systematische Übersichtsarbeit und Metaanalyse von randomisierten Studien
Ib mindestens eine randomisierte Studie
2a mindestens eine gut strukturierte, kontrollierte Studie ohne Randomisierung
2b mindestens eine gut strukturierte, quasi-experimentelle Studie
3 gut strukturierte, nichtexperimentelle deskriptive Studie; vergleichende Studie;
Korrelationsstudie oder Fallstudie
4 Expertenbericht oder Meinung und/oder klinische Erfahrung von
anerkannten Autoritäten
Unterschied hinsichtlich Frühgeburtenrate, Anzahl antepartaler Blutungen, perinataler Morbidität oder Sektiorate (6). Die Rate an schwangerschaftsinduzierten Hypertonien (Peto OR 0,56; 95%-CI 0,45–0,7) und an Präeklampsien (Peto OR 0,37; 95%-CI 0,22–0,64) war dagegen deutlich geringer in der Gruppe, die von Hebammen/Allgemeinmedizinern betreut worden war (Evidenz 1a). Unklar ist, ob dies aus der geringeren Inzidenz betroffener Frauen oder der geringeren Detektionsrate resultiert. Andererseits wurde eine fetale Lageanomalie frühzeitiger in der von Geburtshelfern/Gynäkologen betreuten Gruppe entdeckt. Evidenzbasiert ist die Empfehlung, Schwangere möglichst kontinuierlich innerhalb einer kleinen Gruppe zu betreuen und bei Auftreten von Komplikationen an bereits bekannte Referenzorte weiterzuleiten. In mehreren Untersuchungen bestätigte sich, dass die Rate an Interventionen bei kontinuierlicher Betreuung geringer war (Evidenz 1a) (7). Die Schwangere sollte die Möglichkeit haben, zwischen verschiedenen Untersuchern (z.B. Hebammensprechstunde, Privatarzt) auszuwählen, so eine der Folgerungen. Zu den Inhalten des Erstgesprächs gehören neben allgemeinen Erklärungen und Empfehlungen zur Ernährung, zur Gewichtszunahme, zu Nikotin, Alkohol und Drogen auch Hinweise auf Symptome bei spezifischen Schwangerschaftserkrankungen, Aufklärungen beispielsweise über Wunschsektio, Nabelschnurblutspende, Stillen sowie Informationen zu den verschiedenen Screeningtests. Für weitere Informationen können
Geburtsvorbereitungskurse oder ausgewählte Internetseiten (z.B. www.swissmom.ch) empfohlen werden.
Anzahl der Konsultationen
Frauen, die bereits in der frühen Schwangerschaft Vorsorgeuntersuchungen wahrnehmen, zeigen eine geringere maternale und peripartale Mortalität, so die Studienergebnisse. Allerdings ist dabei zu beachten, dass gerade Frauen mit geringem Gesundheitsrisiko sich frühzeitig zu Kontrollen anmelden, ganz im Gegensatz zu Risikoschwangeren. Zur Anzahl der Kontrolluntersuchungen einige Vergleiche: In England sind bei Erstgebärenden zehn Kontrollen, bei Mehrgebärenden sieben Kontrollen vorgesehen. In der Schweiz werden sieben Vorsorgeuntersuchungen bei Schwangeren ohne Risiken von der Krankenkasse bezahlt (vgl. Tabellen 1 und 2). Gemäss den Daten der Perinatalerhebungen der deutschen Bundesländer werden dort aber nur zirka 25 bis 35 Prozent der Schwangerschaften als risikofrei eingestuft. Eine Arbeit von B. Langer et al. (8) verglich die pränatalen Konsultationen in acht europäischen Ländern. In dieser Studie zeigten sich grosse Divergenzen hinsichtlich pränatalem Management und der Anzahl der Konsultationen, welche zwischen vier und zwölf pro Schwangerschaft lagen. Alle untersuchten Länder wiesen eine tiefe perinatale Mortalität auf. Dagegen konnten McDuffie et al. (9) bei einer Verringerung der Konsultationen von beispielsweise 14 auf neun keinen Unterschied bezüglich der Parameter Präeklampsie,
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Screening und Prophylaxe in der Schwangerschaft
Tabelle 1: Information für die schwangere Frau: Übersicht Routinekontrollen
Bei jeder Kontrolle sollten Sie Informationen erhalten und die Möglichkeit haben, darüber zu diskutieren und Fragen zu stellen. Sie sollten den Mutterpass immer bei sich tragen und diesen auch auf den neusten Stand bringen lassen.
Ihre Hebamme oder der Arzt/die Ärztin sollte Ihnen jeweils die Resultate alter Untersuchungen mitteilen und erklären. Nebst den regelmässigen Kontrollen sollten Sie auch die Gelegenheit haben, sich selbst mittels Literatur oder Internet weiter zu informieren.
Wenn immer möglich sollte Ihnen eine kontinuierliche Betreuung angeboten werden, um somit ein Vertrauensverhältnis aufzubauen.
JA Haben Sie bereits ein Kind gehabt? NEIN
Besprechung mit der Hebamme oder dem Arzt/der Ärztin
JA Waren Schwangerschaft und Geburt unkompliziert?
NEIN
Bis 12. SSW
Information zu Diät, Lifestyle, Schwangerschaftsberatungsstellen und Screeningtests. Pflichten ihrer Hebamme oder des Arztes/der Ärztin: zusätzliche Betreuung notwendig, Folsäureeinnahme, Screeningtests erklären, Blutdruck, Grösse und Gewicht, Urinkontrolle (Proteinurie), Nikotinreduktion, Ultraschallkontrollen
16. SSW 25. SSW 28. SSW
31. SSW 34. SSW
38. SSW 40. SSW 41. SSW
Besprechung der Resultate von Screeningtests, Blutdruckmessung, Urinkontrolle Fundus-Symphysen-Abstand, Blutdruckmessung, Urinkontrolle, Screeningtests für Anämie und AK. Fundus-Symphysen-Abstand, Blutdruckmessung, Urinkontrolle, Screeningtests für Anämie und AK. Anti-D-Gabe bei Rhesus-Negativität Fundus-Symphysen-Abstand, Blutdruckmessung, Urinkontrolle Fundus-Symphysen-Abstand, Blutdruckmessung, Urinkontrolle, Screeningtests für Anämie und AK. Anti-D-Gabe bei Rhesus-Negativität Fundus-Symphysen-Abstand, Blutdruckmessung, Urinkontrolle Fundus-Symphysen-Abstand, Blutdruckmessung, Urinkontrolle Fundus-Symphysen-Abstand, Blutdruckmessung, Urinkontrolle, evtl. Stripping, Besprechung Priming
Kontrollen: Wenn Sie schon ein Kind hatten
Wenn dies Ihr erstes Kind ist: 10 Kontrollen
Frühgeburtlichkeit, Sectio caesarea, intrauterine Wachstumsretardation (IUWR) und Zufriedenheit der Schwangeren zeigen. Allerdings wurde nicht untersucht, ob die verringerte Anzahl der Kontrollen nicht doch zu mehr Unzufriedenheit und kompensatorischen Extrakonsultationen führte. Die Evidenz bezüglich optimaler Kosten-Nutzen-Analyse ist nicht konklusiv.
Klinische Untersuchungen
Die klinischen Kontrollen bei der Erstuntersuchung dienen dazu, diejenigen Schwangerschaften zu identifizieren, die aufgrund mütterlicher oder fetaler Faktoren einem erhöhten perinatalen Risiko ausgesetzt sind. Diese Evaluation gilt auch für jede weitere Kontrolle. Unabhängig von evidenzbasierten Untersuchungen sind gerade die klinisch einfachen Untersuchungen für das Teaching in der Ausbildung zum Facharzt beziehungsweise zur Hebamme sehr wichtig.
Notwendige Untersuchungen im Verlauf der Schwangerschaft: ◗ Blutdruck ◗ Urinanalyse (Protein, Kultur in der
Frühschwangerschaft) ◗ Gewicht (bei Erstuntersuchung, wei-
tere Kontrollen nur bei Ernährungsproblemen) ◗ Symphysen-Fundus(SF)-Abstand In der Cochrane Library findet sich hierzu nur eine Studie, bei der die Messung des SF-Abstandes mit der abdominalen Palpation zur Erkennung einer Wachstumsretardierung (Low for Gestational Age, LGA) verglichen wurde. Nur 28 Prozent der Schwangerschaften mit LGA wurden in der Gruppe mit SF-Messung entdeckt, dagegen 48 Prozent in der Gruppe, die abdominal palpierte (Evidenz 1b). Trotz dieses negativen Ergebnisses sollte diese simple Technik so lange beibehalten werden, bis weitere Ergebnisse folgen, so der Kommentar (10). ◗ Fetale Auskultation/CTG
Die Auskultation gehört zu den Standarduntersuchungen und beruhigt die Patientin, sie besagt aber nur, dass der Fetus zum Zeitpunkt der Untersuchung lebt. Die Untersuchung hat keinen prädiktiven Wert (Evidenz 3). ◗ CTG Die Ausführung eines antenatalen CTG in einem risikoarmen Kollektiv bringt keine Vorteile hinsichtlich perinataler Morbidität und Mortalität (Evidenz 1a) (11). ◗ Lagekontrolle nach der 35. SSW Sensitivität und Spezifität für die Leopold’schen Handgriffe variieren zwischen 28 und 94 Prozent und korrelien eindeutig mit der klinischen Erfahrung (Evidenz 3).
Untersuchungen, die nicht routinemässig und wiederholt notwendig sind: ◗ Bauchumfang ◗ Urinkontrolle für Glukose ◗ wiederholte vaginale Untersuchungen ◗ CTG-Kontrollen vor Termin
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◗ sonografische Zervixmessung ◗ Doppleruntersuchung der Aa. ute-
rinae, A. umbilicalis.
Blutgruppenserologische Untersuchungen, Hämoglobinbestimmung
Die Bestimmung der Blutgruppe, des Rhesusstatus und der Blutgruppenantikörper in der Frühschwangerschaft sind wichtig, um einen möglichen immunolo-
gischen Hydrops fetalis zu verhindern. Bei negativem Rhesusfaktor der Mutter sollte eine antepartale Immunprophylaxe angeboten werden (12). Sowohl niedrige Hämoglobinwerte (< 8,5 g%) als auch sehr hohe Werte (> 13 g%) sind mit Wachstumsretardierung und vorzeitiger Wehentätigkeit assoziiert (Evidenz 3) (13). Der einzige sensitive Screeningtest zur Erkennung eines Eisenmangels ist die Bestimmung des Ferritins (14).
Ultraschall, Screening auf fetale Chromosomenstörungen
Ein Routineultraschall in der Frühschwangerschaft erlaubt im Gegensatz zu einem selektivem Ultraschall eine genaue Festlegung des Gestationsalters und der Fetenzahl. Damit wird auch die Rate an Geburtseinleitungen wegen Übertragung gesenkt (Evidenz 1a) (15). Bei unauffälligem Verlauf der Frühschwangerschaft wird der transab-
Tabelle 2: Schema der Schwangerschaftskontrollen an der Universitätsfrauenklinik Basel
SS-Routine-
SSW
SSW SSW SSW SSW SSW SSW T T+3 T+6
untersuchungen
1. Kontrolle 12.–13. 15.–16. 20.–21. 26.–28. 30.–32. 36.–37. 39.
(+7)
allgemeine Verhaltensregeln
X
Beratung über pränatale
Diagnose, Anamnese und PAP
Information über Hebammen-
X1
X1
X1 X1
sprechstunde
Information über Stillen
X
und Wochenbett
Vaginale Untersuchung
X
X XX X
Herztöne, klinische
X X X X X X XX X
Untersuchung, Ödeme
Symphysen-Fundus-Abstand
X X X X X XX X
klin. Allgemeinstatus
X
(Lu-He,Varicosis etc.)
BD + Gewicht, U-Stix
X X X X X X X X XX X
(Eiweiss, Nitrit)
SS-Serologien (Toxo, Röteln,
X
Lues, HIV), kl. BB, Blutgruppe
+ Rh-Ak
Hb (kapillär)
X XX
Rh-AK (AK-Suchtest, nur bei
X2
Rh-neg. Frauen)
HBsAg, HCV (nur bei UWG)
Toxoplasmose bei IgG-neg.
X
V-Bakterien
X
X3
PAPP-A, free β-HCG
X
(zus. mit US)
OGTT 50
X
Ultraschall Biometrie
X4 X X
AFI X
CTG X X X
1 = Auch in jeder anderen Schwangerschaftswoche bei Erstkonsultation möglich 2 = Anti-D-Gabe (300 µg) falls Rh-neg. Frauen 3 = Vaginalabstrich (nur GBS), bei Unterwassergeburt (UWG) zusätzlich Analabstrich 4 = Ersttrimester-Screening
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Screening und Prophylaxe in der Schwangerschaft
dominale Ultraschall in der 11. bis 14. Schwangerschaftswoche durchgeführt. Bei dieser Untersuchung kann ebenfalls auf Wunsch der Schwangeren eine Ersttrimester-Risikokalkulation für Chromosomenanomalien zusammen mit der Nackentransparenzmessung, b-HCG und PAPP-A vorgenommen werden. Dieser Screeningtest hat für die Trisomie 21 eine Sensitivität von zirka 89 Prozent bei einer Falsch-Positiv-Rate von 5 Prozent und einem Cut-off von 1:300 zum Untersuchungszeitpunkt (entsprechend 1:380 am Termin). Jede Schwangere sollte möglichst schriftlich im Voraus über diesen Test informiert werden und auch das Recht haben ihn abzulehnen. Bei weiterhin unauffälligem Schwangerschaftsverlauf erfolgt die nächste Ultraschalluntersuchung zum Organscreening in der 20. bis 22. Schwangerschaftswoche. Die dritte Ultraschalluntersuchung in der 30. bis 32. Schwangerschaftswoche dient zur Beurteilung des Wachstums und der Lage des Feten, der Plazentareife und der Fruchtwassermenge. Zurzeit wird die Übernahme der Kosten für den dritten Ultraschall in der Schweiz evaluiert. Daten aus Metaanalysen der Cochrane konnten keinen Vorteil bei einem Low-Risk- respektive nichtselektionierten Kollektiv zeigen (Evidenz 1a) (16). Nach den Empfehlungen der SGGG (17) wird bei Übertragung ein weiterer Ultraschall am T + 6 (Termin plus 6 Tage) zur Bestimmung der Fruchtwassermenge (grösstes Depot) durchgeführt.
Screening auf Infektionen
Zum empfohlenen evidenzbasierten Screening auf Infektionen gehören: ◗ Asymptomatische Bakteriurie, Röteln,
Lues, HIV, Hepatitis B Bei nichtbehandelter asymptomatischer Bakteriurie (Kultur von Mittelstrahlurin) erhöht sich das Risiko für eine maternale Pyelonephritis um 1,8 bis 28 Prozent und das Risiko für eine Frühgeburt um 2,8 bis 12,8 Prozent. (Evidenz 2a, 1b) ◗ Röteln Bei fehlender Rötelnimmunität kann die Schwangere über Verhaltensmass-
nahmen informiert werden und postpartal eine Impfung erhalten. ◗ Lues Bei einer unbehandelten Lues sind 70 bis 100 Prozent der Kinder infiziert, ein Drittel verstirbt intrauterin (Evidenz 3) (18). Eine adäquate Behandlung ist in 98 Prozent erfolgreich und verhindert eine neonatale Infektion (Evidenz 2b) (19). Wenn auch die Inzidenz mit 0,9/100 000 Lebendgeburten gering ist, empfiehlt sich dennoch ein Screening. ◗ HIV Ein HIV-Test sollte jeder Schwangeren in der Frühschwangerschaft empfohlen werden, da geeignete antenatale Massnahmen vorhanden sind, die das vertikale Transmissionsrisiko auf 1 bis 2 Prozent reduzieren (Evidenz 1b). Die Swiss HIV Cohort Study (www.shcs.ch) empfiehlt, jeder schwangeren Frau die HIV-Testung als Teil der Schwangerenvorsorge vorzuschlagen. Der HIV-Test darf nur mit «Informed Consent» der Frau durchgeführt werden. Lehnt eine Schwangere den Test ab, empfiehlt es sich, dies zu dokumentieren. ◗ Hepatitis B Die Identifizierung von Hepatitis-BTrägern (Bestimmung von HbsAG) erlaubt durch postnatale aktive und passive Immunisierung eine Reduzierung der postpartalen Mutter-KindTransmission (Evidenz 1b).
Keine Evidenz für ein Screening besteht für Zytomegalie und Hepatitis C. Unklare Ergebnisse respektive ausstehende Evidenz betrifft das Screening auf Chlamydien, Toxoplasmose, Gruppe-BStreptokokken, bakterielle Vaginose. An dieser Stelle wird besonders hingewiesen auf:
Gruppe-B-Streptokokken Streptokokken der Gruppe B (GBS) können je nach Medium in zirka 30 bis 35 Prozent zwischen der 35. und 37. Schwangerschaftswoche in der Vagina/im Rektum nachgewiesen werden. Eine intrapartale maternale Kolonisation ist ein Risikofaktor
für eine Early Onset Neonatale Sepsis (0,4–1,4/1000 Lebendgeburten). Ein universelles Screening reduziert die Sepsisfälle um 50 Prozent im Vergleich zu einem selektionierten Screening bei Vorliegen von klinischen Symptomen (= Frühgeburt < 37 SSW, Fieber unter der Geburt, vorzeitiger Blasensprung > 18 h; [20]) (Evidenz 2b). Die intrapartale Antibiotika-Gabe reduziert die neonatalen Sepsisfälle um 80 Prozent (Peto OR 0,17; 95% CI 0,07–0,39 [21]) (Evidenz 1a). Es ist allerdings zu bedenken, dass aufgrund der hohen Prävalenz der GBS-Träger und der geringen Prävalenz der Early Onset Sepsis ein Grossteil der Schwangeren unnötig Antibiotika erhält und ferner das Risiko für Sepsisfälle aufgrund anderer Erreger erhöht ist. Zurzeit verwenden wir in der Basler Universitätsfrauenklinik ein an die Richtlinien des American College of Obstetricians and Gynecologists (ACOG) adaptiertes Schema (22). Nach einem universellen Screening wird sub partu nur bei zusätzlichen Risikofaktoren therapiert. Die Inzidenz konnte damit auf 0,5/1000 Lebendgeburten gesenkt werden.
Bakterielle Vaginose Der Nachweis einer bakteriellen Vaginose in der Schwangerschaft korreliert mit einem 1,8fach erhöhten Frühgeburtsrisiko (95% CI 1,62–2,11 [23]). Die antibiotische Behandlung in der Schwangerschaft führte in verschiedenen randomisierten Studien weder zu einer Senkung der Frühgeburtenrate noch zu einer Reduzierung der perinatalen Mortalität (Evidenz 1a). Einzig eine Arbeit, bei der sehr früh im ersten Trimenon und zu Anfang des zweiten Trimenons behandelt wurde, zeigte eine signifikante Verringerung der Frühgeburten im Vergleich zur Kontrollgruppe (5% vs. 12%) (Evidenz 1b [24]).
Screening bei ausgewählten klinischen Situationen
Die Inzidenz, einen Gestationsdiabetes zu entwickeln, hängt von der ethnischen Herkunft ab. Bei der europäischen Bevölkerung entwickelt sich bei zirka 2 bis 4
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Screening und Prophylaxe in der Schwangerschaft
Prozent aller Schwangerschaften ein Gestationsdiabetes, in der südamerikanischen Bevölkerung bei zirka 20 Prozent. Betroffene Frauen haben ein erhöhtes Risiko, später im Leben einen Typ-2-Diabetes zu entwickeln. Mit einem Gestationsdiabetes assoziierte fetale Risiken sind Makrosomie und eine erhöhte fetale Mortalität (Evidenz 3). Es existieren bisher verschiedene Screeningtests mit unterschiedlichen Schwellenwerten; jedoch stehen eindeutige Ergebnisse aus, die zeigen, dass durch Intervention (Diät, evtl. Insulin) fetale und maternale Risiken deutlich reduziert werden (Evidenz 3). Die Resultate von zwei grossen randomisierten Studien, die Antworten hierzu geben sollen, werden in diesem Jahr erwartet. Bei der hoher Prävalenz von Schwangeren mit erhöhtem Risiko haben wir uns an der Universitätsfrauenklinik Basel seit 1998 entschlossen, ein Screening auf Gestationsdiabetes mit einem Glukosetoleranztest 50 g oral in der 24. bis 28. Schwangerschaftswoche durchzuführen (Cut-off-Wert > 7,8 mmol/l).
Schlussbemerkung
Wichtige Voraussetzung für Screening-
untersuchungen in der Schwangerschaft
ist ein ausführliches Gespräch mit der
Frau über Ziele und mögliche Konse-
quenzen der Untersuchungen. Die
Schwangere muss genügend Möglich-
keiten haben, Fragen zu stellen. Sie soll
sich ferner in einem Setting befinden,
wo das Arzt/Ärztin/Hebamme-Patientin-
Verhältnis für alle Beteiligten genügend
Raum lässt für jede individuelle Bedürf-
nisse.
◗
PD. Dr. med. I. Hösli (Korrespondenzadresse) und Dr. med. Etienne Horner
Universitätsfrauenklinik Basel Spitalstrasse 21 4031 Basel
E-Mail: ihoesli@uhbs.ch
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