Transkript
SCHWERPUNKT
Lungenerkrankungen in der Schwangerschaft
Management bei Asthma, Pneumonie, Tuberkulose
Dr. med. Peter Dürig
Erkrankungen der Lunge fallen in normaler Frequenz mit der Schwangerschaft zusammen und nehmen in der Regel einen Verlauf, wie er auch ohne die Gravidität zu erwarten wäre. Trotzdem müssen in der Diagnostik die
physiologischen Veränderungen richtig interpretiert werden und in der Therapie mütterliche und fetale Risiken berücksichtigt und Anpassungen vorgenommen werden.
Für eine Beurteilung der Lungenfunktion schwangerer Frauen mit einer vorbestehenden oder auch neu auftretenden Lungenerkrankung sind die physiologischen schwangerschaftsbedingten Veränderungen zu beachten, wie sie in Tabelle 1 aufgeführt sind. Der Sauerstoffverbrauch nimmt infolge des metabolischen Umsatzes um etwa 20 Prozent zu. Das Ruhe-Minuten-Volumen ist bis zu 50 Prozent erhöht, vornehmlich durch eine Zunahme des Zugvolumens, weniger durch eine Erhöhung der Atemfrequenz. Die mütterliche Hyperventilation führt zu einer Erhöhung des arteriellen pO2 und zu einer Verminderung des arteriellen pCO2 mit einem Abfall des Bikarbonates. Eine leichte respiratorische Alkalose ist demzufolge in der Schwangerschaft normal (arterieller pH 7,44). Lungenfunktionsmessungen und arterielle Blutgasanalysen sollen in der Schwangerschaft grundsätzlich im Sitzen durchgeführt werden, da im Liegen durch den Druck des Uterus auf das Zwerchfell falsche tiefe Werte gemessen werden. Eine mögliche Quelle der Verunsicherung liegt in der Wahrnehmung der Hyperventilation, die bei bis zu zwei Dritteln der Schwangeren ein Gefühl der Atemnot hervorrufen kann. Atemnot und Thoraxschmerz sind häufige Symptome in der Schwangerschaft. In den Tabellen 2 und 3 sind Ursachen und Differenzialdignosen zusammengefasst.
Asthma bronchiale
Asthma ist die häufigste chronische Lungenerkrankung bei Schwangeren, zumal
Tabelle 1: Physiologische Veränderungen der Lungenfunktion in der Schwangerschaft
Variable
Richtung der Veränderung
Sauerstoffverbrauch
Ruhe-Minuten-Volumen
Zugvolumen
Atemfrequenz
Vitalkapazität
FEV1 und PEFR
pO2
pCO2
pHa
FEV1: forciertes 1.-sekunden-Volumen, PEFR: Peak Expiratory Flow Rate
Ausmass 20% 50%
7,44
Tabelle 2: Differenzialdiagnose der Atemnot
Ursache Physiologisch Anämie
Asthma
Lungenembolie
Herzerkrankung
Pneumonie Pneumothorax
Wichtige klinische Zeichen Häufig im 3. Trimester Symptome erst bei schwerer Anämie, vergesellschaftet mit Müdigkeit Husten, expiratorischer Stridor, Symptome nachts und morgens verstärkt Plötzlicher pleuritischer Schmerz, Anstrengungsintoleranz Orthopnoe, paroxysmale nächtliche Dyspnoe, Tachykardie, Ödeme Produktiver Husten, Fieber Plötzlicher pleuritischer Schmerz, Hyperventilation, Parästhesie, Pfötchenstellung der Hände
Diagnostik Per exclusionem Blutbild
Anamnese, Sputum, FEV1 und PEFR
EKG, Blutgasanalyse (BGA), Röntgen (Rx), Szintigrafie Rx, Ultraschall
Rx, Sputum, Serologie Rx, BGA
bis zu 10 Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter betroffen sind. Die Schwangerschaftsvorsorge ist eine günstige Gelegenheit, ein häufig bis anhin unerkanntes Asthma zu diagnostizieren und die Therapie bei bereits bekanntem Asthma zu optimieren.
Diagnose Typische Symptome sind Husten, Atemnot, exspiratorischer Stridor, Zuhilfenahme der akzessorischen Atemmuskulatur und Tachykardie. Die Symptome sind in der Nacht und frühmorgens oft am ausgeprägtesten und werden durch Inhalation
15
GYNÄKOLOGIE 3/2004
SCHWERPUNKT
Lungenerkrankungen in der Schwangerschaft
Tabelle 3: Differenzialdiagnose des Thoraxschmerzes
Ursache
Wichtige klinische Zeichen
Muskulo-skelettal
Bewegungsabhängig, Druckschmerz
Reflux
Postprandial und im Liegen
verschlimmert, brennend,
retrosternal
Lungenembolie
Plötzlicher pleuritischer Schmerz,
Anstrengungsintoleranz
Pneumonie Pneumothorax KHK
Aortendissektion
Pleuritischer Schmerz, Husten, Fieber Plötzlicher pleuritischer Schmerz Zentraler, vernichtender Schmerz, Ausstrahlung in den Arm Vernichtender Schmerz, Ausstrahlung in Hals und Rücken
Diagnostik Keine Antazida wirksam
EKG, Blutgasanalyse (BGA), Röntgen (Rx), Szintigrafie Rx, Sputum, Serologie Rx EKG, Troponin, CK-MB
Anamnese, Rx, CT, MRT
von Betas-Stimulatoren gelindert. Eine Verbesserung des FEV1 oder der PEFR um 15 Prozent nach Inhalation von Betas-Stimulatoren gilt als diagnostisch.
Auswirkungen Schwangerschaft – Asthma Das Asthma kann während der Schwangerschaft abflauen, gleich bleiben oder sich verschlechtern. Eine Verschlechterung ist oft auf das Absetzen von Medikamenten zurückzuführen. Frauen mit schwerem Asthma neigen zu Symptomverschlechterung gegen Ende der Schwangerschaft.
Auswirkungen Asthma – Schwangerschaft Im Allgemeinen beeinflusst das Asthma den Ausgang der Schwangerschaft nicht. Die Schwangeren sollen aber darauf hingewiesen werden, dass eine gute Asthmakontrolle die Risiken für das Kind minimiert und dass die verordneten Medikamente für das Kind nicht schädlich sind.
Management Ziel ist die Prävention und nicht die Behandlung von Asthmaanfällen. In erster Linie kommen inhalierte Betastimulatoren zur Anwendung. In Studien wurden keine Unterschiede bezüglich fetaler Fehlbildungen, intrauteriner Todesfälle, Geburtsgewicht und primärer postnataler Adaptation gefunden, wenn Schwangere mit und ohne Einnahme von
Betastimulatoren verglichen wurden. Wenn diese Substanzen häufiger als einmal täglich eingesetzt werden müssen, sollen zusätzlich inhalierte Kortikosteroide gegeben werden. Die Selbstmessung des Peak-Flow und die Selbstanpassung der Inhalationsfrequenz ist zu fördern. Eine Verschlechterung des Asthmas kündigt sich durch eine steigende Frequenz der Inhalationen an. Bei akuten Exazerbationen wird kurzfristig Prednison per os in hoher Dosierung verabreicht. Zusätzlich ist in der Regel die Gabe eines Antibiotikums (Amoxycillin oder Erythromycin) angezeigt. Auch eine lang dauernde Einnahme von Prednison in der Schwangerschaft erhöht das Risiko für fetale Fehlbildungen und Aborte nicht. Die in Tierversuchen beobachteten Gaumenspalten traten unter sehr hohen Steroid-Dosen auf. Prednison wird zudem von der Plazenta zu 90 Prozent metabolisiert, sodass nur geringe Mengen zum Fetus gelangen. Die langdauernde, hoch dosierte perorale Steroid-Einnahme ist jedoch mit einem erhöhten Risiko von vorzeitigem Blasensprung und Frühgeburtlichkeit verbunden. Neuerdings sind Bedenken geäussert worden bezüglich fetaler neurologischer Defizite unter der wiederholten Anwendung von Betamethason zur Beschleunigung der Lungenreife: Diese Erkenntnisse stammen aus Tierversuchen, die Übertragung auf den Menschen ist problematisch. Orale Steroide vermindern die Glukosetoleranz
und erhöhen das Risiko für eine eingeschränkte Glukosetoleranz in der Schwangerschaft (früher Gestationsdiabetes genannt). Methylxanthine sollen während der Schwangerschaft ausser zur intravenösen Behandlung eines Status asthmaticus nicht angewandt werden. Die Inhalation von Cromoglycat, Nedocromil und Anticholinergika ist dagegen unbedenklich. Zu beachten: Low-Dose-Aspirin wird häufig zur Prävention der Präeklampsie verwendet. Es ist wichtig, bei Asthmatikerinnen an die Möglichkeit einer Aspirin-Empfindlichkeit zu denken.
Geburt Asthmaattacken unter der Geburt sind sehr selten. Asthmatikerinnen sollen ihre gewohnte Therapie unter der Geburt aber weiterführen. Gebärende, die während zwei oder mehr Wochen > 7,5 mg Prednison per os pro Tag eingenommen haben, sind unter der Geburt mit 100 mg Hydrocortison i.v. alle sechs bis acht Stunden abzuschirmen. Prostaglandin F2α soll nicht verabreicht werden; erlaubt sind dagegen Misoprostol und Prostaglandin E2.
Stillen Stillen ist zur Senkung des Atopierisikos des Kindes zu empfehlen, das bei 10 Prozent liegt, wenn die Mutter Asthmatike-
Asthma – wichtige Punkte:
q Die Schwangerschaft selbst beeinflusst den Verlauf des Asthmas nicht.
q Das gut eingestellte Asthma hat in der Regel keinen negativen Einfluss auf den Ausgang der Schwangerschaft.
q Das schlecht eingestellte Asthma ist gefährlicher als die Medikamente, die zur Therapie angewandt werden.
q Der Abbau oder das Absetzen der antiinflammatorischen Medikamente während der Schwangerschaft ist eine häufige Ursache für schwere Anfälle.
q Inhalierte Betastimulatoren und Kortikosteroide sind unbedenklich während der Schwangerschaft und Stillzeit.
q Stillen ist zu empfehlen.
16
GYNÄKOLOGIE 3/2004
SCHWERPUNKT
Lungenerkrankungen in der Schwangerschaft
rin ist und bei 30 Prozent, wenn beide Eltern betroffen sind.
Pneumonie
Pneumonien sind in der Schwangerschaft nicht häufiger als ausserhalb der Schwangerschaft.
Prophylaxe Splenektomierte Frauen müssen gegen Pneumokokken geimpft werden (Pneumovax-23®). Wurde dies unterlassen, ist eine Impfung auch während der Schwangerschaft angezeigt, da Pneumokokken-Infektionen bei splenektomierten Schwangeren besonders schwer verlaufen. Wir haben in Bern bei einer nichtgeimpften, splenektomierten Schwangeren und deren Kind einen tödlichen Ausgang mit WaterhouseFriedrichsen-Syndrom im Rahmen einer Pneumokokken-Sepsis erlebt.
Diagnose Typische Symptome und klinische Zeichen sind Husten, Fieber, Thoraxschmerz, Atemnot, gedämpfter Klopfschall und feuchte, klingende Rasselgeräusche. Atypische Pneumonien verlaufen häufig symptomarm. Im Sputum können grampositive Diplokokken (Streptococcus pneumoniae), mit einer Inzidenz von ≥ 50 Prozent der häufigste Erreger, oder gramnegative kokkoide bis langfädige Erreger (Haemophilus influenzae) nachgewiesen werden. Bei Mycoplasma pneumonia findet man steigende Antikörpertiter; häufig kontrastieren die diskreten klinischen mit den eindrücklichen radiologischen Befunden. Thoraxröntgenbilder können bei Bedarf ohne Bedenken für das Kind angefertigt werden.
Management In der Regel sind Hospitalisation, Oxygenation, Hydration und physikalische Therapie angezeigt. Die antibiotische Therapie besteht aus Amoxycillin (3 x 1 g/Tag) oder Erythromycin (4 x 500 mg/Tag). Cephalosporine werden bei im Spital erworbenen Pneumonien gegeben, Tetrazykline sind bei Schwangeren kontraindiziert.
Pneumocystis carinii Diese Erreger sind gehäuft bei HIV-Infektionen zu finden. Die Diagnose muss notfalls durch bronchoskopische Lavage erzwungen werden. Die Therapie besteht aus hoch dosiertem TrimethopriSulfamethoxazol.
Varizellen Varizellen-Infektionen sind mit einer Inzidenz von 0,05 bis 0,7 Prozent in der Schwangerschaft zwar selten, aber gefürchtet, da sie bei 10 bis 20 Prozent der Schwangeren zu einer Pneumonie führen mit hoher Morbidität, in seltenen Fällen sogar mit letalem Ausgang für Mutter und Kind. Seronegative Frauen sollen deshalb vor der Konzeption mit einem attenuierten Lebendimpfstoff (Varilix®) geimpft werden. Der schwere Verlauf rechtfertigt die Gabe von Zoster-Immunglobulin bei exponierten, nicht immunisierten Schwangeren und den Einsatz von Aciclovir bei manifester Varizellen-Infektion (5 x 800 mg p.o. über 7 Tage, bei Pneumonie i.v.). Es besteht ein Risiko für neonatale Varizellen, wenn die Geburt innerhalb von zehn Tagen nach dem mütterlichen Infekt stattfindet.
Tuberkulose
Die Häufigkeit der Lungentuberkulose ist wegen hoher Inzidenz der HIV-Infektio-
Pneumonie – wichtige Punkte:
q Thorax-Röntgenbilder sind unbedenklich in der Schwangerschaft.
q Antibiotika der Wahl sind Amoyxcillin, Erythromycin und Cephalosporine, kontraindiziert sind Tetrazykline, Amnioglykoside.
q Varizellen-Pneumonien in der Schwangerschaft können letal ausgehen, die Impfung von seronegativen Frauen, die schwanger werden wollen, mit Varilix® ist deshalb angezeigt.
q Seronegativen Schwangeren soll bei Kontakt mit Varizellen Zoster-Immunglobulin und bei klinisch manifesten Varizellen Acyclovir® gegeben werden.
nen sowie der Verelendung weltweit zunehmend. In der Schweiz ist vor allem bei Immigrantinnen damit zu rechnen.
Diagnose Symptome sind Husten, Hämoptyse, Gewichtsverlust und nächtliches Schwitzen. Typische Veränderungen sind im Thoraxröntgenbild zu sehen, erforderlich ist der Nachweis von säurefesten Stäbchen im Sputum (Bronchoskopie, Ziehl-Neelsen und Kultur). Der Mantoux-Test wird durch die Schwangerschaft nicht beeinflusst.
Therapie In erster Linie wird eine Dreierkombination von Tuberkulstatika, die für das Kind unbedenklich sind, empfohlen, nämlich Rifampicin (Leberfunktionskontrolle), Isoniacid (Gabe von Vitamin B6) und Ethambutol. Pyrazinamid ist als Reservemittel einzustufen, da limitierte Daten bezüglich Auswirkungen auf das Kind vorliegen. Streptomycin ist kontraindiziert während der Schwangerschaft. Das Neugeborene soll BCG-geimpft und, falls die Mutter Sputum-positiv ist, prophylaktisch mit Isoniazid behandelt werden.
Seltene Erkrankungen
Die Sarkoidose koinzidiert in etwa 0,05 Prozent der Schwangerschaften. Die Serumspiegel von ACE (Angiotensin-Converting Enzyme) werden durch die Schwangerschaft verändert und sind deshalb für die Diagnose und die Beurteilung
Tuberkulose – wichtige Punkte:
q Risiko bei Immigrantinnen. q Thorax-Röntgen bei Verdacht. q Erregernachweis aus dem Sputum, Bron-
choskopie wenn nötig. q Dreiertherapie mit Rifampicin, Isoniazid
und Ethambutol, in Reserve Pyrazinamid. Kontraindiziert ist Streptomycin. q BCG-Impfung des Neugeborenen, Isoniacid-Prophylaxe bei Sputum-positiver Mutter.
17
GYNÄKOLOGIE 3/2004
SCHWERPUNKT
Lungenerkrankungen in der Schwangerschaft
des Verlaufs der Sarkoidose nicht geeignet. Ein Erythema nodosum kann auch in der normalen Schwangerschaft auftreten. Der Verlauf der Sarkoidose wird durch die Schwangerschaft nicht beeinflusst. Der Einsatz von Steroiden ist bei Indikation zu befürworten und eine Erhöhung der Dosierung peripartal zu empfehlen. Schwangere mit Sarkoidose sollten kein Vitamin D einnehmen, weil dieses eine Hyperkalzämie provozieren kann. Die Fertilität bei jungen Frauen mit gut eingestellter zystischer Fibrose ist normal. Der Ausgang einer Schwangerschaft ist abhängig von der vorbestehenden Lungen-
funktion. Die Frühgeburtenrate und die perinatale mütterliche Mortalität sind erhöht. Ein spezielles Augenmerk ist auf eine gute Ernährung zu legen. Das Risiko für eine eingeschränkte Glukosetoleranz in der Schwangerschaft (Gestationsdiabetes) ist erhöht. Infektiöse Exazerbationen müssen aggressiv behandelt werden. Frauen mit restriktiven Lungenerkrankungen (z.B. im Rahmen einer schweren Kyphoskoliose) tolerieren eine Schwangerschaft besser als Frauen mit Kardiomyopathien, da die respiratorischen Reserven grösser sind als die kardialen Reserven. Bei einer forcierten Vitalkapa-
zität > 1 l ist der Schwangerschaftsausgang in der Regel gut. Liegen eine pulmonal-arterielle Hypertonie und ein Cor pulmonale vor, muss wegen der hohen mütterlichen Mortalität von einer Schwangerschaft abgeraten werden. ◗
Dr. med. Peter Dürig Leitender Arzt
Schwangerschafts- und Geburtsmedizin Frauenklinik Inselspital
E-Mail: peter.duerig@insel.ch
Literatur beim Verfasser
18
GYNÄKOLOGIE 3/2004