Transkript
I N F O R M A T I O N RFU BÜR IRK T I TSE LC H W A N G E R E
Vorgeburtliche Risikoerfassung für Chromosomenanomalien
Information zum Ersttrimestertest
Liebe Schwangere, die folgenden Informationen dienen dazu, Ihnen einige wichtige Aspekte zum so genannten Ersttrimestertest (= Screeningtest in der Frühschwanger-
schaft) zu vermitteln. Besprechen Sie alle Fragen, die Sie nach dem Lesen dieser Informationen wahrscheinlich noch haben werden, mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt.
Grundsätzlich dient der Ersttrimestertest zur individuellen Risikoberechnung für Chromosomenstörungen beim Kind. Bei der Entscheidung für oder gegen eine vorgeburtliche Chromosomenuntersuchung ist vor allem die Kenntnis des Risikos für diese Anomalie bedeutsam. Die möglichst genaue Risikoermittlung erlaubt Ihnen eine Entscheidung für oder gegen einen Eingriff wie Chorionbiopsie oder Fruchtwasserentnahme (Amniozentese). Die Grundlagen dieser Risikoermittlung sind hier für Sie zusammengefasst. Der Ersttrimestertest kann Sie jedoch auch in einen ethischen Entscheidungskonflikt bringen. Teilen Sie Ihrer Ärztin/Ihrem Arzt deshalb bitte mit, wenn Sie aus persönlichen Gründen keine Risikoermittlung für kindliche Chromosomenstörungen möchten. Bei Unklarheiten oder Fragen gibt sie/er Ihnen gerne zusätzliche Auskunft.
Was sind «zahlenmässige Chromosomenstörungen»?
Hierbei handelt es sich um das Fehlen eines Chromosomens (z.B. beim TurnerSyndrom) oder um das Vorhandensein eines überzähligen Chromosomens (z.B. Trisomie 21 bzw. Down-Syndrom). Die häufigste Chromosomenstörung ist mit zirka 1 von 680 Geburten die Trisomie 21, die mit variablen geistigen und körperlichen Entwicklungsstörungen einhergehen kann. Die Trisomie 18 und 13 kommen seltener vor; sie sind mit schwersten Organfehlbildungen verbunden, die meistens nicht mit einem Überleben vereinbar
sind. Das Risiko für eine dieser Trisomien steigt mit zunehmendem Alter der Mutter an und ist zudem leicht erhöht, wenn bereits in einer früheren Schwangerschaft ein Kind betroffen war.
Was bedeutet «Risiko mütterliches Alter»?
Für viele Jahre war das mütterliche Alter die einzige Grösse, die geeignet war, das Risiko für Trisomie 21 und andere Chromosomenanomalien abzuschätzen. Mit den verbesserten technischen Möglichkeiten des Ultraschalls können inzwischen auch eine Reihe von Anomalien des Kindes erkannt werden, die mit einem erhöhten Risiko für Chromosomenstörungen einhergehen. Allerdings liessen sich viele dieser Ultraschallbefunde nicht so verlässlich verwenden. Eine genaue Risikoermittlung ist mit der Bestimmung von Hormonen und anderen Eiweissen im Blut der Mutter (= Serummarker) und der Messung der so genannten Nackentransparenz heute möglich geworden (= Risikoscreening).
Was sind «mütterliche Serummarker»?
Im zweiten Schwangerschaftsdrittel werden zwei Laborwerte im mütterlichen Blut, nämlich AFP (= Alpha-FetoProtein), freies β-hCG (= free beta human Chorionic Gonadotropin) und das mütterliche Alter seit etwa zwei Jahrzehnten bis heute zur Risikoermittlung eingesetzt (AFPplus-Test).
Inzwischen ist stattdessen eine Untersuchung der Blutspiegel von freiem β-hCG und PAPP-A (= Pregnancy Associated Plasma Protein-A) bereits im ersten Schwangerschaftstrimenon möglich. Dies erlaubt in Kombination mit dem mütterlichen Alter und der Nackentransparenz eine frühe individuelle Risikoberechnung für eine Trisomie in einer laufenden Schwangerschaft.
Was ist «Nackentransparenz»?
Die praktisch bedeutsamste Grösse beim Risikoscreening im ersten Schwangerschaftsdrittel ist allerdings nach heutigem Kenntnisstand die bei der Ultraschalluntersuchung gemessene Ausdehnung zwischen der kindlichen Nackenhaut und den Weichteilgeweben. Das Risiko wächst mit zunehmender Ausdehnung dieser so genannten Nackentransparenz. Eine verbreiterte Nackentransparenz kann ausserdem ein wichtiges Hinweiszeichen für eine Vielzahl von angeborenen Organfehlbildungen sein, die in weiteren Untersuchungen kontrolliert werden sollten. Eine verdickte Nachentransparenz kann aber auch bei sonst unauffälliger Kindsentwicklung vorkommen.
Was heisst «Risikoscreening im ersten Schwangerschaftstrimester»?
Optimale Grundlage der Risikoberechnung ist die Messung der Nackentransparenz und eine Bestimmung der mütterlichen Serummarker nach einer Blutentnahme.
10
GYNÄKOLOGIE 2/2004
10
PÄ-
I N F O R M A T I OR UNB R I KFT IÜT ERL S C H W A N G E R E
Das mütterliche Alter wird in die Berech-
nung einbezogen.
Die genannten Untersuchungen führen zu
einer Risikoangabe für Trisomie 21 und
andere seltene Chromosomenanomalien
beim Kind. Solche Screeningunter-
suchungen können aber eine Chromo-
somenanomalie weder beweisen noch si-
cher ausschliessen. Zirka 85 Prozent der
Kinder mit einer Trisomie 21 haben einen
auffälligen Ersttrimestertest. Die Risikoan-
gabe ist zurzeit die bestmögliche Ent-
scheidungsgrundlage für oder gegen
einen Eingriff (Chorionbiopsie oder Frucht-
wasserentnahme), der für eine zuverlässige
Diagnose zwingend erforderlich ist.
Chorionbiopsie und Fruchtwasserent-
nahme sind Eingriffe, die in seltenen
Fällen zu einer Fehlgeburt führen kön-
nen (Risiko: 0,5–1%), sodass sie nicht
ohne besonderen Grund durchgeführt
werden sollten. Ein solcher Grund kann
ein erhöhtes Risiko für Chromosomen-
anomalien sein.
Ob ein Risiko erhöht ist, wird individuell un-
terschiedlich empfunden. Aus praktischen
Gründen werden beim Ersttrimesterscree-
ning berechnete Risiken, die zum Zeitpunkt
der Untersuchung grösser als 1:300 (ent-
sprechend 1:380 bei Geburt) sind, als er-
höht angesehen, sodass das Ergebnis der
Risikoberechnung dann als «positiv» oder
«auffällig» bezeichnet wird. Dies bedeutet
aber keineswegs, dass eine Chromoso-
menstörung vorliegt, sondern lediglich,
dass ein Eingriff in Erwägung gezogen wer-
den kann. In diesen Fällen ist eine ausführ-
liche genetische Beratung zu empfehlen,
um mögliche weiterführende Untersu-
chungen zu besprechen. Die Kosten einer
möglichen Chromosomenuntersuchung
werden dann von der Krankenversicherung
erstattet.
Wenn Sie Fragen zum Verständnis dieser
etwas komplizierten Zusammenhänge ha-
ben, sollten Sie nicht zögern, diese zu stel-
len, bevor Sie weitere Entscheidungen
treffen.
◗
Diese Seiten dürfen mit Genehmigung des Verlags und der Autoren kopiert und an die Patientinnen weitergereicht werden.
Nackentransparenz, Serummarker und Alter
Nackentransparenz und Alter
AFPplus-Test
Mütterliches Alter 0
10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
Entdeckungsrate (%)
Auf einen Blick
q Das Ziel ist es, Ihnen möglichst alle Informationen für eine eigenständige Entscheidungsfindung bezüglich der vorgeburtlichen Untersuchungen zu geben.
q Der Ersttrimestertest kann zwischen de 11. und 14. Schwangerschaftswoche durchgeführt werden.
q Aus der Kombination von mütterlichem Alter, der Ultraschalluntersuchung (Nackentransparenz) und den Blutwerten kann eine individuelle Risikoangabe für eine Trisomie 21 und einige andere Chromosomenstörungen berechnet werden.
q Der Test erlaubt eine genauere Abschätzung des Risikos im Vergleich zum Eingriffsrisiko bei invasiven Untersuchungen (Fruchtwasserpunktion oder Chorionzottenbiopsie).
q Der Test kann zusätzlich wichtige Hinweise auf weitere mögliche Entwicklungsstörungen geben.
q Die oben angeführte Grafik zeigt die Entdeckungsraten der verschiedenen Parameter.
Autorenteam: Prof. Dr. Dr. h.c. W. Holzgreve
Dr. P. Kuhn Prof. Dr. P. Miny Prof. P. Hohlfeld Prof. Dr. R. Zimmermann Prof. Dr. O. Irion PD Dr. K. Biedermann
Dr. R. Müller Dr. S. Gerber Dr. L. Bronz PD Dr. S. Tercanli
11 11
PÄ- GYNÄKOLOGIE 2/2004