Transkript
INTERVIEW
«Menstruelle Migräne»
Hintergründe, Therapiemassnahmen, Prognose
Frauen leiden verglichen mit Männern wesentlich häufiger unter Migräneattacken. Interferenzen zwischen Migräne und den weiblichen Sexualhormonen, Östrogenen und Progesteron, sind bekannt. Die Einnahme von hormonalen Ovulationshemmern, einer postmenopausalen HRT sowie die Behandlung von
Migräneattacken in der Schwangerschaft sind daher speziell zu betrachten, ferner die Akuttherapie wie auch die Langzeitprophylaxe. Dr. med. Christian Meyer, Neurologe mit Praxis in Baden und Präsident der Schweizerischen Kopfwehgesellschaft, nahm zu diesbezüglichen Fragen Stellung.
Gynäkologie: Lässt sich feststellen, dass Migräne bei Frauen in einem speziellen Alter gehäuft auftritt? Christian Meyer: Vor der Pubertät ist die Migräne bei Knaben eher häufiger anzutreffen, nachher ist es umgekehrt. Bei 10 Prozent aller Frauen, die an Migräne leiden, liegt eine rein periodenassoziierte Form vor.
Ein Teil der Migränepatientinnen bekommt gehäuft während der Menstruation Schmerzattacken. Wie sind diese Zusammenhänge zu verstehen? Meyer: Man nimmt an, dass der plötzliche Abfall der Hormonspiegel die Ursache ist. Man spricht auch von einer Triggerfunktion des Dienzephalons in diesem Zusammenhang.
Zeigen diese Patientinnen Ihrer Erfahrung nach charakteristische Symptome (Aura, Dauer der Attacken, Schwere, Begleitsymptome)? Meyer: Meist sind es die charakteristischen Symptome einer Migräne; das Kopfweh kann aber sehr komplex sein.
Ist eine Relation zum prämenopausalen Syndrom, das mit erhöhter Reizbarkeit einhergeht, bekannt oder auch (in einigen Fällen) erkennbar? Meyer: Eine direkte Relation besteht nicht.
Wie ist die Einnahme der Pille beziehungsweise anderer hormoneller Kontrazeptiva bei Migränepatientinnen zu bewerten? Sollte darauf verzichtet werden? Meyer: In den wenigsten Fällen spielt die Pille eine Rolle; auch ein Wechsel des Präparats bringt nichts. Bekannt ist aber
Dr. med. Christian Meyer
das Auftreten der Migräne genau in der pillenfreien Phase.
Wie behandeln Sie Frauen mit «menstrueller Migräne»? Sind die Triptane Mittel der Wahl? Meyer: Triptane, beispielsweise Rizatriptan, Zolmitriptan, Eletriptan, sind die Substanzen mit der grössten Wirkungserwartung; sie leisten auch bei der menstruellen Migräne gute Dienste. Wichtig ist, dass man die Substanz frühzeitig einnimmt und vor allem auch in höherer Dosierung als üblich, wenn nötig. Die Tageslimiten sind bei jedem Präparat angegeben.
Was empfehlen Sie zur Langzeitprophylaxe? Meyer: In den Therapieempfehlungen für Kopf- und Gesichtsschmerzen ist eine ganze Liste von Substanzen und nichtmedikamentöse Massnahmen angegeben. Man darf dabei nie vergessen, dass jede Patientin ihre eigene Wirklichkeit und Reaktionslage hat – auch punkto Nebenwirkungen. Bei der Akuttherapie kann man die Wirkung mit einem hohen
Prozentsatz voraussagen, für die Langzeitprophylaxe gilt dies leider nicht.
Ist bei schwangeren Migränikerinnen eine Veränderung (zur Besserung oder Verschlechterung) festzustellen? Welche Therapien stehen in dieser Phase an erster Stelle? Meyer: Bei 70 Prozent der Betroffenen bessert sich die Migräne spontan. Ist dies nicht der Fall und der Leidensdruck gross, dann versuche ich es mit Naratriptan dasjenige Triptan, dessen Nebenwirkungen nicht höher sind als bei Plazebo. In den USA gibt es seit 1996 ein Schwangerschaftsregister, in welchem alle Frauen registriert sind, von denen bekannt ist ist, dass sie während der Gravidität und während oder nach der Geburt Sumatriptan und Naratriptan nehmen. In den aktuell fast 700 Fällen ist nie etwas passiert. Die Gynäkologen verordnen gerne Panadol, der Erfolg ist aber denkbar schlecht.
Ist bekannt, ob und wie eine postmenopausale Hormonsubstituion die Symptomatik beeinflusst? Meyer: Die Erfahrungen sind kontrovers; nach meiner Erfahrung bringt sie nichts für die Betroffenen.
Herr Dr. Meyer, wir bedanken uns für das Interview.
Das Interview führte Bärbel Hirrle.
Weitere Hinweise zu Migräne und Kopfschmerz: Schweizerische Kopfwehgesellschaft: www.headache.ch
20
GYNÄKOLOGIE 2/2004