Die Frühsommer-Meningoenzephalitis-(FSME-)Fallzahlen der letzten drei Jahre sind die höchsten seit 2000, zurückzuführen auf günstige klimatische Bedingungen für die Zecken einerseits und eine verstärkte Sensibilisierung der Bevölkerung andererseits. Mittlerweile wurde die ganze Schweiz, mit Ausnahme der Kantone Genf und Tessin, die weitgehend verschont blieben, zum FSME-Risikogebiet erklärt.
In der Schweiz übertragen Zecken hauptsächlich Borrelia burgdorferi sensu lato, den Erreger der Lyme-Borreliose, das Bakterium Francisella tularensis, den Erreger der Tularämie sowie das FSME-Virus (1). Etwa 5 bis 30 Prozent der Zecken, stellenweise auch jede zweite, tragen Borrelien, etwa 0,5 Prozent der Zecken das FSME-Virus. Sowohl Borrelien als auch das FSME-Virus werden durch Zecken der Art Ixodes ricinus übertragen. Für FSME ist auch eine Übertragung durch den Konsum von Rohmilchprodukten, insbesondere aus Ziegenmilch, beschrieben.
Die Wahrscheinlichkeit, nach einem Zeckenstich eine Borreliose zu entwickeln, liegt bei etwa 5 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung einer FSME nach Stich in einem Endemiegebiet wird mit höchstens 2 Prozent beziffert. Für durch Zeckenstiche verursachte Infektionskrankheiten ist in der Schweiz als einzigem Land Europas die Unfallversicherung zuständig, da der Zeckenstich gemäss Rechtsprechung als Unfallereignis gilt.
Zur Therapie der Borreliose sind für die in der Schweiz praktizierenden Ärzte die Richtlinien der Schweizerischen Gesellschaft für Infektiologie massgebend. Während die Borreliose als bakterielle Erkrankung mit Antibiotika behandelbar ist, bleibt die Therapie der FSME auf die Symptome beschränkt.
Besonders aktiv sind die Zecken witterungsabhängig in der Regel ab März bis in den November. Die Zahl der Erkrankungen variierte seit dem Jahr 2000 jährlich zwischen 52 und 356 Fällen. In 2019 wurden 262 Fälle von FSME gemeldet, das entspricht der dritthöchsten Zahl seit 2000 (2).
Rechtzeitig an die Impfung denken
Anders als bei der Borreliose gibt es zur Prävention einer FSME jedoch eine Impfung, die für alle Personen über 6 Jahren empfohlen wird, die in einem Risikogebiet wohnen oder sich vorübergehend dort aufhalten. Aus immer mehr Gebieten der Schweiz wurden in den letzten Jahren Infektionen mit dem FSME-Virus gemeldet. Einen Überblick über die Zeckenstichmeldungen und die daraus resultierenden Impfempfehlungen können Sie den Landkarten entnehmen, die in Zusammenarbeit mit Swisstopo erstellt wurden (siehe Abbildungen 1 und 2).
Verfügbare Impfstoffe
In der Schweiz stehen für Kinder zwei Impfstoffe zur Verfügung (Encepur® N Kinder für Kinder bis 11 Jahre und FSME-Immun® Junior für Kinder bis 15 Jahre), ebenso für Erwachsene (Encepur® N für Personen über 12 Jahre, FSME Immun® CC für Personen über 16 Jahre).
Nach vollständiger Grundimmunisierung mit 3 Dosen wird nach 10 Jahren eine Auffrischung empfohlen. Ein Schnellschema gemäss Fachinformation ermöglicht im Bedarfsfall eine schnelle Immunisierung, nach einem Zeckenstich wirkt die Impfung jedoch nicht rasch genug, um eine allfällige Infektion zu verhindern.
Die Verträglichkeit der Impfung ist sehr gut, lokale Reaktionen treten bei etwa einem Drittel der Geimpften auf. Schwere allergische Reaktionen sind mit 1 bis 2 Fällen auf eine Million Dosen sehr selten, noch seltener sind schwere neurologische Nebenwirkungen. Mü
Linktipps:
Das BAG hat die Antworten auf die am häufigsten gestellten Fragen rund um Zecken und durch Zecken übertragene Erkrankungen in einem Fragenkatalog zusammengefasst.
Referenzen:
«FAQ – Zecken und durch Zecken übertragbare Krankheitserreger», Fragekatalog BAG, Stand 7.10.2019
BAG Zahlen zu Infektionskrankheiten
Pilotstudie zur FSME-Impfung bei Multipler Sklerose
Die Mehrheit der FSME-Infizierten entwickelt keine klinischen Symptome. Dennoch findet man bei bis zu einem Viertel von ihnen ZNS-Symptome, mehrheitlich Meningitis und Meningoezephalitis, mit einer Sterblichkeit von 0,5 bis 2 Prozent in Europa. Aufgrund mangelnder Behandlungsoptionen stellen die Impfung und die Prävention von Zeckenbissen die wichtigsten Vorsorgestrategien dar.
Berichte über potenziell schädliche Auswirkungen der FSME-Impfung auf den Verlauf der Multiplen Sklerose (MS) haben sowohl bei Patienten als auch bei Ärzten zu einer gewissen Zurückhaltung gegenüber der Impfung geführt. Immunkompromittierte Patienten könnten eine geringere Immunantwort haben und zudem einen schnelleren Abfall der Antiköper nach erfolgter Impfung aufweisen.
An einer prospektiven, multizentrischen, nicht randomisierten Beobachtungsstudie nahmen 20 MS-Patienten zwischen 18 und 70 Jahren teil, die mindestens ein halbes Jahr lang eine krankheitsmodifizierende MS-Therapie (disease modifying therapy; DMT) erhalten hatten. Sie bekamen eine einzelne Dosis eines der beiden inaktivierten Zeckenimpfstoffe (FSME immun® oder Encepur®). 4 Wochen vor und nach der Impfung wurde die Serologie bestimmt, Follow-up-Kontrollen erfolgten nach 1, 3, 6 und 12 Monaten. Dabei erwies sich die klinische MS-Aktivität als unverändert, die jährliche Rückfallrate nahm ab (von 0,65 im Jahr vor auf 0,21 im folgenden Jahr). Der erste Rückfall war nach 62 Tagen zu beobachten, was einen Zusammenhang mit der Impfung unwahrscheinlich erscheinen lässt.
Die Vorbehalte, dass einige Impfstoffe Autoimmunerkrankungen induzieren oder eine bestehende MS verschlimmern könnten, sind nicht bestätigt. In der untersuchten Kohorte wurden im Follow-up-Verlauf weder neurologische Komplikationen noch autoimmune Erkrankungen oder andere systemische Nebenwirkungen beobachtet. Die Verträglichkeit der FSME-Impfung war gut, und sie ist gemäss den Ergebnissen dieser Pilotstudie sowie der verfügbaren Literatur für MS-Patienten sicher. Die Reaktionen auf den Impfstoff unterscheiden sich abhängig von der zugrundeliegenden DMT. Mü
Quelle: Winkelmann A et al.: Tick-borne encephalitis vaccination in multiple sclerosis. Neurol Neuroimmunol Neuroinflamm 2020;7:e664.