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Budesonid bei COVID-19

Experten warnen vor zu hohen Erwartungen

Kürzlich erregte die Veröffentlichung der STOIC-Studie beträchtliches Aufsehen, weil von sehr positiven Effekten von Budesonid im frühen Stadium von COVID-19 berichtet wurde (1). In den Medien galt Budesonid für einige sogar als «game changer», zumal es sich um ein bewährtes und preiswertes Medikament handelt. Jetzt warnen drei medizinische Fachgesellschaften im deutschsprachigen Raum, die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP), die Österreichische Gesellschaft für Pneumologie (ÖGP) und die Deutsche Gesellschaft für Allergologie und Klinische Immunologie (DGAKI), vor überzogenen Erwartungen (2, 3).

Die STOIC-Studie (1) war nicht verblindet und nicht plazebokontrolliert. Es wurden 146 Patienten eingeschlossen, 73 in jede Gruppe. Die meisten von ihnen hatten kein Asthma (84 bzw. 86% der Probanden). Die Patienten in der Budesonidgruppe verwendeten innert 7 Tagen nach Beginn eines leichten COVID-19-Verlaufs einen Budesonid-Turbohaler (2-mal 2 Hübe à 400 μg, Tagesdosis 1600 μg). Die Patienten in der Kontrollgruppe hatten keinen Inhaler. Primärer Endpunkt war die Notwendigkeit einer Notfallkonsultation. Zu den sekundären Endpunkten gehörten die Erholung gemäss eigener Einschätzung des Patienten, viral bedingte Symptome, erfasst mit zwei Fragebögen (FLUPro, CCG), Fieber, Sauerstoffsättigung und Viruslast. Die Patienten wurden von Juli bis Dezember 2020 in die Studie aufgenommen. Die Studie wurde vorzeitig beendet, weil man zu dem Schluss kam, dass sich das Resultat durch die Aufnahme weiterer Patienten nicht wesentlich verändern würde.
Budesonid wurde im Mittel 7 Tage lang angewendet. In der Gruppe ohne Inhaler benötigten 11 von 73 Patienten (15%) eine Notfallkonsultation, mit Budesonid waren es 2 von 73 (3%). Um eine Verschlechterung des COVID-19-Verlaufs bei 1 Patienten zu verhindern, mussten 8 Patienten behandelt werden (NNT: 8). Mindestens einen Tag Fieber (> 37,5 °C) hatten 11 Prozent der Patienten mit Budesonid und 23 Prozent der Patienten in der Kontrollgruppe. Gemäss Selbsteinschätzung der Patienten gingen die Symptome in der Budesonidgruppe im Durchschnitt 1 Tag früher zurück als ohne Inhaler (3 vs. 4 Tage). Bezüglich der Sauerstoffsättigung und der SARS-CoV-2-Viruslast zeigten sich keine Unterschiede zwischen den beiden Gruppen.

Die Studie generiere allenfalls Hypothesen, erlaube aber keineswegs eine generelle Empfehlung für eine Therapie mit inhalativen Steroiden (ICS) bei COVID-19-Patienten, heisst es in der Stellungnahme von DGP, ÖGP und DGAKI. Die wesentlichen Kritikpunkte an der STOIC-Studie lauten:

  • Plazebokontrolle und Verblindung fehlten. Sowohl die Patienten als auch die Ärzte wussten, wer mit Budesonid behandelt wurde und wer nicht.
  • Ein Selektionsbias ist nicht auszuschliessen (nur 73 Patienten pro Gruppe, deren Rekrutierung trotz hoher Infektionszahlen mit 5 Monaten auffällig lang dauerte).
  • 16 Prozent der Patienten in der Budesonidgruppe waren Asthmatiker und profitierten möglicherweise auch deswegen von dem ICS, was die Aussagekraft für alle COVID-19-Patienten einschränkt.
  • Die Endpunkte waren grösstenteils subjektiv geprägt und anfällig für Plazeboeffekte (gefühlte Notwendigkeit, einen Arzt oder die Notfallambulanz aufzusuchen, Fragebögen zur empfundenen Besserung usw.). Möglicherweise suchten Patienten mit Budesonid im Vertrauen auf die ICS-Wirkung ärztliche Hilfe seltener oder später auf.
  • Für einen Plazeboeffekt spricht, dass sich bei den objektiv messbaren Endpunkten Sauerstoffsättigun und Viruslast keine Unterschiede zwischen beiden Gruppen fanden.
  • Die verwendete ICS-Dosis war sehr hoch (1600 μg pro Tag entspricht der Höchstdosis für Asthmapatienten). Es bleibt offen, ob tatsächlich eine derart hohe Dosis für den postulierten Effekt notwendig ist.
  • Die Relevanz der Studienresultate für schwere COVID-19-Verläufe bleibt unklar.

Die Autoren der Stellungnahme betonen ausdrücklich, dass eine bestehende ICS-Dauertherapie bei Asthma- oder COPD-Patienten auch während der Coronaviruspandemie fortzuführen sei; das gelte auch dann, wenn diese Asthma- oder COPD-Patienten an SARS-CoV-2 erkranken. Von einer breiten Off-Label-Behandlung mit ICS für COVID-19-Patienten im Allgemeinen oder gar von einer ICS-Selbstmedikation wird hingegen dringend abgeraten – das auch im Hinblick auf die ICS-Versorgungssicherheit für Asthma- und COPD-Patienten.

Dass die Sorge vor Versorgungsengpässen aufgrund eines Budesonid-Hypes nicht aus der Luft gegriffen ist, zeigen Erfahrungen aus Österreich. Eine infolge der STOIC-Studie vermehrte Off-Label-Verordnung des Asthmasprays hatte zwischenzeitlich dazu geführt, dass das ICS in Österreichs Apotheken knapp wurde und die Regierung einen Exportstopp erliess (4).

RBO

  1. Ramakrishnan S et al. Inhaled budesonide in the treatment of early COVID-19 (STOIC): a phase 2, open-label, randomised controlled trial. Lancet Respir Med. 2021; published online Apr 9th, published correction Apr 14th, 2021.
  2. Therapie mit inhalativen Glukokortikoiden bei COVID-19. Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP), der Österreichischen Gesellschaft für Pneumologie (ÖGP) und der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und Klinische Immunologie (DGAKI).
  3. Asthma-Medikamente gegen COVID-19? Medienmitteilung der DPG vom 20. April 2021.
  4. Budesonid: Die neue Hamsterware. www.doccheck.com, 30. April 2021.