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KONGRESSBERICHT
Ressourcenleichte und tierschonende Esskultur
Bessere Vegi-Gerichte statt Fleischverbote
Foto: zVg
Aus gesundheitlicher und ökologischer Sicht wäre eine vermehrt pflanzenbasierte Ernährung wünschenswert. Es ist aber eine Herausforderung, das in einer liberalen Gesellschaft ohne Zwang zu erreichen. Ein Teilprojekt des Forschungsvorhabens «Innovationen in der Ernährung – Novanimal» wollte klären, wie man Menschen für eine gesündere und ressourcenleichtere Ernährung gewinnt. Priska Baur, Leiterin des Teilprojekts und zusammen mit Jürg Minsch CoLeiterin von Novanimal, präsentierte die Ergebnisse und die daraus folgenden Denkanstösse.
Ressourcenleicht meint, dass die Ernährung die Umwelt weniger belasten soll, was letztlich bedeutet, dass in Zukunft mehr pflanzliche und weniger tierische Nahrungsmittel gegessen werden sollten als heute. Der Fokus Gastronomie ist wichtig, da dort 50 Prozent der Fleischmenge in der Schweiz konsumiert werden. Das Projekt wurde an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften durchgeführt. Von September 2016 bis Dezember 2018 wurde Novanimal vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstützt.
Essen mit Emotionen verbunden
Die Schweizer Esskultur beinhaltet traditionell viele Fleisch- und Milchprodukte wie Fondue, Raclette, Wurstsalat, Zürcher Geschnetzeltes, Berner Platte, Gschwellti und Käse, aber auch die Cervelats am offenen Feuer. Essen ist immer mit Erinnerungen und Emotionen verbunden. Passend zu den tierlastigen Ernährungsgewohnheiten, ist die Schweizer Landwirtschaft auf die Tierproduktion spezialisiert. Die Fleischnachfrage ist für die Branche erfreulich (1), die Coop-Tochter Bell zum Beispiel hat ihr Ergebnis im ersten Halbjahr 2021 deutlich verbessert. Zwar nimmt der Verkauf von Fleischersatzprodukten zu, aber auf tiefem Niveau. Der Pro-Kopf-Fleischkonsum bleibt hoch, auch wegen des stetig wachsenden Pouletverzehrs. Vegi sei kein Megatrend, auch kein Makrotrend, sondern ein medial hochgespielter Mikrotrend, betonte Priska Baur.
12-wöchiges Feldexperiment in zwei Zürcher Hochschulmensen
In zwei Hochschulmensen wurde gemeinsam mit SV Schweiz, einem der führenden Schweizer Gastronomieunternehmen, ein 12-wöchiges Feldexperiment durchgeführt. Es wurde untersucht, wie die Mensabesucherinnen und -besucher auf ein höheres Angebot an ovo-lakto-vegetarischen und veganen Menüs bzw. ein kleineres Angebot an Fleischmenüs reagieren. Ein wichtiges Thema im Projekt waren zudem die
Motivation und die Förderung der Kompetenzen für die vegetarische Küche bei den Verantwortlichen der Gastronomie. Die Mensagäste wurden informiert, dass ein Forschungsprojekt durchgeführt wird, aber nicht, was genau untersucht wird. Die Konsumenten konnten entscheiden, ob sie daran teilnehmen oder nicht, also ob sie mit dem Badge bezahlen und ihre Daten anonymisiert ausgewertet werden können oder ob sie ihre Kaufdaten nicht zur Verfügung stellen. Als erster Schritt wurde die vegetarische Menülinie abgeschafft, und für die Menülinien wurden nur die «neutralen» Bezeichnungen Favorite, Kitchen und World verwendet. Die Fleisch-, vegetarischen und veganen Gerichte wurden zufällig auf die drei Menülinien verteilt. So kam es vor, dass ein Vegi-Gericht auf der teuersten Menülinie Kitchen angeboten wurde, was vorher nicht der Fall war. Während 12 Wochen wurde wöchentlich zwischen fleischlastigen und vegilastigen Wochen abgewechselt. In den fleischlastigen Wochen waren 2 Fleisch-/Fischmenüs und 1 ovo-lakto-vegetarisches Menü geplant, in den vegilastigen Interventionswochen 1 Fleisch-/ Fisch-, 1 ovo-lakto-vegetarisches und 1 veganes Menü. Der Aufwand für die Küche war beträchtlich, vor allem weil vegetarische und vegane Gerichte mehr Zeit benötigen, besonders wenn die Routine fehlt. Im 12-wöchigen Experiment wurden 26 340 Menüs an 1552 Mensagäste verkauft und 1176 Personen auf dem Campus befragt.
Weniger Fleisch hat funktioniert
Die Befragung zeigte, dass die Mehrheit der Mensagäste das veränderte Angebot nicht realisierte. Der Wechsel auf das geringere Fleischangebot hatte keinen negativen Effekt auf den Umsatz oder die Zufriedenheit. In den Basiswochen betrug der Anteil Fleischgerichte 56 Prozent, in den Interventionswochen 42 Prozent (–25%). Bei Frauen ging der Anteil von Fleischgerichten von 40 Prozent auf 28 Prozent zurück (–30%), bei Männern von 65 Prozent auf 50 Prozent(–23%) (2).
Priska Baur
Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 4|2021 17
KONGRESSBERICHT
Die Befragung ergab, dass die Vegi-Gerichte nicht gewählt wurden, weil sie vegetarisch waren, sondern weil sie im Vergleich zu den gleichzeitig angebotenen Fleischgerichten als attraktiver wahrgenommen wurden. Beliebte Vegi-Gerichte, zum Beispiel Kürbis-Gemüse-Lasagne oder Schupfnudelpfanne, wurden auch auf der teuersten Menülinie Kitchen gut verkauft, und nicht nur einmal war das Kitchen-VegiMenü ausverkauft, weil die Küche nicht erwartet hatte, dass das vegetarische Gericht so gut läuft.
Billiges Fleisch in der Mensa
Doch spielt der Preis laut Kassendaten und Befragungen durchaus eine Rolle: Junge, Männer und Studierende wählen häufiger das preisgünstigste Menü; am häufigsten wird dieses von (männlichen) Studenten gewählt (83% der gewählten Menüs), am seltensten von Mitarbeiterinnen (54%). Besonders attraktiv ist in der Mensa das Preis-Leistungs-Verhältnis bei Fleischgerichten: Die Mensa ist ein Ort, wo «billig» Fleisch gegessen werden kann.
Persönliche Einstellung und Menüwahl
Befragte (n = 764), die angaben, häufig Fleisch zu essen, machten sich weniger häufig Gedanken über die Folgen ihrer Ernährung für ihre Gesundheit, die Umwelt, die Tiere oder die Arbeitenden in der Wertschöpfungskette, jedoch häufiger über die Folgen für ihr Portemonnaie (3).
Unterschiede zwischen Männern und Frauen
Frauen essen seltener in der Mensa und nehmen ihr Essen häufiger mit (34% der Frauen vs. 19% der Männer). Frauen verpflegen sich häufiger am Buffet, das vor allem vegetarische Wahlmöglichkeiten bietet (31% vs. 10%). Frauen haben weniger häufig fleischlastige Mittagsverpflegungsgewohnheiten (35% vs. 68%), dafür häufiger vegetarisch orientierte Essgewohnheiten. Frauen gaben häufiger an, sich Gedanken über ihre Gesundheit, die Umwelt, die Tiere oder über die Arbeitenden in der Wertschöpfungskette zu machen (4).
Flexitarier gewinnen, nicht Vegetarier
Grundsätzlich isst die Mehrheit der regelmässigen Mensagäste fleischorientiert, aber auch sie haben Vegi-Gerichte gewählt, wenn diese im Vergleich zu den Fleischgerichten als attraktiver wahrgenommen wurden. Die Vegi-Gerichte müssen primär Fleischesser und Flexitarier überzeugen. Menschen, die sich vegetarisch oder vegan ernähren, wählen immer ein vegetarisches oder veganes Gericht, auch wenn es nicht besonders attraktiv ist, wie zum Beispiel Spaghetti mit Tomatensauce, oder sie kommen erst gar nicht.
Resultate übertragbar?
Auch gesamtschweizerisch finden sich deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Laut der ers-
ten nationalen Ernährungserhebung der Schweiz
(menuCH), die 2014/2015 durchgeführt wurde, essen
in der Schweiz 59 Prozent der Bevölkerung gemäss
Selbstangabe durchschnittlich pro Tag weniger als
100 Gramm Fleisch (5). Bei den Frauen sind es
72 Prozent, bei den Männern 43 Prozent. Aufgeschlüs-
selt auf das Alter sind die Unterschiede in der Gruppe
der 18- bis 34-Jährigen am grössten: Junge Männer es-
sen mehr als doppelt so viel Fleisch als junge Frauen,
umgerechnet auf das Jahr 64 Kilogramm im Vergleich
zu 30 Kilogramm (6).
Auf der Basis der Ernährungserhebung menuCH und
des Novanimal-Feldexperiments wird vorgeschlagen,
die Bevölkerung im Zusammenhang mit ihren
Ernährungsgewohnheiten in vier Gruppen einzutei-
len:
• Fleischliebhaber 25 Prozent bis 35 Prozent
• Flexitarier 60 Prozent bis 70 Prozent
• Vegetarier
5 Prozent bis 10 Prozent
• Veganer
1 Prozent bis 2 Prozent
Daraus folgern die Forschenden, dass zwei Drittel der Bevölkerung für ein ressourcenleichtes und tierschonendes Angebot erreichbar wären. Auch wenn die Ergebnisse nicht eins zu eins auf die Schweizer Bevölkerung übertragbar sind, belegt das Feldexperiment in den zwei Hochschulmensen, dass es auf das Angebot ankommt. Ist das Vegi-Angebot attraktiv und wird es nicht als vegetarisch vermarktet, wird es von den Gästen häufiger gewählt.
Herausforderung für die Gastronomie
Attraktive vegetarische und vegane Gerichte zu kochen, stellt neue Herausforderungen an Gastroverantwortliche, Köche und Restaurationsfachleute. Eine attraktive und qualitativ hochstehende VegiKüche setzt eine hohe Motivation voraus und braucht neue Kenntnisse und Fertigkeiten. Für einen Gastrobetrieb gibt es zudem wirtschaftliche Hindernisse. In der Regel wird preiswertes Fleisch verwendet, das oft in Aktionen gekauft wird. Häufig bestehen für Fleisch, aber auch die anderen üblichen Zutaten, etablierte Lieferketten. Die Kunden haben ausserdem oft die Erwartung, dass ein Vegi-Gericht billiger sein müsse, obwohl es in der Zubereitung eher aufwendiger ist. Ein weiteres Hindernis ist, dass die Gäste regionale Produkte wünschen. Lokal und regional bedeutet in der Schweiz aber sehr oft Fleisch und Milchprodukte. Denn die Schweizer Landwirtschaft ist auf die Tierproduktion spezialisiert, allerdings nicht auf der Basis einheimischer Ressourcen. Etwa die Hälfte der Fleischproduktion basiert laut Priska Baur auf importierten Futtermitteln (7). Zusätzlich bestehen soziokulturelle und psychologische Hindernisse. Fleisch wird als wertvollste Speise auf dem Teller wahrgenommen, ein vegetarisches Gericht gilt eher als Ausnahme, und vegane Gerichte können einen Abwehrreflex auslösen. Die Menschen scheinen eher über Kreativität und Genuss erreichbar zu sein als mit der Moralkeule.
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KONGRESSBERICHT
Schlussfolgerungen
Aus diesem Projekt gingen mehr als 50 Innovations-
ideen für die Gastronomie hervor. Einige wichtige
sind:
• keine spezielle vegane oder vegetarische Menü-
linie, sondern Vegi-Gerichte über die ganze
Menükarte verteilen
• Buffet mit ausschliesslich oder vorwiegend vege-
tarischen Komponenten
• appetitmachende Beschreibungen der Gerichte
• sich von Esskulturen mit weniger oder ohne
Fleisch inspirieren lassen
• eine neue Lehre für vegetarische und vegane
Küche.
elk
Quelle: Priska Baur. Auf dem Weg zu einer ressourcenleichten und tierschonenden Esskultur – Ergebnisse und Denkanstösse aus dem Forschungsprojekt Novanimal.ch. Referat an der Fachtagung der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung, 3. September 2021, virtuell. Dr. Priska Baur Agrarökonomin 8057 Zürich priska.baur@bluewin.ch Die Agrarökonomin Priska Baur (priska.baur@bluewin.ch) forscht und arbeitet heute freiberuflich für eine «ressourcenleichte und tierschonende Esskultur».
Novanimal
Entlang der Wertschöpfungsketten wurde nach Innovationen gesucht, um unerwünschte Folgen von Produktion und Konsum tierischer Nahrungsmittel zu verringern. Das hier vorgestellte Feldexperiment in zwei Zürcher Hochschulmensen ist das grösste Novanimal-Teilprojekt.
Referenzen 1. Die Grüne (Fachzeitschrift für die Landwirtschaft), 2.7.2021, https://
www.diegruene.ch/artikel/im-ersten-halbjahr-2021-brummt-derfleischmarkt 2. Egeler GA, Baur P (2020). Menüwahl in der Hochschulmensa: Fleisch oder Vegi? Ergebnisse eines 12-wöchigen Feldexperiments (Novanimal Working Paper No. 5). Wädenswil: ZHAW. https://doi.org/10.21256/zhaw-1405 3. Baur P, von Rickenbach F (2020). Mittagessen auf dem Campus: Fleisch oder Vegi? Befragung zur Bedeutung von Angebot, Essensgewohnheiten, Vorlieben und Einstellungen für die Wahl des Mittagessens. Teil 1: Ergebnisse und Schlussfolgerungen (Novanimal Working Paper No. 6, Teil 1). Wädenswil: ZHAW. https://doi.org/10.21256/zhaw-1406 4. Vgl. a. a. O. Baur P, von Rickenbach F. (2020). 5. Grafik: Egeler GA; Daten: BLV, Nationale Ernährungserhebung menuCH 2014/2015. 6. Grafik: Baur P; Daten: BLV, Nationale Ernährungserhebung menuCH 2014/2015. 7. Baur P, Krayer P (2021). Schweizer Futtermittelimporte: Entwicklung, Hintergründe, Folgen. Forschungsprojekt im Auftrag von Greenpeace Schweiz. Wädenswil: ZHAW. https://doi.org/10.21256/ zhaw-2400
Präsentation unter https://www.rosenfluh.ch/qr/novanimal-ganze-praesentation Weitere Informationen unter: https://www.rosenfluh.ch/ qr/novanimal-weitereinformationen
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