Transkript
Sporternährung
Bedeutung und Wandel
INTERVIEW
Foto: zVg
Die Bedeutung der Ernährung im Sport ist stark gewachsen. Im Interview sprechen wir mit Dr. sc. Samuel Mettler, Dozent an der Berner Fachhochschule Gesundheit und am Departement Gesundheitswissenschaften und Technolologie ETH Zürich, über die Entwicklung der Sporternährung und die immer noch grossen Herausforderungen.
Wie hat sich die Bedeutung der Ernährung im Sport gewandelt? Dr. Samuel Mettler: Bis weit in die 1970er-Jahre war wenig Wissen in diesem Bereich vorhanden. Die Sporternährung war mehr eine Glaubensfrage. Ohne Datengrundlage machten die Sportler einfach, was sie für gut hielten. Marathonläufer glaubten fest daran, dass es schlecht sei, während des Wettkampfs etwas zu essen oder zu trinken. Heute ist das klar widerlegt – und wird auch anders gemacht. Ende der 1960er- sowie in den 1970er- und 1980erJahren nahm die Forschungstätigkeit Fahrt auf und widmete sich insbesondere ersten grundlegenden Fragestellungen, wie der Flüssigkeits- und der Kohlenhydratzufuhr während oder auch vor der Belastung, dem sogenannten Carboloading. Die Sporternährung ist also ein relativ junges Gebiet. In gewissen Ländern, v. a. in angelsächsischen Ländern wie den USA, UK und auch Australien, ist die Sporternährung schon stärker etabliert und systematischer in das Sportsystem eingebunden, während im deutschsprachigen Raum die Sporternährung noch nicht die gleiche Beachtung erfährt und vor allem noch viel weniger institutionalisiert ist. Dass der Sporternährung eine wichtige Bedeutung zukommt, ist heute wissenschaftlich völlig unbestritten. Interessanterweise stimmen die meisten Leute aus dem Sportbereich dem auch zu, in der Realität holen sich Sportler und Trainer ihre Informationen aber häufig aus wenig evidenzbasierten Quellen. So stellen Sportkollegen, Familienmitglieder, Trainerinnen und Trainer sowie verschiedene Social-Media-Kanäle häufig die wichtigsten Informationsquellen dar. Das Bewusstsein für eine evidenzbasierte wissenschaftliche Sporternährung ist zu oft noch nicht implementiert.
Sind die wissenschaftlichen Kenntnisse über Ernährung schlechter als bei anderen Gebieten wie Kraftaufbau oder Trainingsgestaltung? Die Ausbildung der Trainer in ihrem Kerngebiet ist sicher besser als in den assoziierten Bereichen, wie Sportpsychologie, Sporternährung und Sportmedizin, obwohl auch diese Themen leistungsrelevant sind. Das ist grundsätzlich auch in Ordnung, denn
sie sollen ja primär gute Trainerinnen und Trainer in ihren Sportarten sein. Jedoch wäre teilweise eine vertieftere Ausbildung in den oben genannten Bereichen hilfreich, damit entsprechende Aspekte aktiver erkannt und bearbeitet werden könnten. Einerseits von den Trainerinnen und Trainern selbst, andererseits wäre es vermutlich aber auch hilfreich, wenn systematischer Fachpersonen beigezogen würden.
Wie wichtig sind heute fundierte Kenntnisse der Ernährung für den sportlichen Erfolg? Gute Kenntnisse wären durchaus wichtig. Es geht dabei gar nicht darum, alles theoretisch optimal auszugestalten und buchstäblich Erbsen zu zählen. Es sollte aber nicht sein, dass Athleten selbst auf höchstem Niveau leistungslimitierende Parameter aufweisen. Ich sehe immer wieder Profis, die viel Geld in ihre Karriere investieren, die Ernährung aber offensichtlich leistungslimitierende Aspekte aufweist, die mit wenig Aufwand behoben werden könnten. Diesbezüglich ist unser Sportsystem noch viel zu wenig systematisch ausgebildet. Ein klassisches Beispiel ist die Regenerationsplanung. Spitzensportler kommen manchmal in die Beratung, weil sie mit Verletzungen oder Infektanfälligkeit zu kämpfen haben. Oft kann man mit wenigen Ratschlägen die Situation beeinflussen, und die Athleten fühlen sich besser. Auch gibt es keine strukturierte Wettkampfverpflegung, wie man es in anderen Ländern kennt. Zu viele Athleten machen einfach irgendetwas. Es ist meistens nicht nötig, dass Athleten die Ernährungsberatung ständig an der Seite haben. Aber es schadet zumindest nichts, seine Ernährung einmal systematisch überprüfen zu lassen. Jede Kette ist so stark wie ihr schwächstes Glied. Die Ernährung sollte so solid sein, dass sie den Belastungen standhält. Leistungslimitierende Elemente sollten erkannt und eliminiert werden. Jedoch muss und soll sich nicht alles um die Ernährung drehen. Es gibt auch Ernährungsfanatiker, die zu viele Ressourcen ins Essen stecken, die viel in abstruse Theorien investieren, hier besteht eher die Gefahr für eine Essstörung. Es ist wichtig, eine vernünftige Balance zu finden.
Samuel Mettler
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INTERVIEW
Für die Beratung sollte eine ausgebildete Ernährungsberaterin oder ein ausgebildeter Ernährungsberater konsultiert werden und nicht ein Guru. Das ist jetzt auch die Aufgabe der SSNS (Swiss Sports Nutrition Society), dass entsprechend ausgebildete Ernährungsberater in der Schweiz zertifiziert werden.
Welche Rolle spielen die sozialen Medien bei der Ernährung der Sportler? Ich beobachte eine gewisse Polarisierung, auf der einen Seite die Ernährungsfanatiker, befeuert durch eben die sozialen Medien, auf der anderen Seite diejenigen, die sich noch nie um die Ernährung gekümmert haben. Der Film «Game Changers» ist ein typisches Beispiel. Seit er 2018 erschienen ist, kommen immer wieder junge Athleten, die sich vorher kaum Gedanken über ihre Ernährung gemacht haben, und sagen, dass sie kein Fleisch mehr ässen. Notabene ist das dann nicht selten die einzige Ernährungsmassnahme, die sie neuerdings «beachten». Der Film suggeriert, dass sie damit etwas Gutes für ihre Gesundheit tun. Das ist nicht unproblematisch.
Der Film «Game Changers» scheint ja hohe Wellen geschlagen zu haben. Sie haben an der Tagung der SSNS Gegensteuer gegeben. Was stört Sie am meisten? Es geht mir nicht primär für oder gegen eine vegane Ernährung. Der Film hat viele junge Sportler beeinflusst, denn der Film ist ausserordentlich gut gemacht. Der Regisseur James Cameron hat ja auch Blockbuster-Filme wie «Titanic» oder «Terminator» gedreht. Zudem ist James Cameron seit 2014 ebenfalls Veganer und Umweltaktivist und an verschiedenen Firmen beteiligt, die vegane Lebensmittel produzieren. Wissenschaftlich gesehen, hält der Film einer Überprüfung aber überhaupt nicht stand. Er baut primär auf Anektoten und aus dem Zusammenhang gerissenen Details auf, er zeigt einzelne, sich vegan ernährende Sportler. Aber er reflektiert nie, ob diese Sportler auch mit konventioneller Ernährung Erfolge hatten oder hätten, ob sie bei der veganen Ernährung blieben oder ob andere Sportler das Gleiche ohne vegane Ernährung erreichten. Der Film zeigt jungen Sportlern auf reisserische und irreführende Weise, wie sie dank einer veganen Ernährung sportliche
Höchstleistungen erreichen oder auch mehr Erektionen bekommen würden. Das kann wissenschaftlich nicht ausgebildete junge Menschen schon beeindrucken.
In den Fitnesszentren wird ja einiges geschluckt, wie eine Studie von Ihnen gezeigt hat. Wie können Sie hier Gegensteuer geben? Bei unserer Studie (siehe nächste Seite) zeigt sich der offensichtliche Widerspruch. Sportler möchten eigentlich wissenschaftlich basierte Informationen oder gut ausgebildete Berater. In Wirklichkeit sind aber die wichtigsten Informationsquellen – in diesem Fall für den Gebrauch von Supplementen – alles andere als evidenzbasiert. Die wichtigsten vier sind Trainer/ Coach, Websites der Supplementhersteller, Trainingspartner und Familie/Freunde. Irgendwann taucht dann auch noch der Arzt als Informationsquelle auf. Wahrscheinlich kommt er aber primär zum Zug, wenn es um einen Mangel und entsprechend gezielte Supplementierungen geht, wie bei einem Eisenmangel. Interessant ist auch, dass Physiotherapeuten gleich häufig genannt werden, wie die Ernährungsberatung bezüglich Supplementgebrauch. Diese Studie wurde zwar mit Fitnesssportlern durchgeführt. Andere Erhebungen sowie Erfahrungswerte im Nachwuchs- sowie Leistungs- und Spitzensport deuten aber alle in die gleiche Richtung. Für den Widerspruch gibt es zwei Erklärungen. Entweder gehen die Sportler den Widerspruch wissentlich ein oder, was wahrscheinlicher ist, sie können den Widerspruch gar nicht erkennen. Eine Folge dieser schlechten Informationsqualität ist, dass Prioritäten falsch gesetzt werden, auf irgendwelche Details fokussiert wird, Ressourcen falsch investiert werden oder Produkte nicht wirksam in eine Gesamtplanung integriert werden. Ein Klassiker ist die Regeneration. Ein Regenerationsshake für sich macht noch keine durchdachte, auf die individuelle Situation zugeschnittene Regeneration aus.
Dr. sc. ETH Samuel Mettler Departement Gesundheit der Berner Fachhochschule Fachbereich Ernährung und Diätik Finkenhubelweg 11 3012 Bern E-Mail: samuel.mettler@bfh.ch
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SPORT UND ERNÄHRUNG
Supplemente im Fitnessstudio
Woher kommt die Information?
Das Ziel dieser Studie war zu untersuchen, wie hoch die Prävalenz des Supplementgebrauchs bei Sportlerinnen und Sportlern in der Schweizer Fitnesszentren ist und welche Informationsquellen konsultiert werden.
Die Information zum Supplementgebrauch wurde bei den Kunden mittels Fragebogen eingeholt. 82 Prozent der 417 Kunden der befragten Fitnesszentren nahmen mindestens 1 Supplement pro Woche. Die Häufigkeit der Einnahme der Supplemente korrelierte mit der Trainingsfrequenz. Bei den Sportlern ergaben sich folgende Prozentsätze für diese Supplemente: Eiweisse 49 Prozent, Magnesium 34 Prozent und Multimikronährstoffe 31 Prozent. Im Durchschnitt wurde pro Woche 17,1 Mal ein Supplement eingenommen, wobei 6,9 verschiedene Supplemente verwendet wurden. Die hauptsächlichen Gründe für die Einnahme der Supplemente sind in Abbildung 1 zu sehen. Nur 37 Prozent der Sportler wurden informiert oder informierten sich selbst über potenzielle Risiken, die mit dem Supplementgebrauch verbunden waren. Eigentlich gaben die Befragten an, ihre Informationsquelle aufgrund der wissenschaftlichen Information auszusuchen, danach folgte der Ausbildungsstand des Informanten. Die Realität sieht aber anders aus. Die häufigsten, tatsächlich genutzten Informationsquellen waren Coach/Trainer (28%), Website der Supplementverkäufer (26%) und Trainingskollegen (24%) (Abbildung 2) .
Schlussfolgerung
Die hohe Prävalenz der Supplementeinnahme bei Kunden von Schweizer Fitnesszentren war assoziiert mit einer schlechten Qualität der Information und einer tiefen Prävalenz der Information über Risiken. Damit konnte eine Diskrepanz zwischen dem Wunsch nach hoher Qualität von evidenzbasierter Information und dem tatsächlichen Verhalten festgestellt werden.
Interessenkonflikte: Die Autoren der Studie haben keine Interessenkonflikte deklariert. Mettler S et al: High Prevalence of Supplement Intake with a Concomitant Low Information Quality among Swiss Fitness Center Users. Nutrients 2020 Sep; 12(9): 2595.
Gebrauch von Supplementen im Fitnessstudio
Abbildung 1: Angegebene Gründe für den Gebrauch der Supplemente – mehrere Antworten waren möglich g: zeigt signifikanten Gender-Effekt (p < 0,05) Gewichtsverlust 3 15 2 g Verbesserung der Ausdauer 21 7 2 g Männer Frauen Geschlecht nicht angegeben Ärztliche Verschreibung 8 24 g Andere 17 26 1 Guter Geschmack 28 23 2 Einfache Nährstoffzufuhr Verbesserung der sportlichen Performance Unterstützung der Gesundheit 50 67 61 34 1 g 26 4 g 99 4g Muskelaufbau 0 113 51 8 20 40 60 80 100 120 140 160 180 Anzahl Nennungen Abbildung 2: Informationsquellen der Supplemente – mehrere Antworten waren möglich g: zeigt signifikanten Gender-Effekt (p < 0,05) Mitarbeiter Kaufhaus 13 TV Magazine, besondere Fitnessmagazine Andere Informationsquelle 24 3 71 48 Männer Frauen Geschlecht nicht angegeben Social Media 5 11 1 g Supplement-Guide 14 4 Physiotherapeut 13 5 Internet 10 11 1 Zertifizierter Ernährungsberater/ Ernährungswissenschafter 12 93 Ich habe einen Kurs zu diesem Thema besucht 15 18 2 g Apotheke/Apotheker 13 33 2 Wissenschaftliche Literatur 29 18 2 Überhaupt nicht informiert Video-Sharing-Plattform 29 42 27 15 g g Arzt 24 40 2 Familie und Freunde 30 38 Trainingskollegen 49 31 2 Website der Supplementverkäufer 51 36 3 g Trainer/Coach 0 65 20 40 60 Anzahl Nennungen 31 1 80 100 Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 3|2021 15