Transkript
HERAUSFORDERUNG ALTER
Vitamin-D-Mangel
Ursache von Hörverlust bei älteren Menschen?
Eine Studie mit 1123 Erwachsenen über 70 Jahre zeigte, dass ein niedriger Vitamin-D-Status, definiert als Gesamt-25(OH)D < 20 ng/ml, mit niederfrequenter und sprachfrequenter Hörverminderung assoziiert ist. Die möglichen Ursachen werden diskutiert. In den USA sind fast zwei Drittel aller Erwachsenen im Alter von über 70 Jahren von Schwerhörigkeit betroffen. Altersbedingter Hörverlust wirkt individuell wie sozial behindernd und geht mit erhöhtem Sturzrisiko, depressiven Symptomen und möglicherweise der Begünstigung einer Demenz einher. Ein Hörverlust bei älteren Menschen kann mit dem normalen Alterungsprozess, aber auch mit früherer Lärmbelastung, medizinischen Begleiterkrankungen und dem Ernährungsstatus zusammenhängen und ist wahrscheinlich genetisch beeinflusst. Osteoporose, bekanntlich auch eine altersbedingte Erkrankung, wurde ebenfalls mit Hörverlust in Verbindung gebracht. Sie tritt in der Regel systemisch auf und ist gekennzeichnet durch eine geringe Knochenmasse, durch Knochenbrüchigkeit und ein erhöhtes Frakturrisiko. Es wurde deshalb vermutet, dass eine Demineralisierung des Schläfenbeins die Cochlea beeinträchtigen und damit zu Innenohrschwerhörigkeit führen kann, so wie ja auch Mikrofrakturen die Übertragung des Schalls beeinträchtigen können. Während mehrere Studien tatsächlich einen Zusammenhang zwischen niedriger Knochenmineraldichte (BMD = bone mineral density) und Hörbehinderung unterstützten, konnten andere Studien diesen nicht bestätigen. Ursächlich für eine Osteoporose ist eine abnormale Kalziumhomöostase. Deren Regulierung erfolgt durch Parathormon (PTH) und ionisiertes Kalzium, wichtigster Regulator ist Vitamin D. Im Innenohr spielen Kalziumionen eine wichtige Rolle bei der Weiterleitung elektrischer Impulse. Niedrige Konzentrationen von Vitamin D wurden in einer frühen Fallserie mit Hörverlust in Verbindung gebracht. Vor Kurzem fand zudem eine Querschnittsstudie mit 638 Diabetikern einen Zusammenhang zwischen Vitamin-D-Mangel und Hörverlust. In einer kleineren Studie war ein Mangel an Vitamin D mit einem höheren Risiko für einen plötzlichen Hörverlust verbunden. Interessanterweise wurden hohe Vitamin-D-Konzentrationen aber auch mit schlechterem Hören bei mittleren und hohen Frequenzen in Verbindung gebracht. Zweck der hier referierten Studie von B. Szeto, Ch. Valentini und A. K. Lalwani von der Abteilung für HNO sowie Kopf- und Halschirurgie an der Columbia University New York war es, die Beziehung zwischen Vitamin-D-Status, PTH-Status, Gesamtkalzium, BMD und Schwerhörigkeit in einer repräsentativen Stichprobe zu untersuchen. Zur Methodik NHANES (National Health and Nutrition Examination Survey) ist eine kontinuierliche Querschnittsreihe von Erhebungen, die vom National Center for Health Statistics (NCHS) durchgeführt wird. Die Erhebungen werden vom NCHS Research Ethics Review Board überprüft und genehmigt. Ein komplexes, mehrstufiges Wahrscheinlichkeitsstichprobendesign wird verwendet, um eine repräsentative Stichprobe aus der US-Bevölkerung auszuwählen. Die Studie besteht aus einem Interviewteil mit demografischen, sozioökonomischen, ernährungs- und gesundheitsbezogenen Fragen sowie einem Untersuchungsteil mit medizinischen, zahnmedizinischen und physiologischen Messungen und Labortests. Die aktuelle Studie verwendete Daten aus den Zyklen 2005/2006 und 2009/2010, den jüngsten Zyklen, in denen sowohl Audiometrie- als auch BMD-Daten für Probanden derselben Altersgruppe verfügbar waren. Die Studie umfasst Teilnehmer im Alter von über 70 Jahren, für die Daten zu Audiometrie, Vitamin D, PTH, Gesamtkalzium, BMD und relevanten Kovariaten verfügbar waren. Zu den Resultaten Die Studienstichprobe umfasste 1123 Teilnehmer im Alter von über 70 Jahren. Das gewichtete Durchschnittsalter betrug 76,4 Jahre. 59,3 Prozent waren Frauen. Die Mehrheit wies einen Hörverlust auf: 67,1 Prozent eine niederfrequente (500 bis 2000 Hz), 80,6 Prozent eine sprachfrequente (500 bis 4000 Hz) und 92,6 Prozent eine hochfrequente (3000 bis 8000 Hz) Hörminderung. 64,1 Prozent litten unter Bluthochdruck, 20,0 Prozent unter einem Diabetes, 7,4 Prozent hatten eine Vorgeschichte mit KHK und 8,9 Prozent einen Schlaganfall in der Anamnese. 23,2 Prozent wiesen eine Gesamtkonzentration von 25(OH)D unter 20 ng/ml auf, 22,8 Prozent eine PTH-Konzentra- 14 Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 2|2021 HERAUSFORDERUNG ALTER tion von weniger als 65 pg/ml und nur 3,2 Prozent eine Gesamtkalziumkonzentration von über 10,2 mg/dl. Auf bivariater Ebene waren ein höheres Alter und eine höhere Kreatininkonzentration mit einer höheren Prävalenz aller Typen von Hörverminderung verbunden. Prefrail- und Frail-Status und ein Gesamt-25(OH)D unter 20 ng/ml waren mit einer höheren Prävalenz von niederfrequenter Schwerhörigkeit assoziiert (p < 0,01). Diskussion und Fazit Die Studie zeigte, dass ein niedriger Vitamin-D-Status, definiert als Gesamt-25(OH)D < 20 ng/ml, bei älteren Erwachsenen mit nieder- und sprachfrequenter Hörverminderung assoziiert ist, und eine niedrige BMD des unteren Oberschenkelhalses sowie eine niedrige BMD der Wirbelsäule gehen mit niederfrequentem Hörverlust einher. Ein Zusammenhang zwischen PTH-Status, systemischen Kalziumkonzentrationen und Hörverlust war nicht nachzuweisen. Frühere Studien hatten zu widersprüchlichen Ergebnissen geführt. Die referierte Studie bestätigt die Ergebnisse von zwei kleineren Querschnittsstudien. Die erste fand heraus, dass ein Vitamin-D-Mangel und niedrigere Kalziumkonzentrationen bei Diabetikern mit einer Hörschädigung verbunden waren. Die zweite verband einen Vitamin-D-Mangel mit der Entwicklung eines plötzlichen Hörverlusts. In einer anderen Studie wurde die BMD des Oberschenkelhalses und der gesamten Wirbelsäule als Indikator für die BMD des Schläfenbeins verwendet, wobei sich herausstellte, dass eine Abnahme der BMD des Oberschenkelhalses und eine Abnahme der gesamten BMD der Wirbelsäule um 1 Einheit mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für eine niederfrequente, aber nicht für eine sprach- oder hochfrequente Schwerhörigkeit verbunden waren. Die Studie hat verschiedene Stärken und Schwächen. Schlussfolgerungen über die Kausalität zu ziehen, ist demzufolge nicht einfach. Dennoch ist es plausibler, dass ein niedriger Vitamin-D-Status eine Hörverminderung verursacht und nicht umgekehrt. Es liegt die Annahme nahe, dass bei älteren Menschen ein niedriger Vitamin-D-Status, jedoch nicht PTH oder Gesamtkalzium, mit nieder- und sprachfrequentem Hörverlust assoziiert ist, das heisst, ein niedriger Vitamin-D-Status ein potenzieller Risikofaktor für altersbedingte Schwerhörigkeit sein kann. Die Ergebnisse tragen zu der beschränkten Menge an Literatur bei, die niedrige Vitamin-D-Konzentrationen und niedrige BMD mit Hörverminderung in Verbindung bringen. RA Quelle: Szeto B et al.: Low vitamin D status is associated with hearing loss in the elderly: a cross-sectional study. Am J Clin Nutr. 2021;113: 456-466. Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 2|2021 15