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IM FOKUS: KARDIOVASKULÄRES RISIKO, ADIPOSITAS UND MIKROBIOM
Multiresistente Bakterien
Kann die intestinale Mikrobiota pathogene Keime in Schach halten?
Antibiotika gelten wegen der zunehmenden Resistenzentwicklungen nicht mehr als die «Wunderwaffe» zur Bekämpfung von Infektionen. Demzufolge wird nach Alternativen gesucht. Hier kommen die Darmmikroben ins Spiel, mit deren Hilfe präventive Strategien gegen Antibiotikaresistenzen entwickelt werden können.
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Diese Strategien gehen davon aus, dass viele Mikroorganismen wie Bakterien, Viren, Protozoen und Pilze den menschlichen Körper besiedeln und mit ihm eine symbiotische Beziehung eingehen. Dabei wird als Mikrobiota die Gesamtheit aller Mikroorganismen in einem anatomischen Bereich bezeichnet, die Gesamtheit ihrer Gene als Mikrobiom. Ein besonderer Fokus richtet sich dabei auf die Mikrobiota im Darm. Der Dickdarm enthält etwa 1000 Keime/g Stuhl und ist damit der am dichtesten besiedelte Körperteil.
Prävention von Infektionen
Die Darmflora gilt als wichtiges Instrument zur Abwehr schädlicher Mikroorganismen sowie zur Stärkung des Immunsystems. Studien deuten sogar auf eine Beteiligung von Darmbakterien bei neurologischen Erkrankungen wie Morbus Parkinson und Multipler Sklerose hin und sind deshalb Gegenstand intensiver Forschung. Diese neueren Arbeiten beschreiben Interaktionen zwischen dem bakteriellen Ökosystem und Organen, die als Darm-Hirn-, Darm-Lungen- und Darm-Leber-Achse bezeichnet werden. Auf die potenzielle Bedeutung der Mikrobiota zur Prävention von Infektionen wird in einer Übersichtsarbeit (1) anhand einer Literaturrecherche wissenschaftlicher Publikationen eingegangen, wobei die Darm-Immun-Achse im Mittelpunkt steht. Diese Achse bezeichnet die Fähigkeit, den Wirtsorganismus vor dem Eindringen von Pathogenen zu schützen. Das kann besonders bei der Prävention von Infektionen mit Bakterien von Bedeutung sein, die gegen mehrere Antibiotikaklassen Resistenzen entwickelt haben.
Veränderung des Mikrobioms durch Erkrankungen …
So weisen Untersuchungen darauf hin, dass bestimmte Erkrankungen und Infektionen häufig mit
einer Verarmung der «gesunden» Mikrobiota oder einer Verschiebung der Mikrobenvielfalt hin zu überwiegend potenziell pathogenen Mikroorganismen (Dysbiose) verknüpft sind. Dieses Phänomen tritt auf, wenn es im Darm durch Kontakte mit multiresistenten Bakterien, sei es über die Nahrung oder durch Krankenhausaufenthalte, zu einer Kolonisierung mit diesen Keimen zunächst in niedriger Konzentration kommt.
... sowie den Einsatz von Antibiotika
Wenn der Patient dann Antibiotika erhält, kann eine ökologische Nische entstehen, die sich aufgrund des Selektionsdrucks mit multiresistenten Bakterien füllt. Denn jeder Antibiotikaeinsatz fördert durch die Abtötung empfindlicher Erreger die Selektion resistenter Bakterien. Das führt unter Umständen zu einer Dominanz dieser Pathogene. In Studien konnte gezeigt werden, dass die Einnahme oraler Antibiotika
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Take Home Messages
• Die Darmflora ist für die Abwehr von schädlichen Keimen von grosser Bedeutung.
• Durch die Therapie mit Antibiotika kann eine ökologische Nische entstehen, die sich mit multiresistenten Bakterien füllt.
• Auch andere Medikamentenklassen wie Protonenpumpeninhibitoren verändern die Mikrobiota im Darm.
• Einen therapeutischen Ansatz gegen Resistenzentwicklungen stellen oral zugeführte, die Darmflora schützende Mikroorganismen (Probiotika) dar.
• Evidenz für den Einsatz von Probiotika besteht bei der antibiotikaassoziierten sowie der Clostridium-difficileassoziierten Diarrhö.
• Eine pflanzenreiche Diät hat das Potenzial, die Darmmikroben zu schützen.
zu einer signifikanten Verarmung der Darmmikrobiota führt, die über Wochen bis Monate anhält. In diesem Zusammenhang wird davon ausgegangen, dass kürzere Antibiotikatherapien Resistenzentwicklungen vorbeugen, da sie das Risiko für eine Selektion von resistenten Bakterien verringern. Zudem belegen viele Studien, dass Antibiotika oft unnötig, nicht leitliniengerecht und zu lange eingesetzt werden, was als Grund für die Zunahme von Resistenzen angesehen wird.
Erhöhte Anfälligkeit für Virusinfektionen bei Dysbiose
Andere Untersuchungen sprechen zunehmend für weitere Auswirkungen der Dysbiose auf das Immunsystem. So sind die von der Darmmikrobiota gebildeten Metabolite und bakteriellen Oberflächenmarker direkt mit den im Darm ansässigen Zellen des Immunsystems an der Regulation der Immunantwort beteiligt. In diesem Zusammenhang konnte experimentell gezeigt werden, dass eine Verarmung der Mikrobiota auch die Anfälligkeit gegenüber Virusinfektionen erhöht. Daraus lässt sich ableiten, dass eine vielfältige Mikrobiota zur Prävention von Infektionen beiträgt. Therapeutische Strategien, die gezielt auf das Wachstum und den Schutz nützlicher Darmbakterien wirken, sind in Entwicklung. Sie inaktivieren unter anderem nicht absorbierte, im Dickdarm enthaltene Antibiotikareste, die zur Selektion von multiresistenten Erregern beitragen. Ein weiterer Entwicklungskandidat ist ein orales Granulat, das zusammen mit intravenös oder oral verabreichten Antibiotika eingenommen werden soll. Der Wirkstoff wird erst im Darm freigesetzt, wobei die Antibiotikaspiegel nicht beeinträchtigt werden. Bei gesunden Probanden konnte so die Konzentration und die Vielfalt der intestinalen Mikrobiota während der Einnahme von Moxifloxacin erhalten werden. Auch die orale Betalaktamase Ribaxamase schützt die gastrointestinalen Mikroben vor Betalaktam-Antibiotikarückständen im Darmlu-
men. Beide Wirkstoffe sollen in Phase-II-Studien weiterentwickelt werden.
Medikamente mit schmalem Wirkspektrum
Ein anderer Ansatz stellt die Entwicklung von Antibiotika dar, die nur ein sehr schmales Spektrum an Erregern abdecken. Unter der Voraussetzung, dass der infektionsauslösende Erreger eindeutig identifiziert wurde, könnte der spezifische Einsatz solcher Antibiotika Schäden an der Mikrobiota sowie den Selektionsdruck minimieren. Bereits zugelassen wurde Fidaxomicin zur Behandlung der Clostridium-difficile-Infektion, das nur ein schmales Wirkspektrum besitzt. Für den Wirkstoff konnte gezeigt werden, dass aufgrund dieser Eigenschaft eine vielfältige Mikrobiota erhalten werden kann. Anerkannt ist mittlerweile der fäkale Mikrobiotatransfer (FMT) als effektive Therapieoption bei rezidivierenden Clostridium-difficile-Infektionen. Bei dem Verfahren wird die Mikrobiota eines Spenders in den Darm eines Patienten übertragen. Das kann endoskopisch, über einen rektalen Einlauf oder über Präparate in Kapselform erfolgen. Bei Patienten, die einen FMT erhalten, kommt es zu einer signifikanten Verringerung der Resistenzgene im Stuhl. Dieser Ansatz könnte das Potenzial besitzen, multiresistente Keime aus dem Darm zu entfernen. Eine endgültige Bewertung dieser Methode zur Effektivität auch bei multiresistenten gramnegativen Erregern steht noch aus.
Bedeutung der Probiotika
Eine weitere Option stellt der Einsatz von Prä- und Probiotika dar. Präbiotika sind nicht verdaubare Nahrungsbestandteile, die das Wachstum von Bakterien im Darm beziehungsweise deren Aktivität im Dickdarm gezielt anregen. Probiotika enthalten Mikroorganismen, die, oral zugeführt, die Darmflora während einer antibiotischen Therapie schützen sollen. Dabei wird davon ausgegangen, dass die eingenommenen Mikroorganismen die Kolonisation multiresistenter Bakterien verhindern können. Ob nun als Schlussfolgerung daraus zu jedem Antibiotikum gleich ein Probiotikum verschrieben werden sollte, ist noch völlig ungeklärt und wird kontrovers diskutiert. Erwiesen ist bis anhin lediglich die Wirkung von Probiotika bei der symptomatischen Therapie der antibiotikaassoziierten Diarrhö (AAD). Das untermauert eine Cochrane-Analyse (2) von 33 kontrollierten Studien mit über 6000 Kindern, die zusätzlich zu Antibiotika Probiotika mit einem oder mehreren unterschiedlichen Bakterienstämmen beziehungsweise Plazebo erhalten hatten. Nach bis zu 12 Wochen Nachbeobachtungszeit betrug die AAD-Inzidenz in der Probiotikagruppe 8 Prozent und in der Kontrollgruppe 19 Prozent. Eine höhere Dosis mit über 5 Milliarden koloniebildenden Einheiten (KBE) täglich erwies sich in einer Subgruppenanalyse als effektiver als eine geringere Dosierung
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an KBE. Basierend auf den Daten der Studien mit den hoch dosierten KBE, wurde pro 6 behandelte Kinder 1 Fall von Diarrhö verhindert. Laut den Daten konnten Probiotika die Dauer der Diarrhö um etwa 1 Tag verringern. Die Nebenwirkungsrate war niedrig, es wurden keine schweren Nebenwirkungen der Probiotika beobachtet. Im Gegensatz dazu traten in kleinen Beobachtungsstudien schwere Nebenwirkungen unter einer P robiotikatherapie bei stark geschwächten oder immunkompromittierten Kindern auf. Eine andere Cochrane-Analyse (3) von 31 Studien mit knapp 8700 Kindern und Erwachsenen bewertete den Nutzen von Probiotika bei der Prävention der Clostridium-difficile-assoziierten Diarrhö (CDAD). Demnach verringerten Probiotika das CDAD-Risiko um 60 Prozent. Die Inzidenz einer CDAD lag in der Probiotikagruppe bei 1,5 Prozent und in den Gruppen mit Plazebo oder ohne Therapie bei 4 Prozent. Das Ergebnis stuften die Autoren als moderaten Nutzen der Probiotika ein. Der Effekt trat unabhängig vom Alter, von im Krankenhaus oder ambulant behandelten Patienten und den verschiedenen eingesetzten probiotischen Spezies oder der Dosierung auf.
Einfluss von Medikamenten und Diäten
Nicht nur Antibiotika, sondern auch andere Medikamente können das Mikrobiom deutlich beeinflussen. Das wurde in einer populationsbasierten Kohortenstudie (4) anhand von zirka 1900 Stuhlproben analysiert. Die Forscher fanden folgende Medikamentengruppen, die den grössten Einfluss auf das Mikrobiom haben: • Protonenpumpeninhibitoren (PPI): Das Darm
mikrobiom von PPI-Nutzern zeigte eine erhöhte Anzahl an Bakterien im oberen Gastrointestinaltrakt und eine gesteigerte Produktion von Fettsäuren. • Metformin: Die Einnahme des Antidiabetikums war mit einer hohen Konzentration an potenziell schädlichen Escherichia coli verbunden. • Antibiotika und Laxanzien. Auch weitere Medikamentenklassen veränderten die Bakterienpopulation im Darm signifikant. So war die Einnahme von SSRI-Antidepressiva bei Patienten mit Reizdarm mit e iner Zunahme der potenziell pathogenen Bakterienspezies Eubacterium ramulus verbunden. Bei einer Medikation mit oralen Steroiden wurden zudem hohe Spiegel an methanogenen Bakterien gefunden, die mit Fettleibigkeit in Verbindung gebracht werden. Eine ebenfalls kürzlich publizierte Studie (5) untersuchte den Einfluss der Ernährung auf das Darm mikrobiom anhand von Stuhlproben aus der Allgemeinbevölkerung sowie von Patienten mit Morbus Crohn, Colitis ulcerosa und Reizdarm. Im Ergebnis wurden 61 Nahrungsbestandteile identifiziert, die mit der Mikrobenpopulation in Verbindung stehen: • Demzufolge war eine an Brot, Hülsenfrüchten, Fischen und Nüssen reiche Ernährung mit einer Abnahme potenziell schädlicher aerober Bakterien verbunden.
• Ein grösserer Anteil der Ernährung an Fleisch, Fast Food oder raffiniertem Zucker war mit einer Abnahme nützlicher bakterieller Funktionen und einem Anstieg inflammatorischer Marker verknüpft.
• Bei einer Ernährung mit Rotwein, Hülsenfrüchten, Gemüse, Obst, Zerealien, Fisch und Nüssen kam es zu einer Zunahme von Bakterien mit antiinflammatorischen Eigenschaften.
• Eine auf Pflanzen basierte Ernährung war mit einer vermehrten bakteriellen Produktion von kurzkettigen Fettsäuren assoziiert, der hauptsächlichen Energiequelle von Kolonzellen.
• Pflanzliche Proteine förderten die Biosynthese von Vitaminen und Aminosäuren.
• Tierische und pflanzliche Proteine zeigten eine umgekehrte Korrelation in ihren Effekten auf die Darmmikroben.
Dr. med. Ralph Hausmann
Literatur: 1. Khodamoradi Y et al.: Rolle der Mikrobiotika bei der Prävention von
Infektionen mit multiresistenten Bakterien. Dtsch Arztebl Int 2019; 116: 670–676. 2. Guo Q et al.: Probiotics for the prevention of pediatric antibioticsassociated diarrhea. Cochrane Database Syst Rev 2019; 4: CD004827. 3. Goldenberg JZ et al.: Probiotics for the prevention of Clostridium difficile-associated diarrhea in adults and children. Cochrane Database Syst Rev 2017; 12: CD006095. 4. Vich Vila A et al.: Impact of commonly used drugs on the composition and metabolic function of the gut microbiota. Nat Commun. 2020;11(1):362. 5. Bolte LA et al.: Long-term dietary patterns are associated with pro-inflammatory and anti-inflammatory features of the gut microbiome. Gut. published online first: 02 April 2021. doi: 10.1136/ gutjnl-2020-322670
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