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HIRNFUNKTION UND ERNÄHRUNG
Mit Brain-Food gegen Demenz und Hirnleistungsschwäche
Prävention und Behandlung durch Ernährung und körperliche Aktivität
zVg
Peter E. Ballmer
Obgleich demenzielle Entwicklung und Hirnleistungsschwäche altersbezogen leicht abnehmen, ist das absolute Vorkommen steigend, da unsere Population deutlich an Jahren zu nimmt. Doch nicht nur das Alter selbst, auch eine genetische Prädisposition spielt eine Rolle für die Entstehung neurodegenerativer Prozesse. Inzwischen mehren sich allerdings die Hinweise, dass dieser Entwicklung durch Lebensstiländerungen, insbesondere die Ernährung und die körperliche Aktivität betreffend, vorgebeugt und zum Teil auch entgegengewirkt werden kann.
Peter E. Ballmer
In höherem Alter ist die Demenz ein wichtiges Pro blem, das unsere Gesellschaft und die Volkswirtschaft enorm belastet beziehungsweise in den nächsten Jahrzehnten zusätzlich belasten wird. So verdoppelt sich die Prävalenz der Erkrankung alle 5 Jahre, was eine grosse Herausforderung für unser Sozial- und Gesundheitswesen ist und sein wird.
MCI betrifft etwa ein Fünftel der > 65-Jährigen
«Mild cognitive impairment» (MCI) betrifft rund 20 Prozent der Bevölkerung im Alter von 65 Jahren aufwärts (1), und etwa 50 Prozent der Betroffenen werden innerhalb von 3 Jahren eine Demenz erleiden. In der finnischen Interventionsstudie FINGER (2, 3) wurden eine gesunde Ernährungsweise, körperliche Aktivität, tägliches kognitives Training, soziales En gagement und die Berücksichtigung von Stoffwech sel- und vaskulären Faktoren als Massnahmen er kannt, welche die kognitive Beeinträchtigung bei Menschen mit erhöhtem Demenzrisiko reduzieren. Moore et al. haben geschätzt, dass im Jahr 2050 2 Mil liarden Menschen über 60 Jahre alt sein werden, wo von 131 Millionen von einer Demenz betroffen sein werden (4). Zurzeit leiden 46,8 Millionen Menschen an Demenz. Dabei sind im Jahr 2020 weltweit 22 Pro zent Männer und 28 Prozent Frauen im Alter ab 65 Jahren zusätzlich von einer Depression betroffen. Die Autorinnen haben geschätzt, dass 50 Prozent der Menschen mit MCI innerhalb von 5 Jahren eine De menz entwickeln werden. Eine Metaanalyse hat ergeben, dass aerobe körperli che Aktivität bei gesunden Menschen und solchen mit MCI die Kognition verbessert (5). Gleiches wurde
in einer weiteren Studie für Krafttraining (resistance training) gezeigt (6). Generell sprechen wir im Folgenden von MCI, vasku lärer Demenz (VD) und Alzheimer-Demenz (AD).
Risikofaktoren und Präventionsstrategien
Das Potenzial für die Prävention von MCI und De menz wurde erst spät erkannt. Es besteht neuere wis senschaftliche Evidenz, dass Demenz nicht nur durch genetische Konstellationen, sondern vor allem auch durch äussere Faktoren, wie Lebensstil, speziell Er nährung und körperliche Aktivität, bedingt ist (7, 8). Neben der Genetik bestehen folgende Konstellatio nen, die das Risiko für MCI und AD erhöhen können: • Alter • erhöhtes Homozystein im Blut • kardiovaskuläre Risikofaktoren • Störungen des Lipidmetabolismus • oxidativer Stress • Entzündungszustände. Damit sind die Angriffspunkte einer potenziellen präventiven und therapeutischen Strategie letztlich definiert. Durch Beeinflussung des Entzündungszu stands, des oxidativen Stresses und des Lipidmetabo lismus bestehen Chancen, die Entwicklung von De menz zu verzögern. Genau diese Faktoren können neben den kardiovaskulären Risikofaktoren durch entsprechende Ernährungsmodulation beeinflusst werden. Im Folgenden konzentrieren wir uns zuerst auf ein zelne, spezifische Substanzen, die in der Ernährung vorkommen und beeinflusst werden können, und da nach auf ganzheitliche Ernährungsformen.
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HIRNFUNKTION UND ERNÄHRUNG
Bild: Pixabay
Fette, Polyphenole und Vitamine einer mediterranen DIät wirksen sich günstig auf die Kognition aus.
Protein und Kohlenhydrate
Die Proteinzufuhr wurde bisher wenig im Zusam menhang mit Demenz untersucht. Immerhin gibt es Daten, die zeigen, dass ältere Menschen, die eine niedrige Proteinzufuhr haben, erniedrigte verbale Gedächtnisleistungen erbringen können (4). Zusätz lich korrelierte eine höhere Proteinzufuhr positiv mit nicht verbalem Lernen (4). Hingegen ist der Zusam menhang zwischen Kohlenhydraten und der kogniti ven Funktion unklar, und es fehlen entsprechende Daten. Morphologisch konnte gezeigt werden, dass eine hohe Zufuhr von Kohlenhydraten und Zucker zu einer er niedrigten kortikalen Dicke im Hirn führte. In diesem Zusammenhang darf die Studie von Messerli, welche im «New England Journal of Medicine» erschienen ist, nicht unerwähnt bleiben (9). Deren Autor hat gezeigt, dass die kognitive Funktion bei Schokoladeessern deutlich besser ist, denn je höher der jährliche Schoko ladenkonsum war, desto mehr Nobelpreisträger lebten in einem Land. Die Schweiz war hier absoluter Spitzen reiter mit dem höchsten Schokoladenkonsum pro Kopf und Jahr und den meisten Nobelpreisträgern pro 10 Millionen Einwohner. Obgleich eher eine aufhei ternde Assoziation – lesenswert! Ob nun die Kohlenhydrate oder andere Komponen ten der Schokolade, wie gewisse Fette und vor allem antioxidativ wirksame Flavanole, für diesen interes santen, wenn auch nicht ganz ernst zu nehmenden Effekt verantwortlich waren, bleibt unbeantwortet. Immerhin existieren Daten, die den Flavanolen güns tige Effekte im Hirn zuschreiben, wie Schutz vor Neurodegeneration, eine erhöhte Hirndurchblutung und eine Reduktion der Neuroinflammation (10).
Fettsäuren
Langkettige Omega-3-Fettsäuren, das heisst die mehrfach ungesättigten Fettsäuren (MUFA) Eicosa pentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA), die einen möglichen günstigen Einfluss auf das Ge hirn haben, stehen im Fokus. Dabei sind die Resultate
verschiedener Studien immer noch widersprüchlich (4, 7, 8). Sowohl eine Schutzwirkung als auch keiner lei Wirkung (11) der Supplementierung mit MUFA wurden publiziert. Heraus sticht die DHA: So zeigte eine prospektive Beobachtungsstudie mit älteren Menschen, dass diejenigen mit den höchsten Plasma konzentrationen an DHA, verglichen mit den nied rigsten Plasmakonzentrationen, ein stark erniedrig tes Risiko hatten, eine Demenz zu entwickeln (12). Hier möchte ich auf ein zusätzliches Problem hinwei sen: In unserer Nahrung sind Fische beziehungsweise die darin enthaltenen Öle die Hauptquelle von MUFA. In Anbetracht der Tatsache, dass unsere Fischfangreserven bedenklich abnehmen und auch Aquakulturen keine Alternativen sind (hier werden Fischmehl und -öle verfüttert), betreiben wir Raub bau, wenn wir regelmässigen Konsum von Fisch emp fehlen (13). Einen möglichen Ersatz stellen allerdings die aus Algen gewonnenen MUFA dar.
Polyphenole
Wie bereits erwähnt, sind Flavanole beispielsweise in schwarzer Schokolade reichlich vorhanden. Eine Supplementierung mit Kakaoflavanolen zeigte eine Verbesserung der Kognition bei kognitiv normalen älteren Personen (4, 14). Generell haben prospektive Studien eine günstige Assoziation zwischen Ein nahme von Polyphenolen und der kognitiven Funk tion gezeigt (4).
Vitamine
Kohortenstudien haben nachgewiesen, dass Perso nen mit niedrigen Plasmakonzentrationen an Fol säure, Vitamin B6 und Vitamin B12 sowie erhöhten Konzentrationen an Homozystein ein erhöhtes Ri siko haben, eine AD zu erleiden. Für die Vitamin-B-Supplementation konnte bisher allerdings kein eindeutiger Effekt auf die kognitive Funktion beziehungsweise die Entwicklung einer AD gezeigt werden (7, 8). Die Wirkung von Vitamin C, Vitamin E und Betakarotin wurde mehrfach unter sucht, und generell ergab sich kein eindeutiger Effekt auf die Demenz (7, 8). Einen interessanten Befund haben Dysken et al. (15) publiziert. Sie untersuchten die Wirkung von Al pha-Tocopherol (Vitamin E) und des Antidementi vums Memantin sowie deren Kombination versus eine Kontrollgruppe. Vitamin E zeigte eine 19-pro zentige Erniedrigung des ADCS-ADL-Scores (Alz heimer’s Disease Cooperative Study/Activities of Daily Living), während die Zugabe des Antidementi vums diese Wirkung aufhob, was die Autoren nicht erklären konnten. Seit der Entdeckung, dass Vitamin-D-Rezeptoren auch im Hirn existieren, wurde deren Effekt auf die Hirnfunktion studiert. Dabei zeigte sich, dass Patien ten, die an AD erkrankt waren, tiefe Vitamin-D-Se rumkonzentrationen aufwiesen, der Mini-Men tal-Status bei ihnen erniedrigt war und ihre kognitive Leistung schneller abnahm (16).
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HIRNFUNKTION UND ERNÄHRUNG
Verein Dementality
Der Verein Dementality hat es sich zum Ziel gesetzt, Demenzbetroffene und ihr Umfeld kontinuierlich und langfristig in irgendeiner Form zu unterstützen, um ihnen einen Hauch von Freude und Lebenslust zu ermöglichen. Die Gründerinnen möchten auf die Demenz aufmerksam machen, damit Hemmschwellen überwunden werden und die Erkrankung mehr Aufmerksamkeit erfährt – schliesslich kann jeder Mensch davon betroffen sein, entweder unmittelbar oder als Angehöriger. Begegnungen, diverse Aktivitäten und nachhaltige Kulinarik sollen dazu beitragen, eine Gemeinschaft zu bilden und Erinnerungen zu schaffen.
Mehr über den Verein finden Sie unter www.dementality.com
Intervention zur Prävention und Behandlung von kognitiver Schwäche und Demenz dar. Auch andere Ernährungsformen haben ähnlich günstige Wirkun gen, so zum Beispiel die «nordic diet» (20). Verschie dene asiatische Ernährungsformen dürften vergleich bare Effekte haben beziehungsweise werden aktuell beforscht. Neben der Optimierung der Ernährung ist es ganz wichtig, dass die Gesellschaft lernt, mit Demenz erkrankten umzugehen und das soziale Umfeld ent sprechend zu gestalten (21).
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Peter E. Ballmer Winterthur E-Mail: peter.ballmer@hispeed.ch
Mediterrane Ernährung – ganzheitliche Ernährungsformen
Vielversprechender als der Einsatz einzelner Nah rungskomponenten ist der ganzheitliche Ansatz. Da bei enthält die Nahrung die verschiedenen potenziell positiv wirkenden Substanzen, wie günstige Fette, Polyphenole und Vitamine. Mediterrane Ernährung (ME) ist charakterisiert durch einen hohen Anteil an Gemüse, Salaten, Früch ten, MUFA, Vitaminen und Polyphenolen (7, 8). Sie beruht weitgehend auf Pflanzenbasis mit Olivenöl als hauptsächlicher Fettquelle. Fisch ist im Gegensatz zur landläufigen Meinung keine reichliche Komponente der ME. Durch ihre Zusammensetzung ist die ME geradezu prädestiniert, eine günstige Wirkung auf kognitive Funktionen, MCI und Demenz zu haben. So haben Solfrizzi et al. (17) und viele andere Autoren zeigen können, dass das Praktizieren von ME sich günstig auf MCI und AD auswirken kann. Dabei dürfte nicht nur das Risiko für diese Erkrankungen, sondern auch dasjenige für prädemenzielle Syndrome günstig beeinflusst werden. Auch ältere Publikationen haben bereits günstige Wirkungen der ME auf AD zeigen können. So haben Scarmeas et al. den Effekt der ME auf das Überleben von AD-Patienten untersucht und eine eindrückliche Reduktion der Sterblichkeit gefunden, wenn die Pa tienten reichlich ME konsumierten (18). Eine neuere Ernährungsform, die sogenannte MIND (mediterra nean DASH intervention for neurodegenerative de lay), kombiniert Elemente aus der ME und der DASH-Diät (DASH: dietary approaches to stop hy pertension) und scheint so den besten Effekt auf die Hirnneuroprotektion zu haben und das Risiko für Demenz zu reduzieren (16). Besonders eindrücklich war die Kombination mit körperlicher Aktivität. Pa tienten mit hoher Zufuhr von ME und hoher körper licher Aktivität hatten das tiefste Risiko, eine AD zu erleiden (19).
Fazit
Zusammenfassend stellen Ernährungsformen wie die ME die bis anhin am meisten Erfolg versprechende
Interessenkonflikte: keine. Literatur 1. Hassan S et al.: Evaluating the effect of brainfood groups for people with mild cognitive impairment and mild dementia: preliminary mixed-methodology study. BJPsych Open 2018; 4: 208–214. 2. Kivipelto M et al.: The Finnish Geriatric Intervention Study to Prevent Cognitive Impairment and Disability (FINGER): study design and progress. Alzheimers Dement 2013; 9: 657–665. 3. Ngandu T et al.: A 2 year multidomain intervention of diet, exercise, cognitive training, and vascular risk monitoring versus control to prevent cognitive decline in at-risk elderly people (FINGER): a randomised controlled trial. Lancet 2015; 385: 2255–2263. 4. Moore K et al.: Diet, nutrition and the ageing brain: current evidence and new directions. Proc Nutr Soc 2018; 77: 152–163. 5. Smith PJ et al.: Aerobic exercise and neurocognitive performance: a meta-analytic review of randomized controlled trials. Psychosom Med 2010; 72: 239–252. 6. Fiatarone Singh MA et al.: The Study of Mental and Resistance Training (SMART) study – resistance training and/or cognitive training in mild cognitive impairment: a randomized, double-blind, double-sham controlled trial. J Am Med Dir Assoc 2014; 15: 873–880. 7. Uster A, Ballmer PE: Brain Food: Bedeutung der Ernährung bei der Prävention und Behandlung von Demenz. Aktuel Ernährungsmed 2013; 38: 290–295. 8. Ballmer PE, Uster A: Brain Food: Bedeutung der Ernährung bei der Prävention und Behandlung von Demenz. Rev Méd Suisse 2015; 11: 292–297. 9. Messerli FH: Chocolate consumption, cognitive function, and Nobel laureates. New Engl J Med 2012; 367: 1562–1564. 10. Katz DL et al.: Cocoa and chocolate in human health and disease. Antioxid Redox Signal 2011; 15: 2779–2811. 11. Burckhardt M et al.: Omega-3 fatty acids for the treatment of dementia. Cochrane Database Syst Rev 2016; 4: CD009002. 12. Schaefer EJ et al.: Plasma phospatidylcholine docosahexaenoid acid content and risk of dementia and Alzheimer disease: the Framingham Heart Study. Arch Neurol 2006; 63: 1545–1550. 13. Jenkins DJA et al.: Are dietary recommendations for the use of fish oils sustainable? CMAJ 2009; 180: 633–637. 14. Mastroiacovo D et al.: Cocoa flavanol consumption improves cognitive function, blood pressure control, and metabolic profile in elderly subjects: the Cocoa, Cognition, and Aging (CoCoA) study – a randomized controlled trial: Am J Clin Nutr 2015; 101: 538–548. 15. Dysken MW et al.: Effect of vitamin E and memantine on functional decline in Alzheimer disease: the TEAM-AD VA cooperative randomized trial. JAMA 2014; 311: 33–44. 16. Morris MC: Nutrition and risk of dementia: overview and methodolo gical issues. Ann N Y Acad Sci 2016; 1367: 31–37. 17. Solfrizzi V et al.: Diet and Alzheimer‘s disease risk factors or prevention: the current evidence. Expert Rev Neurother 2011; 11: 677–708. 18. Scarmeas N et al.: Mediterranean diet and risk for Alzheimer’s disease. Ann Neurol 2006; 59: 912–921. 19. Scarmeas N et al.: Physical activity, diet, and risk of Alzheimer disease. JAMA 2009; 302: 627–637. 20. Männikkö R et al.: The Nordic diet and cognition – the DR’s EXTRA study. Brit J Nutr 2015; 114: 231–239. 21. Dementality. https://www.dementality.com/ (abgerufen 07.08.2020, 15 Uhr)
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