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SPORT UND HORMONE
Sport und Hormone: «Die Bedeutung von Sport wird gnadenlos unterschätzt»
Der Biologe und Biochemiker apl.-Prof. Dr. Dr. Patrick Diel vom Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin der Deutschen Sporthochschule Köln hat am 17. Kongress der Swiss Society for Aging Medicine and Prevention in Zürich über die Bedeutung von Sport und Hormonen gesprochen. Im Interview erklärt er, welche Einflüsse die Hormone auf die körperliche Leistungsfähigkeit im Alterungsprozess von Mann und Frau haben. Aber auch, wie dem Leistungsabbau begegnet werden kann.
Patrick Diel
SZE: Was verändert sich hormonell mit dem Alter? Prof. Patrick Diel: Hormonelle Schwankungen und Veränderungen sind im Laufe des Lebens völlig normal. Das Hormonsystem von Jungen und Mädchen ist bis zur Pubertät völlig identisch. Das ändert sich in der Pubertät. Der Testosteronserumspiegel steigt bei Jungen stark an, während bei Mädchen der Estradiolspiegel steigt. Als Erwachsene verfügen sowohl Männer als auch Frauen über beide Hormone, die physiologisch wichtige Aufgaben kontrollieren. Hierzu zählen neben der Kontrolle der Reifung der Keimzellen auch Stoffwechselprozesse wie der Fett-
metabolismus oder der Proteinmetabolismus. Was sich geschlechtsspezifisch stark ändert, ist das jeweilige Verhältnis dieser Hormone zueinander. Das Wachstumshormon (HGH) ist bei beiden Geschlechtern bis zum 17. bis 21. Lebensjahr aktiv, danach sinkt es, weil das Wachstum abgeschlossen ist. Es ist deshalb völlig normal, dass erwachsene Menschen eine niedrige Konzentration HGH, das heisst nur einen Basalspiegel im Blut haben. Leider wird HGH aber immer wieder als Jungbrunnenhormon postuliert, was so nicht stimmt. Zu hohe Konzentrationen haben Nebenwirkungen wie beispielsweise die Akromegalie.
18 Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 2|2020
SPORT UND HORMONE
Wie sieht es im Alter aus. Sind die Veränderungen bei Männern und Frauen gleich stark? Diel: Beim Mann sinkt das Testosteron im Laufe der Jahre ab. Diese Entwicklung schreitet allerdings langsam voran und erreicht nur in Kombination mit einer Komorbidität pathologische Bereiche. Dazu zählen beispielsweise eine Sarkopenie, Krebs, Kachexie, eine COPD. Als Konsequenz werden Muskeln abgebaut. Bei Frauen zeigt sich ein anderes Bild: In der Menopause sinkt der Östrogenspiegel dramatisch innerhalb sehr kurzer Zeit ab. Neben den bekannten postmenopausalen Symptomen wie beispielsweise Hitzewallungen, Schlafstörungen, dünnem Haar und trockener Haut verändert sich auch die Körperfettverteilung. Es hat mehr viszerales Fett, das kardiovaskuläre Risiko steigt, die massiven Veränderungen können ein metabolisches Syndrom auslösen. Vergleicht man den Stoffwechsel junger und menooder postmenopausaler Frauen in Bezug auf sportliche Herausforderungen, dann zeigt sich, dass junge Frauen beim Sport sehr schnell Fett verbrennen. Frauen nach der Menopause können das nicht mehr so schnell, dadurch sinkt die anaerobe Leistungsfähigkeit massiv. Auch der Bewegungsdrang wird weniger.
Was kann man dann tun? Diel: Der Testosteronspiegel sinkt bei den Männern im Altersverlauf langsam, aber konstant. Für die Veränderung der Leistungsfähigkeit im Altersgang ist dieser Rückgang allerdings nur zu einem geringen Teil verantwortlich. Bei Männern hat es deshalb wenig Effekt auf die Leistungsfähigkeit, wenn Testosteron in physiologischen Konzentrationen ersetzt wird. Bei Frauen in der Menopause bewirkt die Supplementation mit Östrogenen in der Regel eine deutliche Verbesserung der klimakterischen Beschwerden. Auch negative Veränderungen im Stoffwechsel werden kompensiert. Allerdings geben Daten aus klinischen Langzeitstudien Hinweise darauf, dass sich hierdurch die Risiken für Brustkrebs und kardiovaskuläre Ereignisse erhöhen.
Wie kommt es, dass beispielsweise Arnold Schwarzenegger auch im hohen Alter noch so muskulös ist? Diel: Da werden hundertprozentig anabole Substanzen in unphysiolgisch hohen Konzentrationen zugeführt. In Kombination mit Training lassen sich die Muskeln dann erhalten. Allerdings zu einem hohen Preis: Herzprobleme sind aufgrund von Doping häufig, und es ist auch zu befürchten, dass die Wachstumsstimulation nicht nur Muskelzellen, sondern alle Arten von Zellen betrifft, was das Risiko für die Entstehung von Krebs erhöht.
Gibt es Lebensjahre, in denen die Veränderung signifikanter ist? Einen Leistungsknick scheint es insbesondere ab dem 60. Lebensjahr zu geben? Diel: Insgesamt kann festgestellt werden, dass die Leistungsfähigkeit ab dem 60. Lebensjahr bei Männern und Frauen deutlich sinkt. Beim Marathon lie-
gen die Altersbestzeiten bei einem 42-Jährigen bei 2:11 Stunden, einem 49-Jährigen bei 2:28 Stunden, einem 64-Jährigen bei 2:46 Stunden und bei einem 65-Jährigen bei 2:53 Stunden. Mit 70 Jahren kommt kein Läufer mehr unter 3 Stunden (1). Bei Frauen ist die Menopause ein tiefer Einschnitt in die körperliche Leistungsfähigkeit. Allerdings steigt die individuelle Variabilität mit dem Alter enorm. Es gibt 60-jährige Frauen oder Männer, die topfit sind, und es gibt 60-Jährige, die sich kaum mehr bewegen können.
Wie kann man den Alterungsprozess verlangsamen, und welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang Sport? Diel: In meinen Augen wird die Bedeutung von Sport gnadenlos unterschätzt. Gerade bei Frauen in der Meno- oder Postmenopause lassen sich mit Sport und gesunder Ernährung sehr viele Veränderungen kompensieren. Das sollte Mut machen.
Wie sieht es mit Nahrungsergänzungsmitteln aus? Diel: Das muss man differenziert sehen. Wie bei Arzneimitteln hängt das stark von der individuellen Gesundheitssituation und den Ernährungsgewohnheiten ab. Generell nimmt der tägliche Gesamtproteinbedarf mit dem Alter zu. Um das zu kompensieren, ist jedoch nicht zwingend die Einnahme von Proteinpulvern notwendig. Sinnvoller ist eine altersgerechte, ausgewogene Ernährung. Allerdings kann z. B. eine gezielte Aufnahme von Aminosäuren wie Leucin direkt nach einem Krafttraining die Trainingsadaptation positiv beeinflussen. Aber auch das kann man durch die Aufnahme von proteinreichen Nahrungsmitteln erreichen. Letztlich ist die persönliche Präferenz entscheidend, ob man eine Pille, einen Shake oder eine proteinreiche Mahlzeit konsumiert. Allerdings sollten z. B. Proteinpräperate rein sein und keine zusätzlichen Substanzen enthalten. Gerade diese sind nämlich oft in ihrer Wirkung nicht geprüft. Einige im Internet erhältliche Produkte enthalten sogar illegale leistungsstimulierende Substanzen. Deshalb empfehle ich nur Produkte, die geprüft sind und z. B. auf der sogenannten Kölner Liste (2) aufgeführt sind.
Sehr geehrter Herr Prof. Diel, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Annegret Czernotta.
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Dr. Patrick Diel Deutsche Sporthochschule Köln Abt. Molekulare und Zelluläre Sportmedizin Zentrum für präventive Dopingforschung Am Sportpark Müngersdorf 6 D-50927 Köln E-Mail: diel@dshs-koeln.de
Referenzen: 1. nach Israel 1988 2. https://www.koelnerliste.com/produkt-datenbank
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