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EDITORIAL
Nierenerkrankungen: Ein «one size fits all» gilt nicht für die Ernährung
Als chronische Nierenerkrankung wird eine Störung der Nierenfunktion oder der Nierenstruktur definiert, die länger als drei Monate anhält und zu gesundheitlichen Problemen führt. Menschen mit einer chronischen Nierenerkrankung (chronic kidney disease, CKD) sind eine sehr heterogene Gruppe von Personen mit sehr unterschiedlichen metabolischen Störungen. Der Schweregrad der Nierenerkrankung wird gemäss KDIGO (Kidney Disease – Improving Global Outcome) in fünf eGFR-Kategorien (eGFR = errechnete glomeruläre Filtrationsrate) und drei Albuminuriekategorien eingeteilt. Die unterschiedlichen CKD-Stadien gehen mit unterschiedlichen Komplikationen und entsprechend unterschiedlichen Behandlungsprioritäten einher. Wenn eine Nierenerkrankung zum Stadium 5, dem Nierenversagen, fortschreitet und die glomeruläre Filtrationsrate unter 15 ml/min/1,73 m2 fällt, wird im Verlaufe oft eine Nierenersatztherapie nötig. Die verschiedenen Stadien der Nierenerkrankung und die verschiedenen Behandlungsverfahren haben einen unterschiedlichen Einfluss auf die Ernährung und die Ernährungsempfehlungen. Denn bei fortgeschrittener CKD sind nebst dem Beachten einer Kochsalzrestriktion zur optimalen Blutdruckeinstellung auch noch die Korrektur der zunehmenden metabolischen Azidose, ein gesteigerter Proteinabbau, aber auch Elektrolytstörungen wie Hyperkaliämie und Hyperphosphatämie im Auge zu behalten. Gleichzeitig kann eine hohe Proteinzufuhr durch die dadurch verursachte glomeruläre Hyperfiltration potenziell nephrotoxisch wirken. In Abhängigkeit u. a. von der Grunderkrankung und der notwendigen Medikation sind nicht alle Patienten gleichermassen von den metabolischen Störungen betroffen. Es gilt deshalb für die Ernährung nicht «one size fits all». Die verschiedenen Dialyseverfahren gehen zusätzlich mit einem Verlust an Protein einher. Die Ernährung dieser Patienten im Blick zu behalten, einer Proteinmangelernährung vorzubeugen und den Betroffenen weiterhin eine genussvolle, gesunde, individuell angepasste Ernährung
zu ermöglichen, ist deshalb die Kunst der spezialisierten nephrologischen Ernährungsberatung. Der Beitrag der Ernährungsberaterinnen Franziska Almer und Corinne Bosch befasst sich denn auch mit der Betreuung von Patienten mit einer chronischen Nierenerkrankung. Sie zeigen auf eindrückliche Art und Weise, dass selbst die Leitlinien heterogen und herausfordernd in der Umsetzung sind. Mit praxisbezogenen Aspekten fassen die Autorinnen die aktuellen Empfehlungen zusammen (Seite 6 ff.) Bei Hämodialysepatienten kommt neben der Protein-Energie-Malnutrition die lange Zeit der Untätigkeit an der Hämodialyse hinzu, beides fördert den Muskelabbau. In der Regel dreimal pro Woche wird die Hämodialyse über rund vier Stunden durchgeführt. Die Autoren Konstanze Eberhardt, Guiseppe Mungo und Erik Willems vom Institut für Physiotherapie am Kantonsspital Winterthur zeigen auf, wie die körperliche Aktivität in einem geringen zeitlichen Umfang während der Hämodialyse positive Auswirkungen auf die körperliche Leistungsfähigkeit hat. Neben dem allgemeinen Befinden verbesserte sich durch die Bewegung auch die Lebensqualität, wie einige Patienten im Rahmen einer Umfrage festhielten (Seite 18 ff.). In einem solchen physiotherapeutisch angeleiteten Trainingsprogramm können nicht nur körperlich bereits fitte Dialysepatienten, sondern auch Patienten mit beispielsweise schwerer kardialer Komorbidität, peripherer Gefässerkrankung und sehr betagte Langzeitdialysepatienten miteinbezogen und zu körperlicher Betätigung angeleitet werden. Nilufar Mohebbi wiederum stellt in ihrem Beitrag dar, welche Rolle die Ernährung bei Gichterkrankungen hat und welche Rolle die Ernährung in Bezug auf die Harnsäurekonzentration im Blut hat (Seite 14 ff.).
Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre.
Luzia Nigg
Dr. Luzia Nigg Leitende Ärztin Nephrologie Kantonsspital Winterthur Brauerstr. 15 8401 Winterthur E-Mail: luzia.nigg@ksw.ch
1. Ambühl PM: Aktuelle Erkenntnisse zur Schweizer Dialysepoplulation. Hausarzt Praxis 2017; Vol. 12, Nr. 3, 22–26.
Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 2|2020 1