Transkript
NIERENERKRANKUNGEN
Milch geht nicht an die Nieren – im Gegenteil
Dipl. oec. troph. Ulrike Gonder
Die Milch und daraus hergestellte Produkte sind reich an Eiweiss, Kalzium und Phosphat, drei Nährstoffe, die besonders relevant für die Nierengesundheit sind. Häufige Probleme sind neben Nierensteinen vor allem die nachlassende Leistungsfähigkeit der Nieren aufgrund des Alters sowie aufgrund von Zivilisationskrankheiten wie Adipositas, Typ-2-Diabetes und Bluthochdruck. Sie sind die häufigsten Ursachen für chronische Nierenerkrankungen und Nierenversagen bis hin zur Dialysepflicht. Die Diätetik der Nierenerkrankungen ist komplex. So muss je nach Krankheitsstadium die Zufuhr diverser Mineralstoffe und die Proteinzufuhr erhöht oder gesenkt werden. Sarkopenien und kardiovas kuläre Erkrankungen gehören zu den häufigsten Komplikationen. Umso wichtiger ist die Frage, welche Ernährung die Nieren gesund hält und welche Rolle die Milch dabei spielen kann.
Protein: Kein Problem für gesunde Nieren
Der Gesundheitszustand der Nieren wird u. a. mithilfe der geschätzten glomerulären Filtrationsrate (eGFR, engl.: estimated glomerular filtration rate) beurteilt. Sie hängt auch von der Grösse der Nieren ab, die wiederum proportional zur Körperoberfläche ist. Als «gesund» gilt eine eGFR von mindestens 90 ml pro Minute pro «normaler» Körperoberfläche (1,73 m2). Eine eGFR von weniger als 60 ml/ Minute/1,73m2 über drei Monate deutet auf eine chronische Nierenerkrankung hin. Sehr häufig ist (noch immer) zu lesen, dass eine hohe Proteinzufuhr die Nieren schädige, erkennbar etwa an einer sinkenden eGFR. Dieser Vorwurf trifft auch Milch und Milchprodukte als wichtige Proteinlieferanten. Doch wie ist die Evidenz? Zwei neuere Beobachtungsstudien (eine aus den Niederlanden, eine aus Korea) wurden in
den Medien so dargestellt, als würde eine hohe Proteinzufuhr auch gesunde Nieren tatsächlich schädigen. Bei näherem Hinsehen zeigte sich jedoch, dass die Proteinzufuhr in diesen Studien keineswegs hoch war, sondern im üblichen Rahmen lag (ca. 15% der Energiezufuhr). Die erhobenen Verzehrsgewohnheiten erwiesen sich zudem als derart unplausibel, dass die Studien letztlich keinerlei Rückschlüsse auf die Nierengesundheit erlaubten. Auch zwei Interventionsstudien und mehrere Übersichtsarbeiten stützen die Hypothese vom nierenschädigenden Protein nicht, selbst wenn die Zufuhr über 25 Prozent der Energieverabreichung liegt. Studien, die sich konkret mit Milch oder Milchprodukten befassten, fanden sogar das Gegenteil.
Milch: Eher schützend
Eine aktuelle Metaanalyse aus sieben Kohortenstudien fand in fünf Fällen einen günstigen Einfluss des Milchkonsums auf die Nierengesundheit: Sowohl das Risiko für chronische Nierenerkrankungen als auch das Risiko für ein übermässiges Nachlassen der eGFR waren beim höchsten Milch-(produkte-)konsum am geringsten. Dieser Zusammenhang zeigte sich in der Allgemeinbevölkerung ebenso wie bei älteren Personen. Und ist die Niere bereits geschädigt, könnten Milchprodukte als Carnitinlieferanten sogar dazu beitragen, das häufige Carnitindefizit der Patienten auszugleichen und so Sarkopenien und Fatigue vorzubeugen.
Warum erwiesen sich aber meist die fettarmen Milchprodukte als günstig? Das hat weniger mit deren Fettgehalt zu tun als vielmehr damit, dass in den betreffenden Studien oft ein Ernährungsmuster als «gesund» zugrunde gelegt wurde, das fettarme Milchprodukte besonders empfiehlt. In einer niederländischen Studie mit rund 4000 Teilnehmern fand sich denn auch kein nachteiliger Effekt bei vollfetten Milchprodukten, auch dann nicht, wenn die Nierenfunktion (eGFR) bereits leicht eingeschränkt war.
Was geht an die Nieren?
Letztlich ist die Frage, ob (Milch-)Protein den Nieren schade, der falsche Ansatz. Denn im Grunde geht es doch darum: Was schadet (oder nützt) den Nieren? Die bedeutendsten Ursachen für Nierenschäden in westlichen Ländern sind Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck und Adipositas. Milch und Milchprodukte haben sich hier sowohl zur Prävention als auch zur Behandlung als nützlich erwiesen. Und damit ist auch die Frage nach dem Einfluss der Milch auf die Nierengesundheit beantwortet.
Literatur bei der Verfasserin. Korrespondenz Dipl. oec. troph. Ulrike Gonder Taunusblick 21 D-65510 Hünstetten Tel. +49 6126 95 17 95 E-Mail: mail@ugonder.de
Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 2|2020 25