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Titel
Demenz und Malnutrition
Untertitel
Die Rolle von Advanced Practice Nurses beim Ernährungsmanagement von geriatrischen Patienten mit Demenz
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Ernährungsprobleme von demenzkranken Menschen erhöhen das Risiko von Malnutrition, Dehydrierung und Gewichtsverlust und korrelieren mit einer kognitiven Verschlechterung. Geriatrisch geschulte Advanced Practice Nurses sind dafür prädestiniert, Probleme frühzeitig zu erkennen und individuelle Interventionsmassnahmen einzuleiten.
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DEMENZ UND MALNUTRITION

Die Rolle von Advanced Practice Nurses beim Ernährungsmanagement von geriatrischen Patienten mit Demenz
Demenz und Malnutrition

Gabriele Bales

Ernährungsprobleme von demenzkranken Menschen erhöhen das Risiko von Malnutrition, Dehydrierung und Gewichtsverlust und korrelieren mit einer kognitiven Verschlechterung. Geriatrisch geschulte Advanced Practice Nurses sind dafür prädestiniert, Probleme frühzeitig zu erkennen und individuelle Interventionsmassnahmen einzuleiten.

In der Betreuung von Menschen mit Demenz ist eine angemessene Ernährung in allen Krankheitsstadien von zentraler Bedeutung (1), da es im Verlauf durch unterschiedlichste Demenzsymptome zu Problemen kommt, die die Ernährung demenziell Erkrankter beeinträchtigen können (2). Schon früh im demenziellen Verlauf lässt sich ein gestörtes und verändertes Ess- und Trinkverhalten beobachten (3). Rund 50 Prozent aller Demenzkranken verlieren ihre Fähigkeit der Selbsternährung während einer Zeit von acht Jahren nach Beginn der Demenz (4). Diese zeigen eine teilweise oder komplette Unfähigkeit, die Nahrungsaufnahme zu initiieren oder die Aufmerksamkeit auf den Schritten der Nahrungsaufnahme zu halten. Ungenügende Fähigkeiten bestehen auch darin, die Nahrung zum Mund zu führen, zu kauen oder zu schlucken (5–7). Ernährungsprobleme bei Demenzkranken gehen mit einem erhöhten Risiko für eine Malnutrition, eine Dehydrierung und einen Gewichtsverlust einher (2, 8). Zudem korrelieren Malnutrition und Gewichtsverlust mit einer kognitiven Verschlechterung und dem Fortschreiten der Demenzerkrankung (2, 9). Ausserdem verstärken die Folgen einer Mangelernährung die Belastung der Pflegeperson, was im Umkehrschluss die Ernährungsprobleme verstärken kann. Ein individuelles Screening und Assessment gelten somit als wesentliche Voraussetzung dafür, individuelle Interventionsmassnahmen zur Prävention und Therapie einer Mangelernährung bei Demenz einleiten zu können (2).
Ursachen des Gewichtsverlusts
Ein progressiver Gewichtsverlust gilt als häufiges Symptom bei Demenzerkrankungen, der oft vor der Diagnosestellung einsetzt (10) und den gesamten Verlauf der Demenzerkrankung begleitet. Verschiedene epidemiologische Studien betrachten den Gewichtsverlust bei älteren gesunden Menschen als ein nicht kognitives Zeichen einer beginnenden Demenz (11–19). Ein Gewichtsverlust bei Demenz geht einher mit einer

erhöhten Morbidität und Mortalität, einer erhöhten Schwere und Progression der Demenzerkrankung sowie vermehrten Verhaltensstörungen und einer reduzierten Lebensqualität (6–7). Bei diesem Gewichtsverlust handelt es sich nicht nur um ein Symptom der Demenzerkrankung, sondern um eine Komorbidität, die beispielsweise wiederum durch den Abbau von Muskelmasse und Muskelkraft zu erheblichen funktionellen Einbussen führen kann und damit die Auswirkungen der Demenzerkrankung erheblich verschlimmert (10, 20–22). Bereits 6 bis 10 Jahre vor dem Auftreten messbarer kognitiver Defizite findet sich bei Demenzkranken ein signifikanter Gewichtsverlust (15). Mit zunehmendem Schweregrad der Demenz wird eine ausreichende Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr zu einem wachsenden Problem (8, 23). Demenzkranke verlieren im Gegensatz zu gleichaltrigen Patienten ohne Demenz im Durchschnitt etwa viermal so viel an Körpergewicht (24–25). Der Gewichtsverlust ist erklärbar durch eine geringere Energieaufnahme auf Basis der signifikanten neuropsychologischen Symptome, die im Lauf der Erkrankung zunehmen (11).
Therapeutische Massnahmen
Bei der Aufnahme eines jeden Patienten mit Demenz oder bei Verdacht auf eine demenzielle Entwicklung ist zu empfehlen, ein standardisiertes Screening auf Mangelernährung durchzuführen. Bei positivem Screening sollte zudem die individuelle Ernährungssituation im Rahmen eines Assessments abgeklärt und sollten adäquate Ernährungsmassnahmen eingeleitet werden (2, 10, 26–27). Ernährungsmassnahmen bergen das Potenzial, einem Fortschreiten der Demenz und einer Verstärkung der Ernährungsprobleme entgegenzutreten und den Teufelskreis zwischen Mangelernährung und kognitivem Abbau zu durchbrechen und so die Krankheitsbelastung zu reduzieren. Diese Ernährungsmassnahmen sind vor allem vor dem Hin-

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tergrund begrenzter Effekte durch Medikamente als nicht medikamentöse Strategien von besonderem Interesse (2).
Orale Ernährung unterstützen
Stark empfohlen wird zudem die Initiierung von Ernährungsmassnahmen nicht nur bei denjenigen Patienten, die an einer manifesten Unterernährung leiden, sondern sobald Anzeichen eines Risikos für Mangelernährung bestehen. Denn selbst bei Patienten mit einer milden bis moderaten Demenz treten subklinische Zeichen einer Dysphagie auf (26, 28). Denn wenn richtige Essenstechniken etabliert sind und beibehalten werden, sind Patienten mit einer Demenz länger dazu in der Lage, selbstständig zu essen und ihr Gewicht über eine längere Periode zu halten (29). Des Weitern sollten zur Unterstützung der oralen Ernährung der Betroffenen diverse Strategien, welche individuell auf die Bedürfnisse und Bedarfe der demenzkranken Patienten zugeschnitten sind, umgesetzt werden. Zudem sollten Edukation und Beratung der betroffenen Patienten und ihrer Angehörigen oder Betreuer erfolgen (2), um die Selbstversorgungskompetenzen der Patienten zu steigern (30). Generell wird die Supplementierung einzelner Nährstoffe bei Demenzkranken ohne einen zugrunde liegenden Mangel nicht empfohlen. Jedoch wird zur Verbesserung des Ernährungszustands Trinknahrung empfohlen. Eine künstliche Ernährung wird begrenzt bei einer leichten oder mässigen Demenz zur Bewältigung einer Krisensituation empfohlen, wenn dieser eine reversible Ursache zugrunde liegt (2).

Empowerment der Pflege
Die APN kann aber auch zum Empowerment des Pflegefachpersonals vor Ort beitragen und Ernährungsprobleme bei Demenz und mögliche Interventionen thematisieren. So kann sie beispielsweise durch eine sorgfältige Erhebung des Mundstatus eine Mundschleimhautentzündung als Ursache für die Verweigerung von Nahrung entdecken oder im Gespräch mit Angehörigen Möglichkeiten explorieren, wie sie den Menschen mit Demenz beim Schlucken unterstützen können. Sie kann mit dem Pflegeassistenzpersonal erarbeiten, wie ihre Beobachtungen beim Essen und Essenabräumen zur Diagnostik beitragen können, und das Pflegefachpersonal bei der systematischen Abklärung von Interventionsmöglichkeiten unterstützen. Zudem kann sie die Edukation und die Beratung der betroffenen Patienten und ihrer Angehörigen oder Betreuer durchführen. Geriatrisch geschulte APN stärken somit den ganzheitlichen Ansatz in der Abklärung und der Behandlung älterer Menschen mit Demenz und leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur Versorgungsqualität dieser Patienten. Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das in der digitalen Ausgabe verfügbar oder erhältlich ist bei: Gabriele.Bales@felixblatter.ch.
Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung des SKK-ASI und der Autorin. Der Erstdruck erfolgte in der Zeitschrift «Krankenpflege», Ausgabe 1/2020.

APN übernehmen Management
Internationale Studien zeigen, dass gerade Advanced Practice Nurses (APN) im Management von geriatrischen Patienten mit Demenz prädestiniert sind, um Probleme frühzeitig zu erkennen und individuelle Interventionsmassnahmen einleiten zu können (31– 33). APN sind Pflegefachpersonen, welche Expertenwissen erworben haben und über erweitere Fähigkeiten innerhalb der Pflegepraxis sowie klinische Kompetenzen verfügen und dazu in der Lage sind, komplexe Entscheidungen zu treffen (34). Als ihre Kernkompetenzen gelten die Fähigkeit zur Durchführung von Konsultationen und Beratungen, Forschungsfertigkeiten, Teamfähigkeit, klinische sowie berufspolitische Führungsqualität, die Fähigkeit zur ethischen Entscheidungsfindung sowie herausragende Coaching- und Führungsqualität (34). Als Teil eines interprofessionellen Teams trägt die APN zum ganzheitlichen und patientenzentrierten Ansatz der Patientenversorgung bei (9, 30–33, 35). Sie unterstützt den Prozess des standardisierten Screenings auf Mangelernährung bei Aufnahme jedes Patienten mit Demenz oder mit Verdacht einer demenziellen Entwicklung. Die APN kann direkt in Screening, Assessment, Interventionsplanung und Beratung involviert sein und somit zu einer Verbesserung der Versorgungsund Pflegequalität beitragen.

Korrespondenzadresse: Gabriele Bales, Pflegeexpertin APN, MScN, Universitäre Altersmedizin Felix Platter, Basel Gabriele.Bales@felixplatter.ch

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