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SERIE: ALLGEMEINE ERNÄHRUNGSEMPFEHLUNGEN FÜR PATIENTEN MIT MAGEN-DARM-ERKRANKUNGEN
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Teil VII: Ernährung bei Blähungen und Blähbauch (adominelle Distension)
Martin Wilhelmi
Martin Wilhelmi
Hintergrund
Blähungen und ein Blähbauch (abdominelle Distension) werden von bis zu 96 Prozent der Reizdarmpatienten (IBS) und 20 bis 30 Prozent der Durchschnittsbevölkerung beklagt (1). Es handelt sich somit um ein sehr häufiges Problem, welches bei über 50 Prozent der Betroffenen zu einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität führt (2). Neben einem Reizdarmsyndrom können eine Vielzahl von Erkrankungen und auch Medikamente Blähungen hervorrufen. Im Zweifelsfall ist eine Abklärung durch den Hausarzt und den Gastroenterologen empfohlen.
Gründe für Blähungen
Ein Teil der Darmgase entsteht durch das Verschlucken von Luft (Aerophagie). Je nach Menge der Luft kann ein Teil «nach oben» wieder in Form eines Rülpsers (Ructus) abgegeben werden. Ein Teil gelangt jedoch auch in die tieferen Darmabschnitte und muss dann zusammen mit dem Nahrungsbrei weiter transportiert werden. Die Ursache für das Luftschlucken ist häufig zu schnelles Essen oder Trinken. Meist geschieht das unbewusst. Auch über kohlensäurehaltige Getränke, Nikotinkonsum oder das Kauen von Kaugummi gelangt überschüssige Luft in den Magen. Eine verstopfte Nase oder andere Atemprobleme wie übermässige Mundatmung sowie ein ängstlicher, nervöser oder angespannter Zustand können ebenfalls zu vermehrter Luftaufnahme führen. Insofern können auch psychosomatische Erkrankungen zu Blähungen führen. Intestinales Gas entsteht weiterhin
endogen durch Vergärung (Fermentation) von Darminhalt durch Bakterien. Vor allem nicht absorbierbare oder nicht gespaltene Kohlenhydrate, wie z. B. Laktulose, erzeugen auch bei gesunden Probanden Blähungen und einen Blähbauch, wenn sie unverdaut in das Kolon gelangen und dort fermentiert werden. Die Gasbildung führt zur Distension des Dünn- und Dickdarms. «Gärung» oder «Fermentierung» ist ein Prozess, bei welchem das Mikrobiom organische Stoffe wie z. B. bestimmte Zucker zum Zweck der Energiegewinnung ohne Einbeziehung von Sauerstoff abbaut. Hierbei entstehen Gase im Darm. Die viszerale Hypersensitivität bei Reizdarmpatienten ist die Ursache für die verstärkte Wahrnehmung von intestinalem Gas. «Ich fühle mich wie im dritten Monat schwanger», ist bei Patienten eine häufige Aussage.
Diagnose
Alarmsymptome wie Gewichtsverlust, Blutungen, Fieber, nächtliche Symptome wie Diarrhö und/oder Abdominalschmerzen sowie verändertes Stuhlverhalten bei über 50-Jährigen sollten immer endoskopisch abgeklärt werden (Koloskopie, Gastroskopie). Bei Patienten ohne Alarmsymptome ist die Durchführung einer Zöliakieserologie empfohlen. Malabsorptionsparameter (u. a. Ferritin, Vitamin B12), Thyrotropin (TSH), ein Blutbild und C-reaktives Protein sind hilfreiche Laborparameter. Stuhltests auf Calprotectin und Parasiten (Giardia lamblia, Würmer) sind ebenso empfohlen. Patientinnen sollten zusätzlich eine gynäkologische Untersuchung durchführen lassen. Wasserstoff- und Methanatemtests zur Diagnose von Intoleranzen, wie z. B. einer Laktose- oder Fruktoseintoleranz oder einer bakteriellen Überwucherung (SIBO), können hilfreich sein.
Therapie: Allgemeine Massnahmen
Dazu gehören langsames Essen und das Meiden von kohlensäure- bzw. gashaltigen Lebensmitteln. Genügend trinken und bewegen, um die Darmbewegung zu fördern. Kaugummi und Nikotin vermeiden. Viele Hausmittel (Schüssler Salze, Homöopathie, Heilerde u. a.) sind in ihrer Wirkung wissenschaftlich nicht bewiesen. Zu den Phytophar-
maka, welche in ihrer Wirksamkeit belegt sind, zählen z. B. Pfefferminz, Ingwer, Kardamon, Kümmel und Löwenzahn. Am besten untersucht sind hierbei Pfefferminzöle (z. B. Colpermin), die durch eine entspannende Wirkung auf die Muskulatur des Verdauungstraktes, aber auch durch Abtöten von Bakterien wirken. Liegt der Verdacht auf eine bakterielle Überwucherung des Dünndarms (SIBO) vor, kann durch «pflanzliche Antibiotika» wie z. B. Zimt, Neem, Allicin oder Oregano versucht werden, eine Besserung der Beschwerden zu erreichen (3).
Therapie: Ernährungsempfehlungen
Ernährungsmedizinisch hat sich vor allem die Reduktion FODMAP-haltiger Lebensmittel etabliert. Das Akronym FODMAP steht für «fermentable oligosaccharides, disaccharides, monosaccharides and polyols», ein Begrif unter dem Kohlenhydratsubtypen mit gleichen Eigenschaften vereint sind. Es handelt sich um kurzkettige Kohlenhydrate, welche schlecht absorbiert werden und daher in den unteren Abschnitten des Dünndarms und im Kolon von Bakterien fermentiert werden. Hierbei entsteht vermehrt Darmgas wie H2, CH4 und CO2. Eine Reduktion von Blähungen kann mit dieser Diät in bis zu 82 Prozent der Fälle erzielt werden (4). Nach einer Auslassphase aller FODMAP von in der Regel 2 bis 4 Wochen können nach und nach die einzelnen Gruppen wieder eingeführt werden, um mögliche einzelne Unverträglichkeiten herauszufinden. Einige gute Studien deuten darauf hin, dass auch Extrakte der Kiwifrucht (Actinida deliciosavar) effektiv Blähungen und Verstopfung bessern können. Obgleich der Mechanismus ungeklärt ist, verbessern diese Extrakte die Darmbewegung und die Darmentleerung und helfen bei der Verdauung (5). Ähnlich gut wirken sich wahrscheinlich auch Papayafrüchte (Carica papaya) aus (6). Diese Früchte sind auch FODMAP- und histaminarm. Fermentierte Lebensmittel wie Kefir, Joghurt, Sauerkraut oder die asiatische Variante Kimchi wirken sich günstig auf die Zusammensetzung des Mikrobioms aus, sind jedoch meist reich an FODMAP und können so Blähungen hervorrufen. Sie sind deshalb mit Vorsicht zu geniessen.
12 Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 1|2020
SERIE: ALLGEMEINE ERNÄHRUNGSEMPFEHLUNGEN FÜR PATIENTEN MIT MAGEN-DARM-ERKRANKUNGEN
Therapie: Medikamente
Liegt eine Obstipation vor, können Blähungen häufig durch die Behandlung der Obstipation beseitigt werden. Prosekretorische und motilitätsfördernde Laxativa, wie z. B. Linaclotid (Constella®), Prucaloprid (Resolor) und Lubiproston (Amitizia®) sind hierbei häufig erfolgreich einsetzbar. Simethicon (Flatulex) und (medizinische) Kohle werden häufig als «Gasbinder» eingesetzt, obwohl es kaum Beweise für die Wirksamkeit gegen Blähungen gibt. Der Einsatz dieser Substanzen allein hat keine grössere Reduktion der Beschwerden gezeigt. Eine Wirkung von Aktivkohle auf Blähungen wurde klar widerlegt (7). Eine Kombination von Simethicon mit Loperamid (z. B. Immodium, ein Durchfallmedikament) konnte jedoch durch Blähungen ausgelöste Beschwerden bessern (8). Auch die Kombination von Simethicon, Kohle und Magnesiumoxid konnte Blähungen und damit verbundene Beschwerden reduzieren (9). STW5 (Iberogast, Flordis) ist eine Zubereitung aus 20 verschiedenen Kräutern, die wahrscheinlich verschiedene Wirkungen haben. Gute Studien zeigen eine nachweisliche Wirkung bei Völlegefühl und Spannungen im Bauchraum (10). Obgleich eine Wirkung direkt auf den Blähbauch nicht nachweisbar ist, kann ein Versuch mit diesem Medikament – insbesondere auch bei fast nie auftretenden Nebenwirkungen–versucht werden. Spasmocanulase ist ein Gemisch verschiedener natürlicher Verdauungsenzyme und Dimeticon und kann bei Bauchkrämpfen und Blähungen Linderung verschaffen, ist jedoch derzeit nicht in der Schweiz erhältlich. Melatonin ist ein natürliches Hormon, welches im Gehirn, aber auch im Magen-Darm-Trakt ausgeschüttet wird. Die Wirkungen sind noch nicht vollständig erforscht. Einige Untersuchungen zeigen jedoch, dass eine Dosis von 3 mg/Tag bei vielen Patienten mit Reizdarmbeschwerden eine deutliche Besserung der Beschwerden bringt (11). Probiotika werden als Wundermittel unserer Zeit verkauft. Es handelt sich um lebende Bakterienkulturen, die das Mikrobiom zu unseren Gunsten verändern sollen. Eine grosse systematische Analyse zeigte, dass das Probiotikum Bifidobacterium infantis 35 624 Blähungen deutlich reduzierte (12), und das wirkungsvoller als Laktobazillen oder Plazebo (13). Eine der wenigen Studien, die auch die Messung des Bauchumfangs umfasste, konnte eine Verkleinerung unter Einnahme von Bifidobacterium lactis zeigen (14). VSL#3 (ein zusammengesetztes Probiotikum aus Lactobacillus species, Bifidobacterium und Streptococcus salivarius) hatte nur einen geringen positiven
Kasten:
Zusammenfassung Therapie der Blähungent
• Langsam essen, gut kauen, langsamer sprechen, Vermeiden von Luftschlucken
• Vermeiden von gashaltigen Getränken • Vermeiden von Kaugummis und Zigaretten • Pfefferminz, Ingwer, Kardamon, Kümmel und
Löwenzahn haben eine bewiesene Wirkung • FODMAP-Therapie! • Kiwi- und Papaya-Konsum • Therapie einer möglichen Verstopfung
(Obstipation) • Probiotika und fermentierte Lebensmittel
mit Vorsicht einsetzen • Wickel oder Kompressen mit Pfefferminzöl,
Lavendel oder Kamille • Therapie eine allfälligen bakteriellen
Überwucherung (SIBO) • Mind-Body-Therapien (z. B. Hypnose,
Biofeedback) bei Therapieresistenz
* Eine patientenfreundliche Übersicht zum Thema findet sich in: «Nie wieder Blähbauch», Wilhelmi M., Studerus D., Gibson P., GU-Verlag 2019 (18).
Effekt auf die Blähungen (15). Insgesamt sind die Information über Probiotika in der Therapie gegen Blähungen sehr limitiert, und die Effekte in den genannten Untersuchungen waren eher gering. Versuchsweise können Probiotika jedoch eingesetzt werden. Es kann jedoch auch zu einer Verschlechterung der Symptomatik kommen. An alternativen Mind-Body-Therapien sind vor allem Biofeedback-Techniken zur Entspannung zu nennen. In kleinen Studien war bei bis zu 70 Prozent der Patienten eine Reduktion von Blähungen, Blähbauch und Obstipation zu beobachten. Diese Effekte hielten bis zu 12 Monate an (16). Medizinische Hypnose zeigte in einigen Studien eine deutliche Reduktion von Beschwerden durch Blähungen mit einer Langzeitwirkung (17), sie wird deshalb zurzeit empfohlen, wenn andere Therapieformen versagen.*
Fazit
Blähungen und Blähbauch sind ein sehr häufiges und oft stark belastendes Symptom. Die Ursache ist meistens harmlos. Im Zweifelsfall sollten jedoch organische Erkrankungen ausgeschlossen werden. Die Therapie basiert auf dem Vermeiden von Aerophagie, der Reduktion von fermentierbaren Nahrungsbestandteilen (19), der Behandlung einer allfälligen Obstipation, Phytotherapeutika und Biofeedbacktechniken sowie bei deren Versagen allenfalls auf medizinischer Hypnose. Das Reiz-
darmsyndrom als häufigste Ursache lässt sich mit einer FODMAP-armen Ernährung in über 80 Prozent der Fälle bessern.
Korrespondenzadresse: Dr. med. Martin Wilhelmi Central-Praxis Weinbergstrasse 26 8001 Zürich E-Mail: martin.wilhelmi@bluewin.ch
Literatur: 1. Talley NJ et al: Identification of distinct upper and lower gastrointestinal symptom groupings in an urban population. Gut 1998; 42(5): 690–695. 2. Sandler RS et al: Abdominal pain, bloating, and diarrhea in the United States: prevalence and impact. Dig Dis Sci 2000; 45(6): 1166–1171. 3. Wilhelmi M et al.: SIBO: Small intestinal bacterial overgrowth Schweiz Med Forum 2018; 18(09): 191–200. 4. Halmos EP et al.: A diet low in FODMAP reduces symptoms of irritable bowel syndrome. Gastroenterology 2014; 146(1): 67–75e5. 5. Kaur L, Boland M: Influence of kiwifruit on protein digestion. Adv Food Nutr Res 2013; 68: 149–167. 6. Muss C, Mosgoeller W, Endler T: Papaya preparation (Caricol®) in digestive disorders. Neuro Endocrinol Lett 2013; 34(1): 38–46. 7. Suarez FL, Furne J, Springfield J, Levitt MD: Failure of activated charcoal to reduce the release of gases produced by the colonic flora. Am J Gastroenterol 1999 Jan; 94(1): 208–212. 8. Hanauer SB, DuPont HL, Cooper KM, Laudadio C: Randomized, doubleblind, placebo-controlled clinical trial of loperamide plus simethicone versus loperamide alone and simethicone alone in the treatment of acute diarrhea with gas-related abdominal discomfort. Curr Med Res Opin. 2007; 23(5): 1033–1043. 9. Coffin B, Bortolloti C, Bourgeois O, Denicourt L: Efficacy of a simethicone, activated charcoal and magnesium oxide combination (Carbosymag®) in functional dyspepsia: results of a general practice-based randomized trial. Clin Res Hepatol Gastroenterol 2011; 35(6–7): 494–499. 10. Melzer J, Rösch W, Reichling J, Brignoli R, Saller R: Meta-analysis: phytotherapy of functional dyspepsia with the herbal drug preparation STW 5 (Iberogast). Aliment Pharmacol Ther 2004; 20(11–12): 1279–1287. 11. Siah KT, Wong RK, Ho KY: Melatonin for the treatment of irritable bowel syndrome. World J Gastroenterol 2014 Mar 14; 20(10): 2492–2498. 12. Brenner DM, Moeller MJ, Chey WD, Schoenfeld PS: The utility of probiotics in the treatment of irritable bowel syndrome: a systematic review. Am J Gastroenterol 2009; 104(4): 1033–1049. 13. O’Mahony L, McCarthy J, Kelly P et al.: Lactobacillus and Bifidobacterium in irritable bowel syndrome: symptom responses and relationship to cytokine profiles. Gastroenterology 2005; 128(3): 541–551. 14. Agrawal A, Houghton LA, Morris J et al.: Clinical trial: the effects of a fermented milk product containing Bifidobacterium lactis DN-173 010 on abdominal distension and gastrointestinal transit in irritable bowel syndrome with constipation. Aliment Pharmacol Ther. 2009;29(1):104–114. 15. Kim HJ, Camilleri M, McKinzie S et al. : A randomized controlled trial of a probiotic, VSL#3, on gut transit and symptoms in diarrhoea-predominant irritable bowel syndrome. Aliment Pharmacol Ther 2003; 17(7): 895–904. 16. Wang J et al.: prospective study of biofeedback retraining in patients with chronic idiopathic functional constipation. World J Gastroenterol 2003; 9(9): 2109–2113. 17. Palsson OS, Turner MJ, Johnson DA, Burnett CK, Whitehead WE: Hypnosis treatment for severe irritable bowel syndrome: investigation of mechanism and effects on symptoms. Dig Dis Sci 2002; 47(11): 2605–2614. 18. Wilhelmi M, Studerus D, Gibson P: Nie wieder Blähbauch. GU Verlag 2019. 19. Wilhelmi M et al.: FODMAP – eine häufige Ursache unklarer abdomineller Beschwerden, Schweiz Med Forum 2014; 14(48): 909–914.
Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 1|2020 13