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SERIE: ALLGEMEINE ERNÄHRUNGSEMPFEHLUNGEN FÜR PATIENTEN MIT MAGEN-DARM-ERKRANKUNGEN
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Teil VI: Ernährung bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen
Diane Studerus
Diane Studerus
Hintergrund
Die Fortschritte in der Grundlagenforschung der letzten fünf Jahre haben die Sichtweise auf die Rolle der Ernährung in der Pathogenese und der Therapie von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) deutlich verändert. So kann mittlerweile an der Aussage «Essen Sie, was Sie wollen, die Ernährung hat keinen Einfluss auf die CED» nicht mehr festgehalten werden (1). Dieser Artikel möchte einen kurzen Überblick über den aktuellen Wissensstand geben und wichtige grundlegende ernährungstherapeutische Interventionen aufzeigen.
Genetik – Mikrobiom – Immunsystem
Geht man davon aus, dass die genetische Disposition nur für einen Teil des Auftretens der CED verantwortlich zu sein scheint (2) und dass die Inzidenz dieser Krankheiten steigt, liegt die Frage nach der Umweltkomponente in der Entwicklung einer CED nahe (1). Die neuen Erkenntnisse zu Mikrobiom und CED haben gezeigt, dass das Mikrobiom eine zentrale Rolle bei der Pathogenese zu spielen scheint und dass die Ernährung wiederum wesentlich die Zusammensetzung sowie die Funktionalität des Mikrobioms beeinflussen kann und weiter auch die Darmbarriere und das Immunsystem. So haben die Gesamtenergiezufuhr, die Kohlenhydratmenge sowie die Proteinmenge und -qualität einen weitreichenden Einfluss auf das Mikrobiom (1, 3).
Exklusionsdiäten
Diese Erkenntnisse führten zur Wiederaufnahme der Forschung, die sich mit einesm al-
ten, aber bewährten Behandlungsweg, der Exklusionsdiät, befasst. Einen Grundstein legte in den 1980er-Jahren Elaine Gottschall, die nach der erfolgreichen Behandlung der Colitis ulcerosa (CU) ihrer Tochter mittels der Specific Carbohydrate Diet (SCD; spezielle Kohlenhydratdiät) in diesem Gebiet forschte. Etwa zeitgleich wurden auch erste Fallberichte zur erfolgreichen Behandlung von Morbus Crohn (MC) mittels enteraler Ernährung publiziert (4). Letztere, auch als Exclusive Enteral Nutrition (EEN) bezeichnet, ist mittlerweile eine etablierte ernährungstherapeutische Intervention bei Erstmanifestation von MC im Kindesalter und wird der Behandlung mit Steoriden vorgezogen (5). Anders sieht das bei der SCD aus: Rrandomisierte Studien zeigten zwar einen deutlichen Rückgang der Symptome, nicht aber eine vollständige histologische Remission (6). Etwas vielversprechender ist die kürzlich entwickelte Crohn’s Disease Exclusion Diet (CDED), welche Nahrungsmittel ausschliesst, von denen angenommen wird, dass sie das Mikrobiom (Dysbiose), die Darmbarriere und die intestinale Immunität negativ beeinflussen. Zudem wird in der Anfangsphase der Diät eine partielle enterale Ernährung (PEN) mit 50 Prozent des Gesamtenergiebedarfs durchgeführt. Unter dieser Ernährungsform zeigt sich bei 75 Prozent der Probanden mit milder bis moderater Form eine vollständige Remission innerhalb von 6 Wochen (7). Eine andere Studie zeigte eine Remissionsrate von rund 62 Prozent (8). So stellt die CDED nebst der EEN eine wirksame Strategie zur Induktion der Remission bei Krankheitsbeginn dar, ebenso auch bei Therapieversagen mit Biologika und zur Verringerung der Notwendigkeit einer Operation. Für alle anderen diskutierten möglichen «Diäten» bei CED besteht aktuell keine ausreichende Evidenz. Ebenso muss festgehalten werden, dass entsprechende Studien bei Colitis ulcerosa noch fehlen.
Funktionelle Beschwerden
Reizdarmähnliche Symptome treten bei 39 Prozent aller Patienten mit IBS (irritable bowel syndrom = Reizdarmsyndrom) auf und sind bei MC etwas häufiger als bei CU (CU; 46 vs. 36%, OR: 1,62; 95%-KI: 1,21–2,18) (9). Die Differenzierung dieser Symptome zu den entzündungsbedingten Schmerzen kann umständlich und schwierig sein.
Es zeigt sich aber, dass eine Reduktion von FODMAP (fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide sowie Polyole) Bauchschmerzen, Blähungen und Durchfall bei etwa der Hälfte der IBS-Patienten verbessert (10, 11). Gleichzeitig bestehen gute Daten bei Patienten mit CED und IBS, die zeigen, dass FODMAP Schmerzintensität, Blähungen und den Stuhldrang negativ beeinflussen (12). Dass eine FODMAP-arme Ernährung eine sichere und effektive Strategie für funktionelle Beschwerden bei CED darstellt, ist ausreichend belegt. Auf die Inflammation scheint diese ernährungstherapeutische Intervention aber keinen Einfluss zu haben (11).
Supplemente
Die Guidelines der ECCO (The European Crohn’s and Colitis Organization) zu Komplementärmedizin und Psychotherapie bei CED kommen zu dem Schluss, dass es keine ausreichenden Belege gibt, um den Einsatz von Mikronährstoffen und anderen Nahrungsergänzungsmitteln zur Induktion oder Aufrechterhaltung der Remission bei MC und CU zu postulieren (13). Dennoch soll hier festgehalten werden, dass Mikronährstoffmangelerscheinungen bei CED häufig sind. Eisen, Vitamin D und B12, Zink und Folsäure sollten regelmässig überprüft und in der Mangelsituation substituiert werden (14). Für Kurkuma, Myrrhe, Omega-3-Fettsäuren und weiteren Supplemente besteht keine Evidenz zur Induktion oder Aufrechterhaltung der Remission (15).
Fazit
Es bestehen bewährte und ebenso neue, vielversprechende ernährungstherapeutische Behandlungskonzepte für CED. Allerdings sollten die Patienten in der Durchführung von einer qualifizierten Ernährungsberatung BSc/ FH/HF SVDE mit Erfahrung bei CED begleitet werden. Die Fachgruppe Gastroenterologie des SVDE kann als Ansprechpartner dienen (Info: www.svde.ch).
Korrespondenzadresse: Diana Studerus BSc BFH Ernährungsberaterin SVDE CAS Clinical Nutrition Mitglied der Fachgruppe Gastroenterologie & Nahrungsmittelallergien/-Intoleranzen E-Mail: diana@foodonrecord.com
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