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SERIE: ALLGEMEINE ERNÄHRUNGSEMPFEHLUNGEN FÜR PATIENTEN MIT MAGEN-DARM-ERKRANKUNGEN
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Teil V: Ernährung bei Divertikelkrankheit
Emanuel Burri1, Gabriela Frei2
Divertikulose
Emanuel Burri
Gabriela Frei
1 Gastroenterologie und Hepatologie, Medizinische Universitätsklinik, Kantonsspital Baselland
2 Ernährungsberatung, Kantonsspital Baselland
Hintergrund
Divertikel sind anatomische Ausstülpungen der Darmwand, die am häufigsten im linksseitigen Dickdarm auftreten. Divertikel sind meist asymptomatisch und treten vor dem 40. Lebensjahr selten auf, werden aber bei knapp zwei Drittel der über 70-Jährigen beschrieben (1). Bei knapp 20 Prozent dieser Patienten wird zu Lebzeiten eine Entzündung der Divertikel, eine sogenannte Divertikulitis auftreten (2), und in rund 15 Prozent der Fälle leiden die Patienten unter einer symptomatischen, unkomplizierten Divertikelkrankheit, die durch Bauchschmerzen, Obstipation oder Blähungen ohne Zeichen einer akuten Entzündung charakterisiert ist (3, 4). Oft bleibt die Divertikulose aber zeitlebens asymptomatisch.
Vor über 50 Jahren wurde erstmals das häufigere Auftreten der Divertikulose in Europa gegenüber Asien und Afrika beschrieben, was auf eine geringere Einnahme von Nahrungsfasern zurückgeführt wurde (5). Nahrungsfasern bestehen hauptsächlich aus Polysacchariden, die je nach Struktur löslich oder unlöslich sein können (Kasten 1) (6). Neuere Übersichtsarbeiten zeigen jedoch, dass nach Korrektur für andere Risikofaktoren (Fleischund Fettkonsum, Menge an Gemüse/ Früchten) Nahrungsfasern allein nicht mit der Entstehung von Divertikeln assoziiert sind (7). Ob für Patienten mit asymptomatischer Divertikulose Diätempfehlungen abgegeben werden sollen, ist umstritten. Die vorhandene Evidenz zeigt keinen klaren Nutzen (8). Kasten 2 zeigt eine Übersicht über häufig eingesetzte Produkte.
Symptomatische, unkomplizierte Divertikelkrankheit
Die Daten zur Wirksamkeit von Nahrungsfasern bei der symptomatischen, unkomplizierten Divertikelkrankheit weisen eine hohe Heterogenität hinsichtlich Quantität und Qualität der verwendeten Nahrungsfasern auf und lassen keine generelle Empfehlung zu (9). Das widerspiegelt sich auch in verschiedenen nationalen Empfehlungen, die unterschiedliche Meinungen vertreten (8, 10–12) , während andere sich gar nicht äussern (13–15).
Kasten 1:
Nahrungsfasern
Fasertyp Unlöslich
Löslich
Eigenschaften
• Bakteriell wenig abbaubar • Erhöhen Stuhlmasse durch Bindung
von Wasser • Regen den Kolontransit an • Verzögern die Magenentleerung
• Bakteriell abbaubar • Gelartige Verbindung mit Wasser • Senken Cholesterinspiegel • Verzögern Kohlenhydrataufnahme • Präbiotische Wirkung • Erhöhen Stuhlmasse • Erhöhen Sättigungsgefühl
Adaptiert aus (6)
Vorkommen Vollgetreide, Roggen, Nüsse, Kohlgemüse, Samen, Leinsamen, Quinoa, Getreide, Gemüse, Früchte, Weizen, Roggen, Lignin
Früchte (Äpfel, Zitrusfrüchte, Erdbeeren), Kartoffeln, Reis, Hafer, Roggen, Gerste, Gemüse, Hülsenfrüchte, Zwiebeln, Knoblauch, Artischocken
Primärprophylaxe der akuten Divertikulitis
Eine ausreichende Nahrungsfaserzufuhr scheint das Risiko für eine akute Divertikulitis zu senken (16, 17). Auch der Fleischkonsum hat einen Einfluss, wobei sich durch den Konsum von Geflügel und Fisch anstelle von rotem Fleisch das Risiko um 20 Prozent verringern lässt (18). In einer englischen Studie wiesen Vegetarier ein 31 Prozent geringeres Risiko auf, wobei die Risikoreduktion assoziiert war mit der Nahrungsfasermenge (17). Dabei scheint das Risiko je nach Faserquelle unterschiedlich zu sein, und Getreide- und Fruchtfasern scheinen den besten Schutz zu bieten (16). Auf Nüsse, Samen oder kernhaltiges Gemüse zu verzichten, ist hingegen nicht mehr empfohlen. Die jüngsten Leitlinien empfehlen denn auch eine nahrungsfaserreiche Ernährung zur Vorbeugung der akuten Divertikulitis (8, 11–14). Insgesamt scheint das Ernährungsverhalten als Ganzes und nicht einzelne Nahrungsbestandteile das Risiko einer Divertikulitis zu beeinflussen, wobei die westliche fetthaltige Diät mit wenig Fasern und viel Fleisch sicher nicht optimal ist (19). Der Einsatz von Probiotika hat in gewissen Studien einen Nutzen hinsichtlich der Symptome und des Auftretens einer akuten Divertikulitis gezeigt, eine allgemeine Empfehlung kann aufgrund der aktuellen Evidenz aber nicht abgegeben werden (20).
Ernährungsempfehlungen bei akuter Divertikulitis und Sekundärprophylaxe
Die Ernährungsempfehlungen richten sich nach dem Schweregrad. Bei unkomplizierter Divertikulitis sollte, wenn immer möglich, eine uneingeschränkte orale Ernährung umgesetzt werden (21). Die Reduktion von Nahrungsfasern und Fettgehalt sowie rohem Gemüse und Früchten in der Initialphase wird oft empfohlen, wobei es aber dazu in der Literatur kaum Evidenz gibt. Bei kompliziertem Verlauf (Abszess, Perforation) hingegen wird die perorale Nahrungszufuhr in aller Regel vorübergehend pausiert. Klarer sind die Ernährungsempfehlungen nach dem akuten Schub. Hier wird zur Prophylaxe weiterer Divertikulitisschübe eine nahrungsfaserreiche Kost empfohlen (8, 11–14, 21).
Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 1|2020 9
SERIE: ALLGEMEINE ERNÄHRUNGSEMPFEHLUNGEN FÜR PATIENTEN MIT MAGEN-DARM-ERKRANKUNGEN
Kasten 2:
Nahrungsfaserprodukte
Eigenschaft Löslich, hoch fermentierbar Löslich, mittel fermentierbar
Unlöslich, wenig fermentierbar Unlöslich, nicht fermentierbar
Adaptiert aus (6)
Fasertyp Guar (PHGG) Ispaghula/ Psyllium Haferkleie
Weizenkleie Sterculia/gum
Produkt Optifibre® Metamucil® (Flohsamen) Laxiplant soft® Agiolax mite®
Normacol® Colosan mite®
Zusammenfassung
Nahrungsfasern haben vor allem in der Primär- und Sekundärprophylaxe der akuten Divertikulitis ihren Stellenwert. Auf die Entstehung der Divertikel haben sie allerdings wenig Einfluss. Ernährungstherapeutische Empfehlungen basieren weiterhin oft auf veralteten, nicht evidenzbasierten Vorstellungen und Konzepten, wobei konkrete Empfehlungen in der aktuellen Literatur noch ausstehend sind.
Korrespondenzadresse: PD Dr. med. Emanuel Burri Gastroenterologie und Hepatologie Medizinische Universitätsklinik Kantonsspital Baselland Rheinstrasse 26 4410 Liestal E-Mail: Emanuel.Burri@ksbl.ch
Literatur: 1. Bevan R, Lee TJ, Nickerson C et al.: Non-neoplastic findings at colonoscopy after positive faecal occult blood testing: data from the English Bowel Cancer Screening Programme. J Med Screen. 2014 Jun; 21(2): 89–94. 2. Shahedi K, Fuller G, Bolus R et al.: Long-term risk of acute diverticulitis among patients with incidental diverticulosis found during colonoscopy. Clin Gastroenterol Hepatol. 2013 Dec; 11(12): 1609–1613. 3. Spiller RC, Humes DJ, Campbell E et al.: The Patient Health Questionnaire 12 Somatic Symptom scale as a predictor of symptom severity and consulting behaviour in patients with irritable bowel syndrome and symptomatic diverticular disease. Aliment Pharmacol Ther. 2010 Sep; 32(6): 811–820. 4. Annibale B, Lahner E, Maconi G et al.: Clinical features of symptomatic uncomplicated diverticular disease: a multicenter Italian survey. Int J Colorectal Dis. 2012 Sep; 27(9): 1151–1159. 5. Painter NS, Burkitt DP: Diverticular disease of the colon: a deficiency disease of Western civilization. Br Med J. 1971 May 22; 2(5759): 450–454. 6. Eswaran S, Muir J, Chey WD: Fiber and functional gastrointestinal disorders. Am J Gastroenterol. 2013 May; 108(5): 718–727. 7. Peery AF, Barrett PR, Park D et al.: A high-fiber diet does not protect against asymptomatic diverticulosis. Gastroenterology. 2012 Feb; 142(2): 266–272 e1. 8. Cuomo R, Barbara G, Pace F et al.: Italian consensus conference for colonic diverticulosis and diverticular disease. United European Gastroenterol J. 2014 Oct; 2(5): 413–442.
9. Carabotti M, Annibale B, Severi C et al.: Role of Fiber in Symptomatic Uncomplicated Diverticular Disease: A Systematic Review. Nutrients. 2017 Feb 20; 9(2). 10. Andersen JC, Bundgaard L, Elbrond H et al.: Danish national guidelines for treatment of diverticular disease. Dan Med J. 2012 May; 59(5): C4453. 11. Pietrzak A, Bartnik W, Szczepkowski M et al.: Polish interdisciplinary consensus on diagnostics and treatment of colonic diverticulosis (2015). Pol Przegl Chir. 2015 Apr; 87(4): 203–220. 12. Binda GA, Cuomo R, Laghi A et al.: Practice parameters for the treatment of colonic diverticular disease: Italian Society of Colon and Rectal Surgery (SICCR) guidelines. Tech Coloproctol. 2015 Oct; 19(10): 615–626. 13. Andeweg CS, Mulder IM, Felt-Bersma RJ et al.: Guidelines of diagnostics and treatment of acute left-sided colonic diverticulitis. Dig Surg. 2013; 30(4-6): 278–292. 14. Kruis W, Germer CT, Leifeld L et al.: Diverticular disease: guidelines of the german society for gastroenterology, digestive and metabolic diseases and the german society for general and visceral surgery. Digestion. 2014; 90(3): 190–207. 15. Stollman N, Smalley W, Hirano I et al.: American Gastroenterological Association Institute Guideline on the Management of Acute Diverticulitis. Gastroenterology. 2015 Dec; 149(7): 1944–1949. 16. Crowe FL, Balkwill A, Cairns BJ et al.: Source of dietary fibre and diverticular disease incidence: a prospective study of UK women. Gut. 2014 Sep; 63(9): 1450–1456. 17. Crowe FL, Appleby PN, Allen NE et al.: Diet and risk of diverticular disease in Oxford cohort of European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition (EPIC): prospective study of British vegetarians and non-vegetarians. BMJ. 2011 Jul 19; 343: d4131. 18. Cao Y, Strate LL, Keeley BR et al.: Meat intake and risk of diverticulitis among men. Gut. 2018 Mar; 67(3): 466–472. 19. Strate LL, Keeley BR, Cao Y et al.: Western Dietary Pattern Increases, and Prudent Dietary Pattern Decreases, Risk of Incident Diverticulitis in a Prospective Cohort Study. Gastroenterology. 2017 Apr; 152(5): 1023–1030 e2. 20. Lahner E, Bellisario C, Hassan C et al.: Probiotics in the Treatment of Diverticular Disease. A Systematic Review. J Gastrointestin Liver Dis. 2016 Mar; 25(1): 79–86. 21. Dahl C, Crichton M, Jenkins J et al.: Evidence for Dietary Fibre Modification in the Recovery and Prevention of Reoccurrence of Acute, Uncomplicated Diverticulitis: A Systematic Literature Review. Nutrients. 2018 Jan 27; 10(2).
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