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SYMPOSIUMSBERICHT
SGE-Fachtagung 2019
Supplemente – Sinn und Nutzen
Annegret Czernotta
Supplemente sind im wahrsten Sinne des Wortes in aller Munde. An der Fachtagung der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung (SGE) diskutierten Experten über Sinn und Nutzen der Supplemente, klärten über Chancen und Gefahren auf und klärten die rechtliche Bedeutung des Begriffs «Supplement».
Der Begriff «Supplemente» ist laut Dr. Diego Moretti, Forschungsfeldleiter Ernährung & Diätetik, Fernfachhochschule Schweiz FFHS, Zürich, gesetzlich nicht definiert. Hingegen wird die gesetzliche Bedeutung von Nahrungsergänzungsmitteln (NEM) in der Verordnung des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI) geregelt. Dort sind NEM «Einfach- oder Mehrfachkonzentrate von Stoffen mit ernährungsphysiologischer Wirkung, die in dosierter Form in den Verkehr gebracht werden (VNem 817.022.14)». Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt drei prinzipielle Strategien, wie Gesellschaften allfällige Ernährungsmängeln vorzubeugen können: «Durch die Förderung einer abwechslungsreichen, breit abgestützten Diät, das Fortifizieren von Grundnahrungsmitteln und die Einnahme von Supplementen oder NEM», so Diego Moretti.
oxidgehalt in der Atmosphäre zusammenhängt (3). Kombiniert mit dem Klimaeffekt, Produktivitätseinbussen, Kohlendioxidgehalt und Düngung, ist der Proteingehalt in der Ernährung um 19.5 Prozent gesunken, bei Eisen um 14.4 Prozent und bei Zink um 14.6. Prozent.
Wer nimmt in der Schweiz Supplemente ein?
Eine Umfrage von menuCH zeigt, dass Schweizer insgesamt auch nur wenige NEM regelmässig zu sich nehmen (Männer keine 83,4%, Frauen 79,5%): Bei Frauen sind es insbesondere die älteren Frauen ab 60 Jahren, zudem Frauen im gebärfähigen Alter, die Folsäure supplementieren (Frauen 30 bis 44 Jahre: 13,1%).
Schweizer Ernährungsgewohnheiten
Ein Blick auf die Schweizer Ernährungsgewohnheiten, die von der menuCH-Studie eruiert wurden, zeigt, dass Schweizer zu viel Süsses, Salziges und Alkoholisches konsumieren und die Nahrung zu wenig Ballaststoffe enthält. Zwar werden täglich gesunde Öle und Nüsse zugeführt, aber insgesamt zu viele tierische Fette. Die meisten Schweizer verzehren zudem zu wenig Milchprodukte und insbesondere bei Gemüse und Früchten sind es nur rund die Hälfte der empfohlenen fünf Portionen, die verzehrt werden (1).
Versorgung in Europa
Mit Blick auf die Versorgung im europäischen Raum zeigt sich, dass bei den Vitaminen D, den Spurenelementen Eisen, Magnesium, Selen, Zink, Jod und den Elektrolyten Magnesium und Kalium die Versorgung suboptimal ist (2). Aktuelle Studien zeigen zudem, dass insbesondere der Gehalt von Protein, Eisen und Zink in der Ernährung mit dem erhöhten Kohlendi-
Versorgung mit Vitaminen und Spurenelementen
Beim Blick auf einzelne Vitamine und Spurenelemente zeigt sich folgendes Bild: Vitamin D: Bei Vitamin D ist die Evidenz hoch, dass Vitamin-Supplemente gegen Knochenbrüche schützen. So sinkt das Risiko femoraler Frakturen unter der Supplementation signifikant (95%KI 0,56–0,87) (4). Der Zielwert der Vitamin-D-Konzentration im Blutserum [25(OHD)] sollte über 50 nM liegen. Allein 50 Prozent der Schweizer Bevölkerung hat aber einen Wert, der darunter liegt (5). Dr. Moretti fragte deshalb, ob es nicht sinnvoll wäre, Nahrungsmittel mit Vitamin D anzureichern. Jod: 80 Prozent der Schweizer Haushalte kocht mit jodiertem Salz (6). Durch die Ausser-Haus-Verpflegung nimmt allerdings die Einnahme von nicht jodiertem Salz zu. Die Jodversorgung bei schwangeren Frauen nimmt in der Schweiz seit 2004 ab, obwohl dieser schwangerschaftsbedingt erhöht ist (7). Jodmangel erhöht das Risiko für Knotenstruma oder Kre-
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tinismus. Mögliche Lösungen sieht Diego Moretti in Gesprächen mit der Gastronomie oder Lebensmittelherstellern und so weiter, damit diese vermehrt jodiertes Salz benutzen, oder auch pharmazeutischen Firmen, die beispielsweise bei Schwangerschaftssupplementen wie Folsäuretabletten Jod hinzufügen könnten. Eisen: Eine Anämie betrifft (geschätzte) 30 bis 40 Prozent der (Welt-)Bevölkerung. Die Gründe hierfür sind unterschiedlich, aber bei 50 bis 60 Prozent der Betroffenen scheint die Anämie von einem Eisenmangel hervorgerufen zu sein. Obwohl verlässliche, repräsentative Daten für die Schweiz fehlen, kann angenommen werden, dass etwa 20 bis 30 Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter einen tiefen Eisenstatus aufweisen. Neue Studien zeigen, dass die Behandlung mit niedrigen Eisendosen, beispielsweise in Form von Tabletten, vom Körper besser absorbiert werden und auch weniger Nebenwirkungen erzeugen. Dies hängt mit der Hepcidinerhöhung während der Supplementation zusammen. Das Hormon Hepcidin ist der Hauptregulator des Eisentransports. Abschliessend hielt Dr. Moretti fest, dass 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung in der Schweiz nicht regelmässig Supplemente einnimmt. Mit einer ausgewogenen, breit abgestützten Ernährung ist das Risiko eines Mangels allerdings minimal. Jedoch suggerieren nicht repräsentative Daten einen potenziellen Mangel in der Versorgung mit Spurenelementen und Vitaminen. Repräsentative Daten des biochemischen Status in der Schweiz wären laut Moretti für eine gründliche Evaluierung des Risikos hilfreich. Momentan sollte der Fokus in der Versorgung mit Nahrungsergänzungsmitteln auf spezifische Bevölkerungsgruppen mit einem erhöhten Risiko gelegt werden (z.B. restriktive Diäten, vegane Ernährung, Frauen im gebärfähigen Alter, Schwangere, Kleinkinder, ältere Personen).
nützlich sein. Die gesamte Bevölkerung deshalb zu supplementieren, wäre aber nicht gerechtfertigt, so Rezzi. Stattdessen wäre es für Patienten mit Erkältungen interessant, individuell zu testen, ob Vitamin C prophylaktisch oder therapeutisch nützlich ist. Auch insgesamt sollte die Einnahme von Vitaminen nicht empfohlen werden. Fettlösliche Vitamine wie A und E können sich im Körper ansammeln und eine Vergiftung verursachen und/oder Krankheiten fördern. Bei Beta-Carotin erhöht der Verzehr von 20 bis 30 mg täglich beispielsweise das Risiko für Lungenund Mastdarmkrebs bei Rauchern erheblich. Zudem kann es zu Wechselwirkungen mit Medikamenten kommen. Hinzu kommt, dass bei den Produkten die Quelle nicht immer eindeutig ist. So liegt der Wert der Inhaltsstoffe bei 51 Prozent der Produkte unter oder über dem pharmakologischen Schwellenwert. Abschliessend hielt Rezzi fest, dass es solider und standardisierter Methoden bedarf, um Risiken, Wechselwirkungen und die Qualität der Nahrungsmittelergänzungen besser überprüfen zu können.
Polyphenole
Polyphenole sind in Früchten, Nüssen oder Wein enthalten. Sie sollen antiinflammatorisch wirksam sein, Krebs, Osteoporose, Diabetes vorbeugen und die Sterblichkeit senken. Allerdings basieren diese Erkenntnisse meist auf epidemiologischen Studien und sind in der Aussage durch die Ungenauigkeit der Methoden begrenzt, so Claudine Manach, Human Nutrition Uni in Clermont-Ferrand. Eine Supplementation sei zudem unnötig, da eine hohe Einnahme mit einer an pflanzlichen Produkten reichen Ernährung leicht zu erzielen ist.
Wirksamkeit der NEM
Nahrungsergänzung: alles wirksam? Diese Frage stellte Dr. Serge Rezzi, Direktor Swiss Vitamin Institute, Epalinges. Laut Studien konsumieren 26 Prozent der Schweizer ein Supplement. Nach Angaben von Rezzi nehmen diese allerdings meist nicht diejenigen ein, die einen Mangel haben, sondern eher Gesunde, die Krankheiten vorbeugen möchten, obwohl ein Mangel an hochwertigen Studien zur Wirksamkeit vorliegt. Die SU.VI.MAX-Studie (8) zeigt beispielsweise, dass eine niedrige Dosis an Antioxidanzien das Krebsrisiko und die Gesamtmortalität bei Männern reduziert, allerdings nicht bei Frauen. Die Autoren führen dies darauf zurück, dass Männer einen niedrigeren Ausgangswert als Frauen hatten. Sieht man sich Studien zu Erkältungen und der Prävention mit Vitamin C an, zeigt sich ebenfalls kein einheitliches Bild. Bei 8 Prozent der Erwachsenen und 14 Prozent der Kinder reduziert sich die Dauer von Schnupfen als auch die Schwere bei 1 bis 2 g Vitamin C täglich. Bei Personen, die kurzen Perioden intensiver Belastung ausgesetzt sind, kann Vitamin C daher
Quelle: Fachtagung der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung (SGE) 2019, «Supplemente – Sinn und Nutzen», 13. September 2019 in Bern Referenzen: 1. https://www.blv.admin.ch/blv/de/home/lebensmittel-und-ernaehrung/ ernaehrung/menuch.html 2. Mensink GB et al.: Mapping low intake of micronutrients across Europe, BR J Nutr 2013; 110(4):755–773. 3. Robert H Beach et al.: Combining the effects of increased atmospheric carbon dioxide on protein, iron, and zinc availability and projected climate change on global diets: a modelling study, Lancet Planetary Health 2019, Vol. 3, Issue 7, PE 307–E317. 4. Bethel M et al.: Risk factors for osteoporotic fractures in persons with spinal cord injuries and disorders. Osteoporos Int. 2016 Oct;27(10):3011– 3021. 5. https://www.eek.admin.ch/eek/de/home/pub/vitamin-d-mangel.html, letzter Zugriff am 16.10.2019 6. https://www.eek.admin.ch/eek/de/home/pub/jodversorgung-in-derschweiz-.html, letzter Zugriff am 16.10.2019 7. https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT02312466, letzter Zugriff am 16.10.2019. 8. Hercberg S, Galan P, Preziosi P, Bertais S, Mennen L, Roussel AM, Favier A, Briançon S: The SU.VI.MAX Study: a randomized, placebo-controlled trial of the health effects of antioxidant vitamins and minerals. Arch Intern Med. 2004 Nov 22;164(21):2335–2342.
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