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EFFORT-STUDIE
Ernährung ist wie Medizin
Interview mit Prof. Philipp Schütz, Kantonsspital Aarau
Jeder zweite bis dritte Patient in Schweizer Spitälern hat ein Risiko für Mangelernährung. Diese ist eng verbunden mit Komplikationen und hoher Sterblichkeit. Daten der EFFORT-Studie (1) zeigen, dass eine systematische Erfassung von Patienten auf Mangelernährung und eine Ernährungstherapie einen positiven Effekt auf den Verlauf der Erkrankung haben können. Im Interview gibt der EFFORT-Studienleiter Prof. Philipp Schütz, Chefarzt Allgemeine Innere und Notfallmedizin am Kantonsspital Aarau, Auskunft über die Konsequenzen der Studie und über zukünftige Studienpläne.
Philipp Schütz
Korrespondenzadresse: Chefarzt Allgemeine Innere & Notfallmedizin Titularprofessur an der Universität Basel Medizinische Universitätsklinik Kantonsspital Aarau Tellstrasse H7 5001 Aarau E-Mail: Philipp.Schuetz@ksa.ch
SZE: EFFORT ist eine Landmarkstudie. In den Medien wurde dieses wichtige Thema aber bislang noch wenig gewürdigt. Ist Ernährung nicht so wichtig wie beispielsweise ein Medikament? Prof. Philipp Schütz: Die EFFORT-Studie hat international viele positive Reaktionen ausgelöst, weil sie die Effizienz der Ernährungstherapie bei kranken Patienten beweist. Insgesamt ist Ernährung aber sicher etwas weniger neu und spektakulär wie andere Pharmatherapien und hat auch weniger Industrie-Interessen und Lobbying, was die Medien mitbeeinflussen kann. Gerade deshalb ist es enorm wichtig, nun das Problem der Mangelernährung und sinnvolle Lösungsansätze – wie in der EFFORT Studie praktiziert – mit der Bevölkerung und betroffenen Patienten zu diskutieren und das Wissen diesbezüglich zu schärfen.
Haben Sie am Kantonsspital Aarau bereits Konsequenzen aufgrund der Studienergebnisse gezogen? Schütz: Ja. Wir haben bei uns ein flächendeckendes, systematisches Screening für Mangelernährung eingeführt. Bei Patienten mit Risiko oder schon be-
EFFORT-Studie
Die vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützte randomisierte und kontrollierte EFFORT-Studie (Effect of Early Nutritional Therapy on Frailty, Functional Outcomes and Recovery of Undernourished Medical Inpatients Trial) konnte den Nutzen einer frühen Ernährungstherapie aufzeigen. Für die Studie wurden insgesamt 5015 Patienten aus 8 Schweizer Spitälern gescreent. In der Interventionsgruppe erhielten 1015 Patienten ein individuell festgelegtes Ernährungsziel mit festgelegter Kalorienzahl und festgelegter Menge an Eiweissen sowie ein Multivitaminsupplement. Patienten der Kontrollgruppe assen nach Appetit. Durch die Ernährungsintervention konnte das Risiko schwerer Komplikationen (22,9% vs. 26,9%; p = 0,023) und die Tag-30-Letalität reduziert werden (7,2% vs. 9,9%, p = 0,011). Die Number Needed to Treat zeigt, dass pro 25 behandelte Patienten eine schwere Komplikation wie eine Infektion und pro 37 behandelte Patienten ein Todesfall vermieden werden konnte. Zudem führte die Ernährungstherapie zu einer signifikanten Verbesserung der Funktionalität und der Lebensqualität.
Referenz: 1. Schuetz P, Fehr R, Baechli V, Geiser M, Deiss M, Gomes F et al.: Individualised nutritional support in medical inpatients at nutritional risk: a randomised clinical trial, Lancet 2019, Vol. 393, Issue 10188, 2312– 2321.
stehender Mangelernährung prüfen wir im interprofessionellen Team mit der Pflege und der Ernährungsberatung eine sinnvolle Ernährungsstrategie. Diese umfasst unter anderem auch Massnahmen in der Küche, wie beispielsweise eine mit Eiweiss angereicherte Kost oder mit Eiweiss angereicherte Zwischenmalzeiten und auch Trinknahrung, die dem Patienten angeboten wird.
Die Aufenthaltsdauer in den Spitälern nimmt immer mehr ab. Bleibt die Bedeutung von Ernährung trotzdem bestehen? Schütz: Patienten mit Mangelernährung bleiben typischerweise länger im Spital als solche ohne Mangelernährung. In unserer Studie waren es rund zehn Tage. In dieser Zeit kann sich der Ernährungszustand dramatisch verschlechtern, wenn wir dazu nicht Sorge tragen. Natürlich sollte auch bei entsprechender Konstellation nach dem Austritt eine Therapie weiterverfolgt werden. Gibt es Subgruppen, die besonders von der Ernährung im Spital profitieren? Schütz: In der EFFORT-Studie haben besonders Patienten mit chronischer Nierenerkrankung profitiert, aber auch solche mit höherem Risiko im Mangelernährungsscreening mit einem Nutritional Risk Score über 3.
Sind Folgestudien geplant? Schütz: Wir sind daran, Folgestudien zu planen. Das beinhaltet genauere Analysen der bestehenden klinischen Datenbank von Patienten der EFFORT-Studie, Analyse der Blutbank zum Thema Ernährungsbiomarker und auch Folgestudien, um zum Beispiel den Effekt der Ernährungstherapie im ambulanten Setting besser verstehen zu können.
Herr Prof. Schütz, wir danken Ihnen für das Interview!
Das Interview führte Annegret Czernotta auf schriftlichem Weg.
18 Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 4|2019