Transkript
MILCH IM FOKUS
Milchproduktion, gestern – heute – morgen
Ueli Wyss
Milchwirtschaft ist eine jahrhundertealte Schweizer Tradition. Das Wissen um die Pflege und den Erhalt von Weideland, die Tierhaltung und die Milchverarbeitung sind Gründe für eine hohe Qualität der Milch und der Milchprodukte.
Bei der Milchproduktion gibt es grosse Unterschiede zwischen den verschiedenen Regionen und dem Berg- und Talgebiet der Schweiz.
Grasland Schweiz
Die Schweiz ist ein Grasland. Mehr als zwei Drittel der landwirtschaftlichen Nutzfläche ist mit Gras bewachsen. Schon seit jeher ist das Wiesenfutter die bedeutendste Produktionsgrundlage für die Schweizer Landwirtschaft und dementsprechend auch das wichtigste Futter für Milchkühe. Ging der Trend vor einigen Jahren vermehrt in Richtung ganzjährige Stallfütterung, hat in den letzten Jahren die Weidehaltung wieder zugenommen.
Strukturwandel in der Milchproduktion
Mit der Liberalisierung des Schweizer Milchmarktes sind die Milchproduzenten gefordert, Produktivität und Effizienz zu erhöhen und gleichzeitig die Produktionskosten zu senken. Die relativ kleinen Strukturen und das hohe Kostenumfeld der Schweiz stellen die Betriebe dabei vor besondere Herausforderungen. Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass nicht unbedingt Höchstleistungen gefragt sind, sondern auch die Weidehaltung, gekoppelt mit tieferen Leistungen, wirtschaftlich interessant sein kann (1). Doch nicht alle Betriebe in der Schweiz sind in der Lage, die Kühe zu weiden.
Tabelle:
Anzahl Milchproduzenten und Milchkühe in der Schweiz
Jahr Anzahl Milchprodu- Anzahl Milch- Fläche pro
zenten Schweiz
kühe Schweiz Betrieb ha
1985 57 295
83 200
14,8
1990 50 334
791 800
16,5
1995 44 360
689 023
19,1
2000 38 082
615 645
19,1
2005 30 163
565 200
21,4
2010 26 097
566 047
23,0
2015 21 765
583 277
25,1
2018 19 568
589 185
26,8
Anzahl Milchkühe pro Betrieb 15 16 16 16 19 22 27 30
Die Anzahl der Betriebe, die Milchkühe zur Milchproduktion halten, ist in den letzten Jahren stets zurückgegangen (Tabelle). Teilweise werden anstelle von Milchkühen Mutterkühe zur Fleischproduktion gehalten. Als Konsequenz haben die Betriebsgrösse und auch die Anzahl Kühe pro Betrieb zugenommen. Ein Grund für den Strukturwandel ist sicher auch der Rückgang beim Milchpreis. Erhielt ein Landwirt 1992 im Durchschnitt 1.07 Franken für einen Liter Milch, waren es 2017 nur noch 0.58 Franken. In der Schweiz produzieren heute rund 20 000 Milchproduzenten mit 589 185 Milchkühen 3,4 Millionen Tonnen Milch pro Jahr. Im Durchschnitt bewirtschaftet ein Milchbetrieb 26 Hektaren Land, hält 30 Kühe und verkauft 164 000 Kilogramm Milch. Bei der Milchproduktion gibt es aber grosse Unterschiede zwischen den verschiedenen Regionen und dem Berg- und Talgebiet der Schweiz. Gut ein Drittel der Milchmenge ist von Kühen, die ohne Silage gefüttert werden. Diese Milch wird vor allem für die Hartkäseproduktion verwendet. Untersuchungen haben gezeigt, dass sich die Milch von Kühen, die mit Silage gefüttert wurden, bei sonst ähnlichen Voraussetzungen in stofflicher Hinsicht kaum von derjenigen von Kühen, die ohne Silage gefüttert wurden, unterschied. Unterschiede gab es aber bei den Buttersäurebakteriensporen (3). Seit 2016 gibt es in der Schweiz den Verein Heumilch Schweiz, der verschiedene Produkte unter dem Label Heumilch verkauft und der es verbietet, den Kühen Silage zu verfüttern. Rund 2180 Milchproduktionsbetriebe arbeiten in der Schweiz nach den Richtlinien des biologischen Landbaus. Insgesamt hat die Biomilchproduktion in den letzten Jahren stetig zugenommen und macht rund 10 Prozent aller Betriebe aus.
Milchleistungen
Die durchschnittlichen Milchleistungen pro Kuh und Laktation (305 Laktationstage) sind zwischen 1985 und 2017 bei allen Viehrassen stark gestiegen (Abbil-
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Abbildung 1: Entwicklung der Milchleistungen bei den drei Hauptviehrassen der Schweiz.
Abbildungen 3 und 4: Gesättigte und ungesättigte Fettsäuren in der Milch bei der Weide- und Stallherde.
Abbildung 2: Keim- und Zellgehalte der Schweizer Milch.
Abbildungen 5 und 6: Verlauf der Omega-3-Fettsäuren und der konjugierten Linolsäuren bei der Weide- und der Stallherde.
dung 1). Die höchsten Leistungen verzeichnete die als Milchrasse geltende Rasse Holstein. Beim Braun- und Fleckvieh, bei dem neben der Milch- auch die Fleischleistung wichtig ist, war der Anstieg weniger stark. Durch diese starken Leistungszunahmen wird die Spanne zwischen dem Bedarf der Tiere und demjenigen an eine artgerechte Ration (wiederkäuergerecht) immer grösser. Obwohl im Vergleich zu den Nachbarländern der Einsatz von Wiesenfutter in der Milchviehfütterung in der Schweiz verhältnismässig hoch und der Kraftfuttereinsatz relativ tief ist, konnte in den letzten Jahren doch ein Anstieg des Kraftfuttereinsatzes beobachtet werden (2).
Milchqualität
International betrachtet, steht die Schweiz in Bezug auf die Qualität der Kuhmilch mit an der Spitze. Diese Einschätzung basiert hauptsächlich auf der Keim- und der Zellzahl (4). Nur einige nordische Staaten (Norwegen, Finnland) weisen ähnlich gute Zellzahlen über die gesamte Milchproduktion auf. Durch die regelmässige Überwachung der Rohmilchqualität und die Anpassung der Anforderungen konnten die Parameter Keim- und Zellzahl stets verbessert werden (Abbildung 2).
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Graslandbasierte Milch
In den Jahren 2008 bis 2010 wurden mit dem Projekt «Systemvergleich Milchproduktion Hohenrain» zwei unterschiedliche Milchproduktionssysteme – weidebetontes System versus Stallfütterung mit Gras- und Maissilagen – verglichen (5). Durch das Milchproduktionssystem beziehungsweise die Fütterung wurde das Fettsäurenmuster der Milch beeinflusst. So wies die Milch der Weideherde weniger gesättigte und mehr einfach sowie mehrfach ungesättigte Fettsäuren auf (Abbildungen 3 und 4). Im Speziellen konnten höheren Gehalte an CLA (konjugierte Linolsäure) und Omega-3-Fettsäuren bei der Weideherde im Vergleich zur Stallherde festgestellt werden (Abbildungen 5 und 6). Die Gehalte an CLA und Omega-3-Fettsäuren waren aber in der Milch zu gering, und eine Auslobung der höheren Gehalte in der Weidemilch ist nach schweizerischem Recht nicht gestattet.
Tierwohl
Tierschutz und Tierwohl sind in der Gesellschaft zunehmend wichtige Argumente beim Kauf von Lebensmitteln tierischer Herkunft. Eine neue Studie des Vereins Qualitätsstrategie Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft, durchgeführt von Agridea, belegt nun wissenschaftlich, dass Schweizer Milchkühe, Rindvieh und Kälber von einer überdurchschnittlich strengen Tierschutzgesetzgebung profitieren. Agrarpolitische Steuerungsinstrumente wie Raus (regelmässiger Auslauf im Freien) und BTS (Besonders Tierfreundliche Stallhaltungssysteme) unterstützen diese Bestrebungen. Die staatlichen Tierwohlprogramme Raus (83% der Betriebe und 86% der Milchkühe) und BTS (37% der Betriebe und 51% der Milchkühe) wurden von der Praxis sehr gut aufgenommen.
Futterqualität
Wiesenfutter und dessen Konserven (Silage oder Dürrfutter) sind die wichtigsten Futtermittel für die Milchkühe. Die jährlich durchgeführten Futterenqueten vermitteln eine Übersicht zur regionalen und gesamtschweizerischen Qualität der Silagen und des Dürrfutters. In den letzten Jahren hat sich die Qualität
dieser Futtermittel im Durchschnitt nicht stark verändert. Doch zwischen Regionen und Betrieben gibt es grosse Unterschiede. Dabei sind die Witterungsverhältnisse, die den Schnittzeitpunkt und dadurch die Nährstoffgehalte beeinflussen, entscheidend. Die AGFF (Arbeitsgemeinschaft zur Förderung des Futterbaus), die bereits 1934 gegründet wurde, verfolgt das Ziel, standortgerecht und umweltschonend genügend Wiesenfutter zu erzeugen, das es erlaubt, einen möglichst hohen Anteil der tierischen Leistung auf wirtschaftliche Weise mit betriebseigenem Futter zu produzieren. Mit Merkblättern und Tagungen werden die Landwirte über die neuesten Ergebnisse aus der Forschung zum Futterbau und zur Futterkonservierung informiert.
Digitalisierung in der Milchproduktion
Die Zukunft der Milchproduktion liegt auch in der Digitalisierung. So werden in den Milchviehställen vermehrt Melk- und Fütterungsroboter eingesetzt. Der Hauptgrund liegt in der Arbeitserleichterung und der Zeiteinsparung. Ob sich solche Investitionen lohnen, muss die Entwicklung des Milchpreises zeigen.
Korrespondenzadresse: Ueli Wyss, Dipl. Ing. Agr. ETHZ Wissenschaftlicher Mitarbeiter Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) Agroscope Produktionssysteme Tiere und Tiergesundheit (PST) Tioleyre 4 Postfach 64 1725 Posieux E-Mail : ueli.wyss@agroscope.admin.ch
Literatur: 1. Gazzarin C, Haas T, Hofstetter P, Höltschi M: Milchproduktion: Frischgras mit wenig Kraftfutter zahlt sich aus. Agrarforschung Schweiz 2018, 9 (5), 148–155. 2. Reidy B, Ineichen S: Rationenzusammensetzung und Futterautonomie von Schweizer Milchproduktionsbetrieben. 59. Jahrestagung der AGGF in Aulendorf, Tagungsband 2015, 35–39. 3. Schaeren W, Maurer J, Luginbühl W: Kaum Unterschiede zwischen Silo- und silofreier Milch. Agrarforschung Schweiz 2005; 12(1), 34–39. 4. Schmid A: Milchqualität. Schweiz Z Ernähr med 2012; 1: 24. 5. Wyss U, Maurer J, Frey H, Reinhard T, Bernet A, Hofstetter P: Systemvergleich Milchproduktion Hohenrain. Aspekte zur Milchqualität und Saisonalität der Milchlieferungen. Agrarforschung Schweiz 2011; 2 (9): 412–417.
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