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Die SIRT-Food-Diät
Anibh Martin Das
Übergewicht ist ein zentrales Gesundheitsproblem, basierend auf Fehlernährung und Bewegungsmangel. Gegenmassnahmen sind Kalorienreduktion beziehungsweise Fasten und körperliche Aktivität. Hierdurch kommt es zum Anstieg von Sirtuinen im menschlichen Organismus. Sirtuine sind kleine Regulatorproteine des Energie- und Hormonhaushalts und führen zu einer Aktivierung des Energiestoffwechsels. Bestimmte Lebensmittelinhaltsstoffe können – unabhängig von Fasten und körperlicher Aktivität – zu einem Anstieg der Sirtuine führen und somit den Energiestoffwechsel aktivieren. Die SIRT-Food-Diät kombiniert die Aufnahme bestimmter Lebensmittel oder spezifischer Inhaltsstoffe mit Bewegung, wodurch es zur Gewichtsreduktion und anderen nützlichen Prozessen kommen soll. Hierzu liegen jedoch keinerlei kontrollierte klinische Studien vor. Insofern fehlt der klinische Beweis, dass die SIRTFood-Diät wirksam ist.
Einleitung
Menschen in den westlichen Industrieländern leiden oft an lebensstilbedingten gesundheitlichen Problemen aufgrund von unausgewogener (Fehl-)Ernährung und Bewegungsmangel. Es kommt zu Adipositas, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus, bösartigen Neubildungen und so weiter. Die Adipositas ist kein neues Phänomen, bereits vor mehreren tausend Jahren wurde über Einzelfälle von Adipositas berichtet (1); die Häufigkeit in der Bevölkerung hat jedoch stark zugenommen.
Abbildung: Sirtuine und Gewichts-/Energiehomöostase
Eine Primärprävention der Adipositas scheitert oft an mangelnden Symptomen und dem schleichenden Verlauf der Erkrankung. Denn die Prävention nach Ausbruch von Erkrankungssymptomen gestaltet sich oft schwierig, da die Bereitschaft, Gewohnheiten zu verändern, gering ist, und sich dies oft nicht problemlos in den Alltag integrieren lässt. Insbesondere der Verzicht auf seit frühester Kindheit gewohnte Lebensmittel fällt schwer. Zudem haben Diäten zum Abnehmen häufig keinen oder nur einen temporären Effekt aufgrund mangelnder Compliance. Wünschenswert sind Substanzen, die zusätzlich eingenommen werden und die dazu führen, dass unter Beibehaltung der Gewohnheiten keine Notwendigkeit besteht, auf Gewohntes zu verzichten. Ganz ohne Veränderungen wird es jedoch nicht gehen. Sportliche Aktivitäten sind essenziell, und auch Fehlernährung ist nicht sinnvoll und sollte zugunsten einer ausgewogenen Ernährung verändert werden. Immer wieder werden neue Diäten mit dem Ziel der Gewichtsabnahme konzipiert, so auch die SIRT-FoodDiät, die 2016 erstmals von den britischen Ernährungswissenschaftlern Aidan Goggins und Glen Matten vorgeschlagen wurde (2). In dieser Diät wird Bezug genommen auf Sirtuine (SIRT), denen diverse regulatorische Funktionen im Körper zugeschrieben werden, insbesondere die Regulation von Stoffwechsel, oxidativem Stress, Krebsentstehung und Altern. Im Folgenden steht der Einfluss auf das Gewicht im Vordergrund. Kalorienreduktion, möglichst kombiniert mit sportlicher Aktivität, hat zweifelsohne einen positiven Effekt auf die Gewichtsentwicklung. Beides
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führt zur Induktion von Sirtuinen als regulatorischen Enzymen (3, 4).
Sirtuine und Stoffwechsel
Beim Menschen sind 7 Sirtuine bekannt: SIRT 1, SIRT 6 und SIRT 7 sind primär im Zellkern lokalisiert, SIRT 2 im Zytosol und SIRT 3, SIRT 4 und SIRT 5 in den Mitochondrien. Sirtuine sind zum grössten Teil NAD-abhängige Proteindeacetylasen und regulieren die Aktivität von Enzymen (3). SIRT 1 aktiviert Gene, die für Enzyme der Fettsäureoxidation kodieren (5). SIRT 1 fördert die Biogenese von Mitochondrien, den «Kraftwerken» der Zelle (6), und steigert die Verbrennung von Substraten wie Glukose und Fettsäuren. Insbesondere die mitochondrialen Sirtuine besitzen regulatorische Effekte auf den Energiestoffwechsel (7). SIRT 3 stimuliert Komplex I bis III (8–10) sowie die ATP-Synthase (11–13) der mitochondrialen Atmungskette. SIRT 3 aktiviert die langkettige AcylCoADehydrogenase (LCAD), ein Schlüsselenzym in der mitochondrialen Fettsäureoxidation (14). SIRT 4 hingegen hemmt die Aufnahme langkettiger Fettsäuren in die Mitochondrien durch Akkumulation von MalonylCoA (15) und damit die Fettsäureoxidation. SIRT 3 hat darüber hinaus einen aktivierenden Effekt auf die Ketogenese (16, 17). SIRT 4 hemmt auch die Insulinausschüttung aus dem Pankreas (18). SIRT 5 hat einen anregenden Effekt auf den Energiestoffwechsel, indem sowohl Enzyme des Zitratzyklus als auch der Fettsäureoxidation aktiviert werden (19). Darüber hinaus begünstigt SIRT 1 die Mobilisation von Fett aus weissem Fettgewebe (20) (Abbildung).
Beeinflussung durch Nahrungsstoffe
Kalorienrestriktion führt zur Aktivierung von Sirtuinen, durch Aktivierung des Energiestoffwechsels kommt es zu einem schnelleren Gewichtsverlust (21). Bestimmte Lebensmittel oder definierte Inhaltsstoffe sollen diese Aktivierung der Sirtuine und des Energiestoffwechsels ohne Fasten herbeiführen, praktisch den Fastenzustand metabolisch nachahmen. Bei den meisten dieser Substanzen handelt es sich um pflanzliche Bestandteile, deren Wirkung dosisabhängig ist. Sie sind in höheren Dosierungen potenziell toxisch, wobei vielfach nur wenige Daten zur Sicherheit vorliegen. In Hefen, Drosophila, Mäusen und Ratten wurde versucht, durch solche Substanzen die Aktivität von Sirtuinen zu beeinflussen. Resveratol kommt natürlich in Weintrauben, Pterostilbene kommen in Blau-/Himbeeren vor, diese führen in vitro zur Aktivierung von SIRT 1 (22, 23). Resveratol hat in vitro einen SIRT-1abhängigen antioxidativen Effekt und schützt so vor «oxidativem Stress» (24). Resveratol aktiviert im Tiermodell ferner SIRT 3–5 (25). Polyphenole aus grünem Tee führen zu vermehrter SIRT-3-Expression in Ratten (26, 27). Curcumin aktiviert SIRT 1 und damit auch den Energiestoffwechsel (28). Empirisch wird Curcumin bereits seit mehr als 6000 Jahren in der
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Tabelle:
Leicht modifizierte Tabelle der sirtuinwirksamen Substanzen im SIRT-Food (Top 20) (2)
SIRT-Food Bird Eye Chilies Buchweizen Kapern Sellerie, inkl. Blätter Kakao Kaffee Olivenöl extra vergine Grüntee, insbesondere Matcha-Grüntee Grünkohl Liebstöckel Medjool Datteln Petersilie Roter Chicorée Rote Zwiebeln Rotwein Rucola Soja Erdbeeren Kurkuma Walnüsse
Sirtuinaktivator Luteolin, Myricetin Rutin Kaempferol, Quercetin Apigenin, Luteolin Epicatechin Kaffeesäure, Chlorogensäure Oleuropein, Hydroxytyrosol Epigallocatechingallat Kaempferol, Quercetin Hydroxytyrosol Gallussäure, Kaffeesäure Apigenin, Myricetin Luteolin Quercetin Resveratol, Piceatannol Kaempferol, Quercetin Daidzein, Formononectin Fisetin Curcumin Gallussäure
ayurvedischen Medizin bei diversen Indikationen eingesetzt, wobei hierzu aber nicht explizit die Gewichtskontrolle gehört (29). In vitro konnte gezeigt werden, dass Stoffe wie Resveratol, Curcumin und Berberin einen synergistischen Effekt auf SIRT 1 haben (30). Die Tabelle gibt einen Überblick über Substanzen, welche die Sirtuinfunktion beeinflussen.
SIRT-Food-Diät
Die SIRT-Food-Diät umfasst mehrere Phasen. Während der einwöchigen Phase 1 soll eine Reduktion der Energiezufuhr auf maximal 1000 Kalorien erfolgen, kombiniert mit der Einnahme von SIRT-Food. Darunter soll es zu einer Abnahme des Körpergewichts von zirka 3 kg kommen, bei einer Zunahme der Muskelmasse (2). Auf die initiale Phase folgt Phase 2, in der nicht so sehr auf Kalorien geachtet wird, vielmehr liegt der Schwerpunkt auf einer möglichst SIRT-Foodreichen Ernährung. Eine Liste mit 20 besonders wirksamen SIRT-Foods wird den Anwendern an die Hand gegeben (Tabelle). In der daran anschliessenden Erhaltungsphase soll auf eine SIRT-Food-bewusste Ernährung mit Eiweiss und Omega-3-Fettsäuren geachtet werden (2). Es wurde auch eine vegane beziehungsweise vegetarische Form der SIRT-Food-Diät beschrieben (2).
Fakt oder Fiktion?
Die oben beschriebenen Auswirkungen von Sirtuinen auf den Stoffwechsel beziehen sich nahezu ausschliesslich auf Tier- und/oder In-vitro-Experimente. Die Effekte waren zum Teil organ- oder gewebespezifisch, auch wurden sie durch experimentelle Bedingungen beeinflusst, spiegeln also nicht notwendigerweise die Situation im menschlichen Körper wider. Eine Erhöhung der Enzymkapazität bedeutet nicht unbedingt, dass auch der Substratumsatz über dieses Enzym erhöht ist, es sei denn, es handelt sich um das geschwindigkeitslimitierende Enzym für den betreffenden Stoffwechselvorgang. Ähnliches gilt für die Auswirkung bestimmter Lebensmittelinhaltsstoffe auf die Sirtuinfunktion, auch hier gibt es vorwiegend In-vitro-Daten beziehsungsweise tierexperimentelle Befunde. Allerdings zeigte eine Studie bei übergewichtigen Männern einen positiven Effekt des Sirtuinaktivators Resveratol auf die Gewichtsentwicklung und andere Stoffwechselparameter (21). Die Wirkung insbesondere von pflanzlichen Bestandteilen ist dosisabhängig: Niedrige Dosen haben meist einen positiven Effekt (Hormesis), während hohe Dosen potenziell toxisch sind. Diese Effekte sind oft organspezifisch (31). Das Konzept der SIRT-Food-Diät klingt vielversprechend, kontrollierte Studien am Menschen sind jedoch erforderlich, um den Effekt der SIRT-Food-Diät zu überprüfen. Insbesondere die Dosisabhängigkeit der SIRT-Food-Bestandteile muss untersucht werden. Da die SIRT-Food-Diät mit Kalorienrestriktion kombiniert wird, lässt sich nicht ohne Weiteres zwischen dem Effekt der Kalorienreduktion und dem Effekt der Ernährungsumstellung differenzieren. Bisher sind keine entsprechenden kontrollierten Studien mit Bestimmung der Konzentration von Lebensmittelinhaltsstoffen im Blut/Gewebe in wissenschaftlichen Zeitschriften publiziert worden, lediglich populärwissenschaftliche Bücher sind erschienen (2).
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Anibh Martin Das Kinderklinik der Medizinischen Hochschule Hannover Klinik für Pädiatrische Nieren-, Leber- und Stoffwechselerkrankungen Pädiatrische Stoffwechselmedizin Carl Neuberg Str. 1 D-30625 Hannover E-Mail: das.anibh@mh-hannover.de
Es besteht kein Interessenkonflikt.
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