Transkript
SERIE: ALLGEMEINE ERNÄHRUNGSEMPFEHLUNGEN FÜR PATIENTEN MIT MAGEN-DARM-ERKRANKUNGEN
zum ausschneiden
Teil IV: Die Therapie der chronischen Obstipation im Kindesalter
Hintergrund
Die chronische Obstipation (Verstopfung) ist ein sehr häufiges Problem im Kindesalter; weltweit wird die Häufigkeit mit 3 Prozent angegeben. In 17 bis 40 Prozent der Kinder beginnt die chronische Obstipation im ersten Lebensjahr. Sie tritt häufig mit seltener und/ oder schmerzhafter Stuhlentleerung (Defäkation), Stuhlinkontinenz und chronischen Bauchschmerzen auf. Diagnostiziert und eingeteilt wird die chronische Verstopfung mit normaler Passagezeit (auch funktionelle Verstopfung genannt) nach den Rom-IV-Kriterien, wenn mindestens zwei der folgenden Kriterien erfüllt sind: • Wöchentlich weniger als zwei Stuhlentlee-
rungen • Auftreten einer Stuhlinkontinenzepisode
mindestens einmal pro Woche, dies nachdem das Kind sauber geworden ist • Beobachtung von Stuhlrückhaltemanövern • harte Stühle und schmerzhafte Entleerung • Vorliegen grosser Stuhlmassen im Enddarm • Angaben von grossvolumigen Stühlen.
Eine kausale (ursächliche) Therapie ist nur möglich, wenn die Verstopfung auf einen äusseren Grund zurückgeführt werden kann. Ansonsten orientiert sich die Behandlung an den Symptomen, die behandelt werden. Diese hat eine vollständige und regelmässige Stuhlentleerung zum Ziel. Die Stuhlentleerung soll täglich oder zumindest jeden zweiten Tag erfolgen, ohne Defäkationsschmerz sein und ohne unwillkürlichen Stuhlabgang bei Kindern, welche vorher sauber waren.
Allgemeine Massnahmen Die korrekte und geduldige Aufklärung der Eltern und – wenn möglich – der Kinder über die Obstipation und deren Ursache ohne Schuldzuweisungen ist essenziell. Bei den Erklärungen soll auch über den Mechanismus der Stuhlentleerung im Kindesalter berichtet werden. Meistens handelt es sich nicht um eine Motilitätsstörung des Darms, sondern um eine Koordinationsproblematik der Stuhlentleerung. Auslöser ist in der Regel ein mit der Stuhlausscheidung unangenehmes Erlebnis. Der Stuhl sammelt sich im Enddarm an, erweitert diesen, sodass mehr Stuhl ausgeschieden werden muss, die nächste Stuhlpassage führt dadurch erneut zu schmerzhaften Erfahrungen beziehungsweise verstärkt diese. Schliesslich verselbstständigt sich dieser Vor-
gang im Sinne eines Circulus vitiosus, auch wenn der Auslöser längst beseitigt ist. Viele Kinder zeigen zudem ein paradoxes Stuhlverhalten: Während des Pressens spannen die Kinder (meist unbewusst!) den äusseren Schliessmuskel an, statt diesen zu entspannen.
Ernährung Eine ballastoffreiche Kost mit adäquater Flüssigkeitszufuhr wurde in der Vergangenheit immer als hilfreiche Therapie bei der Behandlung der chronisch funktionellen Obstipation im Kindesalter erwähnt. Allerdings zeigen Studien keine eindeutige Evidenz, dass die Gabe von ballaststoffreicher Ernährung die funktionelle Obstipation im Kleinkindesalter tatsächlich positiv begünstigt. Eine ausgewogene Ernährung ist aber für die allgemeine Gesundheit und andere gesundheitliche Aspekte des Intestinaltraktes (Verdauungstrakt) immer mitzuberücksichtigen. Bei Kindern mit einer Entwicklungsverzögerung kann eine ballaststoffreiche Kost sogar eine negative Auswirkung auf die Motilität (Beweglichkeit) des Kolons haben, da diese gerne verklumpt und somit für den Dickdarm schwer zu transportieren ist. Es gibt ebenfalls keinen eindeutigen Beweis dafür, dass eine zusätzliche Flüssigkeitszufuhr einen positiven Effekt auf die chronisch funktionelle Obstipation hat. Eine regelmässige körperliche Aktivität hat erfahrungsgemäss einen positiven Effekt auf die Motilität des Intestinaltraktes. Allerdings fehlen dazu fundierte Studien im Kindesalter.
Toilettentraining Kinder über zwei bis drei Jahre sollten regelmässig zu einem Toilettengang aufgefordert werden: Am besten fünf Minuten nach den Hauptmahlzeiten. Das Abstützen der Füsse und ein geeigneter Toilettensitz erleichtern die Stuhlentleerung. Das Durchführen eines Stuhlprotokolls ist für den Arzt und auch für die Familie wichtig. In einigen Fällen kann eine Biofeedbacktherapie sinnvoll sein.
Medikamentöse Massnahmen Bei Säuglingen kann man initial mit GlycerinSuppositorien oder Microklist® die Entleerung des Stuhls einleiten. Auf salinische (salzhaltige) und phosphathaltige Klysmen sollte bei Kleinkindern, behinderten Kindern oder Kindern mit Nierenerkrankungen wegen der Gefahr einer Hyperphosphatämie oder Hypokalzämie verzichtet werden. Auch sollte auf die rektale Manipulation, das heisst auf die Entlee-
rung des Enddarms mit den Fingern, bei Kleinkindern wenn immer möglich verzichtet werden. Grund ist, dass diese Kinder mit chronischer Obstipation oft sehr viel Angst haben und auch auf traumatisierende Erfahrungen zurückblicken, oft bringt der Verzicht auf eine rektale Manipulation oder die Gabe von Zäpfchen oder Microklist® eine Beruhigung der Gesamtsituation. In solchen Fällen kann die Stuhlentleerung auch sehr gut mit Polyethylenglykolpräparaten (PEG) initiiert werden. Bei Klein- und Schulkindern kann die Entleerung mit Bisacodyl-Zäpchen (Prontolax® oder Dulcolax®) oder mit Polyethylenglykol (PEG) 3350 bis 4000 (Macrogol) eingeleitet werden. Dazu gibt man rund 1 bis 1,5 g PEG/kg Körpergewicht und Tag über drei bis vier Tage, dann erfolgt die Reduktion der Dosis. Die PEG-Präparate wirken besser als Laktulose, Magnesium, Paraffinöl oder Plazebo. Nach der Stuhlentleerung ist die Erhaltungstherapie zentral, welche vor allem aus Stuhltrainingsmethoden und der medikamentösen Therapie besteht.
Erhaltungstherapie Verwendet werden vor allem die MacrogolMedikamente in einer Dosis von 0,2 bis 1 g/kg Körpergewicht/Tag. In der Regel wird eine Therapiezeit von drei bis sechs Monaten empfohlen. Allerdings dauert es manchmal wesentlich länger (bis zu 2 Jahre), bis die Therapie langsam ausgeschlichen und abgesetzt werden kann. Alternativ können auch Laktulosepräparate in einer Dosis von 1 bis 2 ml/kg Körpergewicht/ Tag eingesetzt werden. Diese sind weniger wirksam und haben mehr Nebenwirkungen (z.B. Bauchschmerzen und Meteorismus) und müssen auch häufiger in steigernder Dosierung gegeben werden, da die bakterielle Darmflora die Laktulose abbauen kann. Paraffinöl, welches auch in einer Dosis von 1 bis 2 ml/kg Körpergewicht und Tag gegeben wird, sollte sehr zurückhaltend eingesetzt werden. Grund dafür ist, dass diese Präparate mögliche Lungenkomplikationen haben können, wenn das Kind Paraffinöl aspiriert wird. Zudem ist eine Malabsorption bei hoher Dosierung möglich. CO2-freisetzende Suppositorien (z.B. Lecicarbon®) sind bei einigen Kindern zur Stuhlkonditionierung hilfreich.
Korrespondenzadresse: Dr. med. George Marx, Ostschweizer Kinderspital Leitender Arzt, Gastroenterologie und Ernährung MAS Health Management Claudiusstrasse 6, 9006 St. Gallen E-Mail: george.marx@kispisg.ch
Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 1|2019 25