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BARIATRISCHE CHIRURGIE
Ernährungspsychologische Beratung nach bariatrischen Eingriffen
Jsabella Zädow und Natalie Zumbrunn-Loosli
Ein bariatrischer Eingriff ist für jeden Patienten ein eindrücklicher und bedeutungsvoller Meilenstein in seiner Adipositasgeschichte. Daran sind viele Erwartungen und Hoffnungen geknüpft, die in der langfristigen Nachsorge in die ernährungspsychologische Beratung aufgenommen und zusammen mit dem Patienten umgesetzt werden. Der Weg dorthin hat allerdings wenig mit Feenzauber zu tun, sondern mit einer fokussierten Arbeit an einer individuellen Umstellung zu einem flexibel kontrollierten Essverhalten.
Gewohnheiten zu verändern ist ein langwieriger und anstrengender Prozess. Langjährige, tief verankerte Essverhaltensmuster lassen sich nicht von heute auf morgen ändern. Ein Wandel beginnt Schritt für Schritt im achtsamen Umgang mit sich selbst und dem eigenen Körper. Es benötigt eine trennscharfe Analyse der Essstrategien im Alltag, um frei zu entscheiden, was verändert werden will. Das langfristige Ziel ist, Wohlbefinden, positive Gedanken und Gefühle dem Essen gegenüber zu entwickeln. Daraus entstehen wertvolle Erfahrungen, die ein ausgewogenes und bewusstes Essverhalten wirkungsvoll fördern. Es bedarf der achtsamen Selbstbeobachtung, der Entwicklung von alternativen Strategien, kombiniert mit langfristigem Training. Im Idealfall zeigt sich eine Veränderung vom automatisiert-emotionalen hin zu einem bewussten, genussvollen Essen. Die Herausforderungen der Ernährungsumstellung variieren im kurz-, mittel- und langfristigen postoperativen Verlauf. Manchmal lassen sich längere, problemlose Abschnitte beobachten, dann wiederum ergeben sich vermehrt Schwierigkeiten im Alltag. Ein multifaktorielles Problem wie die Adipositas benötigt einen Facettenreichtum an Lösungsvarianten. In der Langzeitbetreuung will die ernährungspsychologische Beratung die Patienten in ihrer Lösungsfindung individuell begleiten. Tabelle 1 zeigt mögliche Themenfelder, unterteilt in vier Phasen, die in der Beratung unterschiedlich ausgeprägt sichtbar werden. Es hilft dem Patienten sowie auch der Ernährungsberatung, einen Überblick über die möglichen Themen zu schaffen, diese zu priorisieren und in einer Behandlungsstrategie festzuhalten.
Ein Fallbeispiel in verschiedenen Prozessschritten
Ausgangslage: 24-jährige Patientin, proximaler Magenbypass, maximaler Body-Mass-Index (BMI) vor
Operation (OP): 38,4 kg/m2, adipositasassoziierte Komorbiditäten: arterielle Hypertonie, Schlafapnoesyndrom, ausserdem psychiatrische Diagnosen. Krankenschwester mit drei Arbeitsschichten. Lebt in einer Partnerschaft. Phase 1: Die grössten Einschnitte erlebt die Patientin im Bereich Essens- und Zeitgestaltung. Der 3-SchichtBetrieb, die kurzen und unregelmässigen Arbeitspausen und ihr gewohnt schnelles Esstempo sind für die Patientin nach der OP eine grosse Herausforderung. Das «Nebenbeiessen» oder Essen in Begleitung mit SMS und E-Mails ist nicht mehr möglich. Es benötigt einen achtsamen Rhythmuswechsel mit genügend Pausenzeiten.
Erste Phase – «Honeymoon»
In der Frühphase nach der OP benötigt es ein enges Begleitmanagement seitens der Ernährungsberatung. Ein wichtiger Erfolgsfaktor für das Outcome ist, dass sich der Patient seiner verantwortungsvollen Rolle bewusst ist. Je früher er im Vorfeld aufgeklärt wurde, umso einfacher kann er in der Veränderungsphase notwendige Massnahmen umsetzen. Spannend für den späteren Verlauf ist es, wenn der Patient in dieser Phase ein Fotoprotokoll erstellt. So kann in späteren Phasen darauf zurückgegriffen und verglichen werden. Cooper spricht von der Essprotokollauswertung aus dem Flugmodus (1). Diese Analyse vergleicht Protokolle aus unterschiedlichen Phasen nach Veränderung, Erfolgen, offenen Themenfeldern, Stolpersteinen und Rückfallprophylaxe-Vorschlägen. Vonseiten der Ernährungsberatung geht es darum, den Kostaufbau einerseits leitlinienadäquat durchzuführen (2, 3) und andererseits die individuellen Unverträglichkeiten des Patienten zu berücksichtigen, ausserdem allfällige Schwierigkeiten frühzeitig zu erkennen. Oberste Priorität hat in der Frühphase die Kostverträglichkeit bei gleichzeitig angemessener Nährstoffversorgung (4).
Jsabella Zädow Natalie Zumbrunn-Loosli
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BARIATRISCHE CHIRURGIE
Die Fachgruppe Bariatrie des Schweizerischen Verbandes der Ernährungsberater/innen SVDE hat die aktuelle Literatur in ernährungstherapeutischen Keypoints zusammengefasst (5) (Kasten). Neben den Makronährstoffen ist es weiter wichtig, die Einnahme der Vitamin- und Mineralstoffsupplemente zu automatisieren und die nachfolgenden Essregeln nach Bariatrie anzugehen. Dazu gehört ein geregelter Mahlzeitenrhythmus, langsames Essen ohne Ablenkung, bewusste Auswahl des Essortes, ausreichendes Kauen, keine Flüssigkeit zu den Mahlzeiten und das Respektieren der vorzeitigen Sättigung (4). Wer langsam isst, verzeichnet weniger Erbrechenund postprandiale Unwohlepisoden, was zu einer guten Essqualität führt. Den Genuss stufen diese Patienten als besonders wichtig ein. Laut Hauck und Ellrott sind für genussvolles Essen vor allem guter Geschmack, Zeit, Ruhe und Entspannung notwendig. Der Anstoss zum speziellen Genuss- und Achtsamkeitstraining kann möglicherweise den Outcome in der Gewichtsstabilisierung verbessern (6).
Zweite Phase – «Jede Veränderung im Essverhalten zahlt sich aus»
Fortsetzung Fallbeispiel nach 18 Monaten postoperativ: tiefstes Gewicht bei BMI 23,9 kg/m2, keine adipositasassoziierten Komorbiditäten mehr vorhanden, grundsätzlich sehr zufrieden mit der neuen Lebensqualität, ausser den störenden Hautlappen. Erste Anzeichen von Früh- und Spätdumpingsymptomen. In der zweiten Phase steht der entspannte Umgang mit dem Essen im Zentrum. Es geht darum, die bisherigen Erfolge zu würdigen und das neu entwickelte Essverhalten zu reflektieren. Gleichzeitig können die verschiedenen Ernährungsfelder in regelmässigen Abständen standardisiert gescreent werden. Dazu eignet sich ein Ernährungscheck (Tabelle 2). Nach dieser Standortbestimmung wird das weitere Prozedere mit dem Patienten übersichtlich dargestellt festgehalten, um gemeinsam die weiteren überprüfbaren Ziele zu formulieren. Diese gilt es bewusst durch Verstärker-
strategien wie Belohnen, soziale Kontakte, Ausüben von neuen Hobbys zu stützen. Bei ersten Anzeichen von Dumpingepisoden ist es wichtig, den Patienten aufzuklären, dass Dumping durch den schnellen Übertritt von hyperosmolarem Speisebrei vom Magen in den Dünndarm verursacht werden kann. Es ist dann elementar, leicht resorbierbare Kohlenhydrate weiterhin wegzulassen und die Relation von Kohlenhydrat zu Protein sowie den EssTrink-Abstand konsequent zu berücksichtigen (7). Dumpings können darauf hinweisen, dass der Betroffene wieder ins alte Essmuster zurückfällt. Denn das Essverhalten ist besonders stabil und veränderungsresistent, zudem oft auch stark automatisiert. Gerade Stresssituationen verlangen aber ein hohes Mass an Selbstregulationsmechanismen. Da die Aufmerksamkeit im Stress anderweitig gebraucht wird, kann das automatisierte (alte) Essverhalten dann nur schwer unterbrochen werden. Dies führt zu wiederholten Fehlschlägen und damit zur Verminderung der bisher erreichten Selbstwirksamkeit. Ein Achtsamkeitstraining unterstützt, bewusst präsent zu bleiben und die Essabläufe sorgsam wahrzunehmen. Es wird nicht nur auf Geschmack, Geruch oder Aussehen von Nahrungsmittel fokussiert, sondern auch auf aktuelle Körperempfindungen, Gefühle oder Gedanken. Das achtsame Essen steht also als klarer Kontrapunkt zu automatisierten Essmustern. Dies ist eine Ausrichtung, die Erfolg und Genuss verspricht (8, 9). Verhaltenstherapeutische Strategien ergänzen in dieser Phase die diätetischen Empfehlungen. Sie wirken synergetisch zur edukativen Ernährungstherapie. Dazu gehört die Selbstbeobachtung von Verhalten und Fortschritten bezüglich Nahrungsmittelspektrum, Essensmenge und Essensmotiven. Es geht darum, Ess- und Trinkstimuli zu identifizieren, die Auslöser im sozialen Umfeld frühzeitig zu erkennen, um mit alternativen Strategien reagieren zu können. Mit dem Bearbeiten von dysfunktionalen Gedankenmustern werden sich Patienten ihren Bewertungen und Gefühlen bewusster. Mit der Methode «Reframing» lassen sie sich für die Zukunft konkret umformulieren
Tabelle 1:
Mögliche Themenfelder, unterteilt in vier Phasen, die in der Beratung unterschiedlich ausgeprägt sichtbar werden
Phase 1 Phase 2 Phase 3 Phase 4
Themenbereiche Essqualität Essquantität Zeitmanagement Ernährungsbedingte Komplikationen Essverhalten Spezielle Ereignisse Emotionen Weitere Themenfelder
Subthemen Proteinversorgung Portionengrösse Mahlzeitenrhythmus Dumping/ Unverträglichkeiten Emotional Eating Auswärtsessen Verunsicherung/Angst Rebound/ Spätdumping
Glykämischer Index Nährstoffverteilung Pausen zum Essen Reflux
Snacking/Night Eating Festtagsessen Vermeidungsverhalten Suchtverlagerung (Essstörungen/Alkohol)
Alkohol Flüssigkeitszufuhr Essgeschwindigkeit Diarrhö/ Obstipation Genuss und Rigidität Ferien Scham Schwangerschaft
Mikronährstoffe Hunger-Sättigungs-Regulation Schichtarbeit/Schlafhygiene Urolithiasis
Impulskontrolle
Selbstfürsorge Maltnutrition
Quelle: Eigene Darstellung, Kompetenzzentrum für Ernährungspsychologie: Zädow J, Zumbrunn N
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und nutzen. Dabei unterstützen konkrete und positive Zielvereinbarungen diesen Prozess (10, 11).
Dritte Phase – «Rückfall in alte Essmuster durch Emotionen»
Fortsetzung Fallbeispiel nach 21 Monaten postoperativ: Gewichtszunahme von 10 Prozent innerhalb von drei Monaten. Grosse Angst vor erneuter Gewichtszunahme, Unsicherheit in Bezug auf Essqualität und -quantität, berichtet über unkontrollierte Essattacken. Patientin stellt sich in der ernährungspsychologischen Sprechstunde vor. Obwohl sie vor drei Monaten noch sehr zufrieden mit dem bariatrischen Eingriff und der neu gewonnenen Lebensqualität war, zeigt sie sich ausserordentlich verunsichert. Anlass ist eine Einladung zum Auswärtsessen, die sie in Panik versetzt. Sie traut sich nicht zu, die richtigen Speisen auszuwählen, und ist ausserordentlich besorgt, die Esskontrolle zu verlieren und wieder in alte Essmuster und auf das alte Gewicht zurückzufallen. Sobald sich die Euphorie des Honeymoon legt, können sich Krisen oder Unsicherheiten entwickeln, vor allem nach einem natürlich eintretenden Gewichtsrebound. Die zu erwartende Gewichtszunahme nach Erreichen des Tiefstgewichtes beträgt zirka 5 bis 10 Prozent. Dieses physiologische Einpendeln auf ein neues «Normgewicht» kann bei Patienten alte Gefühle auslösen. Vor allem besondere Anlässe wie Auswärtsessen, Einladungen und Ferien können Emotionen triggern. Bei diesen nicht alltäglichen Esssituationen besteht die Gefahr eines Rückfalls in die alten Essverhaltensmuster. Häufige emotionale Auslöser sind Angst und Scham (12, 13). Es ist die Aufgabe der Behandler, dieses Geschehen proaktiv zu thematisieren und zu behandeln. Denn die Angst vor einem erneuten Versagen ist ein diffuses Gefühl, das Patienten nicht immer spontan äussern können. Im ungünstigsten Verlauf kehren die alten Diätgedanken und die Rigidität in Bezug auf Nahrungsmittel zurück. Die seit der Operation neu erlernten Verhaltensmuster sind für die Patienten plötzlich nicht mehr abrufbar. Die dadurch entstehende Scham kann sich auf verschiedene Arten zeigen. Sehr häufig ist es in Form eines Vermeidungsverhaltens erkennbar, zum Beispiel als Bagatellisieren, ausweichende Aussagen oder Nichterscheinen zu Kontrollterminen. Diese beiden Gefühlsreaktionen erschweren die Stabilisierung in Bezug auf die neuen Essgewohnheiten. Die ernährungspsychologischen Behandlungsziele, inklusive -strategien lassen sich in der Phase des Rebounds folgendermassen definieren:
1. Vermittlung von Sicherheit durch flexible Kontrolle beim Essen Rigide Verhaltensweisen sind grundsätzlich, aber vor allem im Rahmen von besonderen Anlässen (Auswärtsessen, Einladungen, Ferien) zum Scheitern verurteilt. Bei flexiblen Essverhaltensstrategien gibt es im Gegensatz zur Rigidität Verhaltensspielräume mit der Mög-
lichkeit der Kompensation. Der Aspekt der Flexibilität bezieht sich auf den Zeitrahmen, das Nahrungsmittelspektrum sowie die Portionengrössen (14).
2. Genusstraining durch «Mindful Eating Skills» (s. Phase 2) Übergewichtige Patienten trauen sich häufig auch nach einem bariatrischen Eingriff nicht, das Essen zu geniessen, obwohl sie sich tagtäglich mit dem Essen auseinandersetzen. Genuss scheint aber ein wichtiger Bestandteil von Lebensqualität zu sein. Gemäss Hauck und Ellrott hebt Geniessen die Stimmung, die Produktivität sowie die Stressresistenz (6).
3. Emotionsregulationsstrategien zur Rückfallprophylaxe Dysfunktionale Emotionsregulationsstrategien korrelieren mit problematischen Essverhaltensweisen. Vor allem Patienten, die vor dem Eingriff mit Essen auf unangenehme Gefühle reagierten, sind gefordert, alternative Strategien zu entwickeln. Dazu eignet sich ein psychotherapeutisches Emotionsregulationstraining (13).
Kasten:
Keypoints der Fachgruppe Bariatrie des Schweizerischen Verbandes der Ernährungsberater/innen SVDE (5)
Eiweiss • mind. 30 g Einweiss/Tag postoperativ (< 30 g Eiweiss/Tag = katabole Stoffwechsellage!) • im Verlauf sind mindestens 60 g Eiweiss/Tag anzustreben
Kohlenhydrate • Entscheidend ist die Qualität der Kohlenhydrate. • Zu vermeiden sind Süssgetränke, Milchmischgetränke, Fruchtsäfte. • Die Menge an Früchten mit hohem glykämischem Index wie Kirschen, Bananen, Kiwi usw. ist zu
kontrollieren. • Alle anderen Kohlenhydratmengen sind im Praxisalltag eher sekundär, da die Menge klein bleibt (18–
22, 24, 26).
Fett • Generell ist eine Fettzufuhr der gesunden Ernährung zu empfehlen (30–35% der Energiezufuhr). • Die Fettverträglichkeit bleibt abhängig von der alimentären Schenkellänge, bei individuellem Über-
borden kommt es zu Steatorrhö. • Die SMOB (Swiss Society for the Study of Morbid Obesity and Metabolic Disorders) empfiehlt
70 g Fett/Tag (18–22, 24, 26).
Nahrungsfasern • Diese bleiben postoperativ sekundär. • Diese sind in der Langzeitbetreuung zu beachten, die Telleraufteilung wird wegen der Energiedichte
und Obstipationsprophylaxe jedoch wichtiger. • Empfehlung: 14 g pro 1000 kcal (18)
Flüssigkeit • Mindestens 1,5 Liter pro Tag, keine energiehaltigen und koffeinhaltigen Getränke (schlechte Evidenz
für Koffein) (18, 22, 26).
Alkohol • Alkohol wirkt schneller. • Zu beachten: Zusatzenergie und daraus folgende Gewichtszunahme beachten.
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Im mittelfristigen Verlauf einer Ernährungsumstellung dient die Selbstwirksamkeit als relevanter Erfolgsindikator (15). Positive Emotionen wie Hoffnung, Stolz und Mut wirken als Verstärker der Verhaltensänderung. Es resultieren Selbstsicherheit und Selbstvertrauen, das angestrebte Zielgewicht zu erreichen und zu erhalten sowie die Dissonanz zwischen Wissen und Verhalten zu verringern. Eine achtsame Haltung kann auf dem langen Weg der Verhaltensänderung helfen, die notwendige Motivation aufrechtzuerhalten. Die durch Rückfälle auftretenden Gefühle wie Frustration, Angst oder Scham gilt es in adaptiver Weise zu bewältigen, anstatt damit den gewohnt dysfunktionalen Zirkel aufrechtzuerhalten (8). Mit folgenden Fragen gelingt es, die Selbstwirksamkeit des Patienten zu unterstützen: • Was glauben Sie, zu wie viel Prozent erreichen Sie
Ihr gestecktes Ziel? • Wer oder was kann Sie dabei unterstützen? • Wenn sich Probleme ergeben, wie hoch schätzen Sie
Ihre Möglichkeit ein, diese anzugehen? • Woran erkennen Sie, dass Sie auf gutem Weg sind? • Was wäre dann anders?
Physiologische und psychologische Stabilität im Langzeitverlauf Eine standardisierte Nachsorge nach einer bariatrischen Operation hat sich als wertvolle Behandlung etabliert (3). Die regelmässige Eigenreflexion der Patienten dient als Basis für eine stabile Lebensstiländerung und bietet die Chance eines guten Outcomes nach der Adipositaschirurgie (16). Aus Sicht der Ernährungsberatung geht es um die Verhinderung der chronischen Fehl- oder Mangelernährung und deren Folgeerkrankungen wie Urolithiasis, Osteoporose oder Sarkopenie. Die Versorgung von Mikronährstoffen vom B-Komplex, insbe-
Tabelle 2:
Ernährungscheck
In der zweiten Phase steht der entspannte Umgang mit dem Essen im Zentrum. Es geht darum, die bisherigen Erfolge zu würdigen und das neu entwickelte Essverhalten zu reflektieren. Gleichzeitig können die verschiedenen Ernährungsfelder in regelmässigen Abständen standardisiert gescreent werden.
Trifft bei mir zu
❏ ❏ X
❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ X
Thema Getränkewahl und Getränkemenge Kohlenhydrate (Qualität und Quantität)
Süsses Eiweiss (Qualität und Rhythmisierung)
Fett (Qualität und Quantität) Alkoholkonsum
Fast-Food-Konsum Mahlzeitenrhythmus
Esstempo Emotionales Essen (Stress, Angst, Ärger,
Trauer, Langeweile, Freude)
Interssiert mich ❏ ❏ X ❏ X ❏ ❏ ❏ ❏ X
sondere dem Vitamin B12, Folsäure, Eisen, Zink, Kalzium und Vitamin D3, betrifft besonders Patientinnen, die eine Schwangerschaft planen (17). Wenn Patienten im Langzeitverlauf einen «Dauerhunger» beschreiben, kann dies auf der physiologischen Ebene mit Blutzuckerschwankungen erklärt werden. Es ist wichtig, das Spätdumping als möglichen Grund eines Rebounds drei bis sieben Jahre postoperativ in Betracht zu ziehen. Spätdumpings entstehen durch die Einnahme grösserer Kohlenhydratmengen, oft in Form eines hohen glykämischen Index. Auf die Kohlenhydratanhäufung entsteht als Antwort ein Hyperinsulinismus mit einem darauffolgenden Blutzuckerabsturz, der wiederum zum Essen einlädt. Der Nachweis von Spätdumpings erfordert die erneute Patientenschulung in Bezug auf Kohlenhydratquantität und -qualität. Essgewohnheiten können sinnbildlich für verschiedene Lebensbereiche stehen. Zuweilen äussern Patienten im Gespräch über das Essen mehr über ihren Alltag oder ihre Verfassung, als sie denken. Dies kann in schwierigen Phasen sinnvoll genutzt werden. Ein besonderes Augenmerk benötigt in der Langzeitbetreuung die Suchtverlagerung. Um die Verschiebungen in einen Substanzmissbrauch zu verhindern, hilft es, das psychische Befinden häufiger anzusprechen und bei Instabilitäten an eine entsprechende Fachperson zu verweisen. Schliesslich ist eine sinnvolle ernährungspsychologische Beratung nur möglich, wenn der Patient in regelmässigen Abständen zu den Kontrollterminen erscheint. Erfahrungsgemäss ist dies abhängig von einer verbindlichen Beziehung, die vor, während und im Langzeitverlauf vom gesamten Behandlungsteam gepflegt werden muss.
Korrespondenzadresse: Jsabella Zädow dipl. Ernährungsberaterin FH SVDE, Körperzentrierte Psychologische Beraterin IKP, MSc in Managed Health Care, Geschäftsinhaberin KEP
Natalie Zumbrunn-Loosli dipl. Ernährungsberaterin FH SVDE, Beraterin SGGT nach C. Rogers, Resilienztrainerin CZO, Geschäftsinhaberin KEP KEP – Kompetenzzentrum für Ernährungspsychologie Rautistrasse 12 8047 Zürich E-Mail: kep@hin.ch Internet: www.kep-zh.ch
Quelle: Kompetenzzentrum für Ernährungspsychologie, Zädow J, Zumbrunn N
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