Transkript
BARIATRISCHE CHIRURGIE
Bariatrische Eingriffe bei Erwachsenen
Gesetzliche Rahmenbedingungen und etablierte Verfahren in der Schweiz
Marco Bueter
Marco Bueter1, Ralph Peterli2
Übergewicht und Adipositas haben nicht nur weltweit, sondern auch in der Schweiz epidemische Ausmasse erreicht. Trotz vielversprechender Ansätze führen konservative Therapiemassnahmen bei einem grossen Teil der Betroffenen nicht zu einem anhaltenden Verlust des Körpergewichts (1). Bariatrisch-metabolische Operationen sind mittlerweile als effiziente und nachhaltige Therapie weltweit anerkannt und in vielen Kliniken etabliert (2–4). Im Beitrag werden die geltenden Schweizer Voraussetzungen für die Durchführung von bariatrischmetabolischen Operationen vorgestellt. Zudem werden die am häufigsten in der Schweiz durchgeführten und als Primäreingriffe etablierten Operationstechniken dargestellt.
Ralph Peterli
1 Universitätsspital Zürich, Leitender Arzt Viszeralchirurgie, Vizepräsident der Swiss Society for the Study of Morbid Obesity and Metabolic Disorders (SMOB), Rämistrasse 100, 8091 Zürich 2 Clarunis, universitäres Bauchzentrum Basel (St. Claraspital und Universitätspital Basel), Chefarzt Stv. Viszeralchirurgie, Präsident der Swiss Society for the Study of Morbid Obesity and Metabolic Disorders (SMOB), Postfach, 4002 Basel
Gemäss Bundesamt für Statistik hat sich der Anteil der adipösen Menschen in der Schweiz in den letzten 25 Jahren verdoppelt: Im Jahr 2017 waren 42 Prozent der schweizerischen Bevölkerung übergewichtig oder adipös, wobei die Männer mit 51 Prozent und die Frauen mit 33 Prozent betroffen waren (www.bfs. admin.ch). Da Übergewicht und Adipositas nachgewiesene Risikofaktoren für zahlreiche assoziierte Erkrankungen darstellen, sind die Auswirkungen sowohl auf gesellschaftlicher als auch auf individueller Ebene erheblich und relevant. Trotz vielversprechender Ansätze in jüngster Vergangenheit führen konservative Therapiemassnahmen inklusive medikamentöser Behandlungen auch heute noch bei einem grossen Teil der Betroffenen nicht zu einem anhaltenden Verlust des Körpergewichts (1). Hingegen sind bariatrisch-metabolische Operationen mittlerweile als effiziente und nachhaltige Therapie nicht nur des krankhaften Übergewichts, sondern auch der assoziierten Begleiterkrankungen wie zum Beispiel des Diabetes mellitus Typ 2 weltweit anerkannt und in vielen Kliniken etabliert (2–4). Die in der Regel in laparoskopischer Technik (Schlüssellochtechnik) durchgeführten Eingriffe sind an entsprechenden spezialisieren Zentren aufgrund ihrer hohen perioperativen Sicherheit mit niedriger Morbidität und Mortalität gekennzeichnet (3, 5).
Gesetzliche Rahmenbedingungen
Bei der bariatrisch-metabolischen Chirurgie handelt es sich um eine multidisziplinäre Fachrichtung zur Diagnose und zur Therapie der chronischen Krankheit Adipositas mit interdisziplinärer Vernetzung. Die 1996 gegründete Swiss Study Group of Morbid Obesity, die heutige Swiss Society for the Study of Morbid Obesity and Metabolic Disorders (SMOB), hat die Aufgabe, Adipositas sowohl in der gesellschaftlichen
Wahrnehmung als auch in medizinischen Fachkreisen als chronische Krankheit bekannt zu machen. Darüber hinaus wurde die SMOB vom Bund via Bundesamt für Gesundheit (BAG) im Rahmen des Bewilligungsverfahrens für die definitive Aufnahme der bariatrischen Chirurgie als Pflichtleistung zur Kostenübernahme durch die Krankenkassen beauftragt, Richtlinien zur Behandlung der morbiden Adipositas in der Schweiz zu formulieren. Seit dem 1. Januar 2011 bilden die vom BAG redigierten und vom Eidgenössischen Departement des Innern anerkannten SMOB-Richtlinien das Referenzdokument für die Leistungspflicht der obligatorischen Krankenversicherung (OKP). Demnach werden in der Schweiz bei Erwachsenen die Kosten für einen bariatrisch-metabolischen Eingriff übernommen, falls folgende Bedingungen erfüllt sind: 1. Body-Mass-Index (BMI) von > 35 kg/m2. 2. Eine zweijährige adäquate Therapie zur Gewichts-
reduktion war erfolglos. Dabei kann die zweijährige Therapie aus verschiedenen adäquaten konservativen Therapieprogrammen zusammengesetzt werden und muss nicht ununterbrochen durchgeführt werden. Bei einem BMI von > 50 kg/m2 ist eine Dauer von zwölf Monaten ausreichend. 3. Vorliegen einer schriftlichen Einwilligung in die Verpflichtung zu lebenslanger Nachsorge im bariatrischen Netzwerk eines anerkannten Zentrums. Gemäss SMOB-Datenregister wurden in der Schweiz im Jahr 2017 insgesamt 4803 bariatrische Eingriffe an 53 bariatrischen Primär- beziehungsweise Referenzzentren durchgeführt (www.smob.ch). Dabei stellt der laparoskopische proximale Standard Roux-en-Y Gastric Bypass (Magenbypass, RYGB) mit etwa 75 Prozent die am häufigsten durchgeführte bariatrische Operation dar, während die laparoskopische Sleeve-Gastrektomie (Schlauchmagen, SG) in etwa 23 Prozent der Fälle vorgenommen wurde. In den restlichen 2 Prozent
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wurden eine biliopankreatische Diversion (BPD) oder eine Platzierung eines steuerbaren Magenbandes (Laparoscopic Adjustable Gastric Banding, LAGB) durchgeführt. Damit stellt die Schweiz im internationalen Vergleich einen Sonderfall dar, da gemäss internationaler Umfrage der Schlauchmagen mittlerweile die weltweit am häufigsten durchgeführte bariatrische Operation ist (6).
Etablierte Operationsverfahren
Grundsätzlich erscheint eine eindeutige Allokation eines bestimmten Patienten zu einem bestimmten Operationsverfahren vor dem Hintergrund der zurzeit verfügbaren Literatur schwer möglich. Deshalb liegt die Wahl des Operationsverfahrens letztlich nach wie vor beim operierenden Chirurgen in Absprache mit einem gut informierten Patienten nach erfolgter multidisziplinärer Evaluation. Faktoren, die bei der Wahl für oder gegen ein bestimmtes Operationsverfahren berücksichtigt werden müssen, sind: BMI, Alter, Geschlecht, Körperfettverteilung, Vorliegen eines Typ-2-Diabetes mellitus oder einer Fettstoffwechselstörung, Essstörungen (wie z.B. Binge Eating Disorder), Zwerchfellhernie, gastroösophageale Refluxkrankheit, Intelligenzminderung beziehungsweise Imbezillität, Erwartungen/Präferenzen des Patienten sowie abdominelle Voroperationen.
In der Schweiz werden gemäss SMOB-Richtlinien die folgenden Eingriffskategorien unterschieden: 1. Basiseingriffe (etablierte Primäreingriffe) 2. komplexe Eingriffe 3. Eingriffe in Evaluation. Von den oben erwähnten vier Eingriffen werden der Magenbypass, der Schlauchmagen sowie das Magenband der ersten Eingriffskategorie zugeordnet und können deshalb an bariatrischen Primärzentren ausgeführt werden (mind. 25 primär operierte bariatrische Fälle pro Jahr). Die biliopankreatische Diversion hingegen gilt als komplexer Eingriff und ist somit der zweiten Kategorie zuzuordnen. Er kann deshalb nur in bariatrischen Referenzzentren durchgeführt werden (mind. 50 primär operierte bariatrische Fälle pro Jahr). Letzteres gilt ebenso für alle bariatrischen Reoperationen, zum Beispiel im Rahmen eines Verfahrenswechsels (Magenband zu RYGB) oder bei einem im Vorfeld geplanten zweizeitigen Vorgehen (1. SG, 2. RYGB). Eine Liste sämtlicher Primär- und Referenzzentren in der Schweiz ist auf der SMOBHomepage (http://smob.ch/de/component/jdownloads/send/1-root/78-zentrumsliste-ab-01-11-2018) frei zugänglich. Alle anderen Verfahren (z.B. Omega-Loop oder OneAnastomosis Gastric Bypass, OAGB) werden der dritten Eingriffskategorie zugeordnet und dürfen aus-
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Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Ralph Peterli Clarunis, universitäres Bauchzentrum Basel (St. Claraspital und Universitätsspital Basel) Stv. Chefarzt Viszeralchirurgie Postfach 4002 Basel E-Mail: ralph.peterli@clarunis.ch
schliesslich im Rahmen einer von der lokalen Ethikkommission akzeptierten, prospektiven Studie an einem Referenzzentrum durchgeführt werden (gemäss Humanforschungsverordnung [HFV1] vom 20. September 2013). Das heisst also, nur wenn die Testperson adäquat über den experimentellen Charakter des Verfahrens informiert wurde und eine entsprechende Einwilligungserklärung unterzeichnet hat. Des Weiteren soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass sämtliche endoskopischen Verfahren (z.B. Endobarrier oder Endosleeve) in den SMOBRichtlinien bis anhin keine Erwähnung finden und deshalb ebenfalls als experimentelle Verfahren einzustufen sind, für die die oben erwähnten Voraussetzungen im Einklang mit der HFV1 gelten.
Roux-en-Y Gastric Bypass (RYGB)
Technik: Bei der RYGB-Operation erfolgt die Bildung eines kleinen (ca. 30–50 ml) Magenpouches aus dem subkardialen Magen. Dieser wird vom restlichen Magen abgetrennt und mit einer nach Roux-Y ausgeschalteten Dünndarmschlinge (Jejunum) verbunden. Die sogenannte Fusspunktanastomose wird in der Regel zirka 50 bis 100 cm aboral des Treitz-Bandes und zirka 100 bis 150 cm aboral der Gastrojejunostomie angelegt. Obwohl das Prinzip der Operation damit klar umschrieben ist, existiert eine Vielzahl technischer Varianten (lineare vs. zirkuläre Gastrojejunostomie, variable Schlingenlängen, ante- vs. retrokolische Passage). Keine dieser Varianten hat sich bis jetzt gegenüber den anderen Formen der Operation als klar überlegen erwiesen. Welche Variante durchgeführt wird, richtet sich daher in aller Regel nach persönlicher Vorliebe, Erfahrung und technischer Expertise des Operateurs. Outcome: Die Magenbypassoperation wird von den meisten bariatrischen Chirurgen in der Schweiz als Verfahren der ersten Wahl angesehen. Der Eingriff führt zu einem mittleren Gewichtsverlust von etwa 20 bis 30 Prozent des Ausgangsgewichts sowie zu einer effizienten Therapie der Begleiterkrankungen (z.B. Typ-2-Diabetes mellitus, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörung) (2–5). Es handelt sich um ein sehr sicheres Operationsverfahren mit einer Sterblichkeitsrate von etwa 0,1 Prozent (2–5). Schwerwiegende perioperative Komplikationen wie zum Beispiel eine Insuffizienz der Gastrojejunostomie werden in 1 Prozent der Fälle berichtet. Bei 1 bis 2 Prozent der Patienten kommt es zu Frühobstruktionen des Dünndarms, Nachblutungen oder thromboembolischen Komplikationen (3, 5). Vermeintliche Nachteile des Verfahrens liegen in der Tatsache, dass nach dem Eingriff eine endoskopische Untersuchung des ausgeschalteten Magenanteils (sog. Restmagen) sowie eine endoskopische Untersuchung der Leber- und Pankreasausführungsgänge (sog. ERCP) nicht mehr ohne Weiteres möglich sind. Zudem kann es bei einem geringen Prozentsatz der Patienten nach RYGB im späteren Verlauf zu sogenannten inneren Hernien und postprandialen hypoglykämischen Episoden (Dumping) kommen (7).
Schlauchmagenresektion
Technik: Wesentlich im Rahmen der SG ist die gesamte Präparation der grossen Magenkurvatur magenwandnah unter Durchtrennung des Aufhängeapparates (sog. Ligg. gastrocolicum und gastrosplenicum) sowie der grosskurvaturseitigen Gefässversorgung (Arkade inklusive Vasa gastricae breves). Nach Vervollständigung der Präparation bis zum linken Zwerchfellschenkel beginnt die Stapler-Resektion zirka 4 bis 6 cm oral des Pylorus unter entsprechender Kalibrierung mit einer Kalibrierungssonde (32– 40 Fr). Die Bergung des Magenresektats erfolgt im Plastikbeutel durch eine Trokareinstichstelle. Outcome: Die SG-Operation ist dem RYGB sowohl beim erzielten Gewichtsverlust als auch bei der Behandlung der meisten mit Adipositas assoziierten Begleiterkrankungen (z.B. Typ-2-Diabetes mellitus, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörung) ebenbürtig und liefert vergleichbare Ergebnisse. Auch hinsichtlich der Komplikations- und Sterblichkeitsrate konnte kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den beiden Verfahren gefunden werden. Allerdings bestehen in der Behandlung einer bereits vorhandenen gastroösophagealen Refluxerkrankung (GERD) deutliche Vorteile bei der RYGB-Operation (3, 5). Zudem konnte gezeigt werden, dass weniger Patienten eine GERD nach RYGB als nach SG entwickeln. Besorgniserregend in diesem Zusammenhang sind kürzlich publizierte Untersuchungen, die auf eine erhöhte Häufigkeit von Veränderungen der Speiseröhrenschleimhaut hinweisen, die als Barrett-Metaplasien bezeichnet werden und bei bis zu 17 Prozent der Patienten nach SG beschrieben wurden (8, 9). Barrett-Metaplasien sind Folge eines chronischen Refluxes und bezeichnen eine Gewebeveränderung, die eine mögliche Vorstufe einer Krebserkrankung darstellt (sog. fakultative Präkanzerose). Weitere Daten mit längeren Nachbeobachtungszeiträumen sind sicher nötig, bevor ein abschliessendes Urteil gefällt werden kann, aber diese Entwicklungen sollten bei den Überlegungen zur Verfahrenswahl sicher Berücksichtigung finden.
Zusammenfassung
Die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Durchführung einer bariatrischen Operation sind in der Schweiz klar geregelt und in entsprechenden Richtlinien dokumentiert. In der Schweiz repräsentieren der proximale Roux-en-Y Gastric Bypass sowie die Schlauchmagenresektion etwa 98 Prozent der durchgeführten Operationen und erzielen im Wesentlichen vergleichbare klinische Ergebnisse. Lediglich für die Behandlung und die Prävention einer gastroösophagealen Refluxerkrankung bestehen klare Vorteile für den Magenbypass. Neue Verfahren dürfen nur im Rahmen klinischer Studien mit entsprechender Genehmigung der jeweiligen Ethikkommission und Aufklärung der Patienten durchgeführt werden.
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Literatur: 1. Bluher M: Konservative Therapie der Adipositas – wann und wie? Dtsch Med Wochenschr 2015; 140 (1): 24–28. 2. Mingrone G, Panunzi S, De Gaetano A et al.: Bariatric-metabolic surgery versus conventional medical treatment in obese patients with type 2 diabetes: 5 year follow-up of an open-label, single-centre, randomised controlled trial. Lancet 2015; 386 (9997): 964–973. 3. Peterli R, Wolnerhanssen BK, Peters T et al.: Effect of Laparoscopic Sleeve Gastrectomy vs Laparoscopic Roux-en-Y Gastric Bypass on Weight Loss in Patients With Morbid Obesity: The SM-BOSS Randomized Clinical Trial. JAMA 16; 319 (3): 255–265. 4. Schauer PR, Bhatt DL, Kashyap SR: Bariatric Surgery or Intensive Medical Therapy for Diabetes after 5 Years. The New England journal of medicine 2017, 18; 376 (20): 1996–1997. 5. Salminen P, Helmio M, Ovaska J et al.: Effect of Laparoscopic Sleeve Gastrectomy vs Laparoscopic Roux-en-Y Gastric Bypass on Weight Loss at 5 Years Among Patients With Morbid Obesity: The SLEEVEPASS Randomized Clinical Trial. JAMA 2018; 319 (3): 241–254. 6. Angrisani L, Santonicola A, Iovino P et al.: IFSO Worldwide Survey 2016: Primary, Endoluminal, and Revisional Procedures. Obesity surgery 2018; 28 (12): 3783–3794. 7.Stenberg E, Szabo E, Agren G et al.: Closure of mesenteric defects in laparoscopic gastric bypass: a multicentre, randomised, parallel, openlabel trial. Lancet 2016; 387 (10026): 1397–1404. 8. Felsenreich DM, Kefurt R, Schermann M et al.: Reflux, Sleeve Dilation, and Barrett's Esophagus after Laparoscopic Sleeve Gastrectomy: LongTerm Follow-Up. Obesity surgery 2017; 27 (12): 3092–3101. 9. Genco A, Soricelli E, Casella G et al.: Gastroesophageal reflux disease and Barrett's esophagus after laparoscopic sleeve gastrectomy: a possible, underestimated long-term complication. Surgery for obesity and related diseases: official journal of the American Society for Bariatric Surgery. 2017; 13 (4): 568–574.
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