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Adipositas: Was ist notwendig, was vielleicht nur wünschbar?
EDITORIAL
«Adipositas ist eine behandel-, aber nicht heilbare, deshalb chronische Krankheit mit dysproportionaler Vermehrung der Fettmasse und Dysregulation der Hunger-Sättigungs-Regelkreise, mit selten mono-, meist polygenetischer Disposition sowie auslösenden und modulierenden äusseren Faktoren. Sie benötigt eine interprofessionelle und vor allem langfristige Behandlung, da sie nach lange fortschreitendem Krankheitsverlauf, infolge der Komorbiditäten, vorzeitig tödlich endet.» Soweit eine aktuelle Definition einer gesellschaftlich stigmatisierten und gesundheitspolitisch verdrängten Krankheit mit Pandemiecharakter. Diese nach über 40 Jahren im Gesundheitswesen längst bekannten Plattitüden leiten noch immer jeden Fachartikel und Kongress zur Bariatrie (Übergewichtsmedizin) ein, was vielen längst ebenso bekannt und unangenehm ist wie der Klimawandel. Noch bleibt derzeit offen, ob die aktuelle Abflachung des jährlichen Adipositaswachstums real ist oder nur eine zufällige Verschnaufpause. Die für Sie in der ersten Ausgabe der SZE 2019 bereitgestellten Beiträge bringen Ihnen in aktualisierter Form die Voraussetzungen und Überzeugungen für den erfolgreichen Umgang mit dem komplexen Krankheitsbild «Adipositas» nahe: Interprofessionalität und Interdisziplinarität auf der Basis eines gemeinsamen Grundwissens zu Ätiologie, Pathophysiologie und Komorbiditäten der somatischen und psychosozialen Ebenen, über alle Altersgruppen hinweg.
Klare Therapieregeln zum Schutz unserer Patienten vor medizinischen Experimenten mit ökonomischen Motiven, entsprechend den Auflagen des Humanforschungsgesetzes (HFG vom 30.9.2011) und Bereitschaft und Fähigkeit aller Beteiligten zu Lang fristigkeit. Wir präsentieren Ihnen den derzeitigen Stand des klinischen Wissens und des praktischen Vorgehens und wir möchten Sie dazu einladen, auf persönlicher, professioneller und gesellschaftlicher Ebene für die von Prof. T. Krones, Zürich, angeschnittenen ethischen Fragen Antworten mitzugestalten (Beitrag Seite 6 ff.). Die Gesundheitsressourcen werden überall knapp und wir sind global dazu angehalten, uns zu entscheiden, was uns notwendig erscheint und was vielleicht nur wünschbar bleiben muss. Dabei werden wir Martin Luther Kings Überzeugung aus den Sechzigerjahren nicht ausser Acht lassen dürfen: «Von allen Formen der Ungleichbehandlung ist die Ungerechtigkeit in Fragen der Gesundheitsversorgung die unmenschlichste.»
Dr. med. Renward S. Hauser
Dr. med. Renward S. Hauser Facharzt FMH für Chirurgie Konsiliararzt für klinische Ernährung und bariatrische Chirurgie Neptunstrasse 35 8032 Zürich E-Mail: rshsurg.nutr@bluewin.ch
Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 1|2019 1