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BARIATRISCHE CHIRURGIE
Adipositas: Ursachen und somatische Folgen
Martina Gebhart
Adipositas ist eine chronische Krankheit. Die Prävalenz hat in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen. Zurzeit liegt sie in der Schweiz bei Frauen über 15 Jahren bei 10,2 Prozent und bei Männern bei 12,3 Prozent (1). Folgen dieser Adipositasepidemie finden sich sowohl im psychologischen, im sozioökonomischen als auch im somatischen Bereich.
Studien an genetisch identischen Mäusen haben gezeigt, dass bei gleicher Fütterung eine grosse Varianz des Körpergewichts auftritt.
Gemäss Definition der WHO liegt eine Adipositas Grad I vor, wenn der Body-Mass-Index (BMI) über 30 kg/m2 liegt, bei einem BMI von mehr als 35 kg/m2 besteht eine Adipositas Grad II, ab einem BMI von mehr als 40 kg/m2 eine Adipositas Grad III. Vonseiten der Pathophysiologie liegt ein gestörtes Gleichgewicht zwischen Energiezufuhr, Fettgewebe als Energiespeicher und Energieverbrauch zugrunde. Dieses Gleichgewicht wird durch verschiedene Faktoren gestört: Es kann eine erhöhte Zufuhr oder ein reduzierter Energieverbrauch oder beides gleichzeitig vorliegen. Die verschiedenen Ursachen der Adipositas werden unterteilt in genetische und epigenetische Ursachen, Lifestylefaktoren, in hormonelle Ursachen, Veränderungen des Mikrobioms, Medikamente und sozioökonomische Ursachen. Daneben gibt es endokrinologische Erkrankungen und Faktoren innerhalb und ausserhalb einer Person, die zu Adipositas führen können (2) (Abbildung).
Genetische Ursachen von Adipositas
Selten sind die Ursachen von Adipositas monogenetisch bedingt. Dazu gehört beispielsweise das PraderWilli-Syndrom, ein Leptinmangel oder Melanocortin4-Rezeptor-Defekte. Diese führen durch eine Störung der Appetit- und Sättigungsregulation und der Energiehomöostase im Hypothalamus sowie durch eine Störung der Hirn-Fettgewebe-Achse zu einer grossen und ungebremsten Kalorienzufuhr und bereits im Kindesalter zu massiver Adipositas. Eine polygenetisch bedingte Disposition führt unter spezifischen Umweltbedingungen dazu, eine Adipositas zu entwickeln. Evidenz aus Zwillings-und Familienstudien zeigen, dass der genetische Anteil an der Entwicklung von Adipositas 70 bis 80 Prozent beträgt (3). Durch Genom Wide Association Studies (GWAS) konnten über 870 Genloci identifiziert werden, die an der Regulation der Fettmasse beziehungsweise an der
Entstehung von Adipositas beteiligt sind. Single Nucleotid Polymorphism (SNP), der Ersatz eines einzigen Nukleotids in einem Genlocus, ist assoziiert mit dem Entstehen von Adipositas, wobei die meisten SNP nicht in codierenden Genen, sondern in Regulatorgenen liegen. Allerdings erklären diese vielen Genloci und ihre Mutationen insgesamt nur 5 Prozent der BMI-Varianz (4). Genetische Faktoren determinieren nicht nur die Adipositas an sich, indem sie die Vermehrung der Fettmasse bestimmen, sondern sie determinieren auch die Fettverteilung, sodass aufgrund einer genetischen Prädisposition mehrheitlich viszerales oder subkutanes Fett akkumuliert wird. Sowohl der Grundumsatz als auch die Thermogenese, also die Energiegewinnung aus der Nahrung, sind genetisch determiniert, wobei der Grundumsatz vorwiegend von der fettfreien Masse bestimmt wird.
Epigenetische Ursachen
Studien an genetisch identischen Mäusen haben gezeigt, dass bei gleicher Fütterung eine grosse Varianz des Körpergewichts auftritt. Zwischenformen existierten hingegen nicht. Dies wird auf ein epigenetisches Phänomen zurückgeführt, bei welchem ein Netzwerk von Genen (Trim28) entweder aktiv oder inaktiv war und sich zwei verschiedene Phänotypen entwickelt haben (adipös oder nicht adipös). Es scheint hier somit ein On/Off-Phänomen vorzuliegen, das auch als Schalter bezeichnet wird (5). Auch beim Menschen liegen Daten zu epigenetischen Ursachen von Adipositas vor. Ein hoher BMI der Mutter und eine exzessive Gewichtszunahme der Mutter während der Schwangerschaft sind heute bekannte Risikofaktoren für die Entwicklung von kindlicher Adipositas. Der erhöhte Kontakt von Insulin, Glukose und Zytokinen aus dem Fettgewebe der Mutter wiederum führt beim Fetus zu epigenetischer Veränderung im Sinne einer Programmierung mit erhöhtem Risiko, später eine Adipositas beziehungsweise einen Diabetes zu entwi-
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ckeln (6). Es gibt aber auch zunehmende Evidenz, dass schon die perikonzeptionelle Phase eine besonders vulnerable Zeit für epigenetische Programmierung darstellt (Fleming). Adipositas der Mutter führt also bereits in dieser sehr frühen Phase zu epigenetischen Veränderungen der Oozyten und des Feten, die mit einem erhöhten Risiko für Adipositas einhergehen (7).
Lifestylefaktoren
Ernährung: Umgebungsfaktoren wie eine erhöhte Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln, Essen unterwegs, Verzehr von ballaststoffarmen, energiedichten Speisen, insbesondere Fast Food, Zunahme der Zuckerzufuhr, insbesondere durch vermehrten Konsum von Süssgetränken, Einnahme der Hauptmahlzeit am Abend und eine Zunahme der Portionengrösse haben in den letzten Jahrzehnten zu einer Zunahme der eingenommenen Kalorienmenge geführt, weshalb die Prävalenz von Adipositas rasch angestiegen ist. Es konnten verschiedene Typen von ungünstigem Essverhalten definiert werden, welche mit Adipositas oder erhöhtem Risiko einhergehen, adipös zu werden. Dazu zählen Sweet Eating (Vorliebe und erhöhter Konsum von Süssigkeiten), Fat Eating (Vorliebe und erhöhter Konsum von energiedichter, fetthaltiger Nahrung), Snacking (Einnahme von kleinen Snacks zwischen den Mahlzeiten), emotionales Essen, das heisst Essen zur Entspannung, Essen als Belohnung, Essen zum Stressabbau oder als Frustkompensation. Auch Alkoholkonsum, vor allem mässiger Alkoholkonsum, ist durch die zusätzlich eingenommene Kalorienmenge ein Risikofaktor für das Entstehen von Adipositas. Bewegung: Als Umweltfaktoren sind zu erwähnen: weniger Alltagsaktivität durch das Zurücklegen von Wegstrecken mit Verkehrsmitteln, sedentärer Lebensstil in Freizeit und Beruf, körperliche Einschränkungen, die mit einer reduzierten sportlichen Aktivität einhergehen oder diese verunmöglichen. Schlaf: Eine sehr kurze Schlafdauer (weniger als 6 h) wie auch eine erhöhte Schlafdauer (mehr als 9 h), ebenso Schichtarbeit sind unabhängige Risikofaktoren für das Entstehen von Adipositas (8). Nikotinstopp führt zu einer Gewichtszunahme und ist ebenfalls ein Risikofaktor für das Entstehen von Adipositas. Mikrobiota: Die Gesamtmasse aller Darmbakterien hat eine wichtige Funktion in der Immunabwehr, zudem unterstützt sie die Verdauung und beeinflusst die Energiegewinnung aus der Nahrung. Die Darmbakterien können in die zwei Hauptgruppen Firmicutes und Bacteroides unterteilt werden. Eine stark fettund zuckerhaltige Nahrung führt zu einer Reduktion der Diversität der Mikrobiota, zu einer Zunahme von Firmicutis und einer Abnahme von Bacteroides. Bei adipösen Patienten enthält die Mikrobiota mehr Firmicutes und weniger Bacteroides. Die Firmicutes produzieren aus nicht im Dünndarm resorbierten Polysacchariden und Fett mehr Propionat, welches
Innerhalb der Person Ungünstiges Essverhalten
Emotionales Essen
Ausserhalb der Person
• Hohe Verfügbarkeit von kaloriendichten Nahrungsmitteln
• Essen unterwegs, in der Kantine • Grössere Portionen von Getränken
und Nahrungsmitteln • Weglassen von Mahlzeiten • Hauptmahlzeit am Abend
Erhöhte Zufuhr
Erhöhte Zufuhr
Faktoren, die zu Übergewicht führen
• Hormonelle Einflüsse • Endokrine Erkrankungen • Mikrobiota • Genetische und epigenetische Faktoren
• Adipositas und übermässige Gewichtszunahme der Mutter in der Schwangerschaft
• Adipositas der Mutter perikonzeptionell
Medikamente
• Schichtarbeit • Gestörter Schlaf
Reduzierter Verbrauch
Reduzierter Verbrauch
Nikotinstopp
Funktionelle Einschränkungen des Bewegungsapparates
• Sitzender Beruf • Arbeitsweg im Auto
Abbildung: Faktoren, die mit einer Änderung der Energiezufuhr einhergehen (Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit). Legende: gelb und rosa: biologisch/medizinische Faktoren; blau: psychologische Faktoren; rot: Umweltfaktoren, die zu erhöhter Kalorienzufuhr führen; grün: ungünstige Umweltbedingungen, die zu Reduktion der Bewegung führen. Quelle: The Obesity Society 2015.
im Dickdarm resorbiert wird und zu einer um 5 bis 10 Prozent stärkeren Energieausbeute aus der Nahrung und zur Gewichtszunahme führt. Die Veränderung der Mikrobiota führt auch zu einer Veränderung der Darmpermeabilität, die sich durch eine vermehrte Aufnahme von bakteriellem Lipopolysaccharid in die Pfortader zeigt (9). Lipopolysaccharide lösen in der Leber eine Entzündung und eine Steatose aus. Die Fettleber ist daher auch ein früher Indikator für das Entstehen eines metabolischen Syndroms respektive von Komorbiditäten. Insbesondere der hohe Konsum von Fruktose (High-Fructose Corn Syrup), der vielen Nahrungsmitteln anstelle von Zucker als Süssungsmittel beigefügt wurde, scheint dies zu begünstigen.
Hormonelle Faktoren
• Der Anstieg der Geschlechtshormone in der Pubertät führt bei Knaben zu einer Zunahme der Muskel-, bei Mädchen zu einem Anstieg der Fettmasse. Eine ungünstige Ernährung und Bewegungsmangel führen in dieser kritischen Phase besonders rasch zu Adipositas.
• Der Ausfall der Geschlechtshormone in der Menopause führt zu einer Abnahme des Grundumsatzes
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und zu einem raschen Anstieg insbesondere des viszeralen Fettes in den ersten Jahren nach der Menopause. • Bei Männern findet eine Zunahme des viszeralen Fettes kontinuierlich ab dem 30. Lebensjahr bis zirka zum 65. Lebensjahr sowie eine Umverteilung der Körpermasse statt: Die Muskelmasse nimmt ab, der Fettanteil gleichzeitig zu.
Sozioökonomische Faktoren
Ungenügendes Wissen über gesunde Ernährung, günstige Preise für Junkfood und bessere und preisgünstigere Verfügbarkeit von stark zuckerhaltigen Snacks versus faserhaltigen Speisen wie Salat und Obst haben vor allem bei Personen aus sozial benachteiligten Schichten das Risiko für Adipositas ansteigen lassen.
Medikamente
Der Kasten gibt eine Übersicht über diejenigen Medikamente, welche zu einer Gewichtszunahme führen. Häufig liegt ein Klasseneffekt vor, vor allem bei Neuroleptika und den selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI). Es ist deshalb wichtig, Medikamente zu wählen, bei welchen die Gewichtszunahme als Nebenwirkung weniger stark ausgeprägt ist. Bei den Neuroleptika sind dies Aripiprazol, das weniger stark mit einer Zunahme assoziiert ist als Olanzapin oder Quetiapin, sowie bei den SSRI Fluoxetin mit einer weniger ausgeprägten Gewichtszunahme als Paroxetin.
Endokrinologische Erkrankungen
Eine unbehandelte Hypothyreose führt zu Adipositas, ebenso wie ein unbehandeltes Cushing-Syndrom, Akromegalie und androgenproduzierende Tumoren. Insgesamt sind diese Krankheiten mit Ausnahme der Hypothyreose selten. Sie machen weniger als 1 Prozent der Ursachen für Adipositas aus.
Kasten:
Medikamente, die zu einer Gewichtszunahme führen können
Indikation Psychotrope Medikamente Antidepressiva
Antihypertensiva Antidiabetika Antiepileptika Hormone
Substanzklasse Neuroleptika Lithium Trizyklika noradrenergen und spezifisch serotonerge Antidepressiva (NaSSA) selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) Betablocker Insulin orale Antidiabetika
Steroide Gestagene
Beispiel Olanzapin, Clozapin
Amitriptylin, Nortryptilin Mirtazapin
Paroxetin
Beloc Zok, Concor Lantus, Novorapid Sulfonylharnstoffe Valproat, Gabapentin
Somatische Folgen von Adipositas
Mortalität Adipositas führt im Vergleich zum Normalgewicht zu einer 20 Prozent höheren Mortalität (10). Eine kürzlich publizierte Kohortenstudie aus dem Vereinigten Königreich zeigt die Assoziation zwischen BMI und erhöhter Mortalität (11), die vor allem auf das Auftreten von Folgeerkrankungen zurückzuführen ist. Auch die viszerale Adipositas mit einem erhöhten Bauchumfang (Männer > 102 cm, Frauen > 89 cm, gemäss Definition NCEP/ATP III 2009) und erhöhter Waist/Hip Ratio (Männer > 0,9, Frauen > 0,8, gemäss WHO 1998) korreliert mit dem Auftreten metabolischer Folgeerkrankungen. Pathophysiologisch produzieren viszerale Fettzellen und Hepatozyten bei erhöhter Energiezufuhr, aber reduzierter körperlicher Aktivität, Stress und Schlafmangel vermehrt proinflammatorische Zytokine, die eine systemische Entzündung auslösen und zur Insulinresistenz, nicht alkoholischer Steatohepatitis und koronarer Herzkrankheit führen (12).
Diabetes mellitus Typ 2 Bei Adipositas Grad I nach WHO ist das Diabetesrisiko 2- bis 3-fach erhöht, bei Adipositas Grad II 5-fach, bei Adipositas Grad III 10-fach. Diabetes ist der wichtigste Risikofaktor für das Entstehen einer Niereninsuffizienz und einer damit einhergehenden Notwendigkeit für eine Nierentransplantation, für Blindheit, koronare Herzkrankheit, Amputationen und Schlaganfall bei Erwachsenen (2).
Dyslipidämie Eine typische Veränderung ist ein Anstieg der Triglyzeride und des LDL-Cholesterins, hingegen bleibt das HDL-Cholesterin tief. Diese Veränderungen sind mit dem Vorliegen von viszeraler Adipositas assoziiert und erhöhen das kardiovaskuäre Risiko.
Hypertonie 60 bis 80 Prozent aller Patienten mit Adipositas leiden an Hypertonie, auch jugendliche Adipöse können bereits eine Hypertonie entwickeln. Die Hypertonie führt zu einer linksventrikulären Hypertrophie, einem erhöhten kardiovaskulären Risiko und begünstigt das Entstehen einer Nephropathie. Adipositas führt auch zu einer vermehrten Fettansammlung im Myokard, das Risiko für Vorhofflimmern ist bei Adipösen deutlich höher im Vergleich zu Normalgewichtigen.
Metabolisches Syndrom Das Vorliegen von viszeralem Fett (als Mass für das Viszeralfett dient der Bauchumfang), Insulinresistenz oder Diabetes mellitus Typ 2, gestörtem Lipidstatus und Hypertonie wird auch als metabolisches Syndrom bezeichnet, wobei verschiedene Definitionen existieren. Adipöse mit metabolischem Syndrom entwickeln rascher Komorbiditäten und Komplikationen als Adipöse ohne metabolisches Syndrom. Auch bei normal-
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gewichtigen Personen kann ein metabolisches Syndrom bestehen, das zu einem erhöhten Auftreten von Diabetes, kardiovaskulären Ereignissen, Nephropathie und Hepatopathie führt. Bei Adipösen liegt ein metabolisches Syndrom in 65 Prozent vor, je nachdem welche Definition berücksichtigt wird (13).
NAFLD/NASH Eine NAFLD (Non Alcoholic Fatty Liver Disease) liegt bei 90 Prozent aller Adipositaspatienten vor und ist durch Gewichtsreduktion reversibel. Eine NASH (Non Alcoholic Steatohepatitis) zeigt zusätzlich entzündliche Veränderungen und führt zu Fibrose, langfristig auch zu Zirrhose. In den USA ist NASH mittlerweile der häufigste Grund für eine Lebertransplantation.
Thromboembolie Adipositas ist mit einem erhöhten Risiko für tiefe Venenthrombosen und Lungenembolie assoziiert.
Hyperurikämie Eine Hyperurikämie entsteht durch grosse Mengen von purinreicher, meist fleischlastiger Kost, ein weiterer Risikofaktor ist der Genuss von Alkohol. Die Hyperurikämie ist häufig asymptomatisch, kann aber zu akuten Gichtanfällen führen, wobei auch Fasten einen Gichtanfall auslösen kann.
Gonaden Adipositas führt bei Männern und Frauen zu reduzierter Fertilität. Bei Frauen liegen häufig Amenorrhö/Hypomenorrhö und anovulatorische Zyklen vor, eventuell auch ein PCO-Syndrom. Häufig besteht ein Hyperandrogenismus, der zu Hirsutismus führt. Auch Schwangerschaftskomplikationen treten bei adipösen Frauen gehäuft auf, und je höher der BMI, desto höher ist das Risiko dafür. Erhöht ist auch das Risiko eines Frühabortes, von Gestationsdiabetes, Präeklampsie und Eklampsie, für eine Sectio und postoperative Komplikationen. Bei den Kindern ist Makrosomie (Geburtsgewicht > 4000 g) gehäuft, die mit einem Risiko für Schulterdystokie und Geburtsverletzungen wie Dammriss einhergeht. Auch kann es gehäuft zu einer Sectio kommen. Kongenitale Malformationen sind bei Kindern von adipösen Müttern häufiger, dies betrifft insbesondere Herzmissbildungen, Neuralrohrdefekte und orofasziale Defekte (14). Bei Männern besteht typischerweise eine Erniedrigung des SHBG (Sex Hormon Binding Globulin) und ein erniedrigtes Gesamttestosteron bei normalem freiem Testosteron. Bei fortgeschrittener Adipositas kann aber auch ein sekundärer Hypogonadismus mit tiefem freiem Testosteron bei normalen oder tiefen FSH/LH-Werten vorliegen, was zu Mangelsymptomen führen kann. Adipositas ist zudem ein Risikofaktor für erektile Dysfunktion.
Schlafapnoesyndrom, Adipositashypoventilation Mit Anstieg des BMI steigt auch die Wahrscheinlichkeit eines Schlafapnoesyndroms stark an. Klinisch finden
sich Schnarchen, nächtliche Atempausen und eine Tagesschläfrigkeit. Dies führt tagsüber zu einer reduzierten Leistungsfähigkeit und postoperativ zu vermehrten respiratorischen Komplikationen. Bei 10 Prozent der Patienten liegt zusätzlich eine Adipositashypoventilation vor, das heisst eine alveoläre Hypoventilation im Wachzustand mit Hyperkapnie (pCO2 > 45 mmHg), einer O2-Sättigung von weniger als 94 Prozent tagsüber und häufig weniger als 80 Prozent im Schlaf (normal: 95–97%), chronischer respiratorischer Azidose und Polyzythämie. Klinisch finden sich eine Plethora und Anstrengungsdyspnoe. Das Adipositas-Hypoventilationssyndrom führt zu einer Rechtsherzbelastung und häufig zu pulmonaler Hypertension, es ist assoziiert mit erhöhter Mortalität (15).
Degenerative Veränderungen des Bewegungsapparates Das Auftreten von degenerativen Veränderungen inklusive Gonarthrose, Cox-Arthrose, Spondylarthrose ist aufgrund der mechanischen Belastung stark erhöht und führt zu erheblichen funktionellen Einschränkungen und oftmals zur Notwendigkeit orthopädischer Operationen.
Maligne Tumoren Bei Adipositas ist das Risiko insbesondere für ein kolorektales Karzinom, Mamma-, Corpus-, Ovarial-, Pankreas- und Ösophaguskarzinom erhöht. Es wurde berechnet, dass in den USA 40 Prozent aller Krebsfälle auf Adipositas zurückführbar sind.
GERD (Gastroesophageal Reflux Disease) Durch den erhöhten intraabdominalen Druck tritt GERD häufiger bei adipösen Patienten als bei normalgewichtigen Personen auf.
Haut Durch die erhöhte Spannung im subkutanen Gewebe finden sich häufig Striae (meist Striae albae). Das Vorliegen von Striae rubrae kann auf ein Cushing-Syndrom hindeuten. Typisch ist auch die Acanthosis nigricans, eine vermehrte Pigmentation axillär und zervikal aufgrund von Hyperinsulinismus.
Psychische Erkrankungen Sowohl bei Suchterkrankungen als auch bei Depressionen ist die Prävalenz von Adipositas höher als in Vergleichskollektiven.
Fazit
Adipositas ist eine multifaktoriell bedingte chronische Erkrankung, die mit einer bedeutenden Einschränkung der Lebensqualität, einem erheblichen Risiko für frühzeitigen Tod und einem hohen Risiko für weitere Krankheiten einhergeht. Wirksame Therapien sind dringend notwendig.
Korrespondenzadresse: Dr. med. Martina Gebhart Leitende Ärztin Ernährungszentrum St. Claraspital Basel Lukas Legrand-Strasse 4 4016 Basel E-Mail: martina.gebhart@claraspital.ch
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