Transkript
SYMPOSIUMSBERICHT
Auch bei Patienten mit Reizdarmsyndrom wird häufig eine Dysbiose beobachtet. Für die Entstehung der Beschwerden sei das mukosale Mikrobiom möglicherweise relevanter als das Darmmikrobiom, erläuterte Prof. Storr. Seit einigen Jahren werden beim Management des Reizdarms gute Erfahrungen mit einer FODMAP-reduzierten Diät gemacht. FODMAP werden im Kolon von der Darmflora aufgenommen und fermentiert, wodurch es zu einer vermehrten Gasbildung und Wasserbindung im Darmlumen kommt. Bei empfindlichen Menschen führt dies zu Beschwerden wie Blähungen und zu einer Veränderung von Stuhlvolumen und -konsistenz. Ein Verzicht auf FODMAP bei der Ernährung kann das Mikrobiom modifizieren und die Gasproduktion vermindern, so Storr. Zudem liegen keine Hinweise auf eine Mangelernährung vor. Dabei werden für 6 bis 8 Wochen FODMAP-haltige Lebensmittel gemieden. Bei einem Grossteil der Patienten führt dies zu einem deutlichen Rückgang der Beschwerden. Nach dieser Karenzphase können einzelne FODMAP-haltige Nahrungsmittel nach und nach wieder in die Ernährung eingeführt werden. Allerdings ist es sinnvoll, so Storr, dafür eine Ernäh-
rungsberatung in Anspruch zu nehmen. Zudem wies der Gastroenterologe darauf hin, dass ein Teil der Patienten mit Verdacht auf eine Reizdarmerkrankung eher an einer Gluten-/Weizensensitivität leidet. Durch einen Glutenbelastungstest liesse sich dies prüfen. Bis der Effekt einer glutenarmen Ernährung eintritt, kann es allerdings mehrere Wochen dauern. Zusammenfassend hielt Storr fest, dass ernährungstherapeutische Konzepte eine hohe Erfolgschance hätten. Die Ernährungsumstellung müsse aber immer ärztlich bestätigt sein, da diese einen grossen Eingriff in den Körper darstelle.
Quelle: Pressegespräch Dr. Schär vom 13.9.2018 in München, anlässlich der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS), und Pressemitteilung Weber Shandwick vom 8.10.2018.
Literatur: 1. Dieterich W. et al: Influence of low FODMAP and gluten-free diets on disease activity and intestinal microbiota in patients with non-celiac gluten sensitivityClinical Nutrition (2018), 1e11 https://doi.org/10.1016/j.clnu.2018.03.017.
Swissmilk-Fachtagung:
Ernährung von Kindern und Jugendlichen
Annegret Czernotta
Essen soll für Kinder und Jugendliche gesund und genussvoll sein. Doch bei einer Nahrungsmittelallergie oder einer Darm- oder Stoffwechselkrankheit ist die Essenswahl eingeschränkt. An der Swissmilk-Fachtagung informierten Experten über verschiedene aktuelle Themen in der Ernährung von Kindern und Jugendlichen, wie Ernährungstrends, Nahrungsmittelunverträglichkeiten und Übergewicht.
Systemisch-lösungsorientierte Ernährungsberatung
Shima Wyss, Abteilungsleiterin der Ernährungsberatung am Spital Zofingen, sprach über die systemischlösungsorientierte Ernährungsberatung und die Therapie bei Kindern und Jugendlichen. Sie stellte den Verlauf einer Essstörung am fiktiven Fallbeispiel Laura dar, einer 12-jährigen Jugendlichen mit Übergewicht. So möchte Laura gern nach einem Teller mit dem Essen aufhören, aber das Essen schmeckt ihr oftmals so gut, «weil Mami so fein kocht». Im Gespräch zeigt sich, dass Laura oft alleine isst und Essen ihr dabei hilft, Emotionen zu regulieren. «Nimmt sie ab, bekommt sie Komplimente, nimmt sie zu, erbricht sie das Essen», so Shima Wyss. So entwickelt sich im Laufe der Zeit eine Binge-Eating-Störung, das Ge-
wicht bleibt aber hoch, und aus Hilflosigkeit wird das Essen verweigert, und es kann eine Anorexie entstehen. Der lösungsorientierte systemische Ernährungsberatungsansatz hilft dabei, Ressourcen von Laura zu entdecken und einzusetzen. «Es wird positiv formuliert, und die Schritte werden individuell angepasst», so Shima Wyss. Lösungsorientiert bedeutet auch, dass die Erkrankung nicht als Problem betrachtet wird, sondern als Störung in einem Beziehungsgeflecht. Neben einer sorgfältigen Autragsklärung gehören auch verschiedene Interviewtechniken zur Beratung. Da bei Kindern und Jugendlichen die Beratung eine besondere Herausforderung ist, setzt Shima Wyss auch «kindgerechte» Möglichkeiten ein. Dazu gehören beispielsweise Puppen, die dabei helfen, Probleme vom Klienten wegzunehmen, die sozusagen eine Stellvertreterfunktion einnehmen.
«Nimmt sie ab,
bekommt sie Komplimente, nimmt sie zu,
»erbricht sie das
Essen.
Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 5|2018 31
SYMPOSIUMSBERICHT
Alimentation des enfants et des adolescents
Grenzen sind der systemisch-lösungsorientierten Ernährungsberatung allerdings dann gesetzt, wenn der Klient einen kriti-
Mots-clés: allergie alimentaires – substitution d’enzymes pancréatiques – conseil nutrionnel systémique axée sur la résolution des problèmes – comportement alimentaire
schen Zustand erreicht hat, beispielsweise bei starkem Gewichtsverlust, Suizidalität oder Complianceproblemen. Dann bedarf es teilweise einer stationären Behandlung, so Shima Wyss abschliessend.
Pour les enfants et les adolescents, la nourriture doit être saine et goûteuse. Mais en cas d’allergie alimentaire ou de maladie intestinale ou mé-
Enzymdosierung bei Pankreasinsuffizienz
tabolique, le choix des aliments est restreint. Lors du colloque professionnel Swissmilk, des experts ont donné des informations sur différents thèmes
Um die gestörte Verdauung im Rahmen einer Pankreasinsuffizienz zu behandeln,
d’actualité dans l’alimentation des enfants et des stünden verschiedene Enzympräparate
adolescents tels que tendances alimentaires, in- mit unterschiedlichen Lipasemengen zur
tolérances alimentaires ou surcharge pondérale Verfügung, erklärte Daniel Gianelli, Lei-
chez l’enfant.
tung Ernährungsberatung an der Hochge-
birgsklinik Davos, einleitend. Das Pro-
blem sei allerdings, dass die Präparate
oftmals in einem fixen Schema verordnet würden, ob-
wohl der Fettgehalt der Nahrungsmittel und der
Schweregrad der Verdauungsschwäche für die Menge
der zu verabreichenden Lipasemenge ausschlagge-
bend seien. «Ein fixes Schema geht am individuellen
Bedarf vorbei», hielt Daniel Gianelli fest.
Symptome einer exokrinen Pankreasinsuffizienz
zeigen sich anhand von Bauchschmerzen, Blähungen
und Flatulenz, Fettstühlen, Durchfall und ungewoll-
tem und unerklärbarem Gewichtsverlust. Im Krank-
heitsverlauf kommt es oft zu Muskelschwund, ver-
minderter Immunabwehr, gehäuften Infektionen und
einer damit einhergehenden verminderten Lebens-
qualität.
Der Ernährungsberatung und der Schulung kommen
in der Pankreasenzymsubstitution eine wichtige Rolle zu. Denn sie soll der physiologischen Enzymsekretion
nachempfunden sein. 100 g Avocado enthalten bei-
spielsweise zirka 23 g Fett. «Der Betroffene hätte dann
einen Bedarf von 2 × 25 000 IE an Pankreasenzymen», hielt Gianelli fest. Bei einem Fleischkäse von
125 g liegt der Fettgehalt bei zirka 34 g. Das würde
beispielsweise 3 × 25 000 IE entsprechen. Fixe Sche-
mata würden diesem tatsächlichen Bedarf widerspre-
chen. Insgesamt liegt der durchschnittliche Bedarf bei
2000 bis 3000 IE Lipase pro Gramm Nahrungsfett. Zu
beachten sei ferner, dass man die Kapseln nicht zer-
mörsere, «auch wenn jemand Schluckbeschwerden
hat», so Gianelli. Auch dürfen die Kapseln weder zer-
bissen werden, noch darf man sie ins Essen geben.
Ob die Enzymzufuhr ausreichend ist, zeigt sich an der
Stuhlkonsistenz und -frequenz, am Stuhlgeruch, am
Gewicht und am Befinden, das sich bessern sollte.
«Überdosierungen von Pankreasenzymen sind theo-
retisch möglich, jedoch extrem selten», sagte der Ernährungsberater abschliessend. «Allerdings braucht
es für eine erfolgreiche Substitution eine intensive
Schulung bei einer in diesem Fachgebiet versierten
Ernährungsfachkraft.»
Nahrungsmittelallergien bei Kindern
In den letzten Jahren hat die Prävalenz für Nahrungsmittelallergien (NMA) stark zugenommen. Bei Kindern liegt diese mittlerweile zwischen 6 und 8 Prozent, bei Erwachsenen zwischen 2 und 3 Prozent. Die IgE-vermittelte Nahrungsmittelallergie ist mit Abstand die häufigste. Eine NMA kann verschiedene, auch sehr schwere Symptome auslösen, selten enden diese aber tödlich (0,03–0,3 Tote/Mio./Jahr in der Bevölkerung). Bei der Diagnostik sind die Bestimmung von spezifischem IgE und die Hauttestung (SkinPrick-Test) als gleichwertig zu betrachten. Bei der molekularen Allergiediagnostik ist die Spezifität laut Dr. Caroline Roduit vom Universitäts-Kinderspital Zürich jedoch höher. Bei der Hühnerei- und Kuhmilchallergie kommt es bei etwa 80 Prozent der betroffenen Kinder bis zum Erreichen des Schulalters zu einer Spontanheilung. Anzeichen für eine persistierende NMA sind hingegen: • hohe spezifische IgE-Werte • starke positive Reaktion beim Skin-Prick-Test • gleichzeitiges Auftreten von atopischen Erkrankun-
gen (wie Neurodermitis). Eine NMA auf Milch und Ei zu haben, heisse aber nicht, dass man darauf komplett verzichten müsse, erklärte Dr. Roduit. So tolerieren etwa 70 Prozent der Kinder mit Kuhmilch- und Hühnereiallergie gebackene Milch und gebackenes Ei. Um eine Desensibilisierung oder eine Toleranz auf Kuhmilch, Hühnerei und Erdnuss zu erreichen, ist die bis anhin einzig wirksame Behandlung eine spezifische Immuntherapie. Die neuen EACCI-Guidelines geben Hinweise auf einen längerfristigen positiven Effekt (Desensibilisierung) einer oralen Immuntherapie (OIT) mit Kuhmilch, Hühnerei und Erdnuss bei Kindern. Eine erreichte Desensibilisierung ist jedoch nicht mit einer endgültigen Heilung gleichzusetzen. Gleichzeitig weist Roduit darauf hin, dass die Sicherheit bei dieser Therapie eine wichtige Rolle spiele. So reagieren 10 bis 20 Prozent der Kinder mit systemischen allergischen Reaktionen, die eine Injektion mit Adrenalin notwendig machen. Deshalb ist eine Schulung von Eltern und Kindern äusserst wichtig, um die Compliance zu erhalten. Neuere Studien zeigen, dass die zusätzliche Einnahme von Probiotika als Adjuvans bei einer OIT mit Erdnuss zu einer besseren langfristigen Toleranz gegenüber dem Allergen führen kann. Um die Einführung von Nahrungsmitteln im Säuglingsalter so zu gestalten, dass möglichst keine Allergien entstehen, fehlen noch einheitliche Empfehlungen. Die verzögerte Einführung gewisser Nahrungsmittel in der Beikost wird allerdings nicht mehr empfohlen. Die LEAP-Studie aus England zeigt sogar, dass der frühe Verzehr von Erdnuss die Häufigkeit von Erdnussallergie sinken lässt.
Quelle: Symposium und Präsentationen für Ernährungsfachleute «Ernährung Kinder und Jugendliche» vom 27.8.2018 in Bern.
32 Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 5|2018