Transkript
EDITORIAL
Die Ernährung bekommt im Alter einen Logenplatz
«Ernährung des betagten Menschen» ist der Schwerpunkt dieser Ausgabe. Doch was heisst Ernährung im Alter? Mit 70, 80, 90 oder mehr Lebensjahren haben sich Essgewohnheiten biografisch festgesetzt. Lieblingsgerichte, Abneigungen und Unverträglichkeiten ziehen sich wie ein roter Faden durch das Leben und lassen sich oftmals kaum mehr beeinflussen. Verbunden mit der Erhaltung der Funktionalität, der Mobilität und der Autonomie bekommt die Ernährung im Alter einen Logenplatz, und ein Hauptdarsteller heisst Eiweiss. Wenn wir bei diesem Bild bleiben, kommt es jedoch auf das ganze Orchester (Ärzte, Ernährungsberatung, Küche, Pflegeteam, Hotellerie, Spitex, Hausarzt) an, damit im Akutspital und danach eine gute Ernährung für ältere Menschen sichergestellt werden kann. Neben den Inhalten der Ernährung wie Eiweiss kommt als Herausforderung hinzu, dass eine altersbedingt veränderte Physiologie zu einer verlangsamten Verdauung und einem verlängerten Sättigungsgefühl beiträgt, was insbesondere, verbunden mit einer abnehmenden Mobilität, das Hungergefühl und damit die Energiezufuhr vermindert. Auf sozialer Ebene ist die Einsamkeit ein wichtiges Thema, wodurch die Anregung zum Kochen und Essen verloren gehen kann. Alternativ bietet Essen – unabhängig vom Alter – Genuss und Basis für soziale Interaktionen. Eine besondere Herausforderung ist die Ernährung hochbetagter Patienten im Akutspital, welche wir in dieser Ausgabe beleuchten und diskutieren möchten. Die fünf universitären geriatrischen Zentren der Schweiz stehen hier vor wichtigen Aufgaben auf der Ebene Forschung, inklusive Konzepterarbeitung, Zusammenarbeit im interprofessionellen Team sowie Aufbau funktionierender Netzwerke mit allen Partnern im Gesundheitswesen, die in die Nachbehandlung akutmedizinisch erkrankter älterer Menschen involviert sind. Am Standort Zürich wurde das interprofessionelle Schnittstellenmanagement über die Schaffung des universitären Geriatrie-Verbundes Zürich wesentlich
vorangebracht. Neben der engen Zusammenarbeit aller Partner im Verbund (Universitäre Kliniken Geriatrie USZ und Waid, Pflegezentren, Alterszentren, Spitex, Alterspsychiatrie Stadt und Universität Zürich) übernimmt die Forschung am Zentrum Alter und Mobilität eine wichtige Rolle als Motor für die Innovation neuer Behandlungskonzepte in der Ernährung (Beispiele: DO-HEALTH [1], STRONG [2]) und bei der Umsetzung in den Schnittstellen (Beispiel: STARK [3]). Die Forschungsfragen kommen direkt aus der Praxis, und neue Forschungsergebnisse fliessen, unterstützt von allen Partnern, auch direkt in die Praxis zum unmittelbaren Vorteil hochbetagter Menschen ein. Die Beiträge von Simon Schietzel zu Omega-3-Fettsäuren im Alter und von Michael Gagesch zur Malnutrition und Frailty bei Erwachsenen 65+ geben die aktuelle Datenlage im Bereich der Omega-3-Supplementation und der gezielten Ernährungsinterventionen wider (S. 10 ff. und S. 20 ff.). Der Artikel von Wolfgang Langhans beschreibt die physiologische Steuerung von Hunger und Sättigung im Alter. Ein wichtiges Thema, da es erklärt, weshalb die Behandlung von Inappetenz bei Betagten nur dann Erfolg haben kann, wenn die Interventionen interdisziplinär erfolgen (S. 6 ff.). Doch wie komplex diese Zusammenarbeit selbst in einer Institution sein kann, zeigen die Interviews von Experten und Expertinnen im Bereich der Hotellerie, der Pflege und der Ernährungsberatung-/therapie (S. 26 ff.). Christoph Roos, Bildungsverantwortlicher CURAVIVA, wiederum gibt Einblick in die Herausforderungen, denen sich Pflegeinstitutionen heute stellen müssen (S. 24 ff.). Denn komplex sind die Erkrankungen der oftmals multimorbid erkrankten Menschen, wie dies die Ernährungsberaterin Fabienne Schaller eindrücklich am Fallbeispiel eines Patienten in der Akutgeriatrie zeigt (S. 16 ff.). Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre.
Prof. Dr. med. Heike A. Bischoff-Ferrari
Prof. Dr. med. Heike A. BischoffFerrari, DrPH Klinikdirektorin, Klinik für Geriatrie, UniversitätsSpital Zürich Chefärztin, Universitäre Klinik für Akutgeriatrie, Stadtspital Waid Lehrstuhl Geriatrie und Altersforschung, Universität Zürich Leiterin, Zentrum Alter und Mobilität, UniversitätsSpital Zürich und Stadtspital Waid Koordinatorin DO-HEALTH E-Mail: Heike.Bischoff@usz.ch
Referenzen: 1. DO-HEALTH (VitaminD3-Omega3Home Exercise-Healthy Ageing and Longevity Trial) ist die grösste Altersstudie Europas zum Thema «gesund älter werden». www.alterundmobilitaet.usz.ch/forschung/klinische-studien/seiten/do-health.aspx. 2. STRONG untersucht erstmals, ob eine 12-monatige Molkenproteinsupplementation mit und ohne Krafttrainingsprogramm das Sturzrisiko älterer Menschen mit hohem Sturzrisiko senken kann und inwieweit diese Therapiemassnahmen das Risiko für Sarkopenie und Gebrechlichkeit vermindern können. www.alterund mobilitaet.usz.ch/Documents/ F_Strong_Digital.pdf. 3. STARK (Spitex–SpiTal–Autonomie–Reha–Kraft) hat zum Ziel, über die Verknüpfung von Akutspital und Spitex, älteren Hüftfrakturpatienten eine umfassende und individuell angepasste pflegerische Unterstützung und Rehabilitation zu Hause zu ermöglichen. www.alterundmobilitaet.usz.ch/ forschung/klinische-studien/seiten/ stark.aspx).
Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 5|2018 1