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ERNÄHRUNG UND DEMENZ
Stuhlunregelmässigkeiten im Alter: Obstipation und Diarrhö
Fabian Studer
Fabian Studer
Obstipation und Diarrhö sind im Alter häufig vorkommende Beschwerden, die Betroffene gesundheitlich oft stark beeinträchtigen können. Als Folge des demografischen Wandels mit einem stetig wachsenden Anteil der über 70-Jährigen in der Gesamtbevölkerung werden die Diagnose und die Therapie der Stuhlunregelmässigkeiten an Bedeutung zunehmen. Dies aus ökonomischen Gründen, aber auch weil vor allem chronische Stuhlunregelmässigkeiten neben den körperlichen Beschwerden zu einer grossen psychischen Belastung, zu sozialer Isolation und damit zu einer wesentlichen Verschlechterung der Lebensqualität führen können.
Obstipation
Die Prävalenz der Obstipation steigt mit zunehmen-
dem Alter und liegt bei über 65-Jährigen bei 20 Pro-
zent. Bei älteren Patienten in Pflegeeinrichtungen
kann sie als Folge der eingeschränkten Beweglichkeit,
aber auch der Polypharmazie mit oft mehreren die
Darmtätigkeit beeinflussenden Medikamenten sowie
der Polymorbidität bis zu 50 Prozent betragen (1).
Frauen sind häufiger betroffen als Männer. So leiden
34 Prozent der Frauen und 26 Prozent der Männer
über 65 Jahre unter einer Obstipation (2).
Definition: Eine allgemeingültige Definition der Ob-
stipation ist schwierig, da die Symptome individuell
variieren und das subjektive Empfinden sowie der
Leidensdruck der einzelnen Betroffenen unterschied-
lich sein können, aber auch eine breite Zeitspanne der
als physiologisch betrachteten Stuhlfrequenz (zwi-
schen 3 × pro Tag und 3 × pro Woche) be-
steht. Einerseits gibt es Patienten, welche
Irrégularités du transit liées à l’âge: constipation et diarrhée
zwar jeden Tag Stuhlgang haben, dieser aber wegen harten Stuhls und starken Pressens oft mit einem hohen Leidens-
Mots-clés: constipation – diarrhée – laxatifs – alimentation équilibrée
druck verbunden ist. Andererseits können Patienten nur alle paar Tage Stuhlgang haben und sich dabei sehr wohl fühlen.
Une conséquence du changement démographique avec la proportion en augmentation constante des plus de 70 ans dans la population générale est l’importance croissante des diagnostics et des traitements des irrégularités du transit intestinal. D’une part pour des raisons économiques, mais aussi car les irrégularités surtout chroniques du transit sont à l’origine, en plus de troubles physiques, d’une détresse psychologique considérable et d’un isolement social pouvant entraîner une importante dégradation de la qualité de vie.
Grundsätzlich hat sich eine Definition im Rahmen der Rom-IV-Kriterien (benannt nach der Hauptstadt Italiens, in der 2006 die erste definierende Facharzttagung stattfand) durchgesetzt, in welcher sowohl die subjektive Seite (starkes Pressen, Gefühl der unvollständigen Entleerung, ungutes Gefühl bei Ausbleiben des Stuhlganges während mehrerer Tage) als auch die objektiven Kriterien (Stuhlfrequenz, Stuhlkonsistenz) berücksichtigt wurden (3). Die Rom-IV-Kriterien sind in Kasten 1 zusammengefasst.
Ätiologie: Grundsätzlich wird die Obstipation in eine primäre, funktionelle sowie in eine sekundäre Form unterteilt. Die am häufigsten primär vorkommende Obstipation ist die chronisch funktionelle, sie wird auch als idiopathisch bezeichnet. Charakteristisch sind sowohl eine normale Kolontransitzeit des Stuhls als auch eine unauffällige rektale Entleerung. Nicht selten liegt dieser Form eine subjektive, nicht erfüllte Vorstellung des Patienten zugrunde, wie eine normale Defäkation sein sollte (z.B. die Erwartung, dass der Stuhlgang zwingend täglich erfolgen muss). Die Patienten klagen oft über harte Stühle, Defäkationsschwierigkeiten oder Blähungen. In diesen Fällen können häufig schon ein aufklärendes Gespräch oder die Änderung der Lebensgewohnheiten (mehr körperliche Aktivität, genügend Flüssigkeit, ballaststoffreiche Ernährung) hilfreich sein. Bei rund einem Viertel der Patienten liegt eine Stuhlentleerungsstörung als Ursache für die primäre Obstipation vor. Da es mit zunehmendem Alter vermehrt zu einer Schwäche sowohl der Beckenbodenmuskulatur als auch des Sphinkterapparates kommen kann und zudem die Sensibilität im Rektalbereich abnimmt, kommt diese Form der Obstipation bei betagten Patienten häufig vor. Schliesslich kann die primäre Obstipation durch eine Verlängerung der Kolontransitzeit von mehr als 72 Stunden, die «slow transit constipation», verursacht werden. Die Ätiologie dieser Form ist noch nicht geklärt. Histologisch zeigt sich im Alter eine Abnahme der Anzahl der interstitiellen Cajalzellen, welche als Schrittmacherzellen für die Peristaltik des Darms mitverantwortlich sind. Dadurch wird nicht nur die Transitzeit, sondern auch die Koordination der Kolonmotilität beeinflusst (4). Die sekundäre Form – das Auftreten einer Obstipation als Folge einer Grunderkrankung oder einer Medikation – ist seltener als die primäre Ursache. Aufgrund der Polypharmazie und -morbidität im Alter ist die sekundäre Form in diesem Alterssegment
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wesentlich häufiger als bei jüngeren Patienten. Die Ursachen sind in Kasten 2 aufgeführt. Diabetes mellitus: Rund 16 Prozent der Männer und 12 Prozent der Frauen zwischen 75 und 84 Jahren erkranken am Diabetes mellitus Typ 2, der zu einer Gastropathie mit entsprechender Störung der Darmmotilität führen kann. Zudem können sowohl eine Hyper- als auch eine Hypoglykämie die Darmneuronen und damit die Darmfunktion beeinflussen. Da die gastrointestinalen Darmunregelmässigkeiten sowohl von der Diabetesdauer als auch von der schlechten Stoffwechseleinstellung beeinflusst werden, kommt der guten Blutzuckereinstellung zur Prophylaxe und Therapie der Obstipation auch im höheren Alter eine wichtige Bedeutung zu (5). Medikamente: Zahlreiche Medikamente können als Nebenwirkung oder durch Interaktionen eine Obstipation begünstigen. Aus diesem Grund ist es bei im Alter häufig vorkommender Polypharmazie besonders wichtig, die Indikation und die Dosis eines jeden Medikaments immer wieder zu überprüfen. Lässt sich die Verabreichung nicht vermeiden, muss darauf geachtet werden, jeweils die tiefste wirksame Dosis zu verwenden. Zudem kann es zum Beispiel bei Schmerztherapie mit Opiaten hilfreich sein, eine begleitende medikamentöse, antiobstipierende Prophylaxe durchzuführen. Diuretika können neben einer Dehydratation auch zu Elektrolytstörungen wie einer Hypokaliämie führen. Kalium spielt eine zentrale Rolle bei der Erregbarkeit von Nerven- und Muskelzellen, auch im Gastrointestinaltrakt. Liegt ein Kaliummangel vor, kann diese Erregbarkeit gestört sein, es kommt zu einer Erschlaffung der glatten Muskulatur des Magen-Darm-Traktes und zu einer Verlängerung der Transitzeit. Diagnostik: Grundlage der Abklärung sind die genaue Anamnese und die körperliche Untersuchung, welche oft schon Hinweise auf die Ursache der Obstipation geben können. Erfragt werden muss vor allem das individuelle Stuhlverhalten (Frequenz und Konsistenz): • Bestehen Hinweise für eine Defäkationsstörung
(Gefühl einer unvollständigen Darmentleerung oder anorektalen Blockierung)? • Ist die Stuhlentleerung schmerzhaft? • Wurde Blut im Stuhl festgestellt? • Welche Medikamente werden eingenommen, und welche Begleitsymptome und -erkrankungen liegen vor? Bei der klinischen Untersuchung sind eine genaue Inspektion (Narben als Hinweis auf frühere Operationen mit nun möglicher Bildung eines Bridenileus), eine Palpation (Druckdolenz, tastbare Resistenzen, Abwehrspannung) und eine Auskultation (Darmgeräusche lebhaft, abgeschwächt oder fehlend) des Abdomens von zentraler Bedeutung, insbesondere um eine akute, lebensbedrohliche Darmpathologie als Ursache der Obstipation nicht zu verpassen. Zur klinischen Untersuchung gehören auch die Anusinspektion und digitale Rektaluntersuchung, mit welcher Strikturen, rektale Tumoren, Hämorrhoiden, Fissu-
ren, eine Rektozele sowie harter Stuhl als Hinweis auf eine Stuhlimpaktion sowie Blut im Rektum festgestellt werden, aber auch mittels Klemmversuch die Funktionalität des Analsphinkters sowie die rektale Sensibiltät geprüft werden können. Eine gezielte Anamnese und ein exakter körperlicher Status sollen helfen, möglichst rasch eine ernsthafte, möglicherweise lebensbedrohliche Erkrankung festzustellen. Die Alarmsymptome sind in Kasten 3 zusammengefasst.
Kasten 1:
Rom-IV-Kriterien zur Diagnose der Obstipation
Mindestens 2 der folgenden Kriterien müssen während mindestens 3 der vorhergehenden 6 Monate in mehr als 25 Prozent der Zeit auftreten: • starkes Pressen beim Stuhlgang • klumpiger oder harter Stuhl • Gefühl der inkompletten Entleerung • Gefühl der anorektalen Obstruktion/Blockierung • manuelle Manöver zur Erleichterung der Defäkation • weniger als 3 Entleerungen pro Woche
Kasten 2:
Ursachen der sekundären Obstipation
• Morphologisch – Kolon-/Rektumkarzinom, Striktur, z.B. bei Divertikulitis oder nach Radiotherapie, Rektumprolaps, Rektozele, Enterozele, Bridenileus, Analfissur
• Medikamentös-toxisch – Opiate, trizyklische Antidepressiva, Kalziumantagonisten, Anticholinergika, Antiparkinsonmittel, Diuretika, Neuroleptika, Antihistaminika, Antidiarrhoika, Eisenpräparate, Spasmolytika, Sympathomimetika, Antiepileptika
• Endokrinologisch – Diabetes mellitus, Hypothyreose, Hyperparathyreoidismus, Hypophyseninsuffizienz – Elektrolytstörung (Hypokaliämie, Hyperkalziämie, Hypomagnesiämie)
• Neurologisch – Neuropathien (autonome Neuropathie, Morbus Parkinson, Multiple Sklerose, Rückenmarkschädigung, zerebrovaskulärer Insult) – Demenz (modifiziert nach [4])
Kasten 3:
Alarmzeichen bei einer Obstipation
• akute Abdominalschmerzen • Blut im Stuhl, okkult oder Meläna • signifikanter, ungewollter Gewichtsverlust • Erbrechen • kürzlich aufgetretene progrediente Obstipation • Druckdolenz beziehungsweise Abwehrspannung bei der Palpation des Abdomens • Fieber • Anämie • abnorme Rektaluntersuchung
(modifiziert nach [4])
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Da bei älteren Patienten aufgrund ihrer Polymorbidität häufig sekundäre Ursachen für eine Obstipation vorliegen, gehört auch eine ausgedehnte Blutuntersuchung zur Basisabklärung, insbesondere mit Blutbild, Entzündungsparametern, Elektrolyten (vor allem Kalium, Kalzium und Magnesium), Nieren-, Leberund Pankreaswerten, Blutzucker sowie TSH. Liegen Alarmsymptome gemäss Kasten 3 vor, muss eine Computertomografie des Abdomens mit Frage nach struktureller Pathologie oder mit Hinweisen auf einen Darmverschluss durchgeführt werden. Sollte trotz dieser Abklärungen die Ursache nicht geklärt sein oder der Verdacht auf eine Neoplasie bestehen, wäre der nächste Schritt die Koloskopie. Liegen keine Alarmzeichen vor und ergeben die bisherigen Abklärungen keine Hinweise auf eine behandelbare Ursache, kann eine empirische Therapie versucht werden. Das heisst, die Lebensgewohnheiten werden angepasst. Dazu zählen die Ernährung, die Flüssigkeitszufuhr und die körperliche Aktivität sowie die Einnahme von Ballaststoffen oder osmotisch wirksamen Laxanzien. Zeigen diese Massnahmen keinen Erfolg, ist eine spezialärztliche Abklärung durch den Gastroenterologen zu erwägen, wobei gerade bei betagten Patienten die Indikation vom Alter und vom Beschwerdebild abhängig gemacht werden muss.
Kasten 4:
Therapie der Obstipation
• Lifestyle-Veränderungen: körperliche Aktivität, faserreiche Ernährung, genügend Flüssigkeit • Überprüfung der Medikamente • Behandlung einer allfälligen, die Obstipation verursachenden Grunderkrankung • Medikamentöse Therapie:
– Ballaststoffe: Kleie (Metamucil®), Flohsamen (Colosan mite®) – Osmotische Laxativa: Lactulose (Duphalac®), Lactitol (Importal®), Macrogol (Transipec®, Movicol®) – Stimulierende Laxanzien: Senna (Agiolax®), Bisacodyl (Dulcolax®), Sodiumpicosulfat (Laxoberon®) – Andere antiobstipierende Medikamente: Neostigmin (Prostigmin®), Amidotrizoesäure (Gastro-
graphin®)
Kasten 5:
Ursachen für Diarrhö
• Laxanzienabusus – Nutritiv: künstliche Süssstoffe, Fruchtsäfte, Kaffee, Alkohol – Medikamente: Antazida, Antibiotika, Laxanzien, orale Antidiabetika
• Paradoxe Diarrhö bei – impaktiertem Stuhl, rektalem Tumor
• Infektiös, entzündlich – Viren, Bakterien – Morbus Crohn – Colitis ulcerosa
• Malabsorption • exokrine Pankreasinsuffizienz, Magen-Darm-Resektion, Pankreatitis, Kurzdarmsyndrom, Laktose-
intoleranz, Sprue, Reizdarmsyndrom (modifiziert nach [9])
Therapie: Bei der Therapie der chronischen Obstipation ist ein stufenweises Vorgehen zu empfehlen. Häufig genügt bei Patienten mit falschen Vorstellungen bezüglich eines normalen Stuhlverhaltens bereits ein aufklärendes Gespräch. Bei betagten und vor allem bettlägerigen Patienten können Anpassungen der Lebensgewohnheiten wie genügend Flüssigkeit, ballaststoffreiche Ernährung sowie vermehrte körperliche Aktivität eine Obstipationsneigung verbessern. Bei jüngeren Patienten ist die Wirksamkeit dieser Massnahmen umstritten, sie spielen eine eher untergeordnete Rolle (7). Eine ausgewogene Ernährung mit genügend Fasern aus Früchten, Gemüse und Getreide hilft, eine gut funktionierende Darmfunktion aufrechtzuerhalten. Durch die zugeführten Fasern werden das Stuhlvolumen und die Stuhlfrequenz erhöht. Allerdings können als unangenehme Begleitsymptome Bauchkrämpfe und belastende Blähungen auftreten (8). Wichtig ist die Überprüfung der regelmässig eingenommenen Medikamente. Sind obstipierende Wirkstoffe darunter? Können diese reduziert, ersetzt oder gar abgesetzt werden? Führen diese Massnahmen zu keinem Erfolg, können als Stufe-1-Medikamente Ballaststoffe wie Kleie oder Flohsamen eingesetzt werden. Um den gewünschten Quelleffekt zu erreichen, muss dabei auf eine adäquate Trinkmenge geachtet werden. Aber auch dann kann es bis zu drei Tage dauern, bis die Wirkung eintritt. Zudem können häufig belastende Blähungen als Nebenwirkung auftreten. Bei fehlender Besserung wäre der nächste Schritt der Einsatz eines osmotisch wirksamen Laxans wie Lactulose (z.B. Duphalac®) oder Polyethylenglycol/Macrogol (z.B. Transipeg®). Diese Medikamente wirken, indem sie zu einer vermehrten Wasseraufnahme durch den Darm führen. Sie sind grundsätzlich gut verträglich, wobei Polyethylenglycol weniger Blähungen verursacht als Lactulose. Sie können allerdings Elektrolytstörungen (Hypokaliämie, Hypernatriämie) verursachen sowie zu Wasserretention führen, weswegen sie bei Herz- und Niereninsuffizienz nur vorsichtig eingesetzt werden sollten. Stimulierende Laxanzien als nächster Schritt, wie Bisacodyl (z.B. Dulcolax®), Sodiumpicosulfat (z.B. Laxoberon®) oder Senna (z.B. X-Prep®), wirken einerseits auf die Darmmotilität, indem sie dem Stuhl weniger Wasser entziehen, anderseits auf die Sekretion, indem der Wasser- und der Elektrolyteinstrom in den Darm erhöht wird. Diese Medikamente zeigen einen raschen Wirkungseintritt innert Stunden, können aber zu Bauchkrämpfen führen. Bei Störung der Defäkation können stimulierende Suppositorien (z.B. Bulboid®) oder Klistiere (z.B. Microklist®) eingesetzt werden. Sind genügend körperliche und kognitive Reserven vorhanden, ist auch eine Physiotherapie mit Beckenbodentraining sowie Kräftigung der Bauchmuskulatur zu empfehlen. Zudem haben Studien gezeigt, dass auch mittels Biofeedback ein signifikantes Ansprechen erreicht werden kann (Kasten 4).
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Diarrhö
Von einer Diarrhö spricht man, wenn dünnflüssiger bis wässriger Stuhl mehr als dreimal pro Tag abgesetzt wird. Dauern die Symptome weniger als drei Wochen an, spricht man von einer akuten, darüber hinaus von einer chronischen Diarrhö (9). Insbesondere die chronische Diarrhö kann bei älteren Patienten nicht nur zu einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität, sondern als Folge der mit dem Durchfall verbundenen Flüssigkeits- und Elektrolytstörungen zu einer signifikanten Erhöhung der Morbidität und der Mortalität führen. Ätiologie: Die akute wie auch die chronische Diarrhö stellt ein Leitsymptom für Dünn- und Dickdarmerkrankungen dar. Während die akute Diarrhö im Alter relativ häufig und meist auf eine infektiöse Ursache zurückzuführen ist, ist die Ursache einer chronischen Diarrhö oft recht schwierig zu finden. Eine Zusammenfassung möglicher Ursachen ist in Kasten 5 zusammengefasst. Bei geriatrischen Patienten treten aufgrund ihrer Polymorbidität insbesondere im stationären Setting gehäuft gastrointestinale Infekte auf, in erster Linie durch Clostridium difficile, welche bei Behandlung mit Breitbandantibiotika auftreten können, sowie durch Noroviren. In beiden Fällen kommt es zu ausgeprägten, meist blutigen Durchfällen. Entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa sind im Alter eher selten, sollten aber in die Differenzialdiagnose trotzdem mit einbezogen werden. Dies gilt auch für Sprue und Laktoseintoleranz. Bei einer chronischen Diarrhö muss in erster Linie an einen Laxanzienabusus, an eine nutritive Ursache, an ein Colon irritabile (Reizdarmsyndrom) oder an eine exokrine Pankreasinsuffizienz gedacht werden. Diagnose: Wie bei der Obstipation sind auch bei der Diarrhö Anamnese und körperliche Untersuchung die Grundlage der Diagnostik. Zu erfragen sind Stuhlfrequenz und -konsistenz, die eingenommenen Medikamente sowie der Konsum von Alkohol oder Süssstoffen. Wichtig ist auch die Frage nach Begleitsymptomen wie Erbrechen, Bauchschmerzen oder Fieber, nach bekannten Erkrankungen wie Diabetes mellitus, nach Infektionen oder Neoplasien sowie nach Auslandsaufenthalten in der näheren Vergangenheit, auch von Familienangehörigen. Zum Status gehören eine genaue Inspektion, eine Palpation und eine Auskultation des Abdomens sowie die digital-rektale Untersuchung. In der Blutuntersuchung müssen vor allem das Blutbild, die Entzündungswerte, die Nierenparameter und die Elektrolyte bestimmt werden. Eine bakteriologische Untersuchung des Stuhls empfiehlt sich vor allem bei akut aufgetretener Diarrhö, aber auch bei gleichzeitigem Auftreten von Arthritis oder Arthralgien. Kann mittels Anamnese, Status und Laboruntersuchungen keine Ursache gefunden werden, sind, abhängig von den bisher erhobenen Befunden, eine
Abdomensonografie, eine Computertomografie des Abdomens oder eine Koloskopie die nächsten Schritte. Diarrhö bei ansonsten gutem Allgemeinbefinden spricht eher für eine funktionelle Ursache, während ein akuter Beginn mit Fieber, Erbrechen sowie gesteigerten Darmgeräuschen auf eine Infektion schliessen lässt. Therapie: Geriatrische Patienten können bei Diarrhö eine mitunter gefährliche Dehydratation mit Gefahr einer Hypotonie, prärenalem Nierenversagen, schweren Elektrolytstörungen oder auch neurologischen (z.B. Vigilanzstörung) oder kardialen (z.B. Arrhythmien oder koronare Ischämien) Komplikationen erleiden, weswegen das übergeordnete Ziel der Therapie die Aufrechterhaltung des Flüssigkeits- und Elektrolythaushaltes sein muss. Die Rehydrierung wird mit einer Salz und Zucker enthaltenden Flüssigkeit durchgeführt (z.B. Tee oder Suppe). Als Medikamente stehen Antidiarrhoika (Loperamid) und bei Bedarf Antiemetika (Domperidon, Metoclopramid) und Probiotika (Bioflorin®, Perenterol®) zur Verfügung. Diese allgemeinen Massnahmen kommen vor allem bei viralen Infektionen, wie zum Beispiel dem Norovirus, zum Einsatz, da für diese Fälle keine spezifische Therapie zur Verfügung steht. Die Infektion durch Clostridium difficile wird antibiotisch mit Metronidazol oder Vancomycin behandelt. Besteht der Verdacht auf eine bakterielle Infektion, bei welcher der Erreger noch nicht bekannt ist, kann, abhängig vom Krankheitsbild, eine probatorische antibiotische Therapie mit Norfloxacin oder Ciprofloxacin durchgeführt werden.
Korrespondenzadresse: Dr. med. Fabian Studer Oberarzt Universitäre Klinik für Akutgeriatrie Stadtspital Waid 8037 Zürich E-Mail: fabian.studer@waid.zuerich.ch
Literatur: 1. De Giorgio R et al.: Chronic obstipation in the elderly: a primer for the gastroenterologist. BMC Gastroenerol 2015; 15: 130. 2. Higgins PD et al.: Epidemiology of constipation in North America: a systematic review. Am J Gastroenterol 2004 Apr; 99: 750–759. 3. Longstreth GF et al.: Functional bowel disorders. Gastroenterology 2006 Apr; 130(5): 1480–1491 4. Klüppel M et al.: Developmental origin and Kit-dependent development of the interstitial cells of cajal in the mammalian small intestine. Dev Dyn. 1998; 211(1): 60–71. 5. Jaursch-Hancke C: Gastrointestinale Probleme bei Diabetes. Der Gastroenterologe 2011; 300–306. 6. Frissora C: Diagnosis, treatment, and management of irritable bowel syndrome with constipation and chronic constipation. Ars medici 2006; 269–271. 7. Dukas L et al.: Association between physical activity, fiber intake, and other lifestyle variables and constipation in a study of women. The American journal of gastroenterology. 2003 Aug; 98(8): 1790–1796. 8. Meier R et al.: Consensus reommendations on the effect and benefits of fibre in clinicial practice. Clin Nutr 2004; 1: 73–80. 9. Willkomm M: Praktische Geriatrie: Klinik – Diagnostik – Intedisziplinäre Therapie. Thieme 2013; 178.
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