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BERICHT
9. Adipositassymposium
Ein weiter Weg zu «personalisierten» Diäten
Halid Bas*
Bei Adipositas ist die Reduktion des Körpergewichts zentral. Besonderes Augenmerk erfordern aber auch die Komplikationen der exzessiven Leibesfülle, zum Beispiel hinsichtlich Lunge und Leber. Am 9. Adipositassymposium sprachen Experten über «personalisierte Diäten» in Zeiten moderner Medien.
In Zeiten von Social Media haben es Konzepte, die sich auf Genotyp, Ernährung und Veränderungen im Lebensstil beziehen, bis zur App-Reife gebracht und werden entsprechend beworben. Über die Wirksamkeit solcher Apps gibt eine kürzlich publizierte Studie Anhaltspunkte: So schnitt jene Gruppe am besten ab, in der die konventionelle Betreuung «von Gesicht zu Gesicht» mit dem Einsatz einer App kombiniert wurde, während die alleinige Verwendung einer App zu schlechteren Resultaten führte als die konventionelle Betreuung (1). Gründe hierfür liegen wohl darin, dass die Motivation für einen besseren Lebensstil in der Adipositasbehandlung ausschlaggebend ist. Dabei kann eine App bei der Überwachung des Lebensstils Hilfestellungen leisten, sofern sie auch über längere Frist regelmässig eingesetzt wird, so das Fazit am Symposium. In Bezug auf die personalisierte Medizin haben in aller Regel kleine Studien untersucht, ob Probanden mit unterschiedlichem Genotyp oder verschiedenem Phänotyp (Insulinresistenz) in unterschiedlicher Weise auf verschiedene Diäten ansprechen. Soeben wurde eine grössere, randomisierte Studie zu dieser Fragestellung publiziert (2). Sie fand sowohl bei Aufschlüsselung nach Genotyp als auch nach
Insulinresistenz keine Unterschiede in der Gewichtsveränderung bei einer Low-fat- oder Low-carb-Diät. «Für den Moment können wir sagen, dass solche personalisierten Diätstrategien nichts taugen», erklärte PD Dr. med. Philipp A. Gerber, Oberarzt Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Klinische Ernährung, Universitätsspital Zürich. «Das Thema ist aber noch nicht völlig ausgeleuchtet und wird auch in der Zürcher Adipositaskohorte berücksichtigt, vielleicht wissen wir in einigen Jahren mehr.» Im Gegensatz dazu gibt es zur mediterranen Diät prospektive Studien mit klinischen Endpunkten zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die einen klaren Nutzen nachweisen konnten. Neues gab es auch über die medikamentöse Behandlung der Adipositas zu hören. In der Schweiz sind derzeit zwei Medikamente zur Adipositasbehandlung zugelassen: das bekannte Orlistat (Xenical®) und neu Liraglutid (Saxenda®). Letzteres wird von der Grundversicherung noch nicht übernommen. Aus Studien als Diabetesmedikament (Victoza®) ist für Liraglutid ein kardiovaskulärer Nutzen nachgewiesen (3, 4). Langzeitdaten zeigen, dass der gewichtssenkende Effekt über Jahre erhalten bleibt (5).
9. Symposium sur l’obésité: le chemin vers des régimes «personnalisés» est encore long
Mots-clés: régimes low fat-low carb – motivation et auto-prise en charge – stéatose hépatique non alcoolique – chirurgie métabolique
En cas d’obésité, la diminution du poids corporel occupe une place centrale. Les complications d’une corpulence excessive requièrent cependant aussi une attention particulière, par ex. en ce qui concerne les poumons et le foie.
Hilfreiche «Wenn, dann …»-Pläne
«Eine Veränderung des Essverhaltens braucht Wissen und ein hohes Mass an Motivation und Selbstmanagement», betonte Melanie Sprenger, Ernährungsberatung, Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Klinische Ernährung, Universitätsspital Zürich. Laut der Ernährungsberaterin ist eine Person nur dann für nachhaltige Änderungen motiviert, wenn sie weiss, was sie will. Dabei ist das angestrebte Ziel von grosser Bedeutung, und dieses muss ein positives Gefühl erzeugen. In der Beratung kann eine positive Haltung sich selber gegenüber, besonders auch gegenüber dem eigenen
Körper, gezielt gefördert werden. Laut Melanie Sprenger helfen beispielsweise «Wenn, dann …»-Pläne, weil diese automatisch zu einem neuen Verhalten führen. Sprenger nannte dazu folgendes Beispiel: «Wenn die Kinder im Bett sind, ich vor dem Fernseher sitze und die Lust auf Essen aufkommt, dann gehe ich auf den Balkon und mache drei Atemzüge.» Ist eine Verinnerlichung des angestrebten «Wenn, dann …»-Verhaltens erfolgt, kann eine neue Verhaltenszielsetzung für einen anderen «Wenn-dann …»-Plan gewählt werden. Es soll aber jeweils nur ein einziger Plan aufs Mal vorgegeben werden. Nach Angaben der Ernährungsberaterin müssen sich adipöse Menschen auch oftmals Vorwürfe anhören – sie seien faul oder disziplinlos: «Dem Umfeld kommt so eine wichtige Rolle in der Motivationsförderung zu.» In der Beratung sind deshalb familiäre Regeln und Normen beim Essen, familiäre Glaubenssätze («Sport ist Mord») oder eine Opferrolle innerhalb der Familie gezielt anzusprechen, da dies wichtige Faktoren sind, die zu einer Abnahme oder Zunahme von Motivation führen können. Am Ende der Beratungsbemühungen stehen eine hohe Patientenzufriedenheit und ein gutes Körpergefühl. Sie sind die Summe guter, motivationsfördernder Begleitung sowie Wissensvermittlung, medizinischer und/oder chirurgischer Unterstützung.
Asthma bei Adipösen zu häufig diagnostiziert
Bei adipösen Menschen würden Hypoventilation, obstruktives Schlafapnoesyndrom, Asthma oder auch eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) als respiratorische Komorbiditäten beobachtet, erläuterte Prof. Dr. med. Konrad Bloch, Leitender Arzt, Klinik für Pneumologie, Universitätsspital Zürich. Der Grund liegt darin, dass übermässiges Körpergewicht zu einem geringeren Lungenvolumen, zur Behinderung der Zwerchfellbeweglichkeit, zum Kollaps von Lungenarealen (Atelektasen) und zu einer Einschränkung des Gasaustausches in der Lunge führt. Bei Adipositas kommt es zudem häufiger zur Fehldiagnose Asthma, weil Atemnot verstärkt empfunden wird, die Atmung ohnehin eher rasch und oberflächlich ist (Tachypnoe) und gesamthaft eine ineffektive Ventilation stattfindet. Beim obstruktiven Schlafapnoesyndrom
28 Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 3|2018
BERICHT
Fotos: Halid Bas
Philipp A. Gerber
Melanie Sprenger
Konrad Bloch
Christoph Jüngst
Marco Bueter
Renward Hauser
sind die Symptome von Schläfrigkeit und Konzentrationsstörungen tagsüber wichtige Hinweise, ferner Schnarchen und häufige Atempausen während des Schlafs, worüber Angehörige Auskunft geben können, sowie das Gefühl, nach dem Schlafen nicht ausgeruht zu sein. Das Adipositas-Hypoventilations-Syndrom ist definiert als ein Body-Mass-Index über 30 kg/m2 zusammen mit einer alveolären Hypoventilation tagsüber und während des Schlafs, die zu einer Kohlendioxidanreicherung im Blut führt. Zudem darf die Hypoventilation nicht durch andere Ursachen erklärbar sein. Als Symptome treten Atemnot und Belastungsintoleranz hervor, oft liegt eine Kombination mit einem Schlafapnoesyndrom vor. In der Folge können sich eine Erhöhung des pulmonalen Drucks, ein Rechtsherzversagen und Beinödeme einstellen. Schlafapnoe- und Hypoventilationssyndrom können durch Überdruckbeatmung mit oder ohne Sauerstoff behandelt werden. «Der Verdacht auf Asthma im Rahmen einer Adipositas muss deshalb immer kritisch überprüft werden, eine Therapie soll nur dann erfolgen, wenn die Diagnose bestätigt ist», mahnte der Pneumologe.
Nicht alkoholische Fettleber: Gewichtsreduktion zentral
«Heute ist die nicht alkoholische Fettleber (nonalcoholic fatty liver disease, NAFLD) mit einem Vorkommen von zirka 25 Prozent der Bevölkerung die häufigste Lebererkrankung», berichtete Dr. med. Christoph Jüngst, Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie am Universitätsspital Zürich. Adipositas, Diabetes und metabolisches Syndrom sind die wichtigsten Risikofaktoren. Definitionsgemäss betrifft die Verfettung mehr als 5 Prozent der Leberzellen, gleichzeitig liegt nur ein geringer Alkoholkonsum (Frauen: weniger als 20 g/Tag, Männer: weniger als 30 g/Tag) vor, und es sind keine anderen Ursachen wie Medikamente oder Hepatitis C nachweisbar. Die NAFLD kann von der Leberzellverfettung über eine Fettleberentzündung (nonalcoholic steatohepatitis, NASH) zur Fibrose und weiter zur Zirrhose führen; insbesondere für Patienten mit Leberzirrhose besteht ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Leberzellkarzinoms,
dieses kann, wenn auch seltener, auch bei Patienten ohne Zirrhose vorkommen. Für die Vorhersage der Prognose ist allein der Grad der Leberfibrose entscheidend. Diese kann nicht invasiv durch verschiedene Laborwerte sowie die Elastografie erfasst werden, wobei die transiente Elastografie bei adipösen Patienten etwas schwieriger durchzuführen ist, inzwischen gibt es hierfür aber eine XL-Sonde. Die Behandlung hat zwei Ziele: die Verhinderung des Fortschreitens zur NASH und Zirrhose sowie die Vorbeugung der bei NAFLD erhöhten Herz-Kreislauf-Erkrankungs-Häufigkeit und -Sterblichkeit. Dazu seien bei allen Patienten eine Lebensstiländerung (gesteigerte körperliche Aktivität, Ernährungsumstellung) sowie eine Gewichtsabnahme um 7 bis 10 Prozent notwendig, betonte Jüngst. Für die Ernährungsumstellung wird eine hypokalorische Diät (500–1000 kcal Reduktion) empfohlen, unter Bevorzugung einer mediterranen Diät. Bei NAFLD sind sowohl fett- wie kohlenhydratarme Diäten effektiv. Kaffee scheint protektiv zu sein und unterliegt keiner Einschränkung. Vermeiden sollten NAFLDPatienten hingegen eine übermässige Fruktosezufuhr, das heisst Süssgetränke, ausserdem Fastfood und Fertiggerichte, Snacks sowie gesättigte und Transfette allgemein. Ausserdem sollte der Alkoholkonsum bei Frauen 20 g/Tag und bei Männern 30 g/Tag nicht übersteigen. Mit der Gewichtsabnahme lässt sich gemäss einer Analyse von vier Studien bei NAFLD viel erreichen (6). Beträgt sie mindestens 3 Prozent, bildet sich bei einem Drittel der Patienten die Leberzellverfettung zurück, ab 5 Prozent gehen die Entzündungszeichen bei 41 Prozent der Patienten zurück, ab einem Gewichtsverlust von mindestens 7 Prozent verschwindet bei 64 bis 90 Prozent die NASH, und bei einer Abnahme des Körpergewichts von 10 Prozent und mehr bildet sich sogar die Fibrose zurück.
Metabolische Chirurgie nicht nur für Diabetes?
Der Siegeszug der bariatrischen Chirurgie zur Behandlung von Fettsucht und Diabetes erscheint unaufhaltsam. Die Operationszahlen steigen in vielen Ländern, auch in Europa und
in der Schweiz. «Die Frage nach dem ‹besten› Operationsverfahren lässt sich jedoch nicht sicher beantworten», sagte Prof. Dr. med. Marco Bueter, Leitender Arzt, Klinik für Viszeral- und Transplantationschirurgie am Universitätsspital Zürich. Der metabolische Benefit bei (fast) identischem Gewichtsverlust fällt beim Roux-en-Y-Magenbypass grösser aus als bei der Schlauchmagenoperation. Der derzeitige globale Trend zum übermässigen Einsatz der Schlauchmagenoperation sei deshalb sicher nicht gerechtfertigt, so Bueter. «Die bariatrisch-metabolische Chirurgie verbessert auch die Dyslipidämie», erklärte Dr. med. Renward Hauser, Facharzt für Chirurgie FMH, Zürich. So sinken die Triglyzeride und vor allem das Gesamtcholesterin. Gleichzeitig steigt die Fraktion des High-Density-Lipoprotein-(HDL-)Cholesterins, und das Low-Density-Lipoprotein-(LDL-)Cholesterin nimmt ab. Bypasseingriffe am Magen erscheinen sogar wirksamer als Statine. Ob sie dereinst diese ersetzen werden, ist aber spekulativ. «Noch sind viele Fragen offen», stellte Hauser klar. Diese betreffen die Wirkmechanismen, die Wahl des Operationsverfahrens und die Frage, welche Art von Dyslipidämie allenfalls für die Behandlung mit einem chirurgischen Vorgehen geeignet wäre.
Quelle: 9. Adipositassymposium, Donnerstag, 8. März 2018, in Zürich.
Literatur: 1. Hurkmans E et al.: Face-to-face versus mobile versus blended weight loss program: Randomized clinical trial. JMIR Mhealth Uhealth 2018 Jan 11; 6(1): e14. 2. Gardner CD et al.: Effect of low-fat vs low-carbohydrate diet on 12-month weight loss in overweight adults and the association with genotype pattern or insulin secretion: The DIETFITS randomized clinical trial. JAMA 2018; 319 (7): 667–679. 3. Marso SP et al.: Liraglutide and cardiovascular outcomes in type 2 diabetes. N Engl J Med 2016; 375(4): 311–322. 4. Davies MJ et al.: Liraglutide and cardiovascular outcomes in adults with overweight or obesity: A post hoc analysis from SCALE randomized controlled trials. Diabetes Obes Metab 2018; 20(3): 734–739. 5. le Roux CW et al.: 3 years of liraglutide versus placebo for type 2 diabetes risk reduction and weight management in individuals with prediabetes: a randomised, double-blind trial. Lancet 2017; 389(10077): 1399–1409. 6. Hannah WN Jr et al.: Effect of Weight Loss, Diet, Exercise, and Bariatric Surgery on Nonalcoholic Fatty Liver Disease. Clin Liver Dis 2016; 20(2): 339–350.
* Halid Bas ist Medizinjournalist BR und freier Mitarbeiter beim Verlag Rosenfluh Publikationen.
Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 3|2018 29