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KONGRESSBERICHT
14. SSAAMP-Jahreskongress «Better Aging»
«Die Dosis macht das Gift»
Annegret Czernotta
Am 14. Jahreskongress der Swiss Society for Anti Aging Medicine and Prevention (SSAAMP) waren die Themen Better Aging, Psychoneuroimmunologie, Hormone und Darmgesundheit zentral. Namhafte Experten stellten Erkenntnisse aus ihren Fachgebieten vor. Am Kongress wurde deutlich, dass die Prävention nicht erst im Alter beginnt, sondern bereits im Mutterleib.
Das Hormesis-Prinzip: Durch Schaden wird man klug
«Was uns nicht umbringt, macht uns stärker.» Diesen
Satz hat der Philosoph Friedrich Nietzsche im
19. Jahrhundert formuliert. Er fasste das Hormesis-
Prinzip treffend zusammen, so Prof. Dr. Bernd
«Was uns nicht »umbringt, macht uns
stärker.
Kleine-Gunk, Präsident der deutschen Gesellschaft für Anti-Aging-Medizin (GSAAM). Hormesis ist griechisch und steht für «Anstoss, Anregung». In der Natur gibt es viele Stoffe, die wie ein Gift wirken und damit einen Stressfaktor für unseren Körper darstel-
len. Der Körper reagiert auf diese eigentlich ungesun-
den Reize mit Schutzmechanismen, die trotzdem zur
Gesundheit beitragen.
Ein solches Beispiel ist die Niedrigstrahlung in Atom-
kraftwerken (AKW). Eine Studie von Feinendegen et
al. (2004, UKRC Debate) zeigt, dass Angestellte eines
AKW, die jahrelang einer höheren Strahlung ausge-
setzt waren, ein niedrigeres Krebsrisiko hatten. «Die
Niedrigstrahlung scheint unser Immunsystem wohl
zu stimulieren», sagte Prof. Kleine-Gunk. Niedrige
Dosen lösen dann Schutzreaktionen im Körper aus,
die Schäden an der DNA verhindern, re-
parieren oder gar beseitigen können.
Lumière: la forme la plus profonde de pollution environnementale
Die Reaktion sei vergleichbar mit derjenigen von Menschen, die in Hochgebirgen lebten, beispielsweise in Nepal oder den Alpen, und die langlebiger und ge-
Mots clés: Principe de l’hormèse – régime sirt foods – programmation fœtale – mélatonine
sünder seien, so Prof. Kleine-Gunk. Ein ähnlicher Effekt zeigt sich bei Hitze. Die das Immunsystem stärkende Wir-
Lors du 14e congrès annuel de la Swiss Society for Anti Aging Medicine and Prevention (SSAAMP) les thèmes centraux abordés étaient better aging, psychoneuroendocrinologie ainsi qu’hormones et santé intestinale. Des experts renommés ont présenté les plus récentes avancées dans leur domaine.
kung der Sauna hat wohl damit zu tun, dass Heat-Shock-Proteine, die durch die Hitze aktiviert werden, einen Stressreiz auslösen und das Immunsystem aktivieren. Ähnlich die Wirkung von Alkohol: Obwohl Alkohol toxisch ist und das Risiko der Alkoholabhängigkeit besteht, scheint
eine Abstinenz eher ein Gesundheitsrisiko zu sein als täglicher Alkoholkonsum. Wobei die Gesamtmortalität bei einem moderaten Konsum am stärksten zurückgeht (Doll et al., BMJ 1994). Nur, wie altern wir? Die Freie-Radikale-Theorie besagt, dass aggressive Moleküle wie freie Radikale Zellschäden verursachen. Die Akkumulation dieser Zellschäden führt zu Funktionseinbussen (Alterung) und schliesslich zum Tod. Eine Massnahme für ein längeres Leben ist die Kalorienrestriktion. Studien an Mäusen und in wissenschaftlichen Selbstversuchen zeigen, dass eine 30-prozentige Kalorienrestriktion lebensverlängernd wirkt, «wobei fraglich ist, ob das auf den Menschen übertragbar und auch wünschenswert ist», so Prof. KleineGunk. Eine ähnliche Wirkung wie die Kalorienrestriktion haben Sirtuine. Das Enzym wird durch Kalorienmangel im Körper aktiviert. Sogenannte Sirt-Foods, die dieses Prinzip nachahmen, sind sirtuinaktivierende Phytosubstanzen wie Rotwein, Curcumin oder Grüntee (Epigallo Catechin Gallat). Metformin scheint ein sirtuinaktivierendes Pharmakon zu sein. Menschen mit einem Typ-2-Diabetes, die Metformin einnehmen, leben im Vergleich zur Kontrollgruppe ohne Metformin länger, obwohl Sirt-Foods eigentlich milde Gifte sind.
Fetale Programmierung
Das Konzept der fetalen Programmierung beruht auf der Annahme, dass Umweltfaktoren in frühen Lebensphasen weitreichende Folgen auf den Gesundheitszustand im späteren Leben haben können. Das Konzept stellte Dr. Christoph Reichetzeder, Institut für Ernährungswissenschaften an der Universität Potsdam (D), vor. Der Begriff wurde entscheidend durch den Engländer David J.P. Barker geprägt. Er konnte in epidemiologischen Studien zeigen, dass der Lebensstil werdender Mütter einen direkten Einfluss
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auf die Entwicklung des Fetus und die Gesundheit des Neugeborenen hat. In Grossbritannien untersuchte er von Hebammen geführte Geburtsregister von 5654 Männern, die zwischen 1911 und 1930 in Hertfordshire geboren worden waren, und entdeckte einen Zusammenhang zwischen niedrigem Geburtsgewicht und späterer Anfälligkeit für koronare Herzerkrankungen. Auch Untersuchungen bei einer Vielzahl von Kindern, die während des «Holländischen Hungerwinters» in den Jahren 1944/45 zur Welt kamen, zeigten, dass die stark untergewichtigen Neugeborenen im Erwachsenenalter unter anderem kardiovaskuläre und metabolische Krankheiten wie Diabetes mellitus Typ 2 entwickelten. Je später in der Schwangerschaft die Unterversorgung eintrat, desto weniger stark waren die Risiken ausgeprägt. Ein suboptimales intrauterines Milieu kann demnach zu einer epigenetischen Veränderung führen. Die fetale Programmierung ist heute in zahlreichen Studien gut dokumentiert. Ein klassischer Zusammenhang besteht beispielsweise auch bei Schwangeren mit einem Gestationsdiabetes. Sie bringen vermehrt Kinder auf die Welt, die bereits als Jugendliche eine gestörte Glukosetoleranz zeigen. Als eine Langzeitfolge der fetalen Prägung bleibt die Insulinresistenz bestehen. Typische Folgen sind beim Kind Erkrankungen wie das metabolische Syndrom. Daten zeigen, dass eine frühe Intervention Spätfolgen vermeiden kann, wobei vor allem eine adäquate maternale Ernährung im Fokus der derzeitigen Forschung steht. Doch nicht nur die maternale Seite ist wichtig. Auch durch den Vater ist eine fetale Programmierung möglich. Eine entscheidende Rolle könnten hierbei epigenetische Mechanismen spielen, die über mikroRNA vermittelt werden. Dies konnte vor Kurzem eindrucksvoll in tierexperimentellen Studien aus dem Hochfettbereich gezeigt werden. MikroRNA, welche aus Spermien fettleibiger Vatertiere isoliert wurden, induzierten eine Fettleibigkeit der Nachkommenschaft, wenn sie in befruchtete Eizellen normalgewichtiger Elterntiere injiziert wurden. Ergebnisse dieser Studie deuten darauf hin, dass auch der Lebensstil des Vaters über epigenetische Mechanismen die Nachkommenschaft prägen kann.
Melatonin bei Tumorpatienten: Tumorprävention möglich?
Der US-amerikanische Melatoninexperte Prof. Russel Reiter, University of Texas, sprach über das Schlafhormon Melatonin. Die Evolution habe unseren biologischen Rhythmus bestimmt, sagte Prof. Reiter einleitend. Jede Zelle unseres Körpers ist auf den biologischen Rhythmus von Tag und Nacht eingestimmt. Dieser funktioniert un-
abhängig vom Schlaf, das heisst, der Melatoninspiegel nimmt nachts ab, auch wenn man nicht schläft. Ein regulärer zirkadianer Rhythmus ist wichtig für die Gesundheit. Epidemiologische Studien weisen ein erhöhtes Krebsrisiko für Schichtarbeiter nach. Bei Frauen nahm das Risiko für Brustkrebs bei einem tiefen Melatoninspiegel zu. Für Prof. Reiter ist ist künstliches Licht sogar die «tief greifendste Form der Umweltverschmutzung», die es gibt. Denn auch künstliches Licht beeinflusst den zirkadianen Rhythmus und supprimiert das Melatonin. Das wiederum kann zu Instabilitäten bei Genen führen, die Telomerase inhibieren und das Risiko für Krebs erhöhen. «Licht wirkt wie eine Droge und beeinflusst die Gesundheit», so der Experte. Der Melatoninspiegel sinkt insbesondere bei nächtlichem, insbesondere blauem Licht mit einer Wellenlänge von 460 bis 480 Nanometern. Therapeutisch eingesetzt, kann Melatonin wiederum die Bildung von Metastasen reduzieren (Su et al., in press). Ein physiologischer Faktor, der zum Absinken des Melatoninspiegels führt, ist das Alter. Interessanterweise steigt auch das Risiko für eine Krebserkrankung insbesondere im Alter an, Eine mögliche Therapie, so Prof. Reiter, wäre die Gabe von Melatonin, da es ein sicheres Molekül ist.
Ernährung und Depression
Über den Zusammenhang von Ernährung und Depression sprach Prof. Undine Lang, Klinikdirektorin der Erwachsenenpsychiatrie an der psychiatrischen Universitätsklinik Basel und Ordinaria für Psychotherapie an der Universität Basel. Depressionen sind gekennzeichnet durch eine gedrückte Stimmung, negative Gedankenschleifen und einen gehemmten Antrieb über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen (Diagnose und Einteilung der Schweregrade nach ICD-10 und DSM-5). Erkrankungen wie ein Herzinfarkt können zu einer Depression führen. Aber auch die Depression stellt einen Risikozustand für körperliche Erkrankungen dar. Mit der Behandlung der Depression bessert sich das Outcome beispielswiese von Demenzen um das 2- bis 3-Fache, von kardiovaskulären Erkrankungen um das 3-Fache. Dabei ist zu beachten, dass Depressionen nicht nur zentrale Verschiebungen von Neurotransmittern sind, sondern auch zu Defiziten in den verschiedensten Systemen führen können. So nimmt die Blutviskosität ab, die Inflammation nimmt zu, auch eine Zunahme von Stresshormonen und Insulin ist zu beobachten. Oftmals ernähren sich depressiv erkrankte Menschen falsch, wobei unklar ist, so Prof. Lang, ob die falsche Ernährung depressiv macht oder die Depression zu einer falschen Ernährung führt. In experimentellen Studien an den Universitären Psychiatrischen Kliniken in Basel zeigt sich, dass die Nahrung das Gehirn beeinflusst. So stimuliert grüner Tee die Hirnaktivität, Vitamin D wiederum korreliert mit Extraversion und Offenheit. Das heisst, es kommt
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zu einer Wechselbeziehung von Ernährung und Hirnfunktion. Beeinflusst wird auch insbesondere das Mikrobiom. Dabei kann bereits eine zweitägige Ernährungsumstellung bei Depressiven das Mikrobiom si-gnifikant beeinflussen. So zeigen Assoziationsstudien von Diät und Depression, dass eine japanische und mediterrane Diät mit Olivenöl, Fisch, Früchten, Gemüse, Nüssen und unprozessiertem Fleisch das Depressionsrisiko senkt. Auch eine vegane Diät verringert depressive Symptome, und eine vegetarische Diät ist mit einer besseren Stimmung assoziiert. Aufgrund der Ergebnisse wurden Nahrungsergänzungsmittel bei Depression untersucht. Es zeigt sich, dass Magnesium genauso effektiv wirkt wie das Antidepressivum Imipramin oder Vitamin B6 und B12 und dass Folsäure bei Stroke-Überlebenden das Auftreten einer Depression um 50 Prozent über sieben Jahre reduziert. Prof. Lang fragt sich, ob die Therapie einer Depression nicht auch die Ernährung und das Mikrobiom beinhalten sollten. Im August 2017 startet deshalb eine erste Studie an der UPK Basel. Bei depressiven
Patienten soll ein Mikrobiomtransfer stattfinden. «Das Mikrobiom könnte ein grosser Durchbruch in der klinischen Neurowissenschaft sein», so die Expertin. Im Rahmen einer zweiten Studie wird die Probiotikagabe bei depressiven Patienten untersucht. Auch die diätetische Behandlung bei Depression wird diskutiert. «Limitierend wirkt bei diätetischen Behandlungen allerdings, dass diese nicht doppelblind und randomisiert möglich sind», so Prof. Lang. Hoffnungen weckt allerdings die SMILES-Studie (BMC Medicine 2017): 67 Teilnehmer einer Diätgruppe zeigten ein besseres Outcome als Teilnehmer einer Gruppe mit sozialer Unterstützung. Die schwer depressiven Patienten erhielten eine ausgewogene Mischkost. Gestrichen wurden alle verarbeiteten Fleisch- und Wurstprodukte, Auszugsmehle und Produkte daraus, Frittiertes, Softdrinks, Süssigkeiten und Fast Food.
Quelle: 14. SSAAMP-Jahreskongress «Better Aging» vom 11. März 2017 im «Metropol» Zürich.
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