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TAGUNGSBERICHT
31. Schweizerische Jahrestagung für Phytotherapie 2016
Herausforderungen im Spannungsfeld von Arznei- und Nahrungspflanzen
Kathrin Rutishauser
Ernährung und pflanzlicher Nahrung im Speziellen wird heutzutage ein hoher Stellenwert zugeschrieben. Die Jahrestagung der Schweizerischen Medizinischen Gesellschaft für Phytotherapie (SMGP) im November 2016 widmete sich der Schnittstelle Phytotherapie und pflanzlicher Ernährung. Mit den Gesetzesrevisionen, welche Chancen, aber auch Risiken für die Weiterentwicklung der Phytotherapie mit sich bringen, gewinnt das Thema aktuell an Bedeutung. Eine sinnvolle Abgrenzung zwischen pflanzlichen Arzneimitteln und Nahrungsergänzungsmitteln auf pflanzlicher Basis könnte hilfreich sein.
Dr. rer. nat. Klaus Peter Latté, wissenschaftlicher
Mitarbeiter und Prüfleiter des Landeslabors Berlin-
Brandenburg in Berlin, informierte über die unter-
schiedlichen Zweckbestimmungen von pflanzlichen
Arzneimitteln und Nahrungsergänzungsmitteln. So
sollen pflanzliche Arzneimittel Heilung, Linderung
oder Verhütung von Krankheiten oder krankhaften
Beschwerden bezwecken. In der Schweiz sind sie im
Heilmittelgesetz geregelt. Nahrungsergänzungsmittel
mit pflanzlichen Inhaltsstoffen sollen der Ergänzung
der allgemeinen Ernährung dienen und sind im
Lebensmittelgesetz weit weniger streng geregelt. So-
wohl das Heilmittelgesetz als auch die Revision des
Lebensmittelrechts sehen Änderungen vor, welche für
die Weiterentwicklung der Phytotherapie genutzt
werden können. Aktuell gibt es jedoch keine klare Ab-
grenzung zwischen den Produktgruppen
mit pflanzlichen Stoffen. Bei Nahrungs-
Les défis de l‘interface plantes médicinales et plantes alimentaires
ergänzungsmitteln müssen lediglich die wirksamen Bestandteile analog den Lebensmitteln mengenmässig aufgeführt werden, bei pflanzlichen Arzneimitteln
Mots clés: Plantes médicinales – plantes alimentaires – révision de la législation – exigences d’efficacité L’alimentation, et notamment l’alimentation végétale, s’est vue attribuer, de nos jours, une place importante. L’Assemblée annuelle de la Société Suisse de Phytothérapie Médicale (SSPM) en novembre 2016 était consacrée à l‘interface phytothérapie et alimentation végétale.
sind die Deklarationsvorschriften umfassender. Fachgesellschaften wie der SMGP wird empfohlen, sich in einem Gremium für Abgrenzungsfragen, wie dies im nahen Ausland auch bereits gemacht wird, mit ihrem Wissen zu engagieren und aufzuzeigen, wo die Wirkungen und Potenziale von Pflanzen und deren Zubereitungen liegen und wo (eher) nicht.
Des substances végétales secondaires provenant de l’alimentation et de la phytothérapie peuvent avoir des effets complémentaires. La
Einfluss der Pflanzen auf Entzündungen
délimitation règlementaire représente cependant un défi.
Diverse Pflanzen haben einen günstigen Einfluss auf akute und chronische Ent-
zündungen. Dr. med. Rainer Stange, leitender Arzt der Abteilung für Naturheilkunde am ImmanuelKrankenhaus in Berlin und an der Charité-Universitätsmedizin Berlin, fokussierte auf sekundäre, nicht energieliefernde Pflanzeninhaltsstoffe wie Karotinoide und Anthocyane. Die wichtigsten Resultate mit gesicherter Bedeutung liefern jedoch die Omega-6Fettsäuren (proinflammatorisch) und die Omega-3Fettsäuren (antiinflammatorisch). Der bekannteste Vertreter pflanzlicher Omega-3-Fettsäuren ist die Alpha-Linolensäure, welche unter anderem in Leinsamen und in Leinöl in hohen Mengen vorkommt. Als weitere vegane Alternative gibt es Omega-3-Fettsäuren aus Algen. Ein weiteres Produkt mit hohem Gehalt an Omega-3Fettsäuren liefert auch die altbekannte Butter aus dem Lötschental. Diese enthält bis zu dreimal mehr wertvolle Omega-3-Fettsäuren als Butter aus konventionell produzierter (Tal-)Milch. Dr. sc. nat. Florian Leiber, Leiter des Departements für Nutztierwissenschaften am Forschungsinstitut für Biologischen Landbau (FiBL) in Frick, erklärte, dass die Omega-3-FettsäureKonzentration in Milch und Fleisch vom Anteil an Kräutern und Getreide in der Ernährung der Tiere abhänge (und weniger von der geografischen Lage der Haltung). Eine Umstellung des Humankonsums von Milchprodukten aus solcher Produktion könnte die Omega-3-Aufnahme einer erwachsenen Person mit durchschnittlicher Konsumgewohnheit um 43 Prozent steigern. Das würde gleichzeitig der Überfischung der Meere entgegenwirken, denn dies entspricht dem täglichen Verzehr von 800 g Lachs.
Regelkreis der Nahrungsaufnahme
Dr. Rosmarie Clara, wissenschaftliche Mitarbeiterin von Dr. Wolfgang Langhans am Institut für Physiolo-
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gie und Verhalten an der ETH-Zürich, demonstrierte den physiologischen Regelkreis der Nahrungsaufnahme. Im Verlauf der Evolution war es entscheidend, ein plötzliches Angebot attraktiver Nahrung maximal nutzen zu können. Diese eigentlich effizienten Feedback-Signale können jedoch in einer Umwelt, wo konstant attraktive Nahrung vorhanden ist, zu einer überhöhten Nahrungsaufnahme führen. Dies ist ein möglicher Grund für die weltweite Adipositasepidemie und deren Folgeerkrankungen. Gewürze machen das Essen beispielsweise schmackhafter und können somit die Nahrungsaufnahme stimulieren und erhöhen.
Supplementierung mit Antioxidanzien
Antioxidanzien schützen andere Stoffe vor Oxidation und sind massgeblich an der Erhaltung der RedoxHomöostase beteiligt. PD Dr. med. Gudrun UlrichMerzenich, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Medizinischen Klinik III der Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn, zeigte auf, dass eine Supplementierung mit Antioxidanzien je nach Ernährungssituation vernünftig sein kann, zum Beispiel wenn ein Mangel vorliegt. Bei einer Supplementierung bei normaler Ernährung und «gesättigten Werten» ist im Speziellen bei den fettlöslichen Vitamine A, E und beta-Carotin jedoch Vorsicht geboten. Es sind noch weitere Untersuchungen nötig, um das Zusammenspiel von Antioxidanzien und reaktiven Sauerstoffspezies (ROS) und deren Bioverfügbarkeit zu erfassen.
Knoblauch und seine positiven Wirkungen
Prof. em. Dr. med. Reinhard Saller, ehemaliger Direktor des Instituts für Naturheilkunde des Universitätsspitals Zürich, verwies auf das Schicksal des Knoblauchs, der noch in den Neunzigerjahren hoch gepriesen wurde und in den letzten Jahren stark in Vergessenheit geriet. Traditionell wird er bei Verdauungsstörungen, Erkältungskrankheiten, Asthma bronchiale und als Stärkungsmittel eingesetzt. Neuere Studien konnten nicht nur eine signifikante Reduktion des Blutdrucks, sondern auch den positiven Einfluss von Knoblauchpulver auf verschiedene kardiovaskuläre Risikofaktoren aufzeigen. Vielversprechend könnte er sich auch in der Prävention/Therapie einiger Tumorerkrankungen (z.B. Prostatatumoren) erweisen. Hört man all dies, lässt der nächste Knoblauch-Hype wohl nicht mehr lange auf sich warten …
Steht das Menü in den Genen?
Personalisierte Ernährung klingt vielversprechend und ist in aller Munde. Werden wir in Zukunft im Restaurant eine auf unsere Gene abgestimmte MenüAuswahl erhalten? Ein eindrückliches Beispiel einer Interaktion zwischen Genen und spezifischen Nährstoffen stellte Dr. Guy Vergères, Forschungsgruppenleiter Funktionelle Ernährungsbiologie bei Agroscope in Bern, am Beispiel der Pima-Indianer vor. Ein Teil
der Pima-Indianer lebt heute in Arizona und ein anderer Teil im Hochland von Mexiko. Diejenigen in Arizona, welche sich nach westlicher Diät mit energiedichter Nahrung ernähren, leiden auffallend häufig unter Typ-2-Diabetes und Fettleibigkeit im Vergleich zu den mexikanischen Pima-Indianern. Ferner sind heute kommerzielle Gentests erhältlich, anhand derer Kaffeejunkies herausfinden können, ob sie Träger einer schwach aktiven Genvariante von CYP1A2 sind, dem Hauptenzym beim Koffeinmetabolismus. Langsame Metabolisierer, die zwei bis drei Tassen Kaffee pro Tag trinken, haben ein höheres Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, als Menschen mit derselben Genvariante, die aber nur eine Tasse Kaffee pro Tag trinken. Viele chronische Erkrankungen jedoch sind polygen bedingt und können nicht auf ein einzelnes Gen zurückgeführt werden.
Curcumin und seine Anwendung
Das letzte Referat war Curcuma longa, der Gelbwurz, gewidmet. Dr. Andreas Biller, Geschäftsführer der Dr. Loges + Co. GmbH in Winsen, stellte die vielseitigen Anwendungen der zur Familie der Ingwergewächse gehörenden Pflanze vor. Curcumin, der Hauptinhaltsstoff der Gelbwurz, wird aktuell in den deutschen Leitlinien für Ärzte zur adjuvanten Therapie von Colitis ulcerosa empfohlen. Eine grosse Herausforderung stellt bis heute die Bioverfügbarkeit dar, denn Curcumin ist stark hydrophob, was eine geringe Resorption aus den Verdauungsorganen zur Folge hat. Eine markante Verbesserung der Bioverfügbarkeit konnte in Kombination mit Piperin aus schwarzem Pfeffer oder in patentierter Micellenform (185-fach) nachgewiesen werden. Ähnlich wie beim Knoblauch scheint das Wirkungspotenzial von Curcuma noch nicht ausgeschöpft. Zusammenfassend hat die 31. Schweizerische Jahrestagung für Phytotherapie gezeigt, dass die Übergänge zwischen Nahrungs- und Arzneipflanzen oft fliessend sind. Deshalb ist es naheliegend, dass sekundäre Pflanzenstoffe aus Ernährung und Phytotherapie sich in ihren Wirkungen ergänzen können. Die regulatorische Abgrenzung stellt eine Herausforderung dar, insbesondere stellt sich die Frage, wie sinnvoll es ist, wenn Nahrungsergänzungsmittel Wirksamkeitsansprüche der Phytotherapie übernehmen. Klar ist, dass beide Produktgruppen dem Erhalt der Gesundheit dienen sollen. In diesem Sinne kann die im Tagungsthema gestellte Frage «Phytotherapie und pflanzliche Ernährung: Partner oder Gegensatz?» mit einem abschliessenden Zitat von Hippokrates beantwortet werden: «Eure Nahrungsmittel sollen eure Heilmittel und eure Heilmittel eure Nahrungsmittel sein!»
Korrespondenzadresse: Kathrin Rutishauser Dipl. Umwelt-Natw. ETH Zürich MAS Nutrition & Health E-Mail: kathrin.rutishauser@gmx.ch
Die 32. Schweizerische Jahrestagung für Phytotherapie wird am 23. November 2017 stattfinden. Thema: «Phytotherapie in der Gynäkologie – ein Update». Weitere Informationen: www.smgp.ch Der abgebildete QR-Code führt Sie direkt auf die Seite.
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