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Darmversagen – Ernährungstherapie beim Kurzdarmsyndrom
Maya Dorfschmid
Maja Dorfschmid, Ceylan Sinik-Agan
Unter dem Begriff Darmversagen werden verschiedene klinische Situationen zusammengefasst, welche zu einer eingeschränkten Resorptionsfähigkeit des Darms führen und dadurch situativ angepasste ernährungstherapeutische, medikamentöse und chirurgische Strategien verlangen. Der Beitrag beschränkt sich auf die Ernährungstherapie des Kurzdarmsyndroms, da dieses eine komplexe interdisziplinäre Herausforderung darstellt. Insbesondere die Aufrechterhaltung des Ernährungszustands sowie die Durchführung einer klinischen Ernährungstherapie und das Aufrechterhalten der Flüssigkeitshomöostase gestalten sich oft schwierig.
Einleitung
Das Darmversagen wird in der aktuellen S3-Leitlinie
der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin fol-
gendermassen definiert: Unfähigkeit, wegen einer ein-
geschränkten resorptiven Kapazität des Darms (Ob-
struktion, Dysmotilität, chirurgische Resektion,
kongenitale Erkrankungen, krankheitsassoziierte ver-
minderte Resorption) die Protein-, die Energie-, die
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Flüssigkeits- und die Mikronährstoffbilanz aufrechtzuerhalten (1).
Das Kurzdarmsyndrom stellt eine Form des Darmver-
sagens dar, welche durch Leuenberger et al. als ein Zu-
stand definiert wird, in welchem infolge einer ausge-
prägten Darmresektion oder durch Behinderung der
Darmfunktion anderer Genese die Resorption von
Nährstoffen derart eingeschränkt ist, dass es zu einem
Mangelzustand und/oder zur Dehydratation kommt
(2). Ein Kurzdarmsyndrom liegt meist vor, wenn we-
niger als 200 cm Restdünndarm vorhanden sind. Wel-
che Darmabschnitte von der Resektion
betroffen sind, spielt dabei eine wichtige
Défaillance intestinale: hérapie nutritionnelle dans le syndrome du grêle court de l’adulte
Rolle. Entscheidender als die Länge des Restdünndarms ist jedoch die Funktionalität des Darms. Dieser Artikel beschränkt sich auf die Ernährungstherapie des Kurzdarmsyn-
Mots clés: Défaillance intestinale – phases du SGC – surveillance – thérapie nutritionnelle – médicaments
droms, da dieses eine komplexe interdisziplinäre Herausforderung darstellt (Tabelle 6). Dabei gilt es stets, auch die persönliche Situation des Patienten zu
Le syndrome du grêle court (SGC) représente un défi interdisciplinaire complexe. La préservation de l‘état nutritionnel, en particulier, ainsi que la mise en œuvre d‘une thérapie nutritionnelle clinique s‘avèrent souvent difficile.
berücksichtigen, um durch individuell angepasste ernährungstherapeutische Interventionen den Ernährungszustand aufrechtzuerhalten oder zu verbessern und die Lebensqualität zu optimieren. Wissenschaftliche Grundlage dieser
Übersichtsarbeit sind die aktuellen «Guidelines on chronic intestinal failure in adults» der Europäischen Gesellschaft für klinische Ernährung und Metabolismus (ESPEN) (3). Ergänzt wird diese wissenschaftliche Basis durch persönliche Erfahrungen aus der klinischen Praxis. Die Behandlung und Betreuung von Kurzdarmpatienten soll durch ein multidisziplinäres Team erfolgen, in welchem eine spezialisierte Ernährungsberaterin SVDE eine zentrale Rolle spielt.
Die Phasen des Kurzdarmsyndroms
Zur Unterstützung der Therapie- und Interventionsplanung sowie zur Interpretation der medizinischen Situation kann das Kurzdarmsyndrom in folgende Phasen unterteilt werden (2): • Hypersekretionsphase • Adaptionsphase • chronische Phase/Stabilisationsphase. Eine eindeutige zeitliche, biologische und funktionelle Abgrenzung der Phasen ist nicht möglich. Merkmal der Hypersekretionsphase sind Flüssigkeitsund Elektrolytverluste aufgrund der gastralen Hypersekretion, die zu einer Verschiebung des intestinalen pH-Milieus führen. Diese Phase kann einige Tage bis zu mehrere Wochen andauern. Es kann von einer deutlich eingeschränkten Resorptionskapazität von Flüssigkeit, Elektrolyten sowie Makro- und Mikronährstoffen ausgegangen werden, die eine parenterale Ernährung zwingend indiziert. Nach der Hypersekretionsphase folgt die Adaptionsphase. Wie der Name bereits erahnen lässt, finden in dieser Phase Adaptionsvorgänge statt. Die Adaptionskapazität des Restdarms ist abhängig von den verbleibenden Darmabschnitten sowie deren Länge und Funktion. Die Adaption kann mehrere Wochen bis über ein Jahr andauern. Das ernährungstherapeuti-
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sche Ziel der Adaptionsphase ist es, mit der oralen/enteralen Ernährung zu starten und diese möglichst weit zu steigern, wobei die parenterale Ernährung zur Sicherstellung der bedarfsdeckenden Nährstoffzufuhr beibehalten werden soll. Der Übergang von der Adaptionsphase in die Stabilisationsphase ist fliessend. In der Regel tritt diese Phase nach einem Jahr ein. In der Stabilisationsphase stellt sich heraus, ob eine langzeitparenterale Ernährung notwendig ist oder nicht. In dieser Phase ist das Ziel, die individuelle Langzeiternährung zu finden. Wichtig dabei ist, dass ein guter Ernährungszustand erreicht oder erhalten wird und die Lebensqualität des Patienten durch die Ernährungstherapie positiv beeinflusst wird. Gerade bei einem langfristigen Bedarf an ergänzender oder totaler parenteraler Ernährung gilt es, die verschiedenen Möglichkeiten zur Applikation der parenteralen Ernährung mit dem Patienten und seinem Umfeld genau zu evaluieren und eine individuell passende Lösung zu finden. Ausserdem sollen Langzeitkomplikationen vermieden oder das Risiko dafür reduziert werden.
Assessement und Monitoring
Ernährungsberaterinnen SVDE führen die Ernährungstherapie gemäss dem Nutrition-Care-Prozess (NCP) durch. Dessen vier zentrale Schritte sind ein detailliertes Ernährungsassessment, das Erstellen einer Ernährungsdiagnose, die Ernährungsinterventionen und das Ernährungsmonitoring/die Evaluation. Da sich ernährungstherapeutische Diagnosen und Interventionen auf ein ausführliches Ernährungsassessment stützen, wird dieses Thema – mit Fokus auf das Kurzdarmsyndrom – näher erläutert. Die Basis des ernährungstherapeutischen Assessments ist in Tabelle 2 dargestellt. Beim Kurzdarmsyndrom gilt es, die Flüssigkeits- und die Elektrolythomöostase sowie die Resorptionsfähigkeit des Darms speziell zu berücksichtigen. Es wird daher nebst einer detaillierten Ernährungsanamnese auch eine genaue Stuhlanamnese durchgeführt und eine erweiterte Diagnostik mit Laborbestimmungen und – falls möglich – eine Bioelektrische Impedanzanalyse (BIA) vorgenommen. Bei der Ernährungsanamnese wird speziell auf die Energie-, die Protein-, die Fett- und die Flüssigkeitsaufnahme sowie die Wahl der Getränke und weitere relevante Aspekte wie Kalzium-, Oxalat- und Mikronährstoffaufnahme geachtet. Beim Kurzdarmsyndrom ist das Risiko einer Dehydratation eines der grössten Ernährungsprobleme (3). Deshalb ist ein wichtiges Ziel der Ernährungstherapie die Flüssigkeitshomöostase. Eine ungenügende beziehungsweise inadäquate Flüssigkeitssubstitution kann eine reduzierte Leistungsfähigkeit, schwerwiegende Elektrolytentgleisung und akute Niereninsuffizienz zur Folge haben. Die Überprüfung des Hydrationsstatus ist daher auch ein wichtiger Aspekt in der klinischen Beurteilung des Kurzdarmpatienten (1). Die Evaluation der Flüssigkeitszufuhr und -ausscheidung über 24 Stunden ist die Grundlage zur Beurtei-
Tabelle 1:
Flüssigkeitshomöostase beim Gesunden
Wasseraufnahme Getränke Wasser in fester Nahrung* Oxidationswasser
1440 ml 875 ml 335 ml
Gesamtwasseraufnahme
2650 ml
Wasserausgabe Urin** Stuhl*** Haut (Schweiss) Lunge Wasserausgabe
1440 ml 160 ml 550 ml 500 ml 2650 ml
Wasserbilanz in ml/Tag beim gesunden Erwachsenen gemäss (5) * ca. 0,33 ml/kcal; ** Urinvolumen entspricht Trinkvolumen; *** Beim Kurzdarmsyndrom ist der Verlust über den Stuhlgang oft deutlich grösser und muss entsprechend ersetzt werden.
Tabelle 2:
Ernährungsassessment gemäss Nutrition-Care-Prozess
Basis-Ernährungsassessment Kategorie Lebensmittel/ernährungsbezogener Hintergrund Anthropometrische Messungen Biochemische Daten, medizinische Tests und Verfahren Ernährungsbezogene körperliche Befunde Hintergrund des Klienten
Allgemein Vorlieben, Abneigungen, Ernährungswissen über Lebensmittel usw. Grösse, Gewicht, Gewichtsverlauf usw. Labordaten und Untersuchungen, Stärke der Faustschlusskraft (Handgrip) usw. Schluckfunktion, Appetit, Stuhlgang usw. Medizinische und familiäre Geschichte, persönliche Vorgeschichte usw.
Quelle: SVDE 2013
Tabelle 3:
Fallbeispiel: Flüssigkeitssubstitution in der Hypersekretionsphase
Diagnose/medizinische Ausgangslage: Dritter postoperativer Tag nach ausgedehnter Dünndarmresektion und Hemikolektomie rechts aufgrund perforierter Appendizitis, derzeit 150 cm Darm nach Pylorus vorhanden, Jejunostoma angelegt. Flüssigkeitsausscheidung: In 24 Stunden: 4500 ml Output über Jejunostoma, 1000 ml Urin, rund 1000 ml über Atmung und Schweiss = totale Flüssigkeitsausscheidung von 6500 ml/Tag. Flüssigkeitszufuhr: In 24 Stunden: orale Aufnahme von 500 ml Wasser über den Tag verteilt, keine enterale Zufuhr, parenterale Flüssigkeitssubstitution von 2000 ml Flüssigkeit pro Tag = totale Flüssigkeitszufuhr zirka 2500 ml/Tag. Flüssigkeitsresorption/Flüssigkeitsbilanz: Berechnung mittels enteraler Resorptionskapazität: 500 ml (orale Aufnahme) minus 4500 ml (Stoma-Output) = –4000 ml ungenügende Flüssigkeits- und Natriumresorption, da Differenz zwischen Gewicht der oralen Zufuhr und dem Stuhlgewicht weniger als 1,41 kg/Tag. Berechnung mittels Flüssigkeitsbilanz: 2500 ml (Total Flüssigkeitszufuhr) minus 6500 ml (Total Flüssigkeitsausscheidung) = –4000 ml/Tag negative Flüssigkeitsbilanz! Zusätzliche intravenöse Flüssigkeitssubstitution von 4000 ml/Tag notwendig. Beispiel für eine mögliche Ernährungsdiagnose nach PES-Statement: (P = Problem): Unzureichende Flüssigkeitsaufnahme aufgrund (E = Etiology) ungünstiger Getränkeauswahl bei veränderter gastrointestinaler Funktion mit eingeschränkter intestinaler Resorptionskapazität/Kurzdarmsyndrom (Restdünndarmlänge 150 cm, Jejunostoma) in der Hypersekretionsphase (S = Signs, Symptome), was sich in einer negativen Flüssigkeitsbilanz von 4000 ml/Tag und einem Stoma-Output von 4500 ml/Tag zeigt.
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Tabelle 4:
Laborkontrollen beim Kurzdarmpatienten
Natrium, Kalium, Chlorid, Kalzium, Magnesium, Phosphat, Harnstoff, Kreatinin, Eisen-Bindungskapazität, Ferritin, Glukose, Präalbumin, Albumin, ALAT, ASAT, Gamma-GT, alkalische Phosphatase, Bilirubin, C-reaktives Protein Bikarbonat (venöse Blutgasanalyse mit Laktat © Laktatazidose) Blutbild (inkl. Thrombozyten) Quick, INR Vitamine: Vitamin B12 und B1, Vitamine A, D und E Spurenelemente: Eisen, Zink, Selen 24-h-Urin: In der Anfangsphase Bestimmung der Kontrollparameter je nach Klinik, danach alle 3 bis 6 Monate. Nach dem 1. Jahr genügt meist eine jährliche Kontrolle.
(nach Leuenberger et al. [2]*)
lung der Flüssigkeitshomöostase. Die Flüssigkeitszu-
fuhr umfasst alle Flüssigkeiten, welche oral (inkl.
Flüssigkeitsgehalt der Speisen), enteral und parenteral
aufgenommen beziehungsweise zugeführt werden.
Zur Flüssigkeitsausscheidung zählen die Ausschei-
dung von Urin und Stuhl, Emesis, Schweiss, die At-
mung, der Stoma-Output sowie allfällige Verluste
über Fisteln. Die Flüssigkeitshomöostase bei gesun-
den Personen ist in Tabelle 1 dargestellt.
Grundsätzlich sollte man sich stets bewusst sein, dass
der Darm sowohl ein Flüssigkeit und Natrium sekre-
tierendes als auch absorbierendes Organ ist. Beim
Kurzdarmpatienten (insbesondere bei einer Jejuno-
stomie) kann die Balance zwischen Sekretion und Ab-
sorption gestört sein. Von «Sezernieren» spricht man,
wenn die intestinal ausgeschiedene Flüssig-
Tabelle 5:
Rezeptur einer oralen Rehydratationslösung zum Selberherstellen
keitsmenge grösser ist als die oral aufgenommene Menge. Diese Patienten verlieren oft auch Flüssigkeit über das Stoma, wenn sie keine orale Nahrung oder Flüssigkeit
Orale Rehydratationslösung • 20 g Glukose (um geschmacklich etwas Ab-
wechslung zu erhalten, können 40 bis 50 ml Sirup verschiedener Aromen gewählt werden) • 3,5 g Natriumchlorid • 2,5 Natriumbicarbonat (Backpulver) • 1 Liter Wasser
aufnehmen. Eine orale Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme wiederum führt zu einer gesteigerten intestinalen Sekretproduktion und Ausscheidung (4). Eine gezielte Getränkeauswahl kann in diesen Situationen hilfreich sein (Beispiel einer oralen Rehydratationslösung siehe Tabelle 5). Gemäss Pironi et al. liegt unter anderem eine ungenügende Flüssigkeits- und Na-
triumresorption vor, wenn die Differenz
zwischen dem Gewicht der oralen Zufuhr und dem
Stuhlgewicht weniger als 1,41 kg/Tag beträgt und die
Urinmenge unter 800 bis 1000 ml/Tag liegt (das Ziel-
urinvolumen sollte bei 15 ml/kg KG/Tag liegen).
Das Gewichtverhältnis von oraler Zufuhr (Mahlzeiten
und Getränke) und Stuhlmenge kann auch für eine
grobe Beurteilung der generellen Resorptionskapazi-
tät hilfreich sein.
Die genaue Stuhlanamnese ist ein wichtiger Bestand-
teil des Ernährungsassessments beim Kurzdarmsyn-
drom. Sie stellt ein relevantes Instrument zur Beurtei-
lung der Resorptionskapazität des Darms dar und
dient auch zur Beurteilung der Wirksamkeit von er-
nährungstherapeutischen und medikamentösen In-
terventionen.
Bei der Stuhlanamnese sollten unter anderem folgende Punkte erfasst werden: • Stuhlmenge/-frequenz • Stuhlfarbe • Stuhlkonsistenz (als Hilfsmittel kann hier auch die
Bristol-Stool-Chart verwendet werden) • besondere Merkmale des Stuhlganges (z.B. ölig,
schwimmend, schaumig) • Stuhlgeruch • Besonderheiten bei der Stuhlentleerung.
Ernährungstherapie – Grundsätzliches
Beim Planen einer Ernährungstherapie gilt der Grundsatz «If the gut works, use it». Die Ernährung soll, wenn immer, möglichst oral zugeführt und bei Bedarf durch Nahrungssupplemente wie Trinknahrungen ergänzt werden. Ist eine orale Nahrungsaufnahme nicht oder nicht bedarfsdeckend möglich, wird grundsätzlich eine enterale Ernährung empfohlen, und nur bei nicht funktionstüchtigem Darm ist eine parenterale Ernährung indiziert. Denn die orale Ernährung ermöglicht eine Ernährung der Darmzotten, und die orale und/oder enterale Ernährung trägt zur Aufrechterhaltung des enterohepatischen Kreislaufs bei. Lässt sich der Nährstoffund Flüssigkeitsbedarf nicht ausreichend abdecken, wird die zusätzlich benötigte Nahrung und Flüssigkeit aufgrund der eingeschränkten Resorptionsfähigkeit des Darms parenteral appliziert. Eine ergänzende enterale Ernährung wird in der Praxis beim Kurzdarmpatienten extrem selten durchgeführt, daher wird in diesem Artikel auch nicht näher darauf eingegangen.
Hydrierung In der Hypersekretionsphase kann nach ausgedehnter Darmresektion täglich eine parenterale Zufuhr von 6 bis 8 l Flüssigkeit, 300 bis 400 mmol Natrium und 100 bis 200 mmol Kalium sowie anderer Elektrolyte (Cl, Mg, Ca, PO4) und Spurenelemente (insbesondere Zn, Se, Fe) sowie Bikarbonat erforderlich sein (2). Bei grossen Verlusten und bei «Sekretieren» wird die Flüssigkeit meist intravenös appliziert, Mengen bis zu zirka 500 ml pro Tag können jedoch auch subkutan verabreicht werden, wenn so auf einen intravenösen Zugang verzichtet werden kann. Der tägliche Flüssigkeitsbedarf durch Nahrung und Getränke des gesunden Erwachsenen liegt bei zirka 30 bis 40 ml/kg Körpergewicht und Tag (5), bei parenteraler Ernährung liegt der Bedarf bei 25 bis 35 ml/kg Körpergewicht und Tag (3). Erhöhte Verluste über Stoma und Fisteln und so weiter sind wie erläutert zu kompensieren (siehe Fallbeispiel Tabelle 3).
Massnahmen zur Optimierung der intestinalen Flüssigkeits- und Elektrolytresorption Es gilt zu berücksichtigen, dass für die Flüssigkeitsund Natriumresorption die Osmolarität sowie das Vorhandensein von Glukose eine wichtige Rolle spielen. Die Osmolarität der intestinalen Flüssigkeiten/des Speisebreis wird durch verschiedenste Faktoren beeinflusst:
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Osmolarität respektive Natrium und Glukosegehalt der Getränke, Salzgehalt der Speisen, Sekretion von Magensäure und Verdauungssekreten. Die aufgeführten Interventionen können helfen, die intestinale Flüssigkeitsresorption zu verbessern, deren Effekt soll jedoch stets klinisch evaluiert werden, da die Studienlage nicht eindeutig ist: • Liberaler/grosszügiger Einsatz von Speisesalz bei
den Mahlzeiten (Nachsalzen) und Konsum von salzreichen Snacks wie beispielsweise Salzstangen. • Falls eine Abneigung gegenüber salzigen Speisen besteht: Einsatz von Salztabletten (bis zu 7 g Natriumchlorid pro Tag) (6). • Reduktion von hypotonischen Getränken (Wasser, Tee, Kaffee) und hypertonischen Getränken (Fruchtsäfte, Limonaden etc.) und Steigerung des Konsums von isotonischen Getränken. • Einsatz von oralen Rehydratationslösungen (Tabelle 5) mit einem hohen Natriumgehalt von mindestens 90 mmol/l; bei Patienten mit erhaltenem Kolon ist dies meist nicht notwendig (7). • Der getrennte Konsum von Speisen und Getränken zeigt in einer kleinen klinischen Studie mit 10 Patienten keine verbesserte Flüssigkeits- oder Nährstoffresorption (8). Im praktischen Alltag berichten jedoch viele Patienten, dadurch das Stuhlvolumen reduzieren zu können, und haben subjektiv den Eindruck, dass der intestinale Transit weniger schnell ist.
Tabelle 6:
Das Kurzdarmsyndrom: eine interdisziplinäre Herausforderung
Darmabschnitt Malabsorption Nährstoffe
Duodenum Kalzium, Magnesium, Phosphat,
Eisen, Folsäure
Jejunum
Elektrolyte (Na, K), Glukose, Amino-
säuren, wasserlösliche Vitamine,
Spurenelemente
Ileum
Vitamin B12, Gallensäuren, Fett/essenzielle Fettsäuren, fettlösliche Vitamine
Ileozäkalklappe Vitamin B12
Kolon
Wasser, Elektrolyte (Na, Mg, Ca), mittelkettige Trigylzeride (MCT), kurzkettige Fettsäuren
Symptome und Probleme Anämie, Osteoporose
Sekretion intestinaler Hormone Magensäuresekretion : Ulkuskrankheit Cholezystokinin und Sekretin Gallenblasenkontraktion , Gallensteinrisiko Unterbrechung der enterohepatischen Zirkulation der Gallensäuren Steatorrhö, (chologener) Durchfall, Elektrolytverluste, Kolitis, Gallensteine Resektion > 50 cm Ileum: Vitamin-B12-Resorption beeinträchtigt Vitamin-B12-Malabsorption bakterielle Synthese von D-Laktat D-Laktatazidose Dekonjugierung von Gallensalzen Durchfall, Steatorrhö Bei Steatorrhö und erhaltenem Kolon, Bildung von Kalkseifen freies Oxalat , Hyperoxalurien, Oxalatnierensteine Dehydratation, Elektrolytstörungen
(nach M. Leuenberger, S. Siewert, R. Meier, Z. Stanga)
Orale Ernährung
Wie gross der Anteil an oraler Ernährung ist, hängt davon ab, in welcher Phase (Hypersekretions-, Adaptions- oder Stabilisationsphase) sich der Patient befindet. Die aufgeführten ernährungstherapeutischen Interventionen werden bewusst nicht klar einer Phase zugeordnet, da einerseits der Übergang von einer in die nächste Phase fliessend ist und andererseits viele der Empfehlungen grundsätzliche Gültigkeit haben. Patienten mit einem Kurzdarmsyndrom sollen im Verlauf möglichst eine normale Ernährung einnehmen können. Wichtig ist dabei, dass Verluste aufgrund der Malabsorption durch eine Hyperphagie und bei Bedarf durch parenterale Ernährung, in speziellen Situationen auch durch eine enterale Ernährung über eine Ernährungssonde, kompensiert werden. Je nach Ausmass der Resektion und Stadium der Adaption ist eine unterschiedliche Absorptionskapazität des Restdarms zu erwarten. Bei oraler/enteraler Nahrungsaufnahme kann eine deutlich erhöhte Energiezufuhr (bis 200%) erforderlich sein (9). Bei einer Restdarmlänge von 60 bis 100 cm Dünndarm und erhaltenem Kolon ist von einer Absorption von rund 70 Prozent der zugeführten Energie auszugehen, dieser Wert ist jedoch individuell sehr unterschiedlich. Proteine werden dabei zu zirka 60 bis 70 Prozent resorbiert, während Kohlenhydrate und Fett oft nur zu zirka 50 Prozent resorbiert werden. Bei erhaltenem Kolon werden bis zu 80 Prozent der nicht resorbierten Kohlenhydrate bakteriell metabolisiert, als kurzkettige Fettsäuren resorbiert und stellen dadurch eine wertvolle Energiequelle dar (10). Die Fettmalabsorption und die damit verbundene Steatorrhö hingegen können zu einer Vielzahl von Problemen führen. Einerseits kommt es zu einer Malabsorption der fettlöslichen Vitamine A, D, E und K, was wiederum zu Mangelerscheinungen führen kann. Andererseits erhöht eine Steatorrhö bei vorhandenem Kolon auch das Risiko für eine Nephrolithiasis. Auch die Resorption der Mikronährstoffe ist regelmässig zu überwachen. Ein Mangel an Vitamin B1, B2, B6 und C ist relativ selten, da diese Vitamine im gesamten Dünndarm resorbiert werden. Ein Mangel der Spurenelemente Zink und Selen tritt bei Kurzdarmpatienten hingegen öfter auf. Kalzium, Magnesium, Eisen und Folsäure werden prädominant im Duodenum resorbiert, und deren Mangel ist daher die typische Folge einer ausgedehnten proximalen Dünndarmresektion (Tabelle 4).
Ernährungstherapeutische Interventionen – oral Mit dem oralen Nahrungsaufbau kann in der Regel begonnen werden, wenn die Stuhlmenge/die Fördermenge des Stomas weniger als 2500 bis 3000 ml pro Tag beträgt. Die Nahrung soll den Bedarf an Energie und Protein abdecken: grundsätzlich durch eine energiedichte, volumenarme Ernährung und Hyperphagie, bei Bedarf ergänzt durch parenterale Ernährung. • Die Nahrungsfaserzufuhr sollte initial reduziert werden. Deshalb Meiden von Rohkost aufgrund des
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hohen Volumens und der Verkürzung der intestinalen Transitzeit. • Eine Verteilung der Speisen auf 6 bis 8 Mahlzeiten pro Tag führt oft zu einer grösseren oralen Energieund Proteinaufnahme. Zudem ist die intestinale Transitzeit erfahrungsgemäss bei kleineren Nahrungsportionen eher langsamer als bei grossen Mahlzeiten. • Bei unzureichender oraler Nahrungsaufnahme kann Trinknahrung eingesetzt werden. Die Osmolarität der Produkte ist oft der entscheidende Faktor der Verträglichkeit. Tendenziell führen hyperosmolare Produkte eher zu Diarrhö. Erfahrungsgemäss besser toleriert werden Produkte mit einer Osmolarität unter 350 mmol/l. • Evaluieren individueller Verträglichkeit und Intoleranz: Eine laktosearme Ernährung ist nicht grundsätzlich indiziert, kann jedoch bei Vorliegen einer Laktoseintoleranz das Stuhlvolumen reduzieren und Verdauungsbeschwerden wie Meteorismus lindern. Bei Meteorismus und flüssigem Stuhlgang kann auch die Wirkung einer FODMAP-armen Ernährung evaluiert werden (FODMAP steht für fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide und Polyole). Die individuelle Verträglichkeit von potenziell laxativen Nahrungsmitteln wie zuckerreichen Speisen, Kaffee, Alkohol und so weiter ist sehr unterschiedlich. • Bei erhaltenem Kolon kann eine erhöhte Kohlenhydrat- (ca. 60% der Energiezufuhr) und reduzierte Fettzufuhr (ca. 20% der Energiezufuhr) empfohlen werden, da dabei die Nährstoffresorption besser ist als bei einer fettreichen und kohlenhydratarmen Ernährung (11). Die fettarme Ernährung kann durch mittelkettige Fettsäuren (MCT) ergänzt werden, welche leicht resorbierbar sind. Es gilt jedoch zu bedenken, dass viele Patienten eine fettarme Ernährung, angereichert mit MCT, geschmacklich nicht mögen und diese auch voluminöser ist als eine fettreichere Ernährung. Dies kann zu einer verminderten oralen Nahrungsaufnahme und somit zu einer schlechteren Abdeckung des Energiebedarfs führen. • Bei Patienten ohne Kolon ist eine Fettrestriktion nicht indiziert.
Medikamentöse Therapie
Die medikamentösen Interventionen sind bei Kurzdarmsyndrom entscheidend für die Verbesserung der Resorptionskapazität und der Darmadaption und sollen interdisziplinär evaluiert und in die Ernährungstherapie miteinbezogen werden. Bei hohem Stuhlvolumen und somit eingeschränkter Resorptionskapazität ist die intravenöse Medikamentengabe zu bevorzu-gen (1). In der Hypersekretionsphase gilt es, vor allem die gastrale Hypersekretion und die gesteigerte Darmmotilität zu behandeln. Loperamid ist erste Wahl in der medikamentösen Behandlung der gesteigerten Motilität. Falls Loperamid trotz Ausschöpfung der Dosis nicht ausreicht, kann ergänzend Codein oder Opiumtinktur verabreicht werden (14). Eine weitere medikamentöse Behandlung der sekretorischen Diarrhö ist Clonidin (3). Die chologene Di-
arrhö hingegen kann mit Cholestyramin behandelt werden (1). Allerdings ist eine Interaktion von Cholestyramin mit anderen Medikamenten möglich. Damit die Gallensäure nicht während der Nahrungsaufnahme gebunden wird, ist es empfehlenswert, Cholestyramin 2 bis 2½ Stunden vor beziehungsweise nach den Mahlzeiten einzunehmen. Falls eine Fettmaldigestion besteht, können Pankreasenzyme substituiert werden (1). Die Dosierung ist flexibel, sie richtet sich nach dem Fettgehalt der Mahlzeit und beträgt zirka 2000 Lipaseeinheiten pro 1 g Nahrungsfett. Wichtig ist, dass sowohl die Haupt- als auch die Zwischenmahlzeiten und Zusatztrinknahrungen mit einer entsprechenden Dosis an Pankreasenzymen abgedeckt werden. In der Praxis werden Pankreasenzyme erfahrungsgemäss eher unter- als überdosiert. Da die Pankreasenzyme in einem alkalischen Milieu wirken, kann bei ungenügender Wirksamkeit der Pankreasenzyme die gleichzeitige Einnahme von Protonenpumpenhemmern hilfreich sein. Als Letztes kann zur Verbesserung der Wasserrückresorption der Einsatz von Präbiotika in Form von löslichen Fasern evaluiert werden (2). Dies bewährt sich besonders in der Praxis bei Ileostomien mit grossem Stuhlverlust. Der Stuhlgang wird dadurch breiiger, und die Flüssigkeitsresorption wird optimiert. Die erste Wahl zur Behandlung der gastralen Hypersekretion sind Protonenpumpenhemmer und falls notwendig ergänzend H2-Antagonisten und Somatostatin. Letzteres kann jedoch einen negativen Einfluss auf die Darmadaption haben, weshalb eine längerfristige Verabreichung nicht empfohlen ist (12).
Parenterale Ernährung
Wie bereits weiter oben erwähnt, ist die parenterale Ernährung in der Hypersekretions- und der Adaptionsphase aufgrund der eingeschränkten intestinalen Resorptionskapazität unumgänglich und die einzige Möglichkeit, eine bedarfsdeckende Ernährung an Makro- und Mikronährstoffen sowie Flüssigkeit zu gewährleisten. Häufig ist die parenterale Ernährung über eine längere Zeit notwendig, weshalb auch ein entsprechender Zugangsweg gewählt werden muss. Es gibt zwei Zugangswege für die parenterale Ernährung: den peripheren und den zentralvenösen Zugang (ZVK). Periphere Zugänge eignen sich für die maximale Verabreichungsdauer der parenteralen Ernährung von 10 Tagen. Wird die parenterale Ernährung länger als 7 Tage benötigt, was bei Kurzdarmsyndrom sehr häufig der Fall ist, bedarf es eines zentralen Zugangs (ZVK) (13). Der ZVK eignet sich aufgrund des erhöhten Infektionsrisikos allerdings nicht für eine heimbeziehungsweise langzeitparenterale Ernährung. Geeigneter sind implantierte Katheter wie Port-a-Cath oder tunnelierte wie Broviac-Katheter, PICC-Line und Hickman-Katheter (14). Die häufigste Komplikation der parenteralen Ernährung und gleichzeitig auch häufigste Ursache für eine Rehospitalisation ist die Kathetersepsis. Deshalb sollten parenteral er-
In der Praxis werden Pankreasenzyme erfahrungsgemäss eher unterals überdosiert.
Die häufigste Komplikation der parenteralen Ernährung und gleichzeitig auch häufigste Ursache für eine Rehospitalisation ist die Kathetersepsis.
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nährte Patienten durch geschultes Pflegepersonal bezüglich Umgang und Pflege der Zugangswege und Applikation der Nährlösung begleitet und instruiert werden. Eine regelmässige Überprüfung dieser Massnahmen ist empfehlenswert und senkt das Risiko für Katheterinfekte (15). Als sichere und risikoreduzierte parenterale Nährlösung gelten die standardisierten Drei-Kammer-Beutel, die alle Makronährstoffe und Elektrolyte enthalten (14). Die Mikronährstoffzusätze sind in Form von Ampullen erhältlich und werden der Nährlösung zugegeben. Die notwendige Menge der Nährlösung ist kontinuierlich zu evaluieren und an den Gewichtsverlauf und die Krankheitssituation anzupassen. Bei Kurzdarmsyndrom kann es sinnvoll sein, die Hand-Grip-Messung als zusätzliches Monitoring einzusetzen, ergänzend zum Gewichtsverlauf, welcher durch den Flüssigkeitshaushalt oft verfälscht sein kann. Zusätzlich zur bedarfsdeckenden Makro- und Mikronährstoffzufuhr soll darauf geachtet werden, dass
keine negative Flüssigkeitsbilanz herrscht. Häufig ist bei Kurzdarmsyndrom zusätzlich zur parenteralen Nährlösung noch eine Flüssigkeitssubstitution notwendig. Um die Darmadaption und die Darmbarrierefunktion zu unterstützen, soll unter einer total parenteralen Ernährung die Darmzottenernährung gewährleistet sein. Hierfür reicht es, wenn täglich zirka 200 bis 400 kcal, vorzugsweise Kohlenhydrate, oral oder enteral verabreicht werden. Um eine möglichst hohe Lebensqualität unter der parenteralen Ernährung zu erreichen, soll die Verabreichungszeit und -dauer so gut wie möglich an den Alltag der erkrankten Person angepasst erfolgen. Beispielsweise ist eine nächtliche parenterale Ernährung möglich. Ausserdem ist das Risiko für einige hepatische Komplikationen bei zyklischer Applikation der parenteralen Nährlösung geringer. Um das Risiko für Komplikationen der parenteralen Ernährung zu reduzieren, ist es sehr wichtig, die erlaubte Maximallaufrate und -menge nicht zu über-
Tabelle 7:
Mögliche Langzeitkomplikationen beim Kurzdarmsyndrom bedingt durch unterschiedliche anatomische Ausgangslagen
Anatomie Endjejunostomie (kein Ileum und kein Kolon)
Endileostomie (kein Kolon)
Jejunokolonische Anastomose (kein Ileum und keine Ileozäkalklappe, erhaltenes Kolon)
Probleme (Malabsorption, klinisches Bild) Malabsorption von Vitamin B12 und fettlöslichen Vitaminen wie z.B. Vitamin D und essenziellen Fettsäuren Dehydratation und Elektrolytstörungen Energie-Protein-Malnutrition Osteoporose
Dehydratation und Elektrolytstörungen
Malabsorption von Vitamin B12 und fettlöslichen Vitaminen wie Vitamin D und essenziellen Fettsäuren Steatorrhö, chologene Diarrhö aufgrund einer Unterbrechung des enterohepatischen Kreislaufs und Dekonjugierung von Gallensalzen Dehydratation und Elektrolytstörungen Oxalatnierensteine Osteoporose Energie-Protein-Mangelernährung bakterielle Fehlbesiedlung
Intervention 1. intravenöse/intramuskuläre Supplementation von Vitamin B12 und fettlöslichen Vitaminen, Laborkontrolle 2. bei «Sezernieren» Restriktion der oralen Flüssigkeitsaufnahme auf max. 1000 ml/Tag und intravenöse Flüssigkeitsapplikation 3. Einsatz oraler Rehydratationslösung (ORS) – idealer Natriumchloridgehalt 120 mmol/l (mindestens 90 mmol/l Natrium) und 30 mmol/l Glukose 4. salzreiche Speisen 5. medikamentöse Stuhlregulation (Loperamid, Opiumtinktur, PPI) 6. Evaluation individueller Unverträglichkeiten und laxativ wirkender Nahrungsmittel (z.B. FODMAP, Kaffee, Alkohol) 7. energie- und proteinreiche Ernährung (fettreich), ggf. ergänzt durch parenterale Ernährung 8. Meiden grobfaseriger Nahrungsfasern und reduzierter Rohkostkonsum 9. kalzium- und proteinreiche Ernährung keine hypo- und hyperosmolaren Getränke, isotonische Getränke und bei Bedarf Einsatz ORS (siehe Punkt 3) siehe Punkte 4, 6 und 8 medikamentöse Stuhlregulation (Loperamid, Opiumtinktur, lösliche Nahrungsfasern) intravenöse/intramuskuläre Supplementation von Vitamin B12 und fettlöslichen Vitaminen, Laborkontrolle fettreduzierte Ernährung (ca. 20% der Energiezufuhr), evtl. Einsatz von MCT-Fetten medikamentöse Therapie (Cholestyramin, Pankreasenzymsubstitution, Loperamid, Opiumtinktur, PPI) keine hypo- und hyperosmolaren Getränke, isotonische Getränke oxalsäurearme, kalziumreiche Ernährung energie- und proteindichte Ernährung (fettreduziert), ggf. ergänzt durch parenterale Ernährung und wie bei Punkt 6 bei bakterieller Fehlbesiedlung Antibiotikatherapie und gegebenenfalls Präund Probiotika
FODMAP: Fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide und Polyole PPI: Protonenpumpenhemmer, MCT: mittelkettige Triglyzeride
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schreiten. Die maximale Laufrate und -menge unterscheidet sich je nach Hersteller und Zusammensetzung der parenteralen Nährlösung. Das RefeedingSyndrom ist eine lebensbedrohliche Verschiebung des Flüssigkeits- und Elektrolythaushalts, welches bei zu schneller hyperkalorischer oraler, enteraler oder parenteraler Wiederernährung von mangelernährten Patienten auftreten kann (16). Dieses Risiko ist aufgrund der Malassimilation, besonders in der Hypersekretionsphase, beim Kurzdarmsyndrom erhöht. Deshalb ist vor dem Start der parenteralen Ernährung das Refeeding-Risiko zu evaluieren, um den Kostaufbau und eventuell notwendige Elektrolyt- und Mikronährstoffsubstitutionen, wie zum Beispiel das Thiamin, entsprechend planen zu können. Unter der parenteralen Ernährung kann es auch zu therapiespezifischen Substratverwertungsstörungen wie zum Beispiel Hyperglykämie und Hypertriglyzeridämie kommen. Der Zielwert für die Blutglukose unter der parenteralen Ernährung ist 6,1 bis 9,9 mmol/l. Bezüglich Trigylzeride ist der Zielwert < 4,6 mmol/l. Bei der langzeitparenteralen Ernährung kann es zusätzlich zu hepatischen, biliären und ossären Komplikationen kommen (17). Die Ursachen für diese häufigen Komplikationen sind multifaktoriell und können auch ernährungsunabhängig sein, deshalb ist die interdisziplinäre Evaluation möglicher Interventionen sehr wichtig. Um die möglichen Komplikationen rechtzeitig zu erkennen, ist ein entsprechendes und regelmässiges Monitoring unabdingbar. Zu den wichtigsten und regelmässig zu bestimmenden Laborparametern gehören: Blutglukose, Kalium, Magnesium, Phosphat, Triglyzeride und die Leberenzyme (18) (Tabelle 4). Die parenterale Ernährung ist mit ihren möglichen Komplikationen und dem notwendigen Monitoring eine komplexe Ernährungssituation, welche ein interdisziplinäres Team mit einer erfahrenen Ernährungsberaterin erfordert. Langzeitkomplikationen In der Stabilisationsphase ist das ernährungstherapeutische Ziel in erster Linie die Aufrechterhaltung eines guten Ernährungszustands. Es kann aber auch zu einigen ernährungsbedingten Komplikationen kommen, deren Prävention einen wichtigen Aspekt in der Langzeitbetreuung darstellt (Tabelle 7). Nephrolithiasis: Aufgrund der Steatorrhö kann es bei Kurzdarmpatienten mit erhaltenem Kolon zu Steinen in der Niere, der sogenannten Nephrolithiasis kommen, eine Komplikation, welche bei rund 25 Prozent der Betroffenen im Langzeitverlauf auftritt. Normalerweise bildet Oxalat mit dem im Darmlumen vorhandenen Kalzium einen unlöslichen Komplex, der mit dem Stuhl ausgeschieden wird. Bei Steatorrhö ist die intraluminale Kalziumkonzentration erniedrigt, da Kalzium und Fettsäuren sogenannte Kalziumseifen bilden. Es kommt infolgedessen zu einer Hyperabsorption von Oxalsäure im Kolon, die sekundär zu einer gesteigerten Ausscheidung von Oxalsäure im Urin und zu einer Nephrokalzinose führen kann. Ausserdem ist die Kolonpermeabilität gesteigert, wenn vermehrt Gallen- und Fettsäuren ins Kolon gelangen, was die Oxalsäureabsorption ebenfalls steigert (2). Ein zusätzlicher Risikofaktor für Nephrolithiasis ist auch die bereits erläuterte Dehydratation mit einem kleinen Urinvolumen (< 1–1,5 l/Tag). Osteoporose: Eine Kalziummalabsorption kann zusammen mit Steatorrhö, der dadurch verminderten Vitamin-D-Resorption und der Bildung von Kalziumseifen zusammen mit freien Fettsäuren zu einer Osteoporose führen. D-Laktatazidose: Die D-Laktatazidose ist eine sehr seltene, jedoch lebensbedrohliche Komplikation beim Kurzdarmsyndrom mit vorhandenem Kolon und äussert sich in neurologischen Symptomen wie Verwirrtheit, Gedächtnisverlust, Gangunsicherheit und Sehstörungen. Die Ursache liegt in der veränderten Mikrobiota des Dick- und Dünndarms, wodurch es zur Bildung von D-Laktat aus nicht resorbierten Kohlenhydraten (besonders Glukose und Fruktose) kommt. Ein Thiaminmangel kann das Risiko für eine D-Laktatazidose erhöhen (2). Fazit Die Behandlung und Betreuung von Kurzdarmpatienten sollte aufgrund der Komplexität durch ein multidisziplinäres Team erfolgen. Die Rolle der Ernährungsberatung durch eine Ernährungsberaterin SVDE ist in diesem multidisziplinären Team zentral. Korrespondenzadresse: Maja Dorfschmid Ernährungsberaterin SVDE BSc in Ernährung und Diätetik Leiterin Ernährungsberatung Stadtspital Triemli Zürich Departement Pflege, Soziales und Therapien Birmensdorferstrasse 489 8063 Zürich E-Mail: maja.dorfschmid@triemli.zuerich.ch Vorsitz der Fachgruppe Gastroenterologie des Schweizerischen Verbandes der Ernährungsberaterinnen (SVDE) Ceylan Sinik-Agan BSc in Ernährung und Diätetik Ernährungsberaterin mit Schwerpunkt Gastroenterologie bei Oviva AG Rennweg 14/16, 8001 Zürich E-Mail: ceylansinik@oviva.ch Internet: www.oviva.ch Mitglied der Fachgruppe Gastroenterologie des Schweizerischen Verbandes der Ernährungsberaterinnen (SVDE) Literatur: 1. Lamprecht G, Pape UF, Witte M, Pascher A, und das DGEM Steering Committee: S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin e. V. in Zusammenarbeit mit der AKE, der GESKES und der DGVS. Aktuelle Ernährungsmedizin 2014, 39 (02), e57–e71. 2. 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