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Homecare: Noch immer sind viele Fragen unbeantwortet
Eine künstliche Ernährung im ambulanten Bereich umfasst die heimparenterale (HPE), die heimenterale (HEE) Ernährung sowie die supplementären Trinknahrungen (ONS), welche es den Patienten ermöglichen, im gewohnten Umfeld zu Hause oder in einer Pflegeeinrichtung zu leben. Rund 300 Menschen sind in der Schweiz auf eine enterale oder parenterale Ernährung angewiesen. Tumorerkrankungen und Verdauungsstörungen, beispielweise aufgrund eines Morbus Crohn, sind häufige zugrunde liegende Ursachen. Eine optimale Betreuung des Patienten, fundierte Schulung und eine stabile Versorgung und Logistik mit den benötigten Materialien (inkl. Nahrungsprodukten) sind eine Voraussetzung für die Erhaltung der Lebensqualität und der Behandlungssicherheit von Patienten mit einer künstlichen Heimernährung. Dies stellt Betroffene, aber auch den Homecare-Service, involvierte Berufsgruppen wie Ärzte, Ernährungsberaterinnen, Pflegefachpersonal und die Angehörigen vor grosse Herausforderungen. Denn die Versorgung zu Hause ist aufwendig und zeitintensiv, und Komplikationen wie Katheterinfekte, technische Probleme bei den Pumpen und das grosse Thema der Lebensqualität sind immer präsent.
SwissHPN: erstmals fundierte Auskünfte Die multizentrische Beobachtungsstudie SwissHPN (Bericht auf Seite 6 ff.) gibt erstmals Auskunft über Lebensbedingungen, Betreuung, Lebensqualität, technische und gesundheitliche Probleme von HPEPatienten. Es zeigt sich, dass mehr Frauen als Männer eine HPE benötigen. Zu den Gründen gehören der anatomisch kürzere Darm der Frauen sowie gynäkologische Erkrankungen. Zudem nahmen die bariatrischen Eingriffe in den vergangenen Jahren zu. Frauen bilden dabei wiederum den grösseren Anteil. Die postbariatrische Mangelernährung und die zum Teil nachfolgende notwendige künstliche Ernährung werden in Zukunft wahrscheinlich ein aufkommendes Problem sein.
Trotz vieler neuer Daten sind viele Fragen noch unbeantwortet. Interessant wäre beispielsweise ein internationaler Vergleich. Wie versorgen andere Länder Patienten mit einer HEE oder/und HPE? Welche Optimierungsstrategien wären sinnvoll? Aufgrund der vielen offenen Fragen ist eine weitere prospektive, schweizweite Studie im Jahr 2017 geplant, welche über eine längere Zeitspanne Daten von HPE-Patienten erfassen wird. Nebst den Punkten der ersten SwissHPN-Studie werden zusätzlich detaillierte Daten zu infektiösen und mechanischen katheterbezogenen Komplikationen erhoben. Die längere Beobachtungszeit wird erlauben, signifikantere Daten der aktuellen Patientenpopulation zu erlangen. Umso erstaunlicher und erfreulicher können Geschichten aus dem Alltag sein. Wie fühlt sich jemand, der sich seit über 30 Jahren selbst parenteral ernährt? Urs Mahni gibt im Interview auf Seite 16 ff. Antwort auf diese spannende Frage. Ist doch gerade die Lebensqualität in der Homecare-Versorgung ein zentrales Thema. Zwei Homecare-Anbieter beleuchten zudem die Versorgungsperspektive. Was genau macht den Homecare-Service so komplex. Antworten dazu auf Seite 19 ff. Die Ernährungsberaterin Marina Martin, Universitätsspital Zürich, liefert Antworten auf die Rolle der Ernährungsberatung im Homecare-Bereich (Seiten 12–13). Und im Interview auf Seite 14 ff. geben Prof. Peter E. Ballmer, Direktor Departement Medizin und Chefarzt Klinik für Innere Medizin am Kantonsspital Winterthur, Maya Rühlin, Leiterin Ernährungstherapie/-beratung am Kantonsspital Winterthur, und Christina Möltgen, Apothekerin im Kantonsspital Aarau, Vorstand der Gesellschaft für Klinische Ernährung der Schweiz (GESKES), Auskunft zu den Anforderungen und Entwicklungen der Homecare-Versorgung in der Schweiz. Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre.
Carla Aeberhard Beirätin SZE
EDITORIAL 4|2016 SZE 1