Transkript
HOMECARE
Heimenterale und -parenterale Ernährung aus Sicht der Ernährungsberatung
Marina Martin
Damit mangelernährte Patienten von einer heimenteralen (HEE) oder heimparenteralen (HPE) Ernährung profitieren und die Komplikationsrate möglichst gering gehalten werden kann, bedarf es einer interdisziplinären Betreuung. Dazu gehören unter anderem eine spezialisierte Ernährungsberaterin sowie ein zertifizierter Homecare-Service. Der Artikel soll die Zusammenarbeit und die Schnittstellen dieser beiden Disziplinen aufzeigen. Dies wird anhand eines konkreten Fallbeispiels aus der Praxis veranschaulicht.
Eine künstliche Ernährung im ambulanten Bereich, welche sowohl die HEE als auch die HPE beinhaltet, sollte unter Abwägung des Risiko-Nutzen-Verhältnisses und mit einem interdisziplinären Ernährungsteam
Fallbeispiel einer heimenteralen Ernährung
Frau H., Jahrgang 1956, wird aufgrund eines Zungengrundtumors mit Radiochemotherapie behandelt. Im Verlauf der ambulant durchgeführten Therapie kommt es zu Nebenwirkungen wie Geschmacksveränderungen, Übelkeit, Erbrechen sowie Schluckschmerzen, welche die orale Nahrungsaufnahme immer stärker beeinträchtigen. Mit einer Konsistenzanpassung sowie energie- und proteinreicher Ernährung kann die Patientin sich vorerst bedarfsdeckend ernähren und das Gewicht stabil halten. Dies wird jedoch immer schwieriger, sodass nach einigen Wochen gemeinsam mit den behandelnden Ärzten, der ERB sowie den Angehörigen entschieden wird, dass eine künstliche Ernährung indiziert ist. Die Patientin tritt für die Einlage einer perkutan-endoskopischen Gastrostomie (PEG-Sonde) ins Spital ein, wo sie für vier Tage bleibt. Stationär erfolgt ein langsamer Kostaufbau, welcher von der Patientin gut vertragen wird. Da sie nachts unter Schlafschwierigkeiten leidet, bevorzugt sie die Nahrungsapplikation tagsüber. Aus physiologischen Gründen wird der Patientin eine Bolusapplikation empfohlen, und die benötigte Sondenkostmenge wird auf drei Portionen pro Tag aufgeteilt. Da der Patientin das Schlucken der Medikamente grosse Mühe bereitet, zeigt ihr die ERB die Möglichkeit der enteralen Medikamentenapplikation auf. Der Homecare-Service wird durch die ERB über die Patientin und die besprochenen Massnahmen telefonisch informiert und besucht die Patientin nach Austritt zu Hause. Es erfolgt eine umfangreiche Schulung über das Sondenmanagement. Längerfristig kann die Patientin die Applikation von Flüssigkeit, Nahrung und Medikamenten sowie die Pflege der Sondeneinstichstelle selbstständig übernehmen. Bei Fragen, die den Umgang mit der Sonde betreffen, wendet sie sich direkt an den Homecare-Service. Nach vier Wochen wird die PEG-Sonde aus kosmetischen Gründen durch einen Button ersetzt. Der Wechsel erfolgt ambulant, und die Patientin meldet sich anschliessend bei der ERB, um sie über den Wechsel zu informieren. Diese nimmt Kontakt mit dem zuständigen Homecare-Service auf, damit der Patientin das benötigte Material geliefert werden kann. Zwei Monate nach Abschluss der Radiochemotherapie haben sich die Ernährungsprobleme so weit verbessert, dass die Patientin die orale Nahrungszufuhr wieder steigern kann. Sie ruft die ERB an, und gemeinsam wird die benötigte enterale Zielmenge evaluiert. Im Folgenden appliziert die Patientin zirka 50 Prozent des benötigten Nährstoffbedarfs mit der Nährlösung über die Button-Sonde. Die restlichen 50 Prozent des Bedarfs kann sie durch orale Ernährung abdecken. Es folgen regelmässige Verlaufskontrollen mit der ERB, und die enterale Ernährung wird schrittweise reduziert, bis diese überhaupt nicht mehr nötig ist. Nachdem die Patientin die Button-Sonde während vier Wochen nicht verwendet hat und sie das Gewicht unter ausschliesslich oraler Ernährung stabil halten konnte, wird durch den zuständigen Onkologen eine Entfernung des Buttons angemeldet. Die ERB informiert daraufhin den Homecare-Service, welcher das benötigte Material bei der Patientin wieder abholt.
erfolgen. Im Idealfall umfasst das Ernährungsteam Ärzte, eine Ernährungsberaterin (ERB), einen zertifizierten Homecare-Service und gegebenenfalls eine Pflegefachperson oder die Spitex. Meist wird die künstliche Ernährung im stationären Setting initiiert. Damit der Übergang zur künstlichen Ernährung zu Hause oder im Pflegeheim möglichst unkompliziert verläuft, sollte die ERB frühzeitig über den geplanten Austritt informiert werden. Gemeinsam mit dem Patienten, gegebenenfalls den Angehörigen oder mit den zuständigen Pflegefachpersonen (z.B. Spitex) bespricht die ERB die Zielmenge sowie die Applikationsart der künstlichen Ernährung. Ziel ist eine adäquate Zufuhr an Energie sowie Makro- und Mikronährstoffen unter Berücksichtigung der Tagesstruktur des Patienten. Je nach Gesundheitszustand übernimmt die Spitex oder ein Angehöriger das Management der HEE oder der HPE. Falls der Patient adäquat ist, kann er dieses auch selbst übernehmen und ist so unabhängig von Betreuungspersonen. Das bringt eine höhere zeitliche Flexibilität mit sich und kann somit zu einer besseren Lebensqualität beitragen. Meist wird den Patienten und/oder den Angehörigen die Applikationsart der Ernährung bereits im Spital durch das Pflegepersonal gezeigt. Die ERB erklärt dem Patienten auch die Funktion des Homecare-Services: dass der Patient, wenn möglich, bereits am Austrittstag zu Hause besucht wird und er mit der Applikation von Nahrung, Flüssigkeit und gegebenenfalls Medikamenten vertraut gemacht wird. Ausserdem beliefert der Homecare-Service den Patienten mit dem benötigten Material und der Nährlösung. Vorgängig kontaktiert die ERB den Homecare und informiert die zuständige Person über den Patienten. Nebst Personaldaten müssen Angaben zur Krankenkasse, zur Art der Ernährung (enteral/parenteral, Zugangsweg, Art der Sonde/des Katheters, Produktename, allfällige Zusätze, benötigtes Material usw.) sowie bei Bedarf spezifische Informationen weitergeleitet werden. Damit die Kosten für die HEE oder die HPE von der Krankenkasse übernommen werden, stellt die ERB
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ein entsprechendes Gesuch. Die Kostenübernahme ist über die Grundversicherung gewährleistet.
HEE und HPE nach Spitalaustritt
Nach Austritt bleiben der Patient, der Homecare-Service und die ERB in Kontakt, um eine optimale Betreuung zu gewährleisten. So kommt es vor, dass bei der Ernährung zu Hause Verträglichkeitsprobleme auftreten oder dass der Patient ungewollt Gewicht zuoder abnimmt. Gemeinsam mit dem Patienten bespricht die ERB in solchen Fällen die Optimierungsmöglichkeiten und leitet diese an den Homecare-Service weiter, damit dieser den Patienten entsprechend beliefern und/oder instruieren kann. Auch bei Hospitalisationen, welche einen Einfluss auf die Ernährung zu Hause haben, wird der Homecare-Service entsprechend informiert. Im Gegenzug kontaktiert der Homecare-Service die ERB bei Schwierigkeiten, wie beispielsweise Verträglichkeitsproblemen, organisatorischen Problemen oder mangelnder Compliance. Gemeinsam und bei Bedarf in Rücksprache mit dem behandelnden Arzt werden die weiteren Schritte besprochen.
Studien zeigen, dass durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit die Komplikationsrate gesenkt und die Qualität der Massnahmen erhöht wird. So führen die HEE und die HPE zu einer Verbesserung des Ernährungszustandes bei mangelernährten Patienten, was wiederum zu einer besseren Kosteneffizienz medizinischer Massnahmen beitragen kann.
Korrespondenzadresse: Marina Martin BSc Ernährung und Diätetik Ernährungsberaterin/-therapeutin Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Klinische Ernährung Universitätsspital Zürich Rämistrasse 100 8091 Zürich E-Mail: marina.martin@usz.ch
Quelle: Bischoff SC, Arends J, Dörje F, Engeser P, Hanke G, Köchling K, Leischker AH, Mühlebach S, Schneider A, Seipt C, Volkert D, Zech U, Stanga Z und das DGEM Steering Commitee: S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) in Zusammenarbeit mit der GESKES und der AKE, Künstliche Ernährung im ambulanten Bereich (Nutritional Support in the Homecare and Outpatient Sector). Aktuel Ernahrungsmed 2013; 38 (05): 101–154.
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