Transkript
BUCHVORSTELLUNG
«Wechselwirkungen zwischen Arzneimitteln und Lebensmitteln»
Es mag gute Gründe geben, weshalb
Arzneimittel und Lebensmittel in der
Gesetzgebung getrennt werden, bei-
spielswiese das Risiko- und Gefähr-
dungspotenzial. Der Natur wird diese
Trennung allerdings aufgrund gemein-
samer biochemischer Prinzipien nicht
gerecht.
Wer sich in Spitalpflege begibt, erhält durchschnittlich 5 bis 7 Medikamente parallel, bei Patienten in der Langzeit- und Alterspflege sind es oft sogar 15 bis 20 Medikamente. Das Risiko für Interaktionen mit unerwünschten Wirkungen und Therapieversagen mitsamt hohen induzierten Kosten liegt bei 2 Medikamenten bei 13 Prozent, bei 7 Medikamenten gar bei 82 Prozent. Eine Mahlzeit mit mehreren hundert potenziell interagierenden Inhaltsstoffen lässt die Wahrscheinlichkeit für Interaktionen noch weiter ansteigen. Trotz der Vielfalt beteiligter Stoffe lassen sich bei Food-Drug- und Drug-Food-Interaktionen Prinzipien darstellen. Den Autoren ist es gut gelungen, Lebensmittelgruppen mit ihren Leitsubstanzen und deren Interaktionspotenzial mit Medikamentenwirkstoffgruppen zusammenzufassen und die wesentlichsten zugrunde liegenden Mechanismen zu erklären – inklusive einiger Rassen-, Gender- und Alterseinflüsse auf die Genexpression metabolisierender, transportierender und strukturierender Proteine beziehungsweise Enzyme. Wird ein Isoenzym der Zytochrom-P-450-Familien beispielsweise durch ein Substrat gehemmt, so ist eine zu starke Wirkung eines weiteren Substrats zu erwarten. Induziert ein Substrat ein Isoenzym, so baut dieses weitere Substrate zu schnell ab, und eine Unterdosierung ist möglich. In den einführenden Kapiteln wird besonders Wert gelegt auf Zusammenhänge und Abhängigkeiten zwischen Metabolismus, Nahrung und Arzneimittel, zum Beispiel biochemische Grundlagen des Appetits und der Sättigung, der Einnahme von Flüssigkeit, des Magenfüllungsgrades, der Chronologie der Einnahme, der Nährstoffverwertung oder der Veränderung der Geschmacksempfindung durch Arzneimittel.
Während in pharmakologischen Interaktionstabellen, wie dem Flockhart-Table, Einzelfälle zum schnellen Nachschlagen gelistet sind, werden in diesem Buch die zugrunde liegenden Mechanismen ausführlich gruppenweise erklärt. Der Leser lernt dadurch, vom Einzelfall vollständig induktiv auf die Anwendbarkeit bei weiteren Vertretern derselben Wirkstoffgruppe oder der botanischen Familie zu schliessen. So hemmt nicht nur die Grapefruit die intestinalen Isoenzyme der ZytochromP-450-Subfamilie 3, sondern auch einige weitere Naringenin- und Fumarocoumarin-haltige Vertreter der Gattung Citrus in den Enterozyten irreversibel. Das wird wiederum erst nach Neobiosynthese des Isoenzyms behoben und fällt bei Wirkstoffen ins Gewicht, welche bereits in den Enterozyten und nicht erst in den Hepatozyten metabolisiert werden. Neben den durchaus nicht zu verharmlosenden Getränken mit hohem Kalzium- (Trinkwasser-Härtegrade!) oder Alkoholgehalt sollte bei tyramin- oder histaminreichen Lebensmitteln wie Hering, Leber, Käse, Rotwein, Rotweinessig, Hefeextrakte und so weiter an die häufig auftretende Störung von Arzneimittelwirkungen und das vermehrte Auftreten von unerwünschten Wirkungen gedacht werden. Die jeweiligen gruppenweisen Zusammenfas-
sungen erleichtern das Festhalten der relevantesten Grundlagen. Auch die Relevanz bei Wirkstoffen mit kleiner therapeutischer Breite wie den Immunsuppressiva – oder bei verschiedenen Verabreichungsarten – wird unterschieden. Oral eingenommene Wirkstoffe können der Prämetabolisierung in den Enterozyten unterliegen, während parenteral verabreichte Wirkstoffe bloss die hepatische Metabolisierung durchlaufen. Zum anderen wird die klinische Relevanz bei Interaktionen mit Koffein nur für Clozapin und Fuvoxamin als relevant eingestuft. Hingegen erhalten die in Kaffee oder Tee enthaltenen Gerbstoffe wie auch die Ballaststoffe und grössere Proteinmengen eine Bedeutung als Komplexbildner mit Psychopharmaka und Schilddrüsenhormonen. Zusammenfassend kann den Autoren ein gut gelungenes Werk mit vielen wertvollen Illustrationen und Tabellen sowie praxisrelevanten Empfehlungen attestiert werden. Was in diesem Werk aufgrund der sehr dünnen Forschungsdaten nicht abgedeckt wird, sind Interaktionen mit Beteiligung der spezifischen Isoenzyme der CYP-450-Subfamilien 4 bis 51. Diese steuern den Vitamin- und (Steroid-)Hormonstoffwechsel spezifisch, sodass bei Interaktionen mit deren Beteiligung keine Ausweichmöglichkeiten wie bei den polyvalenten Isoenzymen der CYP450-Subfamilien 1 bis 3 vorhanden sind.
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. pharm. Helena Jenzer Berner Fachhochschule Fachbereich Gesundheit Dozentin – Leiterin F&E Ernährung & Diätetik Murtenstrasse 10 3008 Bern E-Mail: helena.jenzer@bfh.ch
«Wechselwirkungen zwischen Arzneimitteln und Lebensmitteln» von Martin Smollich und Julia Podlogar, 1. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart. ISBN 978-3-8047-3520-0.
4|2016 SZE 23