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NUTRIGENOMIK
Nutrigenomik: Neue Erkenntnisse aus der individuell angepassten Ernährung
Igor Bendik Ulrich Höller Peter Weber
20 SZE 3|2016
Igor Bendik, Ulrich Höller, Peter Weber
Die moderne Ernährungsforschung versucht, individuelle Bedürfnisse zu erkennen und zu erfüllen. Insbesondere die Fortschritte im Bereich der Analytik und die Entschlüsselung des Genoms liefern Erkenntnisse, die zu neuen Entwicklungen beitragen können.
Das Forschungsgebiet Nutrigenomics untersucht die molekularen Wirkungsweisen zwischen Genen und der Ernährung, die unsere Gesundheit beeinflussen können (1). Ein besseres Verständnis zwischen dem Wechselspiel der einzelnen Makro- und Mikronährstoffe und dem individuellen Genotyp, so lautet die Hypothese, könnte eine gezieltere und am Ende besser auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmte gesunde Ernährung bewirken. Zwei Beispiele, die einerseits die mögliche Rolle der Analytik bei einer individualisierten Ernährung und andererseits den potenziellen Einfluss der Mikronährstoff-GenomInteraktionen auf die menschliche Gesundheit illustrieren, werden nachfolgend besprochen: 1. Die «Point-of-Need-Analysis» als ein wichtiger Aus-
gangspunkt für eine optimale Ernährungsstrategie und 2. der blutdrucksenkende Effekt von Riboflavin (Vitamin B2) bei Patienten mit einer Genvariante im Folsäurestoffwechsel (Vitamin B9).
Die Point-of-Need-Analysis für eine optimale Ernährungsstrategie
Geeignete Methoden für die Beurteilung des exakten Ernährungsstatus sind Basis einer optimierten Anpassung der Ernährung auf individuelle Bedürfnisse. Das EU-Projekt Food4Me (www.food4me.org) hat untersucht, welchen Platz die personalisierte Ernährung in unserer Gesellschaft jetzt und in Zukunft haben kann. Food4Me geht der Frage nach, ob personalisierte Ernährungsempfehlungen im Gegensatz zu allgemeingültigen Informationen die Compliance verbessern. Die gross angelegte Proof-of-Principle-Studie wurde zwischen 2011 und 2015 an acht europäischen Studienzentren mit insgesamt 1300 Teilnehmern parallel durchgeführt. Ein Studienansatz war die Point-of-Need-Analysis als ein wichtiger Ausgangspunkt für eine optimale Ernährungsstrategie. Die Fragestellung der Forscher lautete, ob personalisierte Ernährungsempfehlungen
eine Person dazu motivieren, ihre Ernährung und Gesundheit zu verbessern. Mit der Studie sollte die Wirkung von mehr oder weniger personalisierter Ernährung auf gesundheitsbezogene Auswirkungen untersucht werden. Die Studie wurde online durchgeführt. Die Teilnehmer gaben phänotypische Daten wie körperliche Aktivität, Grösse und Gewicht an. Die Probeentnahme sollte für das Projekt idealerweise nicht invasiv und die Messung in Echtzeit, das heisst vor Ort, erfolgen. Dies erfordert eine Abkehr von der zurzeit praktizierten venösen Blutentnahme mit anschliessender Analyse in einem zentralen Labor. Die ursprünglich zur Diagnose von Stoffwechselkrankheiten bei Neugeborenen entwickelte DriedBlood-Spot-(DBS-)Analytik (2) hat sich hierbei als Übergangsmethode bewährt, ermöglicht sie doch eine Probenahme von jedermann ohne spezielle Infrastruktur und Fachkenntnisse (3). Sie ist inzwischen für viele wichtige Mikronährstoffe wie Vitamin D, Folsäure und Karotinoide sowie für mehrfach ungesättigte Fettsäuren beschrieben und wird auch von kommerziellen Labors angeboten. Typischerweise erfolgt dabei ein Versand eines Probeentnahme-Kits zum Verbraucher. Zu Hause wird durch Punktur mit einer Lanzette aus der Fingerbeere ein Blutstropfen genommen und auf einem Filterpapier getrocknet. Dieses Filterpapier wird zur Analyse ans Labor zurückgeschickt. Im EU-Projekt Food4Me konnten eine hervorragende Akzeptanz und die Eignung der Methode für die Statusbestimmung von Vitamin D gezeigt werden (4). Dieses Messkonzept wird mittlerweile auch schon von Diagnoselabors als Dienstleistung angeboten. So wurde zum Beispiel an einem öffentlichen Anlass in den Niederlanden das Messen von Vitamin D offeriert. Freiwillige konnten via DBS ihren Status messen lassen. 750 Probanden aller Altersklassen nahmen daran teil. Interessanterweise wurden die Befunde aus der Food4Me-Studie bestätigt, und zirka 35 Prozent der Personen – unabhängig von Alter und Geschlecht – wiesen eine ungenügende Vitamin-D-Versorgung auf (< 50 nmol/l). NUTRIGENOMIK Als Fazit dieser Analytik konnte aufgezeigt werden, dass eine fortschreitende Miniaturisierung der Analysentechnik es ermöglicht, zunehmend Resultate ortsungebunden und in Echtzeit zu generieren, die direkt von Endgeräten wie Smartphones verarbeitet werden können. Ein Einsenden von Proben ins Labor könnte bald einmal entfallen. Im Internet finden sich bereits zahlreiche Firmen mit meist auf ELISA basierenden Tests, die in verschieden weit fortgeschrittenen Stadien der Entwicklung stehen (www.medgadget. com). Schwieriger erscheint der für eine echte nicht invasive Analytik notwendige Ersatz von Blut durch Probematerialien wie Haare, Urin, Speichel oder Tränenflüssigkeit. Die grösste Herausforderung hierbei wird die Prüfung der Anwendbarkeit des in der neuen Matrix gemessenen Mikronährstoffstatus im Hinblick auf die Korrelation zu den Blutreferenzwerten sein. Die globalen Aktivitäten auf diesem Gebiet lassen aber nicht invasive Echtzeitanalytik für wichtige Mikronährstoffe in den nächsten Jahren greifbar erscheinen. Faszinierenderweise konnte gezeigt werden, dass der Bluthochdruck bei Patienten, die den genetischen MTHFR-677TT-Polymorphismus trugen, mithilfe von Ribofla- Nutrigénomique: nouvelles avancées dans le domaine de la nutrition personnalisée vin gesenkt werden konnte (6). Dieser Effekt ist umso eindrücklicher, wenn man Mots clés: bedenkt, dass bei manchen dieser Patienten die Medikamente nur wenig Wirkung techniques d’analyse – Food4Me – analyse en temps réel zeigten, dass aber durch eine genügende Versorgung mit Vitamin B2 der Bluthochdruck gesenkt werden konnnte. Individuen mit dieser genetischen Prädisposition und einem ungenügenden Riboflavinlevel tragen ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko. Eine angepasste Ernährung La recherche en nutrition moderne tente d’identifier les besoins individuels et d’y répondre. Les progrès dans l’analyse et le décryptage du génome en particulier ont permis de nouvelles avancées susceptibles de se traduire en nouveaux développements. oder gezielte Riboflavinsupplementierung könnte folglich helfen, dieses Risiko zu senken. Es ist zu erwarten, dass noch mehr solche Zusammenhänge auf ihre Entdeckung warten und dass in Zukunft eine gezielte personalisierte Ernährung immer mehr auch den genetischen Hintergrund miteinbe-ziehen wird. Blutdrucksenkender Effekt von Riboflavin bei Genvariante Erst die vollständige DNA-Sequenz des humanen Genoms hat die Nutrigenomics-Forschung ermöglicht und somit auch die mit der genetischen Vielfalt verbundenen Möglichkeiten. Die genetische Variation, die uns alle unterscheidet, könnte einen wichtigen Beitrag für die personalisierte Ernährung leisten. Genetische Polymorphismen, die unseren Vitaminbedarf beeinflussen, sind nur eines der Forschungsgebiete, die für eine gesunde Ernährung der Zukunft sehr wertvoll sein könnten. Genetische Polymorphismen, und dazu gehören auch die Single Nucleotide Polymorphisms (SNP), sind über das gesamte Erbmaterial verteilt und bilden die Basis für gross angelegte Assoziationsuntersuchungen. Mit genomweiten Assoziationsstudien (GWAS) kann man Korrelationen von SNP zu einer Erkrankung oder einem Gesundheitsstatus analysieren. Damit können Erkenntnisse gewonnen werden, die Hinweise für noch nicht bekannte Gene in einem neuen Zusammenhang liefern. So werden Polymorphismen in Genen identifiziert, welche für verschiedene Varianten eines Proteins kodieren können. Der dadurch entstandene Aminosäurenaustausch kann dazu führen, dass die Funktion sich leicht verschiebt und dadurch auch Auswirkungen im Stoffwechsel hat. GWAS-Studien haben interessanterweise zeigen können, dass das Gen für die Methylentetrahydrofolatreduktase (MTHFR) neben einer Liste von anderen Genen mit Bluthochdruck assoziiert ist (5). Bluthochdruck ist eine Krankheit, die mit Medikamenten behandelt werden muss. Für die Behandlung stehen verschiedene blutdrucksenkende Mittel zur Verfügung. Fazit Die Beispiele, die wir hier vorgestellt haben, zeigen auf, dass die Ernährungsforschung Möglichkeiten einer individuell angepassten Ernährung eröffnet. Die Zukunft wird zeigen, inwieweit solche Konzepte in der Praxis für eine breitere Bevölkerung Einzug finden können. Korrespondenzadresse: Peter Weber, MD, PhD Professor of Nutrition Corporate Science Fellow DSM Nutritional Products Europe Ltd. Wurmisweg 576 4303 Kaiseraugst DSM war Partner des Food4Me-Projekts. Referenzen: 1. Wittwer J, Rubio-Aliaga I, Hoeft B, et al.: Nutrigenomics in human intervention studies: current status, lessons learned and future perspectives. Mol Nutr Food Res 2011; 55: 341–58. 2. Guthrie R, Susi A: A Simple Phenylalanine Method for Detecting Phenylketonuria in Large Populations of Newborn Infants. Pediatrics 1963; 32: 338–43. 3. Meesters RJ, Hooff GP: State-of-the-art dried blood spot analysis: an overview of recent advances and future trends. Bioanalysis 2013; 5: 2187–2208. 4. Hoeller U, Baur M, Roos FF, et al.: Application of dried blood spots to determine vitamin D status in a large nutritional study with unsupervised sampling: the Food4Me project. Br J Nutr 2016; 115: 202–211. 5. Newton-Cheh C, Johnson T, Gateva V, et al.: Genome-wide association study identifies eight loci associated with blood pressure. Nat Genet 2009; 41: 666–676. 6. Wilson CP, McNulty H, Ward M, et al.: Blood Pressure in Treated Hypertensive Individuals With the MTHFR 677TT Genotype Is Responsive to Intervention With Riboflavin: Findings of a Targeted Randomized Trial. Hypertension 2013; 61: 1302–1308. 3|2016 SZE 21