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BERICHT
20. Workshop, Bern
Moderne klinische Ernährung: Darmgeschichten
Alimentation clinique moderne: histoires d’intestins
Annegret Czernotta
Mots clés : MICI – FODMAP – alimentation sans gluten – microbiome – SGC
Darmgeschichten und speziell diejenigen im Zusammenhang mit der Ernährung sind aktueller denn je. Wie wichtig Ernährungsanweisungen bei den typischen chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen sein können, zeigten Prof. Stephan Vavricka, Zürich, und Beatrice Schilling, Ernährungsberaterin aus Baden, am Workshop sehr eindrücklich. Ein «Hot topic» präsentierte Prof. Gerhard Rogler, Zürich, mit dem Mikrobiom. Aufgrund der wachsenden Möglichkeiten der Bauchchirurgie sind die Ernährungsberaterinnen als auch Ärzte zunehmend mit dem Kurzdarmsyndrom (KDS) konfrontiert. In verschiedenen Referaten wurde die aufwendige und schwierige Versorgung des KDS beleuchtet.
Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen – Stellenwert der Ernährung
Morbus Crohn und Colitis ulcerosa sind chronisch-entzündliche und schubweise verlaufende Darmerkrankungen (CED: chronisch-entzündliche Darmerkrankungen). Der Einfluss von Ernährung wird seit einigen Jahren intensiv untersucht, nachdem die japanische Studie von Shoda et al. (1996) zeigte, dass eine vermehrte Einnahme von tierischen Proteinen und ein Missverhältnis von Omega-3zu Omega-6-Fettsäuren mit einer erhöhten Inzidenz von CED korrelierte. «Die Studie war der Stein des Anstosses, um den Stellenwert der Ernährung bei CED genauer zu untersuchen», hielt Prof. Stephan Vavricka, Chefarzt Gastroenterologie, Triemlispital Zürich, am Symposium fest. Vitamine und Mikronährstoffe: Spezifische Mikronährstoffdefizite sind bei den CED meistens durch anatomische und funktionelle Besonderheiten bedingt (z.B. Malabsorption), aber auch durch mangelnde Resorption aufgrund bestimmter Medikamente, einer falschen Ernährungsweise oder aus Angst vor abdominalen Schmerzen. Prof. Vavricka stellte Ergebnisse aus verschiedenen Untersuchungen vor. Bei den CED ist der Barriereeffekt des Darmes ein Mittelpunkt pathogenetischer Untersuchungen. Im Vergleich von Morbus Crohn und Colitis ulcerosa ist der Mangel an Vitaminen und Mikronährstoffen sehr ungleich verteilt. Bei einem M. Crohn kommt es
beispielsweise oft zu einem Mangel an Vitamin B12, Folsäure, an Eisen und den fettlöslichen Vitaminen EDKA; bei der Colitis ulcerosa sind diese Nährstoffmängel viel seltener. Ist dieser Nährstoffmangel aber auch gleich behandlungsbedürftig? Filippi et al. konnten nachweisen, dass bei CED-Patienten häufig Vitamin C fehlt. In der behandelten Gruppe nahm der oxidative Stress ab. Das schlug sich allerdings nicht in einer Änderung der Krankheitsaktivität nieder. Fazit: Nicht jeder Vitamin-C-Mangel muss behandelt werden. Bei einer jungen Patienten hingegen, die sich über einen längeren Zeitraum aufgrund der guten Verträglichkeit fast ausschliesslich von Mais ernährte, zeigten sich dunkelbraune Hautverfärbungen und eine Schuppung an sonnenexponierten Stellen (Hände und Gesicht); zudem litt die Patientin an starkem Durchfall. Die Laboranalyse wies einen Vitamin-B3-Spiegel von 3 µg/l auf (die Norm liegt bei 8–52 µg/l). Das bestätigte den Befund einer Pellagra. Nachdem die Patientin hoch dosiert Vitamin B3 erhielt, gingen auch die Symptome wieder zurück. Zink, so Prof. Vavricka, ist ein ebenso unterschätzter Mikronährstoff. Zink ist für die Wundheilung relevant. Ein Mangel kann zu Haarausfall, Diarrhoe, Depression etc. führen. Das Problem: Der gemessene Serum-Zinkspiegel korreliert nur begrenzt mit dem totalen Zinkspiegel. CED-Patienten entwickeln oftmals einen Mangel an Zink aufgrund von Fisteln und der Diarrhö. Prof. Vavricka lässt bei diesen Patienten deshalb oft den Zinkspiegel
Les histoires d’intestins, et notamment celles en relation avec l’alimentation, sont plus que jamais sous les feux de la rampe, comme l’a montré le « hot topic » microbiome. Lors de l’atelier de Berne, la place de l’alimentation dans les maladies inflammatoires chroniques de l'intestin (MICI) et des FODMAP a en outre été abordée. Une question importante est aussi de savoir chez quels patients concernés une alimentation sans gluten est judicieuse ou s’il s’agit simplement d’une aberration. En raison des possibilités croissantes de la chirurgie abdominale, les nutritionnistes de même que les médecins sont de plus en plus souvent confrontés au syndrome du grêle court (SGC). Différentes présentations étaient consacrées à la prise en charge, difficile et chronophage, du SGC.
bestimmen und verordnet die orale Substitution von Zink. Ein besonderes Augenmerk ist auch auf Patienten zu richten, die kontinuierlich Prednison einnehmen. Prof. Vavricka schilderte den Fall einer 21-jährigen Frau, die mit Diplopie, Nystagmus, Erbrechen und Gedächtnisstörungen und einem Body-Mass-Index von 14 eingeliefert wurde. Die Patientin war tachykard und hypoton. Im Labor wurde ein schwerer Vitamin-B1-Mangel (Beri-Beri) nachgewiesen. Nach Substitution verbesserte sich der Zustand drastisch. Die Fälle, so Prof. Vavricka, widerspiegeln die hohe Bedeutung der Vitamin-Komplexe bei CED-Patienten. Die Substitution scheint allerdings in den Privatpraxen eher angekommen zu sein als in den Spitälern. So supplementieren 42 Prozent der Hausärzte Vitamin-B-Komplexe, aber nur 27 Prozent der Spitalärzte!
Vitamin D
Vitamin D ist das am besten untersuchte Vitamin bei CED-Patienten. «Tiefe Vitamin-DWerte sind eng assoziiert mit dem Auftreten von CED», sagte der Experte. So ist die Prävalenz in nördlichen Ländern mit tieferer ultravioletter B-Strahlung deutlich höher als in südlichen Län-
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dern. Die Vitamin-D-Substitution macht daher Sinn, so Vavricka. Das bestätigen auch Daten der Nurse-health-Study (Ananthakrishnan et al., 2012): Je höher der Vitamin-D-Spiegel bei den Frauen war, desto niedriger fiel das Risiko für M. Crohn aus. Jorgenson wies ausserdem nach, dass die Vitamin-D-Substitution von 1200 IU D3 täglich über 12 Monate auch zu deutlich weniger Schüben führte (13 vs. 29%). Als Fazit hielt Prof. Vavricka bei den Vitaminen fest, dass diese bei den CED häufig sind und speziell Obacht gegeben werden muss auf den Vitamin-B-Komplex, Folsäure und Vitamin D. Vor allem bei ungewöhnlichen Hautsymptomen sollte nach einem Vitaminmangel gesucht werden. Vitamin D als auch A scheinen einen immunmodulierenden Effekt zu haben. Adipositas und CED: In zwei Studien wurde der Zusammenhang von Adipositas und CED untersucht. Blain et al. (Clin Nutr 2002) wiesen darauf hin, dass die Krankheitsaktivität bei Adipositas erhöht ist. In einer weiteren Studie verkürzte sich die Zeit zwischen den Operationen bei CED-Patienten bei einem Body-MassIndex über 25. Adipositas scheint demnach die Krankheitsaktivität zu erhöhen. Von Fischöl bis Heidelbeeren: Die European Prospective Investigation Into Cancer and Nutrition(EPIC)-Studie untersuchte den Zusammenhang von Linolsäure und CED. Die Assoziation fiel allerdings negativ aus. Omega3-freie Fettsäuren waren nicht signifikant in der Remissionserhaltung bei CED-Patienten. Von Interesse ist derzeit die Prävention einer Pouchitis durch VSL-3. In Studien erzielte das Pulver aus acht verschiedenen vermehrungsfähigen Milchsäurebakterien eine A-Effektivität in der Prävention einer CED. In der Studie von Bibiloni führten 2 × 2 Sachets pro Tag über 6 Wochen in 53 Prozent der Patienten zu einer Remission. Aber auch Heidelbeeren wirken positiv auf die Darmmukosa. Sie enthalten das Zytokin TGF-beta 2, das normalerweise in der Brustmilch enthalten ist und die mukosale Heilung positiv beeinflusst. In einer eigenen Studie von Biedermann et al. (2012) führten hoch konzentrierte HeidelbeerCookies zu einer abnehmenden Krankheitsaktivität, weshalb der Verzehr für CED-Patienten empfohlen wird.
FODMAP
FODMAP (fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide sowie Polyole) sind kleine Kohlenhydrate, die üblicherweise in Nahrungsmitteln vorhanden sind und schlecht absorbiert werden. Teilweise sind diese Nahrungsbestandteile auch osmotisch aktiv. FODMAP zeigen zudem eine schnelle Fermentierung durch Bakterien. Beide Faktoren führen
zu einer ausgeprägten Gasbildung mit Blähungen sowie zu einem gesteigerten Druck in der Darmwand und dadurch zu abdominellen Schmerzen. Eine FODMAP-arme Diät wird als neue Ernährungsform propagiert. Allerdings, so Beatrice Schelling, Ernährungsberaterin mit eigener Praxis in Baden, ist die FODMAP-Diät eher eine Kombination von Bekanntem wie Empfindlichkeit auf Laktose, Fruktose und Sorbit mit Neuem: den Oligosacchariden und allen Polyolen. Entscheidend sei die Nahrungsmittelwahl, die erheblichen Einfluss hat auf den Gehalt von FODMAP, so Schilling. Wer beispielsweise auf Portionen mit hohem FODPMAP-Gehalt reagiert, sollte diese meiden. Bei einem mittleren FODMAP-Gehalt eignet es sich, die Hälfte zu konsumieren. Bei geringerem FODMAP-Gehalt ist eine Konsumation in üblicher Menge möglich. Im Vergleich einer leichten Vollkost mit FODMAP-armer Diät hat es viele Überschneidungen, ebenso mit der BRATT-Diät (Banane, Reis, Apfelmus und Toast), die teilweise FODMAP-arm ist. Überschneidungen hat es auch im Vergleich mit der glutenfreien Ernährung, da Weizen, Roggen und Gerste Reizdarmsyndrome auslösen können. – Eine FODMAP-arme Diät muss aber nicht glutenfrei sein», so Schilling. «Sie reduziert jedoch die Symptome bei einem Reizdarmsyndrom.» Allerdings basieren diese Daten noch auf nur einigen wenigen randomisierten, kontrollierten Studien. Beatrice Schilling rät Betroffenen allerdings von Selbstversuchen ab. «Die fachliche Unterstützung ist enorm wichtig», so Schilling. «Es gibt keine Standardlösung, sondern nur individuell angepasste Ernährungsweisen.» Denn diese Diäten sind in der Ausführung anspruchsvoll und eine Mangelernährung oder die Einnahme teurer Lifestyleprodukte sollte vermieden werden. Zudem ergeben sich laufende neue Erkenntnisse: Beispielsweise ist erst seit kurzer Zeit bekannt, dass auch Fenchel und Kamillentee FODMAP enthalten, Kokosnusswasser bei Unverträglichkeit nicht geeignet ist, dafür aber Kokosmilch UHT. Aufgrund der Komplexität dieser Ernährungsform empfiehlt Schilling deshalb: • ein FODMAP-Konzept nur innerhalb einer
Ernährungsberatung durchzuführen. «Die professionelle Unterstützung ist wesentlich für den Erfolg und eine gute Ernährungsqualität», so Schilling. • FODMAP sind in verschiedenen alltäglichen Nahrungsmitteln enthalten. Ein Weglassen kann das Risiko für einen Nährstoffmangel erhöhen. Deshalb soll die Diät individuell erfolgen.
• Die Beratung ist sehr komplex. Der Berufsverband SVDE bietet deshalb eine zweitägige FODMAP-Weiterbildung an.
• Methodisch gutes Beratungsmaterial ist wichtig für die Compliance: Beatrice Schilling hat eigens für die FODMAP-Diät Arbeitsblätter und so weiter erstellt. Sie wurde 2015 für diese Arbeit ausgezeichnet und erhielt den Nestlé-Schweiz-Ernährungspreis für Ernährunsgberatung und -kommunikation.
• Vor Beginn einer FODMAP-armen Diät ist eine Zöliakie auszuschliessen, denn eine FODMAP-arme Ernährung erschwert die Zöliakiediagnose.
• Wichtig: Laktose und Fruktose sind nur FODMAP bei einer Intoleranz, das heisst, nicht jedes Kohlenhydrat muss gemieden werden.
• H2-Atemtests sind für die Praxis teils wenig hilfreich, da sie nicht immer die individuelle Zufuhr reflektieren und nicht alle Personen und Intoleranzen erfassen. Der beste Weg, um eine Nahrungsmittelintoleranz ausschliessen zu können, ist die Elimination und die Wiedereinführung dieser Nahrungsmittel, so Schilling. Das sollte aber ebenfalls unter Anleitung und Kontrolle einer Ernährungsberatung geschehen.
• Einen speziellen Stellenwert nimmt die Nichtzöliakie-Nichtweizenallergie-Weizensensitivität (NCGS) ein. Der Auslöser ist weitgehend unbekannt; es wird ein Zusammenhang von angeborener Immunitätsstörung vermutet (evtl. Amylase-TrypsinInhibitoren als glutenkorrelierte Trigger). Plazebokontrollierte Studien zeigen, dass Gluten keinen Effekt respektive keine Nebenwirkungen bei selbst berichteten NCGSUnverträglichkeiten hat. So reagieren nur ein Drittel der Personen mit selbst berichteter «Glutensensitivität» tatsächlich auf Glutenpulver. Anscheinend ist es der Weizen, der diese Sensitivität verursacht, sodass besser von einer Nichtzöliakie-Weizensensitivität gesprochen wird. «Den Glutensensitiven geht es deshalb meist besser, wenn sie sich nicht glutenfrei, sondern FODMAP-arm ernähren», so Beatrice Schelling.
• Zudem gibt es keine einfachen ernährungsmedizinischen Lösungen, speziell nicht bei Reizdarmpatienten. Essen sei nicht nur Aufnahme von Nahrungsmitteln, sondern umfasst auch das Essverhalten, die psychische Situation, ist gesellschaftlicher Anlass und so weiter, so Schilling.
Als Fazit hält die Ernährungsberaterin fest, dass das FODMAP-Konzept bei unspezifischen Verdauungserkrankungen trotzdem das beste Konzept ist, welches derzeit bekannt ist!
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Mikrobiom und Ernährung
Das Mikrobiom bezeichnet die Gesamtheit der Gene der den Menschen oder andere Lebewesen besiedelnden Mikroorganismen. Die Mikrobiota hingegen bezeichnet im engeren Sinne die Gesamtheit aller Mikroorganismen. Dazu zählen beispielsweise die Mikroorganismen des Darmes oder der Haut, erklärte Prof. Gerhard Rogler, Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie am Universitätsspital Zürich. Die Mikrobiota wird durch Faktoren wie Alter, Gene, Geschlecht, aber insbesondere auch durch die Ernährung beeinflusst. Die Besiedlung mit der «kommensalen Mikrobiota» schützt vor pathogenen Bakterien, verstoffwechselt Gallensäuren, produziert Vitamine etc. Bereits die Art der Geburt (vaginal oder Sectio) beeinflusst die Darm-Mikrobiota (nähere Informationen zum Thema auch im kürzlich erschienenen Schwerpunkt Mikrobiom, Probiotika SZE 2/2016, Beitrag Prof. Rogler: S. 24–28). Interessant ist auch der Zusammenhang von intestinaler Mikrobiota und dem metabolischen Syndrom. Es zeigt sich, dass adipöse Menschen eine firmicutesreiche Darm-Mikrobiota haben. Firmicutes sorgen für eine erhöhte Verfügbarkeit von Energie. Ein interessantes Phänomen auch beim Rauchstopp: Viele ehemalige Raucher beklagen eine Gewichtszunahme von 2 bis 5 Kilo nach dem Rauchstopp, obwohl sie die gleichen Mengen essen. Im Darm zeigt sich bei ihnen tatsächlich eine Zunahme von Firmicutesbakterien, die wahrscheinlich für die Gewichtszunahme ursächlich sind. Mittlerweile ist die Darm-Mikrobiota in aller Munde und eine Beeinflussung der Darmmikrobiota (z.B. durch Stuhltransplantation) wird als Allheilmittel vieler Krankheiten propagiert – ohne Nachweis in Studien – so Prof. Rogler. Die propagierten Wirkungen seien deshalb mit grosser Vorsicht zu geniessen. Einzig die Fäkaltransplantation bei einer Clostridienkolitis hatte eine nachgewiesene Erfolgsquote von 81 Prozent. Deshalb können ausser für die Clostridienkolitis Fäkaltransplantationen derzeit nicht empfohlen werden, so Prof. Rogler. Zudem bedarf es für viele Einflussfaktoren einer weiteren Klärung.
Glutenfreie Ernährung: Sinn und Unsinn
20 Prozent der westlichen Bevölkerung vermeiden mittlerweile glutenhaltige Nahrungsmittel oder reduzieren die Einnahme. «Dahinter verbergen sich Annahmen wie ‹glutenfrei ist gesund› oder ‹hilft bei der Gewichtsreduktion› oder ‹Gluten schadet jedem›», so Dr. Claudia Krieger-Grübel, Gastroenterologie
und Hepatologie am Kantonsspital St. Gallen. Im Mittelpunkt steht das Weizenkorn. Denn bei der Zöliakie liegt eine abnorme Reaktion der Darmschleimhaut auf Gluten vor, das Teil des Endosperms des Weizenkorns ist. Allerdings reagieren nur Patienten, die auf dem kurzen Arm von Chromosom 6 die Histokompatibilitätsgene HLA-DQ2 und/oder DQ7 und/oder DQ 8 aufweisen. HLA-DQ2/7/8 wiederum führen dazu, dass vermehrt TNF-alpha und Interferon-gamma produziert werden. Dr. Krieger-Grübel hielt fest, dass für diese Patienten, die momentan einzige therapeutische Option die glutenfreie Ernährung darstellt. Zu beachten sei speziell die genügende Kalziumeinnahme. Hafer stellte lange Zeit eine Unklarheit bezüglich Toleranz seitens Zöliakiepatienten dar. Heute ist man der Meinung, dass Hafer aufgrund des deutlich reduzierten Aveningehaltes (Pendant zu Gliadin in Weizen) in die Ernährung eingeschlossen werden kann. Gemeint ist damit der speziell produzierte Hafer, der nicht mit Gluten verunreinigt ist. Fructan, ein Oligosaccharid, ist als Kohlenhydratquelle ebenfalls ein Bestandteil des Endosperms. Dies löst aber keine Zöliakie aus, sondern kann als FODMAP-Bestandteil bei Reizdarmpatienten zu Verdauungsproblemen im Sinne von osmotischer Diarrhö und vermehrtem Meteorismus führen. Die Zöliakie ist zudem abzugrenzen von einer Weizenallergie, die eine IgE-vermittelte Entzündungsantwort darstellt und von einer Nichtzöliakie bedingten Gluten/Weizensensitivität (NCGS). Für die Beschwerden werden metabolische Proteine wie Amylase-TrypsinInhibitoren (ATI) diskutiert. Diese sind einerseits für den Kornreifungsprozess verantwortlich, inhibieren Parasitenenzyme und stimulieren auch die Immunantwort. Bislang gibt es keinen biologischen Marker für NCGS; die Erkrankung ist eine klinische Entität. Besonders häufig betroffen sind Frauen im Alter von 30 bis 50 Jahren. «Bei ihnen löst nicht das Gluten die Symptomatik aus», so Dr. Krieger-Grübel, «weshalb eine liberale glutenfreie oder eine FODMAP-arme Diät empfohlen werden kann.» In Bezug auf die glutenfreie Ernährung wies sie auch darauf hin, dass die glutenfreie Ernährung auf die menschliche Darm-Mikrobiota wirkt. Clostridien nehmen beispielsweise ab, wie auch andere Bakterienstämme, die beispielsweise im Stärkemetabolismus involviert sind. Die glutenfreie Ernährung beeinflusst dadurch den gesamten Stoffwechsel. Seit einigen Jahren wird nach einem Impfstoff gegen Zöliakie gesucht. Mittlerweile wird der desensibilisierende Impfstoff Nexvax2 in einer Phase-1b-Studie untersucht. Nexvax2 beinhal-
tet drei dominante Glutenpeptide und wird subkutan verabreicht. Ziel ist eine Immuntoleranz gegenüber glutenreaktiven T-Zellen. Der Produktionsstart wird in 5 bis 10 Jahren erwartet. Bei der NCGS wird intensiv nach Biomarkern gesucht. Abschliessend hielt Dr. Krieger-Grübel fest, dass bei der Zöliakie die glutenfreie Diät ein Muss ist. Bei der Weizenallergie beschränke sich die Diät auf die Elimination von Weizen. Bei Reizdarm- und NCWS-Patienten kann die glutenfreie Diät unterstützend wirken, ist aber kein Muss. Bei diesen Patienten bietet sich das Konzept der FODMAP-armen Diät an. Als Lifestyleernährung hingegen bietet sich die glutenfreie Ernährung nicht an. Am Nachmittag widmete sich das Programm dem praxisorientierten Alltag. Bei wachsenden Möglichkeiten der Bauchchirurgie sind Ärzte und die Ernährungsberatung zunehmend mit dem Kurzdarmsyndrom konfrontiert.
Das Kurzdarmsyndrom
Ein Kurzdarm wird dabei definiert als ein Verlust grösserer Abschnitte des Dünndarms (anatomisch weniger als 2 m). Ursachen sind ausgedehnte Resektionen aufgrund eines Morbus Crohn oder infolge von Ischämie des Dünndarms, beispielsweise nach einem Mesenterialinfarkt, nach Strangulation oder Volvulus. Die Auswirkungen sind enorm: Fette und Gallensalze werden schlechter resorbiert, die Resorption von Oxalat wird aufgrund des hohen Kalziumsgehaltes (Kalzium bindet an unresorbierte Fette) begünstigt und erhöht das Risiko einer Urolithiasis, die Resorption fettlöslicher Vitamine (A und D) ist stark eingeschränkt, bei einem Ileumverlust auch die Resorption von Cobalamin. Ein weiteres Problem ist der Wasser- und Elektrolytverlust über das Stoma, der bis zu 2000 ml in 24 Stunden betragen kann und zu einer Dehydratation führen kann. Folgen des High-output sind Durst, trockener Mund, Schwindel, dunkler und stark riechender, da konzentrierter Urin, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Muskelschmerzen und ein tachykarder Puls. Bei einem KDS sind eine Mangelernährung, Vitamin- und Mikronährstoffmangel, Elektrolytstörungen, Dehydratation, Gewichtsverlust, Diarrhö und Steatorrhö möglich. Das Ausmass all dieser Symptome ist abhängig von der Grösse der Resektion und den Teilen, die entfernt wurden. Das Management dieser Patienten ist dementsprechend schwierig und herausfordernd. Die neuen Guidelines geben Hinweise zur Behandlung des KDS (www.awmf.org)
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Management des intestinalen Versagens
Wie komplex das Thema ist, zeigen die neuen «ESPEN-Guidelines on chronic intestinal failure in adults» (Clinical Nutrition 35, 2016, 247-307): Diese umfassen 60 Seiten! Wichtig sei es, so Dr. Michéle Leuenberger, Inselspital Bern, die Restdünndarmlänge zu kennen und die Anatomie und Funktion der noch erhaltenen Darmabschnitte. Denn anhand dieses Wissens leiten sich die Massnahmen ab. Nach der Operation geht es in den ersten Tagen vor allem um den Flüssigkeits-, Elektrolytund Volumenverlust. Das Risiko eine Mangelernährung zu entwickeln, ist sehr gross. Eine parenterale Ernährung ist in dieser Zeit obligat. Nach der initialen Phase der Hypersekretion folgt die Adaptationsphase des Darmes; die bis zu 2 Jahre in Anspruch nehmen kann. In dieser Zeit folgt der orale und enterale Aufbau der Ernährung und die Stabilisation von Diarrhoe und Steatorrhoe. Lassen es die Umstände zu, wird die parenterale Ernährung dazu parallel langsam abgebaut. Für die Ernährungstherapie stellt diese Phase eine grosse Herausforderung dar. Manchmal ist auch die Einlage einer perkutanen endoskopischen Gastrostomie(PEG)-Sonde ratsam. Patienten, welche mit parenteraler Ernährung nach Hause gehen, sollten einem erfahrenen klinischem Ernährungsteam zugewiesen werden. In der medikamentösen Therapie hat es mit Teduglutid erstmals ein Analogon des Glucagon-like-Peptid-2. Teduglutid erhöht die Re-
sorptionsfähigkeit und reduziert die Darmmotilität. In den klinischen Studien konnte durch die Therapie die Zahl der infusionsfreien Tage reduziert werden. Für die Patienten kann dies eine Verbesserung hinsichtlich der Unabhängigkeit und Lebensqualität darstellen.
Heimparenterale Ernährung
Daten der Heimparenteralen (HPN)-Studie stellte Carla Aeberhard, Doktorandin und eidgenössich diplomierte Apothekerin an der Universitätsklinik für Diabetologie, Endokrinologie, Ernährungsmedizin und Metabolismus am Inselspital in Bern vor. Zur heimparenteralen Ernährung gibt es seit 2013 die DGEM-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin in Zusammenarbeit mit der GESKES und der «AKE» («Aktuelle Ernährungsmedizin» 2013; 38: e101–e154). Heimparenterale Ernährung wird definiert als teilweise oder komplette parenterale Ernährung, bei der Wasser und Makro- und Mikronährstoffe intravenös verabreicht werden. In der Schweiz wurden im Zeitraum von 2005 bis 2009 433 HPE-Patienten erfasst (SVK-Daten). In die Swiss-HPNStudie, an der Carla Aeberhard massgeblich beteiligt war, konnten 33 Patienten eingeschlossen werden. Die Daten zeigen, dass die Versorgung herausfordernd ist, speziell die Pflege und Vermeidung von Katheterinfektionen. Der Händedesinfektion kommt eine zentrale Bedeutung zu. Bei der Katheterspülung zeigt sich, dass es unter Spülung mit Heparin
zu mehr Komplikationen kommt als unter isotoner Kochsalzlösung. Deshalb lautet die Empfehlung, bei der Pflege des Katheters eine isotonische Kochsalzlösung zu benutzen. Bei Verstopfungen aufgrund von Blutgerinnseln ist hingegen Urokinase oder rTPAse indiziert. Als Nährstofflösungen gibt es All-in-One-Lösungen oder 2- bis 3-Kammer-Beutel. Die Wahl des Produktes ist abhängig von verschiedenen Kriterien. Die All-in-One-Mischung bietet Vorteile in der einfachen Handhabung, die Mischung ist im Kühlschrank allerdings nur für maximal sieben Tage lagerbar, da sie nicht endsterilisierbar ist. Entscheidend ist die fachkompetente Schulung des Patienten. Mit einer kurzen Einführung sei es bei diesen Patienten nicht getan, sagte Denise Herren, dipl. Pflegefachfrau FH bei HomeCare Bichsel. Der Patient oder/und die Angehörigen sind gezielt und mit viel Verständnis in die Materialkunde einzuführen. Die Handhabung, aber auch die Wirkung und Nebenwirkung dieser Produkte müssen verstanden werden. Dafür bedarf es auch insbesondere eines Vertrauensverhältnisses zwischen HomeCare und dem Patienten und dessen sozialem Umfeld. Funktioniert das Zusammenspiel jedoch, so Herren, wird dem Patienten ein wichtiges Stück Lebensqualität zurückgegeben. Obwohl der Aufwand einer HPE gross ist, kann dann der Nutzen den Aufwand in den meisten Fällen überwiegen.
Quelle: 20. Workshop, Moderne klinische Ernährung: Darmgeschichten vom 18. Mai in Bern.
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