Transkript
MIKROBIOM, PROBIOTIKA
Mikrobiom – unser ständiger Begleiter
Carla Aeberhard
Carla Aeberhard1, Alexander Moschen2, Zeno Stanga1
Der menschliche Gastrointestinaltrakt enthält Trillionen von Mikroorganismen. Diese Anzahl übersteigt sogar jene der menschlichen Zellen um das Zehn- bis Hundertfache. Die Mikrobiota etabliert sich im Säuglingsalter, um bis in die frühe Kindheit eine mehrheitlich stabile Konfiguration anzunehmen, die beim Gesunden bis ins hohe Alter stabil bleiben kann. Das Wissen und die Erkenntnis, wie wichtig die Darmmikrobiota ist, welche Aufgaben sie hat und wie unter anderem die Ernährung die Mikrobiota beeinflussen kann, haben sich in den letzten Jahren aufgrund technischer Fortschritte auf dem Gebiet der Molekulargenetik und Metabolomik ständig erweitert und verbessert. Dies erlaubt uns, die Auswirkungen der Umwelt auf das Mikrobiom zu studieren. In Zukunft sollen die gewonnenen Erkenntnisse im Sinne neuer Therapie- oder Präventionsmassnahmen in der Behandlung von Erkrankungen Eingang finden, um die Dysbiose der Mikrobiota wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Zeno Stanga
1 Universitätspoliklinik für Endokrinologie, Diabetologie und Klinische Ernährung, Universitätsspital Bern und Universität Bern 2 Universitätsklinik für Innere Medizin I, Schwerpunkt Endokrinologie, Gastroenterologie und Stoffwechsel, Universitätsspital, Innsbruck
Mikroorganismen im menschlichen Körper
Die Gesamtheit aller Mikroorganismen (Viren, Bakterien, Pilze etc.) in und auf jedem Menschen wird Mikrobiota genannt und deren kollektive genetische Information als Mikrobiom bezeichnet. Die Zahl der vom Mikrobiom kodierten Gene beträgt in Abhängigkeit von dessen Diversität zwischen 400 000 und 800 000. Im Vergleich dazu hat der Mensch «nur» 24 000 Gene. Eindrücklich ist, dass das Mikrobiom fast 2 Prozent unseres Körpergewichtes ausmacht – ähnlich wie das Gehirn (1). Die menschliche Mikrobiota besteht aus 100 Trillionen Organismen. Die meisten befinden sich im (Dick-)Darm, aber sie leben auch auf der Haut, im Urogenitaltrakt, im Mund, Rachen und in der Nase. In diesem Artikel beziehen wir uns hauptsächlich auf die Darmmikrobiota. Je weiter distal man im Gastrointestinaltrakt gelangt, desto anaerober sind die Bedingungen, und so liegt es nahe, dass die meisten Bakterienarten im Darm anaerob leben und bis heute praktisch nicht kultivierbar sind (2). Auch wenn im Darm bis zu 1012 Bakterien pro Gramm Darminhalt bestehen, setzen sich 90 Prozent der menschlichen Darmbakterien aus den beiden Phyla Firmicutes und Bacteroidetes zusammen. Beim Gesunden bleibt die Zusammensetzung der Darmmikrobiota auch im Alter relativ stabil. Krankheit und Gebrechlichkeit sind häufig mit einem vermehrten Auftreten von Enterobacteriaceae wie Escherichiacoli-Bakterien und einer Verminderung des Bacteroidetes-Firmicutes-Verhältnisses assoziiert (3). Die Zu-
sammensetzung der Darmmikrobiota ist abhängig von der Ernährung, dem Lebensstil, der Umwelt, aber auch von Krankheitszuständen wie Entzündungen und einer eventuellen Antibiotikaeinnahme (siehe auch Abbildung) (4).
Die Darmmikrobiota in Gesunden und Kranken
Die Mikrobiota ist für zahlreiche lebensnotwendige Vorgänge beim Menschen zuständig; so hilft sie bei Verdauungsprozessen, produziert Vitamine und Fettsäuren, stärkt das Immunsystem und schützt vor Krankheitserregern. Eine Störung des Gleichgewichtes (Dysbiose) wird mit einer Reihe von unterschiedlichsten Erkrankungen in Verbindung gebracht. Dazu zählen Diabetes, Adipositas, chronische Darmentzündungen, Clostridium-difficile-assoziierte Diarrhö, Asthma, Allergien, Krebs, Autismus oder sogar psychiatrische Probleme. Im Unterschied dazu spiegelt eine hohe bakterielle Diversität eine gesunde Mikrobiota wider (1). Studien konnten zeigen, dass Patienten mit einem Morbus Crohn, verglichen mit gesunden Personen, eine veränderte Darmmikrobiota haben und zudem auch eine geringere bakterielle Diversität (5) aufweisen. Es ist jedoch schwierig zu sagen, ob diese Veränderungen in der Darmmikrobiota zu einer Darmerkrankung führen oder ob die Veränderungen eine Konsequenz der Erkrankung an und für sich sind (6). Veränderungen in der Darmmikrobiota sind auch mit dem metabolischen Syndrom assoziiert. In Tiermodellen führte eine Transplantation der Darmmi-
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krobiota von übergewichtigen Mäusen auf nicht übergewichtige, keimfreie Mäuse zu einem Transfer der Eigenschaften des metabolischen Syndroms (7). Wie Adipositas wird auch eine Mangelernährung mit einer Veränderung der Darmmikrobiota in Verbindung gebracht. So kann eine unreife Darmmikrobiota zur Entstehung eines Kwashiorkors beitragen. Bei Kindern mit dieser Erkrankung konnte das Mikrobiom über die Jahre nicht heranreifen, was sich durch eine allgemein reduzierte Anzahl Gene zeigte (8). Dasselbe zeigte eine Studie mit Kindern in Bangladesch, in der Kinder mit einer schweren, akuten Mangelernährung eine unreife Mikrobiota aufwiesen (9).
Einfluss von Antibiotika auf die Darmmikrobiota
Eine Antibiotikaeinnahme kann zur einer Dysbiose der Mikrobiota führen. Grund dafür ist, dass sich die verschiedenen Antibiotika mit diversen Spektren auf verschiedene Darmbakterien unterschiedlich auswirken: von sehr anfällig bis zu resistent. Die Einnahme von Probiotika während einer Behandlung mit Antibiotika kann das Risiko, einen durch Clostidium difficile verursachten Durchfall zu bekommen, reduzieren (10). Beim erwachsenen Menschen konnte die vorherrschende Darmmikrobiota einen Monat nach
Ende der Antibiotikumtherapie wiederhergestellt werden. Jedoch können sich nicht alle Bakterienarten erholen, was sich
Le microbiome – notre accompagnateur permanent
im Verlaufe in der Gesundheit des Menschen widerspiegelt. lm Gegensatz dazu können bei kleinen Kindern, deren Mikrobiota noch nicht vollständig ausgereift ist, Antibiotikaeinnahmen zu persistierenden negativen Effekten für die Darmmi-
Mots clés: microbiote intestinal chez les personnes en bonne santé et les malades – antibiotiques – influence de l’alimentation – microbiote et naissance/allaitement
krobiota führen (11).
Les connaissances sur l’importance du
Therapie mit Pro- und Präbiotika
microbiote intestinal et les tâches qu’il remplit ainsi que sur l’influence que peut, entre
Die Dysbiose der Mikrobiota wieder ins Gleichgewicht zu bringen scheint ein sinnvoller therapeutischer Ansatz zur Verhinderung dieser Erkrankungen zu sein. Probiotika können das Gleichgewicht im Darm günstig beeinflussen. Darunter sind
autres, avoir sur lui l’alimentation, se sont constamment enrichies grâce aux progrès réalisés dans le domaine de la génétique moléculaire et de la métabolomique. A l’avenir, ces nouvelles connaissances devraient se traduire par de nouvelles mesures thérapeutiques ou préventives pour la prise en
lebende Mikroorganismen zu verstehen, die, in angemessenen Mengen verabreicht,
charge de maladies afin de rééquilibrer la dysbiose du microbiome.
einen gesundheitlichen Nutzen bringen
können. In Untersuchungen führten Pro-
biotika zur Verbesserung bei Symptomen des Reiz-
darmsyndroms, bei Colitis ulcerosa, bei Laktosemal-
absorption und bei Infektionskrankheiten (12, 13).
Eine sehr gute Evidenz bezüglich Wirksamkeit und
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Abbildung: Faktoren, welche die Zusammensetzung der Darmmikrobiota beeinflussen (11)
Tabelle:
Auswirkung diverser Diäten auf die Darmmikrobiota (29)
Ernährungsintervention Fettreiche Ernährung (high-fat)
Fettreiche/zuckerreiche Ernährung
Proteinreiche Ernährung/gesättigte Fettsäuren Kohlenhydratreiche Ernährung Vegetarier (self-reported) Hoher Gehalt an Nahrungsfasern
Westliche Diät («Western-Style»-Diät) Vegetarische Lebensart
Veränderung in der Darmmikrobiota Bacteroidetes ↓ Firmicutes ↑ Proteobacteria ↑ Bacteroidetes ↑ Firmicutes ↑ Bacteroides Enterotyp Prevotella Enterotyp Prevotella Enterotyp Bacteroidetes ↑, Actinobacteria ↑ Firmicutes ↓, Proteobacteria ↓ Bacteroides Enterotyp Bacteroides spp.↓, Enterobacteriaceae spp. ↓ Bifidobacterium spp.↓, Escherichia coli ↓
Nutzen besteht in der Gabe von Probiotika bei antibiotikaassoziiertem Durchfall. Jedoch sollte erst zwei bis drei Tage vor dem Ende der Antibiotikatherapie mit der Probiotikagabe begonnen und diese über zwei bis maximal vier Wochen weitergeführt werden. Vorsichtig mit dem Einsatz von Probiotika muss man auch bei immunsupprimierten und kritisch kranken Patienten sein (14). Probiotika sind lebende bakterielle Stämme, die eine klinische Wirksamkeit aufweisen, sodass auch unerwünschte Wirkungen auftreten können. Präbiotika sind unverdaubare lösliche Fasern, die von der Darmflora spezifisch zur Fermentation verwendet werden und das Wachstum bestimmter Bakterienarten im Darm anregen (15). Sie bewirken sowohl eine Veränderung der Zusammensetzung als auch eine Veränderung der metabolischen Aktivität der Darmmikrobiota. Spezifische Stoffwechselprodukte der Mikrobiota wie kurzkettige Fettsäuren sind wichtige Botenstoffe zwischen Mikrobiota und Wirt und beeinflussen über unterschiedliche Mechanismen Stoff-
wechsel und Immunsystem günstig. Präbiotische Effekte wurden bei der Einnahme von inulintypischen Fruktanen oder Galaktooligosacchariden gezeigt. Erstere sind natürlich verfügbar in vielen Lebensmitteln wie Weizen, Zwiebeln, Knoblauch, Bananen und Tomaten. Galaktooligosaccharide sind als kommerzielle Produkte erhältlich. Muttermilch ist reich an Oligosacchariden, welche das Kolon erreichen, da sie resistent gegenüber Verdauungsprozessen sind (16). Präbiotika sind laut Untersuchungen dazu in der Lage, die Inzidenz von atopischer Dermatitis und Atemwegsinfektionen zu senken (17). Ein weiterer Therapieansatz ist die Stuhltransplantation im Sinne einer sehr unspezifischen Massentransplantation. In Patienten mit therapierefraktärer, rezidivierender Clostridium-difficile Diarrhö erwies sich diese Methode als hoch erfolgreich. Die bisherigen Ergebnisse bei der Colitis ulcerosa waren allerdings weniger beeindruckend. Es zeigt sich, dass das Spenderscreening bei dieser Methodik essenziell ist (18). Ein Risikofaktor der Stuhltransplantion sind jedoch die übertragbaren, infektiösen Erkrankungen und gegebenenfalls auch Langzeitrisiken wie die Entstehung von kolorektalen Karzinomen (19).
Einfluss der Ernährung auf die Mikrobiota
«Wir sind, was wir essen» stimmt in diesem Zusammenhang genau, denn unsere Ernährungsart beeinflusst die Zusammensetzung unserer Mikrobiota. Viele unserer Kommensalen spalten Zuckermoleküle, produzieren kurzkettige Fettsäuren (Acetat, Proprionat, Butyrat), bilden essenzielle Vitamine (Vitamin B1, B6, B12, Vitamin K) und Aminosäuren, beseitigen Schadstoffe und giftige Stoffwechselprodukte (wie Gallensäure), versorgen uns mit Kalorien und bekämpfen pathogene Bakterien. Die Darmmikrobiota wird durch unsere Nahrung (Kohlenhydrate, Proteine, Fette) gefüttert und somit deren Zusammensetzung und Funktion beeinflusst. So zersetzen diese Bakterien etwa Substanzen, welche im oberen Gastrointestinaltrakt nicht verdaubar sind (wie z.B. nahrungsfaserreiche Produkte) und setzen dabei bakterielle Metabolite frei, welche zum Teil wichtig sind für einen funktionsfähigen Darm. Die ideale Ernährung für den Menschen muss also nach vielen verschiedenen Kriterien definiert werden; so auch was für die Darmbakterien gut ist. Kohlenhydratfermentation führt zur Bildung von kurzkettigen Fettsäuren, welche vom Wirt, also dem Menschen, gebraucht werden (20). Sie tragen zur Homöostase des Wirtes bei, indem sie den luminalen pH ansäuern, was wiederum das Wachstum von Pathogenen verhindert (16). Aus der Perspektive der Mikrobiota führen veränderte Umwelteinflüsse, so wie auch die Ernährung, zu einem selektiven Druck auf verschiedene Bakterienarten, unter welchem nur spezifische Arten überleben und sich replizieren können. Signale, welche von der Mikrobiota stammen, können das Essverhalten des Wirtes beeinflussen, in dem sie ein Verlangen oder eine Abneigung für
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gewisse Nahrungsmittel generieren (21). Personen, welche ein Verlangen nach Schokolade haben, wiesen andere mikrobielle Metaboliten im Urin auf als Personen mit keinem spezifischen Verlangen nach Schokolade. Dies trotz einer gleichen Ernährungsweise (22). Gewisse Ernährungsgewohnheiten oder -diäten können auch kurzzeitige, reversible Effekte, andere Diäten aber Langzeiteffekte auslösen, welche über das ganze Leben persistieren (23, 24). Diäten mit resistenter Stärke, unverdaubaren Kohlenhydraten, veränderten die Bakterienzusammensetzung innerhalb von drei bis vier Tagen, wobei die Veränderungen schnell reversibel waren (25). Wu et al. zeigten, dass eine kurzzeitige Diät keinen Einfluss auf den Enterotyp hatte, im Gegensatz zu einer Langzeitdiät. Diäten, welche reich an Proteinen und tierischen Fetten waren, begünstigten einen Bacteroides Enterotyp, und kohlenhydratreiche Nahrung unterstützten den Prevotella Enterotyp (siehe Tabelle) (24). Diese Studie stimmt mit einem Vergleich von europäischen und afrikanischen Kindern überein. So war die «Western-Style»Diät assoziiert mit einem Bacteroides Enterotyp, wohingegen eine vermehrt vegetarische und ballaststoffreiche Ernährung in Afrika zu einem Prevotella Enterotyp führte (26). Nach drei Wochen mit einem Frühstücks-Vollkornmüesli auf der Basis von Mais, konnten im Stuhl der Studienteilnehmer vermehrt Bifidobakterien gefunden wurden. Zudem war auch das Verhältnis der Lactobacillus-/Enterococcus-Gattungen (beide gehören zur Abteilung der Firmicutes) erhöht (27). Früchte und Nüsse beeinflussen die Bakterienzusammensetzung ebenfalls: Vendrame et al. untersuchten den Einfluss eines über sechs Wochen täglich eingenommenen Blaubeerendrinks (reich an Anthocyanen) in einer plazebokontrollierten Crossoverstudie. In der Gruppe, die Blaubeerendrinks einnahm, stieg nach sechs Wochen die Anzahl der Bifidobakterien (28). Die «Western-Style»-Diät mit einem hohen Fleisch- und Kohlenhydratkonsum, aber einem geringen Verzehr von Gemüse, wurde mit verbreiteten Krankheiten wie dem metabolischen Syndrom, Arteriosklerose, entzündlichen Darmerkrankungen und Darmkrebs in Verbindung gebracht (29). Es gibt immer mehr Evidenz, dass die Zusammensetzung der Darm-Mikrobiota, welche durch verschiedene Diäten beeinflusst wird, im Bezug zur Entstehung von solchen Krankheiten stehen (30). Hildebrandt et al. zeigten in einer präklinischen Untersuchung mit Mäusen, dass eine High-Fat-Diät die Zusammensetzung der Darm-Mikrobiota, unabhängig von Übergewicht, beeinflussen konnte. Die Autoren konnten nachweisen, dass eine High-Fat-Diät zu einer Verminderung der Bacteroidetes und einem Anstieg der Firmicutes und Proteobacteria führte (siehe Tabelle) (31). Eine Veränderung der Ernährungsweise bei Mäusen, zum Beispiel von einer Low-Fat- in eine High-Fat-Diät, veränderte die Mikrobiotastruktur und Genexpression innerhalb eines Tages. Diese Mäuse waren vermehrt adipös, und interessanterweise konnte diese Eigen-
schaft auch durch eine Mikrobiotatransplantation beziehungsweise Stuhltransplantation übertragen werden (32). Jedoch haben nicht nur Fette, Kohlenhydrate und Proteine einen Einfluss auf die Zusammensetzung der Darmmikrobiota, sondern auch andere Faktoren, wie der Body-Mass-Index, Rotweinkonsum und Aspartam. Auch die Tatsache, dass künstliche Süssstoffe unsere Darmmikrobiota beträchtlich verändern können, wirft zahlreiche Fragen auf, und es muss auf diesem Gebiet noch viel erforscht werden (29). Auch Bewegung und das Alter können die Beziehung zwischen der Mikrobiota, der Immunabwehr und dem Metabolismus beeinflussen. In einer Studie wurde der Einfluss der Bewegung und der Ernährung auf die Darmmikrobiota anhand von Stuhlproben bei professionellen Rugbyspielern und gesunden männlichen Kontrollpersonen untersucht. Die Autoren konnten zeigen, dass Bewegung und eine vermehrte Proteinzufuhr zu einer grösseren Diversität der Darmmikrobiota führte (33).
Mikrobiota bei Neugeborenen – Einfluss der Geburt und des Stillens
Zwei der am besten erforschten Determinanten der Darmmikrobiota in der Kindheit sind die Geburtsart und die Muttermilch. Der Fötus im Mutterleib ist steril/keimfrei, denn die Besiedelung mit der Mikrobiota beginnt erst während der Geburt. Mit der natürlichen, vaginalen Geburt findet die erste Kolonisierung durch die mütterliche Mikrobiota im Geburtskanal statt. Kinder, welche durch Kaiserschnitt auf die Welt gekommen sind, werden zuerst durch Bakterien der Spitalumwelt kolonisiert. Folglich bestimmt die Geburtsart die Zusammensetzung der vorherrschenden Mikrobiota beim Neugeborenen. Nach einem Kaiserschnitt dominieren vor allem Hautkeime, zum Beispiel Staphylokokken und Corynebakterien, und nach einer Vaginalgeburt Vaginal- und Darmkeime, zum Beispiel Milchsäurebakterien (34). Kinder wiesen in einer Studie nach einem Kaiserschnitt ein erhöhtes Risiko für Asthma, Übergewicht und Adipositas im späteren Leben auf (35). Diese Langzeitauswirkungen auf die Gesundheit sind zum Teil auf die Störung der Darmmikrobiota zurückzuführen (36). Eine frühzeitige Kolonisation durch Escherichia-coli-Bakterien führt zu einem erhöhten Risiko für die Entwicklung von Ekzemen, und die Kolonisation mit Clostridium difficile ist mit einem erhöhten Risiko für Ekzeme, rezidivierende Atemprobleme und allergische Sensibilisierung assoziiert. Dies zeigte eine Kohortenstudie aus Holland mit fast 1000 eingeschlossenen Kindern (37). In einer kanadischen Studie war die bakterielle Diversität und Vielfalt bei Neugeborenen, welche durch einen elektiven Kaiserschnitt geboren wurden, am geringsten und bei Neugeborenen mit einem Notfallkaiserschnitt am höchsten, wobei die Studie nur eine geringe Anzahl Kinder (n = 24) einschloss und deshalb in der Aussage limitiert ist. Die Autoren vermuten jedoch, dass die Kolonisierung des kindlichen Darms unterschiedlich be-
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einflusst wird nach elektivem versus notfallmässigem Kaiserschnitt (38). Auch wenn Säuglinge an der Brust saugen, werden mütterliche Bakterien aufgenommen und durch die Muttermilch im Wachstum gefördert. Muttermilch schützt das Neugeborene vor Infektionen, unter anderem wegen der beträchtlichen Anzahl mütterlich erzeugter Antikörper, die in der Milch enthalten sind. Diese Antikörper haben eine Spezifität für Komponenten der kindlichen Darmmikrobiota. Neben den Antikörpern enthält die Muttermilch auch noch andere immunaktive Verbindungen, wie Zytokine, Wachstumsfaktoren (EGF) und antimikrobielle Enzyme und Eiweisse (30). Eine Geburt durch Kaiserschnitt, rezidivierende Antibiotika-Behandlungen und der Gebrauch von künstlicher Säuglingsnahrung, erschweren diesen natürlichen Prozess. Der Darm von gestillten Säuglingen wird hauptsächlich von Bifidobacteria besiedelt. Diese Bakterien sorgen für ein saures Darmmilieu, in dem sich krankheitserregende Keime schlecht vermehren können. In den ersten Lebensmonaten und -jahren wird die Mikrobiota von weiteren Umwelteinflüssen wie Lebensraum, Hygiene, Impfungen, Antibiotikaeinnahme und der Ernährung geprägt und aufgebaut
(1). Ferner sieht man bei Säuglingen mit Flaschennahrung ein gehäuftes Vorkommen von Clostridium difficile, was assoziiert ist mit atopischen Erkrankungen (37). Verschiedene Studien zeigten, dass gestillte Kinder eine geringere bakterielle Diversität und Vielfalt aufwiesen. Diese Erkenntnis kann den spezifischen Oligosacchariden in der Muttermilch zugeschrieben werden, welche als selektive metabolische Substrate für eine limitierte Anzahl Darmmikroben dienen (38, 39). Der einschneidendste Wechsel geschieht, wenn beim Säugling langsam die alternativen kohlenhydratbasierenden Produkte eingeführt werden. Diese ermöglichen eine regelrechte Expansion der Mikrobiota. Bereits im Alter von drei Jahren mit Einführung einer regelmässigen Nahrung ähnelt die Mikrobiota derjenigen von Erwachsenen (3).
Korrespondenzadresse: Carla Aeberhard Eidg. dipl. Apothekerin, Doktorandin Klinische Ernährung Inselspital, Universitätsspital Bern Murtenstrasse 21 3010 Bern E-Mail: carla.aeberhard@insel.ch
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