Transkript
EDITORIAL
Nahrungsmittelallergien und -unverträglichkeiten: Im Alltag einschneidend
Nahrungsmittelallergien (NMA) und Nahrungsmittelunverträglichkeiten (NMU) werden in den letzten Jahren sehr oft in den Medien diskutiert. Bestimmte Lebensmittelgruppen werden entweder verteufelt oder verklärt. Weizen, Reis und Mais sind in unseren Breitengraden die wichtigsten Nahrungspflanzen. Umso schwerwiegender ist es, dass ihnen – insbesondere dem Weizen – in Büchern, Ratgebern oder im Internet ein hoher Krankheitswert zugeschrieben wird. Fakt ist: Menschen mit einer Nahrungsmittelallergie müssen gewisse Lebensmittel konsequent meiden. Auch NMU, respektive Intoleranzen, beeinflussen den Alltag stark. Ganze Familien stellen aufgrund einer NMU eines Mitgliedes ihre Ernährungsgewohnheiten um und meiden gewisse Nahrungsquellen. Die Betroffenen und ihre Angehörigen setzen sich ständig mit ihren Ernährungsproblemen auseinander: bei der Menüplanung, beim Einkaufen, der Zubereitung von Mahlzeiten und insbesondere bei der Verpflegung ausser Haus.* Essen ist ein Lebensgenuss und auch lebensnotwendig. Bei Patienten mit NMA oder NMU kann die Verpflegung aber in einen starken körperlichen und psychischen Stress ausarten. Die psychologischen Konsequenzen beschreibt die Ernährungsberaterin mit ernährungspsychologischem Schwerpunkt, Helene Kistler-Elmer, anschaulich auf den Seiten 28 ff. Aufgrund der einschränkenden Konsequenzen ist es umso wichtiger, die Diagnose einer NMA oder NMU gezielt und durch kompetente Fachleute stellen zu lassen sowie den Betroffenen fundierte Informationen anzubieten. Bis zu 30 Prozent der Bevölkerung glaubt, unter einer NMA zu leiden. Daten zeigen, dass aber «nur» 4 bis 9 Prozent der Schweizer Erwachsenen tatsächlich eine Nahrungsmittelallergie aufweisen. Das heisst aber nicht, dass diese Menschen durch die Exposition mit diesen Nahrungsmitteln lebensgefährlich reagieren, das heisst,
eine Anaphylaxie erfahren. Bei vielen Betroffenen ist die Manifestation der NMA auf die Mundhöhle begrenzt. In Europa zeigen Daten, dass die Lebenszeitprävalenz, das heisst, irgendwann im Verlaufe des Lebens eine Anaphylaxie zu entwickeln, bei 0,3 Prozent liegt (Interview Seite 6 ff). Sehr interessante Daten wurden auch auf dem Gebiet der NMU erhoben, die im Beitrag von PD Dr. Daniel Pohl, Zürich, beschrieben werden: Jeder Dritte gibt eine NMU an; im Rahmen eines Belastungstests leiden dann aber nur rund 3 Prozent der Teilnehmer wirklich an einer NMU. Welche Konsequenzen sollen wir aus diesen Ergebnissen ziehen? Der Autor beschreibt es auf anschauliche Art und Weise auf den Seiten 22 ff. Doch nicht nur Erwachsene sind betroffen: Nahrungsmittelallergien bei Kindern sind häufig und können zu einer verminderten Lebensqualität und einem schlechten Ernährungsstatus führen. Dieses wichtige Thema wird im Beitrag von Dr. Raquel Enriquez und Dr. Peter Eng, Aarau, (Seite 9 ff) kompetent beschrieben. Die Autoren Daniel Gianelli und Julia Eisenblätter, Davos, zeigen (Seite 16 ff), wie mit fast schon detektivischem Vorgehen eine individuelle Lebensmittelauswahl zu einer signifikanten Verbesserung im Ernährungsstatus führen kann. Aber das setzt Zeit und Erfahrung voraus und eine gute Schulung, die zukünftig noch stärker gefördert werden soll. Die wachsende Bedeutung der NMA und NMU zeigt sich auch darin, dass aha! Allergiezentrum Schweiz im Jahr 2016 den Fokus auf Nahrungsmittelallergien und Intoleranzen gelegt hat. Wir hoffen, Ihnen mit dieser Ausgabe wichtige Informationen liefern zu können, und wünschen Ihnen eine spannende Lektüre.
Prof. Barbara Ballmer-Weber
Barbara Ballmer-Weber Chefärztin Allergologie Zentrum für Dermatologie und Allergologie Luzerner Kantonsspital Luzern 6016 Luzern E-Mail: barbara.ballmer@luks.ch
* www.gastroprofessional.ch/dbFile/ 1875/Allergene_im_Offenverkauf.pdf
1|2016 SZE 1