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SW I S S M I L K- SYM P O S I U M
Nichtalkoholische Fettlebererkrankung: Der Lebensstil ist entscheidend
Annegret Czernotta
Die nichtalkoholische Fettlebererkrankung (NAFLD) ist die am weitesten verbreitete Lebererkrankung in der industriellen Welt. Sie gilt als unabhängiger Risikofaktor für einen Typ-2-Diabetes, kardiovaskuläre Krankheiten sowie für chronische Nierenerkrankungen. Medikamente fehlen bis heute. Eine Änderung der Lebensstilfaktoren gilt derzeit als einzige Behandlungsmöglichkeit, die am gut besuchten Swissmilk-Symposium in Bern intensiv von verschiedenen Experten diskutiert wurden.
Die NAFLD basiert im Prinzip aus einem Ungleichgewicht zwischen Aufnahme, Abgabe und Verbrauch von Lipiden. Die Ursachen sind multifaktoriell bedingt und entstehen auf dem Boden einer genetischen Prädisposition. Vor allem die Entwicklung zur gestörten Nüchternglukose und Glukosetoleranz bis hin zum manifesten Diabetes mellitus Typ 2 ist eng an das Vorhandensein einer Fettleber gekoppelt.
Insulinresistenz
Unter Insulinresistenz ist das verminderte Ansprechen des Körpers auf Insulin zu verstehen. Gebildet wird das Hormon in den Langerhans-Zellen des Pankreas. Neben angeborenen Störungen und hormonellen Erkrankungen sind Medikamente (Kortison), Schwangerschaft, Stress und Infektionen weitere typische Ursachen einer Insulinresistenz. Am weitaus häufigsten liegen dieser aber ein (bauchbetontes) Übergewicht und eine genetische Veranlagung zugrunde. Der Pankreas versucht, mit einer gesteigerten Insulinproduktion die Insulinresistenz zu überwinden. Versagt dieser Kompensationsmechanismus, kommt es zu einem Anstieg des Blutzuckers und schliesslich zur Entwicklung eines Diabetes Typ 2. Dr. Lisa Sze Rogdo vom Hormon Zentrum Zürich wies darauf hin, dass in der Abklärung und Behandlung auch auf die ethnische Herkunft geachtet werden soll. So ist die Insulinsekretion bei Afrikanern im Vergleich zu Kaukasiern und Menschen aus dem Fernen Osten höher, die Insulinsensitivität hingegen im Vergleich zu den anderen Ethnien eher niedrig. Auch der Body-Mass-Index (BMI) variiert in den Regionen, und die Adipositas wird unterschiedlich definiert: Kauskasier gelten ab einem BMI von 25 kg/m2 als adipös, im Fernen Osten liegt die Grenze bei 24 und in Indien bei 23 kg/m2. Studien zeigen, dass auch das
Geburtsgewicht entscheidend für die Ausbildung einer Insulinresistenz ist: Bei Kindern mit einem niedrigen Geburtsgewicht ist das Risiko erhöht (Thrifty«Sparsamkeits»-Hypothese), eine Hyperglykämie der Mutter während der Schwangerschaft kann ebenfalls zur Insulinresistenz beim Kind führen. Diagnostisch ist die Glukose-Clamp-Technik Goldstandard. Allerdings ist diese laut Dr. Sze Rogdo im klinischen Alltag nicht praktikabel, weshalb oftmals der HOMA-Index benutzt wird. Dieser berechnet die Insulinresistenz aus den Faktoren Insulin und Glukose im nüchternen Zustand. «Der HOMA-Index ist jedoch mehreren Unsicherheitsfaktoren unterworfen und sollte deshalb im klinischen Alltag nicht routinemässig zum Einsatz kommen», so Dr. Sze Rogdo. Viel wichtiger sind die Anamnese zu den Lebensgewohnheiten und die klinische Untersuchung hinsichtlich Körperbau, Hautveränderungen (Acanthosis nigricans) und Begleiterkrankungen wie beispielsweise der Hypertonie. Typische Folge der Insulinresistenz ist das metabolische Syndrom, das oft mit einer Fettleber vergesellschaftet ist. Auch das Risiko für Krebs und die Bildung eines polyzystischen Ovarsyndrom (PCOS) ist stark erhöht. Therapeutisch stehen Lifestyle-Interventionen im Vordergrund. Medikamentös ist die Behandlung mit Metformin möglich, das die Glukoneogenese hemmt und die Insulinsensitivität verbessert.
NAFL und NASH
Aus der nichtalkoholischen Fettlebererkrankung kann sich bei 25 bis 30 Prozent der Betroffenen eine NASH (nichtalkoholische Steatoheapatitis) und bei 70 bis 75 Prozent eine nichtalkoholische Fettleber (NAFL) entwickeln. In der Biopsie dieser beiden Erkrankungen zeigen sich die Unterschiede darin, dass es beim
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NASH zu einer Entzündung der Leber und einem Hepatozytenschaden kommt, die zu einer Fibrose führen. Rund 20 Prozent wiederum entwickeln aus einem NASH eine Leberzirrhose (Kasten). Zur Risikostratifizierung gehören die Insulinresistenz, erhöhte Leberwerte, Komorbiditäten und ein Fibroseassessment. Laut Dr. Felix Brunner, Oberarzt Gastroenterologie am Inselspital in Bern, ist NASH in den USA mittlerweile der zweithäufigste Grund für eine Lebertransplantation. Medikamente fehlen weitgehend.
Warum essen wir so, wie wir essen?
Warum essen wir oft anders, als wir uns ernähren sollten? Das war die Eingangsfrage von Prof. Wolfgang Langhans, Institut für Lebensmittelwissenschaft, Ernährung und Gesundheit an der ETH Zürich. Die Nahrungsaufnahme und -verarbeitung ist komplex gesteuert. Obwohl die derzeitige Entwicklung mit einer Zunahme von Adipositas und ihren Folgeerkrankungen dem zu widersprechen scheint, wird das Körpergewicht erwachsener Individuen relativ gut reguliert. Zu unterscheiden ist erst einmal zwischen Hunger und Appetit. Ersterer ist physiologisch bedingt. Menschen müssen essen, um zu überleben. Appetit ist hingegen der Wunsch nach Essen und hängt von der Attraktivität des Lebensmittels ab. Wird der Sättigungsgrad erreicht, stoppt der Betroffene mit dem Essen. Das Hungergefühl wie auch der Appetit werden zentral gesteuert und hängen vom komplexen Zusammenspiel langfristig wirkender Signale vom Fettgewebe (z.B. Hormone wie Leptin) und kurzfristig wirkender Signale vom Verdauungstrakt (Ghrelin, Magenfüllung, Cholezystokinin, Glucagon-Like Peptide-1 etc.) und Stoffwechsel (Glukose, Aminosäuren, Fette) ab. Die Nährstoffe können an verschiedenen Orten im Körper und in unterschiedlichen Mengen gespeichert werden. Bei Alkohol gibt es beispielsweise keine Speicherfähigkeit, bei Fetten hingegen ist diese nahezu unbegrenzt. Genuss und Belohnung liegen beim Essen nah beieinander, sodass gedankenloses Essen und suchtartiges Essen möglich sind, wie Prof. Langhans sagte. Das wäre in der Regel kein Problem, denn evolutionsbedingt verhindert diese Steuerung eine gefährliche Körpergewichtsabnahme, mit der Menschen früher viel eher zu kämpfen hatten als mit einer Gewichtszunahme. Durch den geänderten Lebensstil wird heute allerdings mehr an Energie zugeführt als abgebaut. Die physiologischen Sättigungsmechanismen sind oft zu schwach, um das zu verhindern, so Prof. Langhans. Deshalb sollten Ernährungsempfehlungen diese Zusammenhänge auch berücksichtigen. Beispielsweise sollte keine rigide Steuerung des Verzehrs angestrebt werden, vielmehr sollten Verhaltensänderungen da ansetzen, wo das einfacher möglich ist, wie bei der Energiedichte, der Portionsgrösse, bei den Zwischenmahlzeiten und bei der Bewegung im Alltag. Statt Verhaltenskontrolle wäre Verhältnisprävention wünschenswert, so Prof. Langhans. Dazu gehören Essens- und Bewegungsangebote bereits in
Kindergärten und auch in Schulen und Betrieben. Denn negative Konsequenzen von zu kalorienreichem Leben zeigen sich nicht sofort, sondern erst nach Jahren.
Die nichtalkoholische Fettleber: Ursachen, Prävention und Therapie
«Das Thema der NAFLD ist ein junges, und es tritt erst in den letzten Jahren ins Bewusstsein der Wissenschaft», sagte einleitend Dr. Nicolai Worm, Ernährungswissenschafter aus München, tätig an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement in Saarbrücken. Im Jahr 2000 gab es beispielsweise insgesamt 6 Publikationen zum Thema NAFLD, im Jahr 2014 waren es bereits 1530. «Heute ist die nichtalkoholische Fettlebererkrankung die häufigste Lebererkrankung in den Industrienationen!», so Dr. Nicolai Worm. Die Ursachen der NAFLD sind multifaktoriell. Das Leberfett stammt zum grössten Teil aus der Lipolyse der Adipozyten. Die übermässige, unphysiologische Expansion des Fettgewebes bewirkt eine Mangelversorgung mit Sauerstoff und folglich die Infiltration von Immunzellen, was wiederum eine Entzündung hervorruft. Die proinflammatorischen Zytokine lösen in der Folge eine Insulinresistenz aus. Das hemmt zwar die weitere Fettaufnahme, doch das chronisch entzündete Fettgewebe verliert damit auch seine Funktion: Die geminderte Fettspeicherkapazität führt zu einem Überlaufen von Lipiden, die in Geweben abgespeichert werden, die dafür nicht vorgesehen sind, insbesondere im Bauchraum, aber auch in Leber und Pankreas, in Knochen, Herz und Nieren. Dieses ektope Fett fördert in den Geweben wiederum Entzündungsreaktionen (Lipotodizität), sodass es zu funktionellen Störungen der betroffenen Organe kommen kann. Dabei müssen Fettleber und Adipositas keinen direkten Zusammenhang haben. Ein dysfunktionelles Fettgewebe mit der Anlagerung von ektopem Fett in den Organen kann es auch bei schlanken Menschen geben. Diese sogenannten TOFI («Thin outside, fat inside») haben erhöhte kardiometabolische Risikofaktoren trotz normalem BMI. «Regelmässige intensive Muskelaktivität kann diesen Kreislauf aufheben, denn sie fördert die Anlage neuer Blutgefässe und damit die Versorgung des Fettgewebes», sagte Dr. Worm. Für die Risikoberechnung der Fettleber eignet sich der «Fatty-Liver-Index». Dieser errechnet aus Triglyzeriden, Gamma-GT, dem BMI und dem Taillenumfang das Risiko einer Fettleber. Liegt dieser Wert über 60, liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Fettleber vor. Wie kann nun die Ernährung die Fettleber positiv beeinflussen? Die Studie von Donelly et al, 2015, zeigt, dass 26 Prozent der Fette aus der De-novo-Lipogenese (Kohlenhydrate) stammen. «Es heisst, raus aus der Kohlenhydratfalle», so Dr. Worm. Auch Populationsstudien weisen darauf hin, dass die De-novoLipogenese entscheidend zur Bildung der Fettleber beitragen kann, wobei dies primär durch die Hyperinsulinämie bei Insulinresistenz getriggert wird.
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Kausale Medikamente zur Behandlung der NAFLD existieren keine. Das primäre Ziel ist deshalb eine Senkung der Energiezufuhr durch die Ernährungstherapie, um einen Abbau des ektopen Fettes erreichen zu können. Dabei geht es nicht um fixe Vorgaben bezüglich der Gewichtsreduktion, sondern vielmehr darum, die individuelle Schwelle der Verfettung wieder zu unterschreiten, so Dr. Worm. Die mit Abstand deutlichste Gewichtsreduktion lässt sich mit Formuladiäten erzielen. Dazu zählen «Leberfasten plus LOGI»; die Very Low Calorie Diet (VLCD) mit 400 bis 800 kcal/Tag und «Low Calorie Diets» mit 800 bis 1200 kcal/Tag unter Einsatz von ballaststoffreichen, proteinbetonten, kohlenhydratreduzierten Formulamahlzeiten als Mahlzeitenersatzkonzept. Der gefürchtete Jo-Jo-Effekt lasse sich bei Radikaldiäten nicht nachweisen, sagte Dr. Worm. Vielmehr bewirken die Formuladiäten über einen Zeitraum von mehreren Jahren einen stärkeren Gewichtsverlust im Vergleich zu kalorienreduzierten Mischkostdiäten. Zur Anhebung des Proteinspiegels wiederum eignen sich Molkenprodukte.
Gewichtsneutrale Diabetestherapien
Die Ernährungsberaterin und Diabetestherapeutin Stephanie Tölle vom Diabetes- und Adipositaszentrum Zürich ging auf die Wirksamkeit von Hafer- und Gemüsetagen bei NAFLD ein. Sie wies nochmals auf die Assoziation von Diabetes und Fettleber hin: 74 Prozent aller Typ-2-Diabetiker weisen eine Fettleber auf. Sind diese adipös, dann ist fast jeder betroffen. Bei beiden Krankheitsbildern wird eine Umstellung der Ernährungsgewohnheiten und Bewegung empfohlen, sodass die Betroffenen mindestens 5 bis 10 Prozent ihres Ausgangsgewichtes verlieren. Diese geringe Reduktion (auf 100 kg umgerechnet sind das bloss 5 kg weniger) führt bereits zu einer wesentlichen Reduktion der Leberverfettung. Ein Dilemma für die Gewichtsabnahme beim Diabetespatienten stellt jedoch die Insulinresistenz dar: 80 Prozent aller Typ-2Diabetiker sind betroffen. Aufgrund der Resistenz von Leber, Fettgewebe und Skelettmuskulatur sind oftmals hohe Insulindosen für eine adäquate Blutzuckereinstellung nötig. Gleichzeitig werden die Blutzuckerzielwerte nicht immer erreicht. «Bedingt durch Insulinresistenz und Glukotoxizität wird noch mehr Insulin vom Körper gebildet oder muss gespritzt werden, um gute Blutzuckerresultate zu erreichen, das Gewicht steigt, und ein therapeutischer Teufelskreis beginnt», so Stephanie Tölle. Als wirksam erweist sich bei diesen Patienten die Durchführung von Hafer- und Gemüsetagen. Die Haferkur nach Carl van Noorden ist bereits mehr als 100 Jahre alt. Ein wissenschaftlich eindeutiger Nachweis für die Wirksamkeit fehlt noch. Allerdings zeigt sich in der Klinik, dass Hafer- und Gemüsetage die Insulinempfindlichkeit bei Typ-2-Diabetes nachhaltig verbessern helfen, sodass die Insulindosis reduziert werden kann. Dies unterstützt im langfristigen Verlauf die Gewichtsreduktion bei gleichzeitig guter Blutzuckereinstellung.
Begriffserklärungen
NAFLD: Die nichtalkoholische Fettlebererkrankung wird anhand histologischer Kriterien aus der Leberbiospie in die nichtalkoholische Fettleber (NAFL) und die nichtalkoholische Steatohepatitis (NASH) unterteilt. Erstere bezeichnet die Fetteinlagerung in mehr als 5 Prozent der Leberzellen, während bei der NASH neben der Fetteinlagerung auch Zeichen eines Leberzellschadens und einer Entzündung vorliegen. Das Risiko für die Entstehung eines hepatozellulären Karzinoms ist erheblich.
Lebersteatose: Bezeichnet eine Einlagerung von Fett in die Leberzellen (Hepatozyten). Sie lässt sich im Ultraschall, in der Computertomografie, in der Magnetresonanztomografie und mittels Leberbiopsie diagnostizieren. Häufigste Ursachen sind ein Alkoholüberkonsum, eine Hepatitis (insbesondere vom Genotyp 3), Medikamente und die NAFLD.
Leberfibrose und Leberzirrhose: Bei der Fibrose vernarbt das Lebergewebe progredient bis hin zur Ausbildung einer Leberzirrhose mit potenziell tödlichen Komplikationen. Dazu zählen Blutungen aus Ösophagus- oder Magenvarizen, Aszites, Infektionen, neurologische Beeinträchtigungen und Einschränkungen der Leber- und Nierenfunktion.
Stephanie Tölle hat die Hafertage bereits mit Erfolg bei Patienten eingesetzt. Die Insulindosis konnte in der Regel signifikant um bis zu 30 Prozent reduziert werden. Die Intervention ist im Minimum über drei Tage durchzuführen und kann bei Bedarf wiederholt werden. Allerdings ist diese Form der Ernährungstherapie laut Tölle einschneidend, und es besteht ein Hypoglykämierisiko. Bei der Durchführung ist daher auch immer die ärztliche Begleitung für die Dosisanpassung der Insulintherapie nötig.
Neue Technologien in der Ernährungsberatung
Dr. Karin Haas, Dozentin an der Berner Fachhochschule (BFH), stellte neue Technologien in der Ernährungsberatung vor. So könnte mHealth bei der Adipositas ein unterstützendes Tool zur Verhaltensänderung werden. Derartige innovative Konzepte sind beispielsweise Oviva, ein Online-Ernährungscoaching mittels App, oder smartSolution, eine an der BFH entwickelte Smartphone-App für den Einsatz in der Ernährungsberatung. Eine persönliche Betreuung durch die Ernährungsberatung muss allerdings weiterhin im Mittelpunkt stehen, so Dr. Haas. Bis anhin sind Technologien in der Ernährungsberatung aber kaum verbreitet, obwohl das Potenzial gross wäre. In einer Bachelor-Thesis, so Haas, wurden von Ernährungsberaterinnen Barrieren im Umgang mit Apps aufgezeigt wie beispielweise fehlendes Wissen oder Überforderung.
Quelle: Swissmilk-Symposium für Ernährungsfachleute, «Nichtalkoholische Fettlebererkrankung», am 14. September 2015 in Bern.
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