Transkript
KONGRESSBERICHT
14. Dreiländertagung Bregenz
«Ernährung – Quelle des Lebens»
Annegret Czernotta
Unter dem Motto «Ernährung – Quelle des Lebens» fand die 14. Dreiländertagung der Arbeitsgemeinschaft für Klinische Ernährung Österreich (AKE), der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) und der Gesellschaft für Klinische Ernährung der Schweiz (GESKES) vom 28. bis zum 30. Mai 2015 in Bregenz statt. Neben ernährungsmedizinischen Themen wurden auch allgemeine Themen wie Käse, Wasser und Fruchtsäfte besprochen. Der Beitrag stellt einige am Kongress abgehandelte Themen vor.
«Hydrierung: Ist viel Trinken wirklich gesund?», hinterfragte der Wiener Nephrologe und Universitätsprofessor Wilfred Druml von der Medizinischen Universität in Wien am Symposium «Hydrierung: Ist viel Trinken wirklich besser?» Eine erhöhte Flüssigkeitszufuhr wird mit Wachheit, Entgiftung, Besserung der Obstipation, besserem Blutdruck und vielem mehr in Verbindung gebracht. Laut Prof. Druml schaffen es Kinder heute kaum noch ohne Trinkflasche in die Schule. Websites bieten in Trinkschulen sogar das richtige Trinken an. Obwohl Trinken lebensnotwendig sei, so Druml, müsse heutzutage hinterfragt werden, ob nicht einfach auch Marketinginteressen hinter den Slogans vom vielen gesunden Trinken stünden. Denn laut Prof. Druml reiche es völlig aus, «wenn der Mensch nach seinem Durstgefühl geht». Nachdem jahrelang davon ausgegangen wurde, dass viel Wasser gut für den Körper ist, lassen neuere Studien sogar vermuten, dass ein Zuviel tatsächlich schaden kann. Erwachsene Menschen bestehen zu 50 bis 60 Prozent aus Wasser. Grob unterschieden, befinden sich zwei Drittel des Körperwassers in den Zellen, ein Drittel ausserhalb der Zellen und nur etwa 5 Prozent im Blutkreislauf. Aus der zugeführten Wassermenge und dem eigenen Körperwasser bilden die Nieren täglich rund 150 bis 190 Liter Primärharn, jene Flüssigkeit, die in den Nierenkörperchen aus dem Blut filtriert wird. Energie wenden die Nieren auf, um einen Grossteil dieser Primärharnmenge wieder zurückzuholen und auf die
Die 14. Dreiländertagung der Arbeitsgemeinschaft für Klinische Ernährung Österreich (AKE), der Deutschen
Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) und der Gesellschaft für Klinische Ernährung der Schweiz (GESKES)
fand 2015 in Bregenz statt. Das Foto zeigt das Festspielareal direkt am See.
(Foto: ac)
endgültige Harnmenge von rund 1,5 Liter Urin am Tag zu konzentrieren. «Ob wir einen Liter, zwei oder drei am Tag trinken, hat auf die Primärharnmenge keinen direkten Einfluss» so Druml. «Wir scheiden dadurch auch nicht mehr Giftstoffe aus.» Einen entscheidenden Einfluss hat hingegen das antidiuretische Hormon, das in der Hirnanhangsdrüse gebildet wird und die endgültige Harnmenge bestimmt. Durch viel Wasser wird dessen Produktion unterdrückt und damit auch die Filtration des Primärharns vermindert. Die angeblich entgiftende Funktion von viel Wasser konnte deshalb bis anhin keine Studie belegen. Studien bei Sportlern zeigen sogar, dass zu viel Flüssigkeit tödlich sein kann. Marathonläufer, die exzessiv Wasser während des Marathons getrunken haben, um eine bessere Laufleistung zu erbringen, entwickelten eine Wasservergiftung: Sie hatten zu wenig Salz im Körper; zu viel Wasser und zu wenig Natrium können zum Hirnödem führen, was tödlich enden kann.
«Ob wir einen Liter,
zwei oder drei am Tag trinken, hat auf die Primärharnmenge
»keinen direkten Ein-
fluss.
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«Ein bekanntes und
doch immer noch kontrovers diskutiertes
»Thema sind die Anti-
oxidanzien.
Zudem sei die Annahme falsch, so Druml, dass viel Wasser das Blutvolumen erhöhe und dadurch die Organdurchblutung steigern würde: «Das Blutvolumen eines Menschen ist konstant, weil dieser Parameter für den Menschen so wichtig ist, dass er durch mehr oder weniger Flüssigkeit nicht beeinflusst wird.» Zu viel Wasser ist also schlecht, aber auch zu wenig. Wie viel soll es nun sein? Die optimale Trinkmenge zu definieren, sei schwierig, sagte Druml. Untersuchungen zeigen, dass es bei sehr wenigen Krankheiten einen vorteilhaften Effekt einer erhöhten Flüssigkeitszufuhr gibt. Dazu zählen beispielsweise die Urolothiasis und die Harnwegsinfekte. Aber aufgrund der mannigfaltigen negativen Effekte einer Hypervolämie rät Prof. Druml von Trinken über das Durstgefühl hinaus ab. Eine Ausnahme sind Dialysepatienten, die aufgrund der Nierenerkrankung nur in sehr engen Grenzen Flüssigkeit zu sich nehmen dürfen.
Ist Bier besser als Wasser?
Ob Bier nicht sogar das bessere Wasser sei, hinterfragte Kathrin Meyer anschliessend. Die Bier-Sommelière der Brau-Manufactur Allgäu in Nesselwang produziert im familieneigenen Betrieb 800 Hektoliter Bier jährlich, aus denen elf Sorten generiert werden. Dazu zählen Craft-, aber auch Edelbiere. Entscheidender Faktor für die Bierbrauerei ist die Wasserqualität. Aus dieser heraus entscheidet sich, ob es ein Pils, ein Kölsch oder ein dunkles Weissbier gibt. Härteres Wasser eignet sich vor allem für dunkle Bierstile, weiches
Teduglutid – Neue Therapieoption für Patienten mit Kurzdarmsyndrom (KDS)
Am Symposium der NPS Pharma stellten Experten die neue Therapieoption Teduglutid für Patienten mit einem KDS vor. Ein KDS ist per Definition ein operativ bedingtes oder angeborenes Fehlen von Teilen des Dünndarms. Durch die Entfernung oder das Fehlen wichtiger Dünndarmabschnitte ist es unmöglich, einen ausgewogenen Flüssigkeits- und Nährstoffhaushalt mit einer normalen Ernährung aufrechtzuerhalten. Die aktuelle deutsche Leitlinie empfiehlt, unmittelbar postoperativ beziehungsweise nach Stabilisierung der hämodynamischen Situation mit einer parenteralen Flüssigkeits- und Ernährungssubstitution zu beginnen. Die Überlebenschancen seien aber trotz parenteraler Ernährung schlecht, sagte Prof. Harald Vogelsang von der Medizinischen Universität in Wien. Nach fünf Jahren sind 63 bis 68 Prozent der KDS-Patienten verstorben. Oftmals sind es Katheterkomplikationen, Elektrolytstörungen, Mikronährstoffdefizienz und die Hepatopathie, die zum Tod führen. Ziel sei es, so Prof. Vogelsang, die intestinale Adaptation nach Resektion zu ermöglichen. Dazu zählen die Verbesserung der Absorption und das Absetzen oder die Verminderung der parenteralen Ernährung. Mit Teduglutid steht erstmals eine kausale, medikamentöse Therapie zur Verbesserung der Absorption im verbleibenden Darm zur Verfügung. Dr. med. Ulrich-Frank Pape von der Charité Universitätsmedizin Berlin, stellte praktische Erfahrungen vor. Teduglutid ist ein rekombinant hergestelltes Analogon des Glucacon-like-Peptid 2 (GLP) und wird subkutan verabreicht. GLP-2 bewirkt durch Erhöhung des intestinalen und portalen Blutflusses sowie durch Reduktion der Darmaktivität eine Steigerung der intestinalen Resorption. Teduglutid unterscheidet sich nur an einer Position von GLP-2 selbst. Für die Behandlung des KDS scheint insbesondere der Wachstumseffekt auf die Schleimhaut relevant zu sein, der zu einer funktionellen Verbesserung bei Nährstoff und Flüssigkeitsabsorption führt. «In der STEPS-2-Studie zeigte sich, dass Patienten unter Teduglutid eine vollständige Unabhängigkeit von der PE erreichten. Oder die Patienten erzielten zunehmend infusionsfreie Tage», so Dr. Pape. In der Schweiz ist Teduglutid noch nicht zugelassen.
Quelle: Revestide – Neue Therapieoption für Kurzdarmpatienten zur Reduktion der PE, 29.5.15 Bregenz, Symposium der NPS Pharma.
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Wasser für helle Bierstile. Für alle Stile gilt: Das Brauwasser muss von allerhöchster Reinheit und Qualität sein. «Bier hat es (gesundheitlich) in sich», so Meyer. Ein Liter enthält 45 Prozent des Tagesbedarfs an Magnesium für einen erwachsenen Menschen. Zusätzlich enthält Bier Vitamine, vor allem B-Komplexe, Kohlenhydrate und Kalium. Dem Hopfen wird zudem eine gesundheitsfördernde Wirkung zugesprochen. Hopfen ist für die Haltbarkeit des Bieres zuständig, für die Stabilität des Schaumes und für den einzigartigen herben Geschmack. Hopfen wirkt zudem bei Unruhe, Darmbeschwerden, Hautverletzungen, Wunden und scheint eine krebshemmende Wirkung zu haben. Auch die Kalorienzahl ist akzeptabel: 200 ml Bier haben 76 kcal im Vergleich zu 96 kcal in 200 ml Apfelsaft. Den Bierbauch gibt es laut Meyer nicht, weil Bier so kalorienreich ist, sondern weil Bier den Appetit nach währschaften, das heisst fettigen Speisen anregt, und das bringt die Kalorien. Meyer könnte sich vorstellen, dass insbesondere ältere Menschen, die wenig essen, vom Biergenuss profitieren könnten. Allerdings, so Meyer, müsse der Alkoholkonsum beobachtet werden. Frauen sollen nicht mehr als einen halben Liter Bier am Tag trinken und Männer nicht mehr als einen Liter; zudem soll ein alkoholfreier Tag pro Woche eingelegt werden. Eine Alternative wäre alkoholfreies Bier, weil die Inhaltsstoffe gleich sind. Nur der Geschmack behage nicht allen Biertrinkern, so Meyer.
Trinken: Vor, während, nach dem Sport?
«Trinken beim Sport: Hyperton oder isoton?», hiess abschliessend die Fragestellung von PD Dr. Johannes Scherr vom Zentrum für Prävention und Sportmedizin der Technischen Universitätsklinik München. Beim Sport gehen durch das Schwitzen Flüssigkeit und Elektrolyte verloren. Je grösser die Dehydratation ist und umso mehr der Temperaturstress zunimmt, desto grösser ist der Leistungsabfall. Auf dem Markt hat es verschiedene Getränke. Sie unterscheiden sich vor allem durch die Additiva. So können Sportgetränke Kohlenhydrate, Elektrolyte, Proteine oder ergogene Substanzen wie Koffein oder verzweigtkettige Aminosäuren enthalten. Wann soll der Sportler diese Getränke einnehmen: Vor, während, nach dem Sport? Für Schlechttrainierte zeigen Studien einen Vorteil, wenn vor dem Sport ein Natrium-Loading erfolgt, so Scherr. Denn die gefürchteten Muskelkrämpfe werden nicht – wie vielfach angenommen – durch einen Magnesiummangel, sondern vor allem durch einen Mangel an sonstigen Elektrolyten wie zum Beispiel Natrium, Kalium oder Kalzium ausgelöst. Sportgetränke während des Sports mit Kohlenhydraten verzögern wiederum die Müdigkeit und verbessern die Leistung. Proteinhaltige Getränke nach dem Sport wiederum verbessern die Muskelproteinsynthese und unterstützen die Erholung. Als Fazit hält Dr. Scherr allerdings fest, dass diese Überlegungen Hochleistungssportler oder Leistungssportler betreffen. Denn wer pro Woche nur eine Stunde joggen geht, muss sich über die Flüssigkeits-
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zufuhr kaum Gedanken machen, wenn die Umgebungstemperatur nicht extrem hoch ist: Die Flüssigkeitsverluste sind einfach zu gering, als dass sie körperlich beeinträchtigen.
«Vitamine: Wie sollen wir dosieren?»
Ein bekanntes und doch immer noch kontrovers diskutiertes Thema sind die Antioxidanzien (AO). Zu den exogenen AO zählen die Vitamine E, C, Carotinoide, Selen und die Polyphenole. «In den Achtzigerjahren kamen die AO erstmals ins Bewusstsein der Medizin», sagte Prof. Karl-Heinz Wagner, Departement für Ernährungswissenschaften der Universität in Wien. Danach begann eine nachhaltige Entwicklung und Verordnung von Multivitaminpräparaten: Der weltweite Markt umfasst heute etwa 25 Milliarden Dollar! Prof. Wagner hält die Einnahme von Supplementen für sinnvoll, wenn es einen echten Mangel gibt. Aufgrund der verbesserten Ernährung in der Bevölkerung – mehr Gemüse, mehr Früchte werden gegessen, die Lebensmittel sind teilweise angereichert mit Vitaminen – geht er allerdings davon aus, dass es nur noch wenige Bevölkerungsgruppen gibt, die eine Supplementierung benötigen. Dazu zählen Risikogruppen, die sich vegan ernähren, Senioren, Spitzensportler, medikamentös bedingte Supplementationen, ein längeres Höhentraining und Ultraausdauersportler. «Die D-A-CH-Länder sind aufgrund veränderter Ernährungsgewohnheiten zumindest keine Vitaminmangelländer mehr», so Prof. Wagner. «Die allgemeine Bevölkerung ist deshalb auf Supplemente nicht angewiesen.»
Bedarf an Vitaminen
«Wann Vitamine bestimmen, wann Vitamine geben?», hiess im Anschluss die Frage von Prof. Peter E. Ballmer, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin am Kantonsspital Winterthur. Grob unterscheiden wir wasser- von fettlöslichen Vitaminen. Ein erhöhter Bedarf an Vitaminen besteht in der Stillzeit, in der Schwangerschaft, im Alter und in Abhängigkeit von der Jahreszeit, so Prof. Ballmer. Auch bei Maldigestion, bei Aids/Krebs, chronisch entzündlichen Darmerkrankungen oder Medikamenten wie H2-Antagonisten ist der Bedarf an Vitaminen erhöht. Studien zeigen, dass es keine Evidenz gibt, dass Vitamine (insbesondere Vitamin E) kardiovaskulären Krankheiten vorbeugen, wie das jahrelang propagiert wurde, so Ballmer. Möglicherweise hat Vitamin E gemäss neuesten Daten aber eine gewisse präventive Wirkung auf die Entstehung der Demenz vom Typ Alzheimer. Die Interpretation von Resultaten von Vitaminbestimmungen im Blut ist allerdings schwierig, und die Werte unterliegen vielen Einflussfaktoren. «Generell sind Vitaminbestimmungen selten notwendig», so Prof. Ballmer, ausser gezielt beim Vorliegen von typischen Symptomen und Befunden für einen Vitaminmangel, zum Beispiel eine Vitamin-B12-Bestimmung bei makrozytärer Anämie oder eine Vit-
amin-D-Bestimmung bei proximaler Muskelschwäche der unteren Extremitäten. Der Internist geht aufgrund der heutigen Studienlage davon aus, dass eine vollständige, insbesondere mediterrane Ernährung jeglichen Vitaminbedarf in etwa abdeckt – mit Ausnahme von Vitamin D, das beim älteren Menschen oft defizient ist. Über die Versorgung mit Vitamin D sprach auch PD Dr. Karin Amrein von der Medizinischen Universität in Graz. «Die These des ‹one size fits all› stimmt bei Vitamin D nicht», so Dr. Amrein. Der potenzielle Nutzen einer Vitamin-D-Gabe ist beispielsweise abhängig vom Ausgangswert und von der erreichten Veränderung durch die Intervention. Eine Anhebung des 25(OH)D-Spiegels von 8 auf 16 ng wird demnach einen weitaus grösseren Effekt haben, so Dr. Amrein, als wenn der Spiegel von 24 auf 27 ng/ml angehoben wird. Der toxische Bereich von Vitamin D wiederum liegt bei 150 ng/ml (mehr als 375 nmol/l), «es sei aber fast unmöglich, Vitamin D so hoch zu dosieren», so Dr. Amrein weiter. Klassischerweise wird Vitamin D mit einer endokrinen Wirkung auf den Knochen- und Muskelstoffwechsel in Verbindung gebracht. Immer mehr Studien weisen darauf hin, dass Vitamin D auch Wirkungen auf Gefässe, Autoimmunprozesse, den Blutdruck, die Infektabwehr oder/und die Glukoseutilisation hat. In der VITDAL-ICU-Studie untersuchte Amrein die Wirkung einer hohen Vitamindosis versus Plazebo auf der Intensivstation. Die Patienten erhielten hoch dosiert Cholecalciferol (initiale Dosis von 540 000 IE und 90 000 IE monatlich in den nächsten 5 Monaten). Es zeigte sich kein Unterschied in der Länge der Liegedauer im Spital, in der Subgruppe mit schwerem Vitamin-D-Mangel (< 12 µg/ml) wurde durch die Intervention die Spitalsterblichkeit jedoch um 17,5 Prozent gesenkt. Trotzdem seien noch immer viele Fragen offen. Beispielsweise über die Wirkung von Vitamin D auf Wundinfektionen, so Dr. Amrein. Quellen: Symposien: «Hydrierung: Ist viel Trinken wirklich gesund?», «Vitamine: Wie sollen wir dosieren?» vom 29. Mai 2015. 4|2015 SZE 39