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HEALTHY AGING
Makronährstoffempfehlungen im Alter
FABIENNE SCHALLER, KARIN VON BURG*
Fabiene Schaller
Die steigende Lebenserwartung ist eine Herausforderung für unsere Gesellschaft. Denn je älter die Menschen werden, desto höher ist das Risiko für das Auftreten von Erkrankungen, welche oft mit Ernährungsproblemen und Mangelernährung assoziiert sind. Bis heute sind nur wenige Fragen bezüglich der Ernährung im Alter wissenschaftlich untersucht, und die gewonnenen Erkenntnisse lassen sich im Praxisalltag häufig schwer umsetzen. Letzteres zeigt die Notwendigkeit des Einsatzes von Ernährungsberater/innen und einer interdisziplinären Zusammenarbeit. Der Beitrag fasst die Makronährstoffempfehlungen aus der Literatur zusammen und enthält auch die Empfehlungen zu Nahrungsfasern.
Das Alter wird von der WeltgesundheitsorganisaKarin von Burg tion (WHO [8]) in fünf verschiedene Abschnitte (Tabelle 1) unterteilt, wobei der «Übergang ins Alter» mit 60 Jahren erfolgt. Der Prozess des Alterns wird vom vermehrten Auftreten körperlicher und geistiger Beeinträchtigungen begleitet. Neben reduzierten adaptiven und regenerativen Fähigkeiten, die eine Genesung verlangsamen und erschweren, verändern sich der Wasserhaushalt sowie die Regulation der Nahrungsaufnahme und die Körperzusammensetzung (1, 2). Gravierend ist die Veränderung der Körperzusammensetzung im Hinblick auf die Muskelmasse. Gründe für den Verlust sind die geringe körperliche Aktivität, ein erhöhtes Vorkommen von Interleukin-6 und Tumornekrosefaktor-α sowie ein niedrigerer Sexual- und Wachstumshormonspiegel (3). Die Muskelmasse wird im Alter vermehrt durch Fettmasse ersetzt, wobei sich
*MSc, Ernährungsberaterin SVDE, Hochgebirgsklinik Davos und Spital Schiers, Flurystiftung. Mitglied der Fachgruppe Geriatrie des Schweizerischen Verbands diplomierter ErnährungsberaterInnen (SVDE)
das Fett primär intraabdominell, intrahepatisch und intramuskulär verteilt und eine Insulinresistenz fördert (2). Ein Muskelverlust kommt nicht nur bei Normalgewichtigen vor. Auch übergewichtige Ältere können eine ungünstige Veränderung der Körperzusammensetzung aufweisen (sarkopenisches Übergewicht) (3). Neben den genannten Veränderungen treten weitere Faktoren auf, die eine Mangelernährung begünstigen und die Lebensqualität beeinträchtigen. Die Altersanorexie beispielsweise trägt massgeblich zur geringen Nahrungsaufnahme bei (2). Diese wird durch eine Reduktion des Geruchs- und Geschmackssinnes als Folge von Veränderungen der Geschmackszellmembranen, der Polymedikation und aufgrund möglicher Zinkdefizite verstärkt (4–6). Im Alter wird, wie erwähnt, die Regulation der Nahrungsaufnahme beeinträchtigt. Die veränderte Freisetzung von Magen-Darm-Hormonen führt zu einer frühzeitigen Sättigung und einer Unterdrückung des Hungers (7). Diese Effekte werden zusätzlich durch eine verlängerte Darmpassagezeit aufgrund einer veränderten Darmmikrobiota begünstigt (7).
Energiebedarf im Alter
Der Energiebedarf nimmt zwischen dem 25. und dem 75. Lebensjahr um zirka 25 Prozent ab (11). Grund dafür ist die Reduktion der metabolisch aktiven fettfreien Masse (18). Zur Ermittlung des Energiebedarfs wird der Grundumsatz mit einem Aktivitäts- und Krankheitsfaktor multipliziert. Als Goldstandard zur Bestimmung des Grundumsatzes gilt auch bei älteren Menschen die indirekte Kalorimetrie (10). Diese Methode konnte sich aufgrund fehlender Praktikabilität im Alltag jedoch nicht durchsetzen. Alternativ existieren verschiedene Berechnungsformeln. So empfiehlt Volkert, 2010, bei älteren Menschen die Verwendung der Schofield- oder Harris-Benedict-Formel, dargestellt in Tabelle 2 (1).
Tabelle 1: Alterskategorien nach WHO (8)
• «Übergang ins Alter»: 60- bis 65-Jährige • «Junge Alte»: 65- bis 74-Jährige • «Betagte u. Hochbetagte»: 75- bis 89-Jährige • «Höchstbetagte»: 90- bis 99-Jährige • «Langlebige»: 100-Jährige und älter
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Tabelle 2: Energiebedarf im Alter
Zur Ermittlung des Energiebedarfs wird der Grundumsatz mit einem Aktivitäts- und Krankheitsfaktor multipliziert. Als Goldstandard zur Bestimmung des Grundumsatzes gilt auch bei älteren Menschen die indirekte Kalorimetrie (10). Diese Methode konnte sich aufgrund fehlender Praktikabilität im Alltag jedoch nicht durchsetzen. Alternativ existieren verschiedene Berechnungsformeln. Volkert, 2010, empfiehlt bei älteren Menschen die Verwendung der Schofield- oder Harris-Benedict-Formel (1).
Schofield-Formel, 1985 (modifiziert nach [11]):
Alter (Jahre)
Grundumsatz (kcal/Tag)
Männer
30–60
0,048 kg + 3,653/0,004184
≥ 60 0,049 kg + 2,459/0,004184
Frauen 0,034 kg + 3,538/0,004184 0,038 kg + 2,755/0,004184
Harris-Benedict-Formel, 1919:
Geschlecht
Grundumsatz (kcal/Tag)
Männer
66,5 + 13,8 x Gewicht (kg) + 5,0 x Länge (cm) – 6,8 x Alter (Jahre)
Frauen
65,5 + 9,6 x Gewicht (kg) + 1,8 x Länge (cm) – 4,7 x Alter (Jahre)
Tabelle 3: Durchschnittliche Wasserbilanz für > 65-Jährige (ml/Tag)
Wasseraufnahme (ml) Getränke (ca. 60%) Wasser in fester Nahrung (ca. 30%) Oxidationswasser (ca. 10%)
1400 690 230
Gesamtwasseraufnahme
2300
Wasserverluste (ml)
Urin 1400
Stuhl
100
Haut und Schweiss (abhängig
von Klima, Temperatur,
Feuchtigkeit [22])
450
Lunge
350
Gesamtwasserabgabe
2300
(modifiziert nach [20,21])
Tabelle 4: Dehydratationsformen
Bezeichnung Isotonische Dehydratation
Hypertonische Dehydratation
Hypotonische Dehydratation
Erläuterung Gleicher Wasser- und Natriumverlust Reduzierte extrazelluläre Flüssigkeit Wasserverlust übersteigt Natriumverlust Serumosmolarität > 300 mmol/kg
Natriumverlust übersteigt Wasserverlust
Beispiele Erbrechen, Diarrhö, Fasten
Behandlung Isotonische Flüssigkeit, WHO-Lösung
Geringe orale Flüssigkeits- Ausreichend
zufuhr durch fehlendes
Flüssigkeit
Durstgefühl, beeinträchtigte (z.B. Tee,
Kognition, fehlende
Wasser)
Wasserverfügbarkeit.
Erbrechen oder Training
in heisser Umgebung.
Osmotische Diurese oder
Diabetes insipidus.
Diuretischer Exzess,
Salzhaltige
hyponaträmische intra-
Flüssigkeit;
venöse Flüssigkeiten
NaCl-Infusion
(modifiziert nach [22])
In der Praxis werden oft Faustregeln verwendet. Die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) 2013 für klinische Ernährung in der Geriatrie empfiehlt bei älteren Menschen zur Berechnung des Grundumsatzes als Faustregel 20 kcal/kg/KG und zur Berechnung des Gesamtenergiebedarfs 30 kcal/ kg/KG pro Tag (12). Dies unter Berücksichtigung des Ernährungszustandes, der Aktivität, der Stoffwechselsituation und der individuellen Toleranz. Bei älteren untergewichtigen Personen wird zur Gewichtszunahme eine Energiezufuhr von 32 bis 38 kcal/kg/KG empfohlen (12). Gesteigerte körperliche Aktivität, beispielsweise aufgrund von Bewegungsdrang bei demenzkranken Menschen, oder andere Krankheitszustände (Entzündungen, Fieber, Wundheilungsstörungen), können den Energiebedarf erhöhen (12). Die DGEM-Leitlinie 2013 empfiehlt, hierbei den Grundumsatz von 20 kcal/kg/KG multipliziert mit einem Aktivitäts-/Krankheitsfaktor von 1,2 bis 1,8 anzuwenden (12). Im Praxisalltag ist nicht immer klar, welches Körpergewicht zur Berechnung verwendet werden soll. Das Konsensusstatement der Arbeitsgemeinschaft Klinische Ernährung (AKE) 2010 empfiehlt, bei normalem Hydrierungsstatus mit dem Ist-Gewicht (13) und bei adipösen Personen mit dem Idealgewicht nach altermodifiziertem Body-Mass-Index (25–27 kg/ m2) zu rechnen (14, 15). Liegt ein sehr tiefes Körpergewicht vor (< 40 kg), sollten minimal 40 kg verwendet werden. Jede Energieberechnungsart weist Vorund Nachteile auf. Deshalb setzt die Bestimmung des Bedarfs ein individualisiertes Vorgehen sowie eine Kombination mehrerer Formeln und Methoden unter Einbezug der klinischen Expertise voraus. Eine engmaschige Gewichtskontrolle (12) und die Evaluation der Nahrungszufuhr (Essprotokoll) dienen der Überprüfung der Bedarfsberechnung. Empfehlungen über 30 kcal/kg/KG müssen kritisch hinterfragt werden, denn in der Praxis zeigt sich oft, dass das Gewicht der Patienten trotz einer sehr geringen oralen Zufuhr, die den berechneten Energiebedarf nicht abdeckt, stabil bleibt. Dies lässt vermu- 9 3/15 HEALTHY AGING ten, dass sich die Energiehomöostase im Alter auch noch weiter verändern kann. Flüssigkeitsbilanz im Alter Eine ausgeglichene Wasserbilanz älterer Personen ist in Tabelle 3 dargestellt. Im Alter ist dies jedoch häufig nicht der Fall. Im Alter sind Regulationsmechanismen zur Aufrechterhaltung der Flüssigkeitshomöostase weniger wirksam, wodurch Dehydratation und Exsikkose begünstigt werden (16). Dazu zählen die Verschlechterung der Harnkonzentrationsfähigkeit der Niere, besonders in Reaktion auf eine Dehydratation, sowie die altersassoziierte Abnahme des Körperwasserbestandes (17). Weiter wird das Durstgefühl durch die reduzierte Empfindlichkeit der Osmorezeptoren im Hypothalamus vermindert (18). Auch gewisse Medikamente wie Diuretika und Laxanzien können zu einer Dehydration beitragen (19). Das Hauptproblem liegt jedoch bei der ungenügenden Flüssigkeitsaufnahme. Ursache dafür sind ein verringertes Durstgefühl, fehlende Trinkgewohnheiten, Immobilität, Erkrankungen und Angst vor Inkontinenz (17, 18). Das Durstgefühl wird zudem durch die reduzierte Empfindlichkeit der Osmorezeptoren im Hypothalamus vermindert (17). Es gibt verschiedene Dehydratationsformen (Tabelle 4). Damit man eine angemessene Behandlung einleiten kann, gilt es, zwischen den verschiedenen Formen zu differenzieren. Bei älteren Menschen ist es wichtig, Negativbilanzen etwa durch Fieber, Diarrhö, Erbrechen oder Schwitzen rasch auszugleichen, um Dehydratationssymptome zu verhindern. Die Symptome (Tabelle 5) sind unspezifisch, was die Erkennung eines Flüssigkeitsmangels erschwert (17). Als Goldstandard für die Diagnose gelten daher die Laborparameter Osmolarität und die Natriumkonzentration im Blutplasma (19). Flüssigkeitsempfehlung im Alter Die Flüssigkeitsempfehlung bei älteren Menschen liegt bei 30 ml/kg/ Ist-Gewicht, angepasst an den Ernährungs- und Krankheitszustand, die Aktivität, den Stoffwechsel und die individuelle Toleranz (12). Davon sollen zwei Drittel durch Getränke gedeckt werden (24). Bei Untergewicht empfiehlt die WHO, den Bedarf wie folgt zu berechnen: 100 ml/kg für die ersten 10 kg Körpergewicht, 50 ml für die nächsten 10 kg Körpergewicht und weitere 15 ml/kg/KG für das restliche Gewicht (25). Ein erhöhter Flüssigkeitsbedarf entsteht bei körperlicher Anstrengung, Hitze, trockener kalter Luft, reichlichem Kochsalzverzehr, hoher Proteinzufuhr, aber auch bei Fieber, Erbrechen und Diarrhö (24, 26). Bei renalen, kardialen und hepatischen Erkrankungen sowie Ödemen muss die Flüssigkeitszufuhr entsprechend angepasst werden (26). Die meisten Fachgesellschaften geben keine Empfehlungen zur Art der zu konsumierenden Getränke ab, da im Alter die Flüssigkeitsmenge gegenüber der Getränkewahl Vorrang hat (27). Einzig die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung (SGE) empfiehlt, zur Flüssigkeitsabdeckung Wasser (Leitungs-/Mineralwasser) oder Früchte- und Kräutertees zu verwenden (24). Wenige Studien mit insgesamt nur niedrigem Evidenzgrad zeigen, dass der moderate Alkoholkonsum keinen negativen Effekt auf die Kognition hat (29–31). Die Risiken des Alkoholkonsums überwiegen jedoch: Alkohol wirkt aufgrund der Hemmung des antidiuretischen Hormons in der Niere dehydrierend (32). Ebenso ist die Fähigkeit des Alkoholabbaus bei älteren Menschen verlangsamt, wodurch es zu Wahrnehmungsveränderungen mit Stürzen sowie Wechselwirkungen mit Medikamenten kommen kann (33). Proteinzufuhr im Alter Internationale Fachgesellschaften empfehlen auch im Alter eine Proteinzufuhr von 0,8 g/kg/KG (9, 34–36). Seit Längerem wird jedoch davon ausgegangen, dass der Proteinbedarf höher liegt. Verschiedene Studien zeigten, dass eine ungenügende Proteinzufuhr ein höheres Risiko für altersassoziierte Probleme wie Sarkopenie, Osteoporose und eine verschlechterte Immunantwort zur Folge haben kann (37–39). Weitere Gründe, weshalb von einem höheren Bedarf ausgegangen wird, finden sich in Tabelle 6. Volkert et al. 2013 empfehlen die Steige- rung der Zufuhr auf 1 g/kg/KG, abhängig vom Ernährungszustand, der Aktivität, der Stoffwechselsituation und der individuellen Toleranz (12). Auch die PROT-AGEForschungsgruppe mit internationalen Experten (40) und das Konsensusstatement der AKE (13) haben für gesunde ältere Personen die Empfehlung von 1 bis 1,2 g/kg/KG Protein abgegeben. Bei vermehrter körperlicher Aktivität, akuten oder chronischen Erkrankungen (z.B. Entzündungen, Wunden, Infektionen), ungenügender oraler Energiezufuhr sowie zur Sarkopenieprävention empfehlen einige Experten sogar 1,2 bis 2 g/kg/KG (Tabelle 7). Das am häufigsten genannte Argument gegen die Erhöhung der täglichen Proteinzufuhr ist das Fehlen von Langzeitstudien bezüglich schädlicher Effekte auf die Nierenfunktion, die Kognition und das kardiovaskuläre Risiko (13). Volkert, 2010, geht jedoch davon aus, dass solche Folgen vernachlässigbar sind (1). Einzig nicht dialysierte Senioren mit schweren Nierenerkrankungen (GFR < 30 ml/min/ 1,732) sind laut Bauer et al. 2013 von der Tabelle 5: Dehydratationssymptome • Trockene Haut und Schleimhäute • Kau- und Schluckprobleme • Plötzlicher Gewichtsverlust • Konzentrierter Urin • Muskelkrämpfe • Schwächegefühl, Konzentrations- störungen, Schwindel, Verwirrtheit, Bewusstseinsstörungen • Kopfschmerzen • Kollaps • Tachykardie • Veränderte Medikamentenwirkung (nach [23]) Tabelle 6: Gründe für eine Empfehlung zur Steigerung der Proteinzufuhr im Alter • Erhöhter Proteinbedarf, etwa durch entzündliche Erkrankungen, erhöhte oxidative Modifikation von Proteinen • Ineffiziente Nutzung des vorhandenen Proteins (anabole Resistenz der Muskulatur, splanchnische Extraktion, Immobiliät) • Verminderte Muskelproteinsynthese (nach [40, 41]) 3/15 10 HEALTHY AGING Empfehlung höherer Proteinmengen ausgenommen (40). Neben der Proteinmenge wird auch die Bedeutung der Proteinart und -verteilung diskutiert. «Fast-Proteins» wie b-Hydroxyb-Methylbutyrat (HMB, Metabolit der in Molkeprotein vorkommenden Aminosäure Leucin) und Citrullin (nicht proteinogene α-Aminosäure) werden im Vergleich zu anderen Aminosäuren wie Kasein schneller verwertet (41, 42). Sie führen, aufgrund der verbesserten Absorptionskinetik, zu einem rascheren und höheren Anstieg der postprandialen Aminosäurenkonzentration im Plasma (43–45). Der Effekt zeigte sich besonders gut in Kombination mit kurz darauf folgender körperlicher Aktivität (40, 46). Eine weitere Theorie besagt, dass das sogenannte «Protein Pulse Feeding» (Protein-Impuls-Ernährung) den Muskelaufbau begünstigt. Sie geht davon aus, dass eine sehr proteinreiche Mahlzeit am besten mittags verzehrt werden soll, um den Proteinanabolismus zu steigern und eine bessere Stickstoffretention zu erzielen (47). Mit dem Argument der besseren Verträglichkeit wird jedoch von Volkert et al., 2013, eine Verteilung der Proteinzufuhr in klei- Tabelle 7: Proteinempfehlungen für Ältere, bezogen auf die gesundheitliche Situation Situation Proteinmenge g/kg/KG/Tag Gesund 1*/1–1,2** Gesund und aktiv 1,2* Akut oder chronisch krank 1,2–1,5*/1–2** Sarkopenieprävention > 1,5*/2**
(nach [*12,**40])
Tabelle 8: Biologische Wertigkeit einiger Lebensmittel
Nahrungsmittel Ei Fisch Fleisch Milch Soja Kartoffeln Brot (Zerealien) Linsen, Bohnen
Biologische Wertigkeit 100 70–90 70–90 75 73 50–70 50–70 40–50 (nach [48])
nen Mengen über den Tag empfohlen (12). Im Alltag ist bereits eine Proteinzufuhr von 0,8 g/kg/KG nur schwer zu erreichen, weil der häufig reduzierte Fleischkonsum bei älteren Menschen meist nicht durch andere Proteinquellen ersetzt wird. Eine Proteinzufuhr von 2 g/kg/KG mit herkömmlichen Lebensmitteln ist für Menschen in Alters- und Pflegeheimen ohne zusätzliche Anreicherung mittels Proteinpulver und oraler Trinknahrung nicht zu erreichen. Es stellt sich somit die Frage, ob die Empfehlung derart hoher Mengen in der Praxis tatsächlich sinnvoll und umsetzbar ist. Sollte nicht eher die Qualität der zugeführten Proteine optimiert werden? Eine Möglichkeit wäre, sich dabei an der biologischen Wertigkeit zu orientieren (Tabelle 8). Ernährungsphysiologisch sinnvolle und gern gegessene Kombinationen mit einer guten biologischen Wertigkeit sind Rösti mit Spiegelei, Pellkartoffeln («Gschwellti») mit Käse, Kuchen und Wähen mit Guss, Birchermüesli, Käseschnitte, Griessbrei, Spätzli, und so weiter.
Fettbedarf älterer Menschen
In den DACH-Referenzwerten (Nährstoffzufuhr der deutschsprachigen Gesellschaften für Ernährung) wird ein Fettanteil von 30 Prozent der täglichen Kalorienzufuhr empfohlen (34). Diese Empfehlung deckt sich mit jenen der Eidgenössischen Ernährungskommission (EEK) und der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) (49, 50). Sie empfehlen, 20 bis 35, maximal 40 Energieprozente aus Fett zu konsumieren. Zurzeit wird darüber diskutiert, ob eine bestimmte Fettsäurenzusammensetzung (vor allem Omega-3-Fettsäuren) einen protektiven Effekt auf die Kognition im Alter hat, indem sie oxidativen Stress und Entzündungsprozesse vermindert (28). Bei demenzieller Entwicklung wird ein positiver Effekt von MCT-Fetten (MediumChain Triglycerides bzw. Ketonkörpern) zur Energieversorgung des Gehirns vermutet. Denn bereits bei milder kognitiver Beeinträchtigung sowie bestehender Demenz verlieren Hirnzellen die Fähigkeit, Glukose als Energiequelle zu nutzen. Dies kann zum Fortschreiten der Erkrankung beitragen (51–53 ).
Kohlenhydrate und Nahrungsfasern
im Alter
Die Empfehlung der Kohlenhydratzufuhr (Stärke- und Milchprodukte, Früchte, Gemüse, Zucker) für ältere Menschen liegt zwischen 45 und 60 Prozent der täglichen Energiezufuhr (34, 54). Dies gilt auch für Diabetiker (55). Sie sollten sich an dieser Empfehlung orientieren, denn eine zu geringe Kohlenhydratzufuhr steigert durch eine damit einhergehende Hypoglykämie das Sturzrisiko. Ältere Personen leiden oftmals an gastrointestinalen Problemen wie Obstipation oder Diarrhö (12). Ursachen dafür sind häufig Polypharmazie, neurologische Erkrankungen, Änderung der Funktionsfähigkeit des Magen-Darm-Trakts, eine verringerte orale Nahrungs-(faser-)zufuhr oder Immobilität (58). Eine bedarfsgerechte Nahrungsfaserzufuhr normalisiert die Darmtätigkeit, den Blutzucker sowie den Blutdruck und begünstigt die Senkung des Cholesterinspiegels (12, 56). Zudem hat sie durch ihren präbiotischen Effekt eine positive Wirkung auf die altersbedingte Veränderung der Mikrobiota (57). Volkert et al., 2013, empfehlen deshalb, auf eine orale Nahrungsfaserzufuhr von 12,5 g/1000 kcal zu achten (12). Diese Empfehlung deckt sich mit jenen der deutschen, österreichischen und schweizerischen Gesellschaft für Ernährung (34). Um eine rasche Sättigung und Blähungen zu vermeiden, empfehlen sich eine langsame Steigerung der Nahrungsfaserzufuhr und eine entsprechende Flüssigkeitsanpassung (18). Zur Steigerung der Zufuhr eignet sich der regelmässige Verzehr von Gemüse und Früchten. Um gleichzeitig eine ausreichende Energiezufuhr zu gewährleisten, können Gemüse- und Früchtekomponenten mit Butter, Rahm, Saucen und so weiter angereichert werden.
Korrespondenzadresse: Fabienne Schaller BSc Dipl. Ernährungsberaterin FH Stadtspital Waid Tièchestrasse 99 8037 Zürich E-Mail: fabienne.schaller@waid.zuerich.ch
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