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LAKTOSEINTOLERANZ
Laktoseintoleranz – neue App unterstützt im Alltag
DOREEN GILLE*
Laktoseintoleranz ist keine Krankheit, sondern ein normaler physiologischer Alterungsprozess. Viele Laktoseintolerante behalten die Fähigkeit, kleine Mengen an Laktose ohne typische Symptomatik zu tolerieren. Besonders Käse und Joghurt können meistens ohne Probleme konsumiert werden. Seit Kurzem steht eine App zur Verfügung, die nicht nur Informationen zur Laktoseintoleranz gibt, sondern auch bei der Berechnung der aufgenommenen Laktosemenge hilft.
Allgemeines
Als Säugling sind Menschen darauf angewiesen, Milchzucker (Laktose) zu verdauen – er ist die wichtigste Energiequelle in den ersten Monaten unseres Lebens. Chemisch betrachtet besteht das Kohlenhydrat Laktose aus Glukose und Galaktose. Beide Einfachzucker sind über eine glykosidische Bindung fest miteinander verbunden. Diese Verbindung kann nur auf enzymatischem Weg gespalten werden. An diesem Punkt kommt das vom Menschen in Dünndarmzellen hergestellte Enzym Laktase ins Spiel, welches die glykosidische Bindung aufspaltet und somit eine Aufnahme der beiden Einfachzucker in den Organismus ermöglicht. Erst dieser Vorgang erlaubt es, das Kohlenhydrat als Energiequelle zu nutzen, denn Absorptionsmechanismen für den Zweifachzucker Laktose gibt es nicht (1, 2). Ab einem gewissen Alter können Menschen Energie auch aus anderen Quellen beziehen und sind nicht mehr auf Laktose angewiesen. Deswegen verlieren viele
*Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Agroscope, Institut für Lebensmittelwissenschaften; Bern.
die Fähigkeit, Laktose bis ins hohe Alter abzubauen – diese Fähigkeit ist nicht mehr überlebenswichtig, und aus diesem Grund produziert unser Organismus das Enzym Laktase nur noch mit einer verminderten Aktivität (5–10% der Ursprungsaktivität [3]). Durch den Mangel an aktiver Laktase gelangt Laktose ungespalten in den Dickdarm, wo sich Bakterien ihrer Verstoffwechselung annehmen. Mikroorganismen besitzen ein Enzym, welches dem der menschlichen Laktase sehr ähnlich ist. Dieses Enzym heisst BetaGalaktosidase und verfügt ebenfalls über die Fähigkeit, Laktose zu spalten. Bei dieser Reaktion wird die glykosidische Bindung des Zweifachzuckers gespalten, und die resultierenden Einfachzucker werden wiederum von der Darmflora vergoren. Dabei kommt es zur Entstehung von Gasen wie Wasserstoff und Methan sowie kurzkettigen Fettsäuren. Die Bildung der Gase sorgt für die typische Symptomatik, die mit einer Laktoseintoleranz einhergeht: Blähungen, Bauchkrämpfe, Übelkeit, Erbrechen und Durchfälle (4). Die Intensität der Symptome ist von vielen Faktoren abhängig, wie zum Beispiel:
• der zugeführten Laktosemenge (je mehr desto intensiver);
• der Grösse der Dünndarmoberfläche (je kleiner, desto weniger Laktase kann gebildet werden);
• der Zusammensetzung der Dickdarmflora;
• der Ethnienzugehörigkeit (Menschen kaukasischen Ursprungs vertragen Laktose besser als andere);
• der individuellen Laktaseaktivität (4–6). Speziell die Individualität spielt in Bezug auf die Symptomatik eine grosse Rolle, denn die meisten Betroffenen können über den Tag verteilt 6 bis 12 g Laktose (enthalten in 120–240 ml Milch) ohne oder mit nur schwachen Symptomen konsumieren – sie sind Laktosemalabsorber, während Personen, die bei dieser Menge Symptome zeigen, zu den klinisch Laktoseintoleranten zählen (6).
Prävalenz
Zirka zwei Drittel der Weltbevölkerung sind von Laktoseintoleranz betroffen. Die Prävalenz in europäischen Ländern ist durch ein starkes Nord-Süd-Gefälle gekennzeichnet: Ungefähr 90 Prozent der
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LAKTOSEINTOLERANZ
Menschen aus Nordeuropa vertragen Laktose und können bis ins hohe Alter aktive Laktase herstellen, während in Südeuropa nur zirka 30 Prozent diese Fähigkeit besitzen (5).
Ernährungsstrategie
Betroffene sollten die aufgenommene Laktosemenge in der täglichen Diät reduzieren, ohne jedoch auf Milch und Milchprodukte zu verzichten. Der Ausschluss dieser Lebensmittelgruppe kann schwerwiegende Folgen haben, besonders in Bezug auf die Kalziumversorgung. Ausserdem ist es entscheidend, die individuell verträgliche Menge an Laktose auszutesten, nachdem eine Laktoseintoleranz ärztlich diagnostiziert worden ist. Auf diese Weise kann der persönliche Speiseplan entsprechend angepasst werden. Zwei besondere Lebensmittel im Zusammenhang mit Laktoseintoleranz sind Käse und Joghurt: Gereifter Käse enthält keine Laktose mehr. Ein Grossteil des Milchzuckers wird während der Käseherstellung mit der Molke abgetrennt, und der verbleibende Rest wird von den beim Käsen eingesetzten Milchsäurebakterien in den ersten Stunden der Käsereifung komplett abgebaut. Hartkäse und Halbhartkäse können demnach beschwerdefrei konsumiert werden. Auch Weichkäse stellt für die meisten Laktoseintoleranten kein Problem dar, da dieser nur noch Spuren des Milchzuckers enthält (7). Joghurt besitzt ungefähr zwei Drittel der ursprünglichen Laktosemenge von Milch. Milchsäurebakterien, die zur Herstellung des Joghurts eingesetzt werden, bauen Laktose zu Milchsäure ab. Dieser Prozess hat eine schnelle Abnahme des pH-Wertes im Produkt zur Folge, sodass die Bakterien vorübergehend inaktiviert werden. Wird der Joghurt dann konsumiert, erfolgt eine weitere Spaltung des Milchzuckers, da die Enzyme der Bakterien die Magenpassage überstehen. Dadurch kommt kaum etwas von der noch im Produkt enthaltenen Laktose im Dickdarm an, und der betroffene Konsument kann Joghurt weitestgehend beschwerdefrei zu sich nehmen (8). Milchzucker ist aber nicht nur in Milch-
produkten enthalten, sondern wird aufgrund seiner günstigen technologischen Eigenschaften in vielen verarbeiteten Lebensmitteln eingesetzt. So schätzen Lebensmitteltechnologen die cremige, vollmundige Konsistenz, die das Produkt durch Laktose hat (z.B. Pudding, Milchreis, Saucen, Griessbrei), den Bräunungseffekt bei der Erhitzung eines Produktes (z.B. Backwaren, Bratwurst); ausserdem ist sie Füllsubstanz und ein wichtiger Träger von Aromen. Des Weiteren findet sich Laktose in milchhaltigen Süssigkeiten (z.B. Milchschokolade, Sahnebonbons), Getränken, Suppen, Salatdressings, diversen Fertigprodukten und als Trägersubstanz in Tabletten (9). Die Lebensmittelindustrie hat das Problem der Laktoseintoleranz erkannt und bietet für Betroffene Alternativprodukte an, die laktosereduziert oder laktosefrei sind (z.B. laktosefreie Milch, Schokolade, Cottage Cheese). Ausserdem helfen besonders beim Auswärtsessen Laktasetabletten, die die nötige Laktase zuführen, um Laktose effizient im Verdauungstrakt zu spalten. Produkte wie Soja- oder Reisgetränke sind, besonders in Hinblick auf die Kalziumversorgung, kein adäquater Ersatz für Milchprodukte.
Lakto-App
Die Verwendung von mobilen Apps im Gesundheitswesen steigt. Lakto-App ist der neue Laktose-Rechner für unterwegs. Das Ziel der Applikation besteht laut Herausgeber darin, «allgemeine und aktuelle Informationen über Laktoseintoleranz und damit zusammenhängende Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen». Betroffene können zum einen Auskünfte über Symptome, Ursache, Diagnosemethoden und Ersatzprodukte einholen. Die angebotenen Informationen sind für Laien ausreichend und wurden von der Schweizer Gesellschaft für Ernährung auf Korrektheit überprüft. Zum anderen haben Nutzer die Möglichkeit, abzufragen, wie viel Laktose in einzelnen, vor allem milchbasierten Lebensmitteln enthalten ist. Zudem berechnet die App automatisch, wie viele Gramm Laktose über den Tag verteilt aufgenommen wurde und wie vielen Dezilitern Vollmilch diese Men-
ge entspricht (10). Für Menschen, bei denen eine Laktoseintoleranz neu diagnostiziert wurde, kann diese App in der Anfangszeit eine Unterstützung darstellen. Betroffene, die ihren Körper und die Problematik bereits besser hinsichtlich tolerierbarer Laktosemengen kennen, werden aus dieser App jedoch wenig Nutzen ziehen. Gerade verarbeitete Lebensmittel oder Gerichte, bei denen die Zugabe von Milchzucker nicht erwartet wird, werden leider nicht aufgeführt. Des Weiteren gilt zu beachten, und darauf weisen die Herausgeber der Applikation auch deutlich hin, dass die Lakto-App keinesfalls zur Diagnostik einer Intoleranz genutzt werden kann.
Korrespondenzadresse:
Doreen Gille
Agroscope
Institut für Lebensmittelwissenschaften ILM
Schwarzenburgstrasse 161
3003 Bern
Literatur: 1. Belitz HD, Grosch W. Lehrbuch der Lebensmittelchemie. 4. Edition edition. Berlin: Springer-Verlag; 1992. 2. Biesalski HK, Grimm P. Taschenatlas der Ernährung. 3rd edition. Stuttgart: Georg Thieme Verlag 2004. 3. Berg JM, Stryer L, Tymoczko JL. Biochemistry. 5. edition: Freemann; 2002. 4. Lomer MCE, Parkes GC, Sanderson JD. Review article: lactose intolerance in clinical practice – myths and realities. Aliment Pharmacol Ther 2008, 27: 93– 103. 5. Vesa TH, Marteau P, Korpela R. Lactose intolerance. J Am Coll Nutr 2000, 19: 165S–175S. 6. Suarez FL, Savaiano DA, Levitt MD. A comparison of symptoms after the consumption of milk or lactosehydrolyzed milk by people with self-reported severe lactose intolerance. N Engl J Med 1995, 333: 1–4. 7. Sieber R, Badertscher R, Fuchs D, Nick B. Beitrag zur Kenntnis der Zusammensetzung schweizerischer konsumreifer Weich- und Halbhartkäse. Mitteilungen aus dem Gebiete der Lebensmittel-Untersuchung und -Hygiene 1994, 85: 366–381. 8. Kolars JC, Levitt MD, Aouji M, Savaiano DA. Yogurt – an autodigesting source of lactose. N Engl J Med 1984, 310: 1–3. 9. Matthews SB, Waud JP, Roberts AG, Campbell AK. Systemic lactose intolerance: a new perspective on an old problem. Postgrad Med J 2005, 81: 167–173. 10. Lakto-App. http://memofit.net/lakto-app/web/ lactose.html
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