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HEALTHY AGING
Healthy Aging: Im Alter mobil dank Ernährung und Sport
Cornel C. Sieber
Der Anteil der über 65-Jährigen wird sich im Zeitraum zwischen 2010 und 2050 laut Angaben der WHO nahezu verdoppeln. Ein zentraler Aspekt im Gesundheitswesen wird sein, wie älteren Menschen zu einem gesunden und aktiven Leben verholfen werden kann. Prof. Dr. Cornel C. Sieber ist Direktor des Instituts für Biomedizin des Alters in Erlangen-Nürnberg. Im Interview erklärt er, wie sich normales, gesundes Altern vom pathologischen Alterungsprozess unterscheidet und wie ein Healthy Aging gelingen kann.
SZE: Wie bedeutsam ist die Ernährung für gesundes Altern? Am Institut für Biomedizin des Alters wird der Einfluss einer fettreichen Diät in Bezug auf die Entstehung von Sarkopenie untersucht. Gibt es diesbezüglich bereits Ergebnisse? Prof. Cornel C. Sieber: An unserem Forschungsinstitut steht der alte Mensch ab 75 Jahren im Fokus. Wir konzentrieren uns auf die Bereiche Ernährung und Stoffwechsel im Alter. Fragen sind beispielsweise, welche Faktoren ein gesundes oder pathologisches Altern bedingen. Aufgrund der Studiendaten zeigt sich, dass Langlebigkeit recht unabhängig von den Genen ist; diese bestimmen die Lebenserwartung nur zu 30 Prozent. Die restlichen 70 Prozent bedingen drei Faktoren: eine ausgewogene, gesunde Ernährung, körperliche Aktivität und soziale Kontakte. Der Prozess von Muskelschwund als Teil einer normalen Organalterung beginnt dabei bereits ab dem 40. Lebensjahr. Bei der Sarkopenie ist der Muskelschwund pathologisch. Dieser fällt noch schwerer ins Gewicht, wenn der alternde Mensch auch noch fettleibig ist. Der Body-Mass-Index (BMI) per se ist hingegen ohne grossen Aussagewert, da er
nichts über die Körperzusammensetzung aussagt. Ein Bodybuilder könnte beispielsweise einen BMI von 30 haben, was landläufig als fettleibig gilt, ist aber aufgrund der ausgeprägten Muskelmasse weit von dieser Sarcopenic Obesity entfernt. In der Studie zu fettreicher Diät hat die Gruppe um Prof. Bollheimer Ratten mit Sarcopenic Obesity herangezüchtet. Es zeigte sich, dass die Ratten aufgrund der Diät Muskelzellen verlieren und dieses Vakuum durch Fettzellen aufgefüllt wird. Diese Fettzellen sind hormonal aktiv und verursachen Entzündungsreaktionen, die zu lokaler Entzündung und damit zu vorzeitigem Altern führen.
Aber warum heisst es dann, dass es besser sei, im Alter etwas mehr Gewicht zu haben? Angestrebt wird ein BMI bei über 65Jährigen zwischen 27 und 28. Cornel C. Sieber: Das sogenannte Obesity-Paradox basiert auf epidemiologischen Studien. Dahinter verbirgt sich, dass im Alter bei Gewichtsverlust vorab Muskulatur und nicht Fettgewebe abgebaut wird. Eine Diät über einen Monat bewirkt zum Beispiel bei jüngeren Menschen, dass vorab Speicherfett verloren
geht. Im Alter geht stattdessen die Muskelmasse zurück. Das ist in der Konsequenz negativ, da ältere Menschen etwas schlechter Muskeln aufbauen können. So gibt es bei der Aufnahme von Nahrungsproteinen gewisse Unterschiede. Beim älteren Menschen empfehlen wir, Proteine über den Tag verteilt aufzunehmen. Proteine, die in kurzer Zeit in hoher Menge mit der Nahrung zugeführt werden, können ältere Menschen nur teilweise anabol in Körper-Muskel-Masse umwandeln. Wir bezeichnen das als Ceiling-Effekt. So ist entscheidend, dass Kalorien und Proteine quantitativ in genügender Menge zugeführt werden. Die Frage, ob schnelle oder langsame Proteine präferiert eingenommen werden sollten, spielt nur eine untergeordnete Rolle.
Welche Empfehlung gilt heute bezüglich der Proteinaufnahme für ein Healthy Aging? Cornel C. Sieber: Laut WHO gilt für gesunde Erwachsene die Proteinaufnahme von 0,8 g/kg/KG/Tag. Das gilt auch für gesunde alte Menschen. Aber welcher alte Mensch ist schon gesund? Die meisten haben altersassoziierte Krankheiten, sind
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oft polymorbid. Neuere Daten aus der Prot-Age-Studie belegen, dass 1,0 bis 1,2 g/kg/KG/Tag eingenommen werden sollten. Ist der Stoffwechsel katabol, beispielsweise während und kurz nach einer Infektion, dann sollten es noch mehr Proteine pro Kilogramm Körpergewicht sein. Früher hatte man Angst vor einer Niereninsuffizienz aufgrund einer hohen Proteineinnahme. Heute wissen wir, dass diese Angst unbegründet ist, solange die Nierenfunktion nicht sehr stark eingeschränkt ist.
Appetitlosigkeit ist allerdings ein grosses Problem im Alter. Sollte dann mittels Supplementen angereichert werden? Cornel C. Sieber: Ja, das Problem der Appetitlosigkeit ist bekannt. Oftmals scheitert die Aufnahme aber auch schon daran, dass ältere Menschen es nicht mehr schaffen, einkaufen zu gehen. Reicht eine Nahrungsanreicherung bei ungenügender Kalorienzufuhr beispielsweise mittels Maltodextrin nicht aus, gibt es eine ganze Palette an Supplementen. Die Tendenz geht heute auch dahin, speziell für sarkopene Menschen verzweigtkettige Proteine anzubieten. Diese sogenannten BCAA (branched chain amino acids) bestehen aus den drei essenziellen Aminosäuren
Leucin, Isoleucin und Valin, die alle essenziell sind. Speziell Leucin wird im Muskelaufbau eine wichtige Rolle zugesprochen. Besonders in Fisch oder Molkenprotein sind diese BCAA enthalten und eben im Supplement.
Laut der Women’s Health Study scheint es auch wichtig zu sein, wie sich Frauen im Alter zwischen 50 und 60 Jahren ernähren. Warum ist dieses Zeitfenster so wichtig? Gilt dieses Zeitfenster auch für den Mann? Cornel C. Sieber: Die Ernährung wird nicht erst zwischen dem 50. und dem 60. Lebensjahr wichtig! Studien aus dem Bereich der Epigenetik zeigen, dass bereits der Stoffwechsel der Mütter während der Schwangerschaft darüber entscheidet, ob die Kinder später einen Altersdiabetes entwickeln oder nicht. Darum würde ich nicht von einem speziellen Zeitfenster sprechen.
In einer normal funktionierenden Zelle werden oxidativ veränderte oder geschädigte Proteine abgebaut und somit entgiftet. Im Alter kann diese Schutzfunktion unzureichend sein, und modifizierte Proteine können sich ansammeln. Das kann die Funktion der Zelle beeinträchtigen.
Welche Ernährung kann die Reparatur und Entgiftung der beteiligten Systeme günstig beeinflussen und Alterungsprozessen und damit verbundenen Erkrankungen entgegenwirken? Könnte die mediterrane Diät dazu gehören? Cornel C. Sieber: Altern ist partiell sicher durch oxidativen Stress bedingt (Inflammaging). Es entstehen aktive Sauerstoffradikale – vor allem in der Atmungskette. Antioxidativ wirkt beispielsweise die mediterrane Diät mit vielen Frischprodukten und Fisch. Darin enthalten sind Omega-3Fettsäuren, die den zellulären Alterungsprozess verlangsamen. Auch körperliche Aktivität wirkt antioxidativ. Umfragen zeigen, dass ältere Menschen aber nicht unbedingt ins Fitnesscenter gehen wollen, sondern lieber zu Hause trainieren. Da ist es hilfreich, beispielsweise am Fernseher ein Krafttraining einzuschalten und Kraftübungen mit einer PET-Flasche zu machen. Denn körperliche Aktivität spielt gemeinsam mit der Ernährung eine Schlüsselrolle für einen möglichst gesunden Alterungsprozess.
Sehr geehrter Herr Prof. Sieber, vielen Dank für das Interview.
Das Interview führte Annegret Czernotta.