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EDITORIAL
Diabetes und Ernährung: Herausforderungen im ambulanten und stationären Bereich
Dass die Ernährung eine zentrale Rolle bei der Entstehung des metabolischen Syndroms und des Diabetes mellitus Typ 2 spielt, ist unbestritten und gut in Studien belegt. Dabei ist vor allem die chronische Hyperalimentation mit konsekutivem Übergewicht bei Patienten mit genetischer Prädisposition der auslösende Faktor. Die Art und Menge der eingenommenen Kohlenhydrate spielt eine untergeordnete Rolle. Die Entstehung des Diabetes ist deshalb viel mehr eine «Fett»- und keine «Zuckerkrankheit». Welche Rolle die Ernährung bei hospitalisierten Patienten mit Diabetes hat, ist hingegen in klinischen Studien wenig untersucht und muss mehr von pathophysiologischen Überlegungen abgeleitet werden. Gerade bei älteren, polymorbiden Patienten mit und ohne Diabetes ist die Malnutrition im Spitalbereich eine grosse Herausforderung, und die Assoziation der Mangelernährung mit Komplikationen, längeren Spitalaufenthalten und Morbidität/Mortalität ist gut bewiesen. Dabei sind mehr als 20 bis 30 Prozent aller hospitalisierten medizinischen Patienten von einer Mangelernährung betroffen. Dies kann auch übergewichtige Patienten mit Diabetes betreffen, welche zwar einen hohen Body-Mass-Index haben, aber trotzdem eine Proteinmalnutrition. Orale und enterale Ernährungstherapien gehören auch zu den am häufigsten durchgeführten Therapien im stationären Bereich. Trotzdem gibt es bis heute noch keinen evidenzbasierten Algorithmus für den korrekten Umgang mit mangelernährten, polymorbiden, hospitalisierten Patienten, und die praktische Handhabung der Mangelernährung im klinischen Alltag ist sehr heterogen. Dies insbesondere auch im Hinblick auf die Art und Menge der Kohlenhydrate und die Handhabung der Hyperglykämie und des Diabetes. Zur Erarbeitung eines evidenzbasierten Algorithmus für den effizienten Umgang mit der Malnutrition im klinischen Alltag hat der Schweizerische Nationalfonds seine finanzielle Unterstützung für die Durchführung des EFFORT-Projektes mit der Zusprache einer Forschungsprofessur zugesichert. Das EFFORT-Projekt möchte in einer ersten Phase anhand eines systematischen Literaturreviews und einer Metaanalyse die
Frage stellen, was der Effekt der Ernährungstherapie auf Outcomes von Patienten in randomisierten, kontrollierten Studien ist. Dies soll dann die Grundlage zur Etablierung eines State-ofthe-Art-Ernährungsalgorithmus sein – abgestimmt in einem Expertengremium. Dieser Konsensusalgorithmus wird danach in einer einmalig grossen, rigoros geplanten, multizentrischen Studie an verschiedenen schweizerischen Spitälern geprüft werden. Anschliessend sind fokussierte Untersuchungen innerhalb der Studienpopulation geplant, um die pathophysiologischen Effekte anhand von zirkulierenden Hormonen und Biomarkern der Ernährung auf den Krankheitsverlauf in a priori definierten Patientensubpopulationen besser zu verstehen. Zusätzlich sind vier vordefinierte weitere Projekte innerhalb von EFFORT geplant mit Fokus auf psychologische Faktoren, genetische Typisierung, pflegerische Faktoren und Blutzucker und Insulinverlauf unter der Ernährungstherapie. Das EFFORT-Projekt ist ausgesprochen relevant für die alltägliche Patientenversorgung. Es gibt heute keinen allgemein akzeptierten Standard für klinische Ernährung bei hospitalisierten Patienten der Inneren Medizin. Insbesondere das letzte Subprojekt über den gegenseitigen Einfluss von Diabetes und Ernährung wird uns hoffentlich neue evidenzbasierte Antworten geben, wie wir mit dem Problem der Blutzuckerentgleisung beim hospitalisierten, kranken und malnutrierten Patienten am effizientesten umgehen und für den Patienten das beste Resultat erreichen.
Prof. Philipp Schuetz Endokrinologie/Diabetes/Klinische Ernährung Medizinische Universitätsklinik der Universität Basel
Kantonsspital Aarau, Tellstrasse, 5001 Aarau E-Mail: Philipp.Schuetz@unibas.ch
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