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VEGETARISMUS VERSUS FLEISCHKONSUM
Gesundheitliche Aspekte des Fleischkonsums
Stellungnahme der Eidgenössischen Ernährungskommission zur epidemiologischen Datenlage und Ableitung von Empfehlungen
ANDREA RENGGLI1, ULRICH KELLER2
In den vergangenen Jahren erschienen zahlreiche Publikationen zu epidemiologischen Studien, in denen die Zusammenhänge zwischen Konsum von Fleisch, insbesondere von rotem, weissem und verarbeitetem Fleisch, und dem Auftreten bestimmter, häufig vorkommender Erkrankungen beschrieben wurden. Eine Arbeitsgruppe der Eidgenössischen Ernährungskommission (EEK) hat die epidemiologische Datenlage beurteilt und eine Stellungnahme verfasst. Sie kommt zum Schluss, dass bei den aktuellen Empfehlungen des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) bezüglich Fleisch und Fleischprodukten gewisse Änderungen angebracht sind. Der Konsum von unverarbeitetem rotem und insbesondere von verarbeitetem Fleisch sollte einschränkender als bisher empfohlen werden. Die entsprechende Anpassung der Empfehlungen soll vom BLV in geeigneter Form kommuniziert werden.
Verschiedene neuere epidemiologische Studien weisen darauf hin, dass sich der Konsum von rotem und vor allem von verarbeitetem Fleisch langfristig nachteilig auf die Gesundheit auswirken kann. In ihrer Stellungnahme hat die EEK grossangelegte, prospektive Kohortenstudien aus den USA, Europa und Asien wie zum Beispiel die Health Professionals Follow-up Study, die Nurses-Health-Study oder die EPIC-Studie berücksichtigt. Diese Studien zeichnen sich durch eine detaillierte Erhebung einer Vielzahl von Merkmalen der teilnehmenden Probanden aus, mit dem Ziel, möglichst klare Hinweise über den Zusammenhang zwischen einzelnen Ernährungsfaktoren und Gesundheitsfolgen zu erhalten. In den meisten Studien konnte ein
1Wissenschaftliches Sekretariat der Eidgenössischen Ernährungskommission, Zürich 2Präsident der Eidgenössischen Ernährungskommission und Vorsitzender der Arbeitsgruppe, Basel
Zusammenhang zwischen dem Konsum von unverarbeitetem rotem Fleisch sowie verarbeitetem Fleisch und der Sterblichkeit beobachtet werden: Menschen mit einem höheren Konsum starben im Vergleich zu Menschen mit einem geringeren Konsum an unverarbeitetem rotem und verarbeitetem Fleisch früher. Für Herz-KreislaufErkrankungen konnte ein solcher Zusammenhang bei den berücksichtigten Studien meist nur bei verarbeitetem Fleisch, nicht aber bei unverarbeitetem Fleisch nachgewiesen werden. Ein höherer Konsum von unverarbeitetem rotem und vor allem von verarbeitetem Fleisch ging mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko für Diabetes mellitus Typ 2 einher und war mit einer Zunahme an Darm-, Speiseröhren-, Kehlkopf- und Mundrachenraumkrebs assoziiert. Das Risiko, an gewissen Krebsarten zu erkranken, scheint durch den Konsum von unverarbeitetem rotem Fleisch und besonders von verarbeitetem
Fleisch zu steigen. Hinsichtlich des Konsums von unverarbeitetem rotem wie auch von verarbeitetem Fleisch und dem Risiko, an Krebs zu sterben, sind die Studienergebnisse allerdings nicht eindeutig. Die Beurteilung der Ergebnisse wird durch verschiedene Faktoren erschwert. Erstens ist die Einteilung in rotes, weisses und verarbeitetes Fleisch in den berücksichtigten Studien nicht immer nach den genau gleichen Kriterien erfolgt. Allerdings gehörte Fleisch von Schwein, Rind, Kalb und Lamm zur Kategorie «rotes Fleisch» und Geflügel (Poulet und Truten) zu «weissem» Fleisch. Durch Salzen, Pökeln, Räuchern haltbar gemachtes Fleisch oder anderweitig bearbeitetes Fleisch fiel in die Kategorie «verarbeitetes Fleisch» (processed meat), wobei bei dieser Kategorie meist nicht zwischen rotem Fleisch, das am meisten verwendet wurde, und weissem Fleisch unterschieden wurde. Auch ist anzunehmen, dass sich die Zusammensetzung und die Herstellung der Produkte der Kategorie «verarbeitetes Fleisch» in den untersuchten Ländern unterschied. Zweitens zeigen epidemiologische Studien nur Zusammenhänge zwischen Konsumgewohnheiten und Krankheitsbildern, die jedoch durch statistische Verfahren mit multivariater Auswertung erhärtet wurden. Berücksichtigt wurden Merkmale wie Körpergrösse, Gewicht, körperliche Aktivität und Raucherstatus. Die untersuchten Kohorten, bei denen wiederholt umfassende Ernährungserhebungen durchgeführt wurden, stammen aus Ländern mit vergleichbaren Ernährungs- und Lebensgewohnheiten wie jenen in der Schweiz. Zudem unterstützen Metaanalysen die
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beobachteten Zusammenhänge der Einzelstudien. Eine direkte kausale Beweisführung der Wirkung von Fleisch ist jedoch nicht möglich. Im EEK-Expertenbericht wurden auch mögliche Mechanismen für die vermuteten negativen gesundheitlichen Effekte von Fleisch auf die Entstehung oder den Verlauf von Herz-Kreislauf-Krankheiten, Diabetes mellitus Typ 2 und bestimmten Formen von Krebs aufgeführt. Diese sind jedoch noch nicht restlos geklärt; und es ist anzunehmen, dass sie auf dem Zusammenspiel mehrerer Faktoren beruhen. Beim unverarbeiteten roten Fleisch könnte die (Häm-)Eisen-Konzentration verantwortlich sein. Ebenfalls diskutiert werden Phosphatidylcholin, Cholin und Carnitin, natürliche Bestandteile von Fleisch, die teilweise von Darmbakterien zu Trimethylamin-N-Oxid (TMAO) abgebaut werden können. Verarbeitetes Fleisch wird oft durch nitrithaltiges Pökelsalz, Kochsalz oder durch Räucherung haltbar gemacht und enthält meist mehr Fett als unverarbeitetes Fleisch. Dies sind alles Faktoren, die einen Einfluss bei der Entstehung der erwähnten Erkrankungen haben können. Die Empfehlungen verschiedener Organisationen zum Fleischkonsum unterscheiden sich. In der Schweizer Lebensmittelpyramide der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung und des BLV wird aktuell nicht zwischen rotem und weissem Fleisch unterschieden. Es wird empfohlen, täglich eine Portion Fleisch, Geflügel, Fisch, Eier, Tofu, Quorn, Seitan, Käse
oder Quark zu essen und zwischen den genannten Eiweisslieferanten abzuwechseln. Eine Portion Fleisch oder Geflügel entspricht 100 bis 120 g. Im Merkblatt zur Schweizer Lebensmittelpyramide wird allerdings darauf hingewiesen, dass nicht mehr als 2- bis 3-mal pro Woche Fleisch (inkl. Geflügel, Wurst, Aufschnitt) konsumiert und Fleisch gegenüber Fleischwaren (z.B. Salami, Fleischkäse) bevorzugt werden sollte. Die Harvard School of Public Health geht weiter und empfiehlt, rotes Fleisch (Rind, Schwein, Lamm) höchstens 2-mal pro Woche oder maximal 170 g pro Woche zu essen. Zudem wird geraten, gänzlich auf den Verzehr von verarbeitetem Fleisch wie Speck, Aufschnitt, Hot Dog oder dergleichen zu verzichten. Auch der World Cancer Research Fund (WCRF) empfiehlt, den Verzehr von rotem Fleisch (z.B. Rind, Schwein und Lamm) zu beschränken und denjenigen von verarbeitetem Fleisch zu vermeiden. Das Risiko für Darmkrebs steige, wenn regelmässig mehr als 500 g rotes Fleisch (gekochtes Gewicht; entspricht 700 bis 750 g rohem Fleisch) pro Woche gegessen werde. Die EEK führt in ihrem Bericht auch Vorteile einer Ernährung mit Fleisch auf. Fleisch ist eine wichtige Quelle verschiedener Makro- und Mikronährstoffe, insbesondere von Proteinen, Vitamin A, B1, B12, Niacin sowie Eisen und Zink. Proteine tierischer Herkunft weisen eine höhere biologische Wertigkeit auf als pflanzliche Proteine. Bei einer fleischlosen Ernährung ist auf die ausreichende Zufuhr von gewissen Nährstoffen (Eisen, Zink, Vitamin B12) zu achten.
Eine fleischlose Ernährung, bei der die Lebensmittel gezielt und bewusst ausgewählt werden, sollte die ausreichende Versorgung mit allen Nährstoffen gewährleisten. Die aus den vorliegenden Daten abgeleitete Empfehlung der EEK, den Konsum von unverarbeitetem rotem Fleisch und insbesondere von verarbeitetem Fleisch einzuschränken, gilt nicht für alle Bevölkerungsgruppen. So ist zum Beispiel bei älteren Menschen eine ausreichende Proteinversorgung zur Vermeidung des Muskelabbaus besonders wichtig – Fleisch kann dazu einen wertvollen Beitrag leisten. Die Stellungnahme der EEK soll als Grundlage verwendet werden, um die bestehenden Ernährungsempfehlungen zum Fleischverzehr, wie sie zum Beispiel in der Schweizer Lebensmittelpyramide abgebildet sind, zu modifizieren und in geeigneter Form zu kommunizieren.
Korrespondenzadresse: Dr. Andrea Renggli Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen Abteilung Risikobewertung, Fachbereich Wissenschaftliche Beurteilung Stauffacherstrasse 101, 8004 Zürich E-Mail: andrea.renggli@blv.admin.ch
Der Bericht der Eidgenössischen Ernährungskommission mit den Literaturangaben ist unter www.blv.admin.ch/eek, Publikationen und Empfehlungen verfügbar. Der Bericht enthält die Empfehlungen der EEK zuhanden des BLV. Die Haltung des BLV kann von jener der EEK abweichen.
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