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VEGETARISMUS VERSUS FLEISCHKONSUM
Fleisch als Lebensmittel
Wichtiger Nährstofflieferant oder Ursache für Krankheiten?
MICHAEL GLEI*
Die meisten Menschen weltweit konsumieren regelmässig Fleisch und Fleischprodukte, wobei die Anteile zwischen den Ländern variieren. Während etwa 98 Prozent der Franzosen nicht darauf verzichten wollen, leben zirka 35 Prozent der Inder vegetarisch. In der Schweiz geht man von etwa 97 Prozent Fleischkonsumenten aus (1). Gründe, Fleisch zu essen, gibt es viele. Für die einen ist es besonders der Geschmack, der zählt. Andere legen Wert auf einen abwechslungsreichen Speiseplan und sehen darüber hinaus im Fleisch eine hervorragende Eiweiss- und Energiequelle sowie einen wichtigen Lieferanten für Vitamine und Mineralstoffe. Auch die Motivation für eine vegetarische Lebensweise variiert. So gelten als wichtige Beweggründe: Gesundheit, Ökologie, Religion und Ethik (2). Nachfolgend sollen sowohl die Bedeutung von rotem Fleisch und Fleischprodukten als wichtige Lebensmittel als auch die potenziellen gesundheitlichen Konsequenzen eines reichlichen Fleischverzehrs beleuchtet werden.
Fleischverzehr
Der aktuelle Fleischatlas geht für das Jahr 2013 von einem mittleren weltweiten Konsum an Fleisch in Höhe von 43,1 kg/Kopf und Jahr aus. Während in Entwicklungsländern nur 33,3 kg verzehrt wurden, sind es in den entwickelten Ländern im Mittel fast 80 kg, also mehr als 200 g pro Tag (3). Damit essen die meisten von uns deutlich mehr Fleisch, als Fachgesellschaften wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (300–600 g/Woche) oder der World Cancer Research Fund (500 g/Woche) empfehlen (4). Demnach sollten pro Tag nicht mehr als etwa 70 g Fleisch und Fleischprodukte konsumiert werden. Diese Empfehlung scheint durchaus sinnvoll zu sein, da es zunehmend Hinweise dafür gibt, dass zu reichlich verzehrtes rotes Fleisch (Schwein, Rind, Schaf, Ziege) nicht nur eine hervor-
*Lehrstuhl für Ernährungstoxikologie, Universität Jena
ragende Quelle für essenzielle Nährstoffe ist, sondern auch das Risiko für eine Vielzahl von Krankheiten wie zum Beispiel Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs oder Diabetes Typ 2 und damit auch das Sterberisiko erhöhen kann. Es gilt somit abzuwägen, welcher Verzehr sinnvoll erscheint und wann daraus ein mögliches Gesundheitsrisiko resultiert.
Aussagekraft
Während Aussagen zum Nährwert von Fleischprodukten, aber auch zu potenziellen Risikoinhaltsstoffen eine analytische Basis haben und damit einfach zu treffen sind, ist das für gesundheitsbezogene Bewertungen wesentlich schwieriger. Solche Hinweise basieren meist auf grossen prospektiven Beobachtungsstudien. Diese Studienform erlaubt keine direkten Rückschlüsse auf Kausalzusammenhänge – also Ursache-Wirkungs-Beziehungen –, sondern nur auf bestehende Korrelationen. Auch ist es unmöglich, aus
solchen Studien ein persönliches, individuelles Risiko abzuleiten. Wie später gezeigt wird, gibt es inzwischen aber eine zunehmende Anzahl guter Studien mit grossen Probandenzahlen sowie Metaanalysen, sodass insgesamt von aussagekräftigen Daten und ernst zu nehmenden Zusammenhängen ausgegangen werden muss. Deren Berücksichtigung kann somit einen wichtigen Beitrag zur Prävention verschiedener Zivilisationskrankheiten leisten (5–7).
Fleisch als hochwertiges Lebensmittel
Fleisch ist dank der hohen Dichte an wichtigen Nährstoffen ein Lebensmittel von ausgezeichneter ernährungsphysiologischer Qualität. Protein: Der Proteingehalt variiert in Abhängigkeit der Fleischart erheblich. Im Mittel liefern 100 g mageres Fleisch etwa 20 bis 25 g Protein. Nach der Zubereitung sind es sogar 28 bis 36 g, da es durch den
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Abbildung 1: Fleisch ist ein ambivalentes Lebensmittel. Fleisch und Fleischwaren liefern in Anhängigkeit vom Verarbeitungsgrad nicht nur essenzielle Nährstoffe, sondern auch potenzielle Risikosubstanzen.
Wasserverlust zu einem Konzentrationsanstieg der Nährstoffe kommt. Fleischeiweiss enthält dabei alle essenziellen Aminosäuren (8). Wichtig ist auch der hohe Verdaulichkeitswert, der mit 0,92 fast jenen von Eiweiss oder Kasein (beide 1) erreicht. Im Unterschied dazu weisen wichtige Proteinquellen vegetarischer Diäten (Bohnen, Erbsen, Linsen) nur Werte zwischen 0,5 und 0,7 auf (9). Inzwischen gibt es deutliche Hinweise, dass eine gute Proteinversorgung hilft, ein gesundes Körpergewicht – unter anderem durch eine gesteigerte Sättigung – zu erreichen und zu erhalten, was sich günstig auf Vitalität und Widerstandskraft auswirkt (10). Fett: Der Anteil sichtbaren Fetts in Fleischteilstücken hat sich in den letzten Jahren stetig verringert, was auch auf die gezielte Züchtung und die Fütterung der Tiere zur Erhöhung des Magerfleischanteils und eine auf geringen Fettanteil ausgerichtete Fleischverarbeitung zurückzuführen ist. Die zusätzliche Entfernung von intermuskulärem Fett durch den Verbraucher trägt ebenfalls dazu bei, dass das konsumierte rote Fleisch mit im Mittel < 7 Prozent Fett relativ mager ist (8). Fettsäuren: Die Fettsäurenzusammensetzung von Fleisch wurde in jüngerer Vergangenheit mehrfach hinsichtlich ihrer gesundheitlichen Relevanz diskutiert (8, 9). Während frühere Bewertungen besonders den hohen Gehalt an gesättigten
Fettsäuren (40–48%) als Risiko für die Herzgesundheit ansahen, hat sich das in der jüngsten Metaanalyse nicht bestätigt. Chowdhury et al. fassten die Ergebnisse aus 49 Beobachtungsstudien mit 556 246 Teilnehmern und 27 randomisierten, kontrollierten Studien mit 103 052 Teilnehmern zusammen. Dabei zeigte sich, dass eine geringere Aufnahme gesättigter Fettsäuren mit der Diät nicht mit einem geringeren Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen assoziiert war (11). Binnie et al. verweisen anhand von Literaturdaten darauf, dass mageres rotes Fleisch gleiche Anteile an gesättigten und einfach ungesättigten Fettsäuren und geringe Mengen an mehrfach ungesättigten Fettsäuren enthält. Dabei konnte für die Stearinund die Palmitinsäure als wesentliche Vertreter der gesättigten Fettsäuren im roten Fleisch gezeigt werden, dass Erstere nicht erhöhend auf den LDL-CholesterinSpiegel wirkt und letztere den Cholesterinquotienten kaum beeinflusst (12). Vitamine: Rotes Fleisch ist eine exzellente Quelle für verschiedene Vitamine. In 100 g sind bis zu 25 Prozent der empfohlenen täglichen Aufnahmemenge an Riboflavin, Niacin, Vitamin B6 sowie Pantothensäure und darüber hinaus bis zu zwei Drittel der empfohlenen Menge an Vitamin B12 enthalten. Während mageres Fleisch relativ arm an Vitamin A und Folsäure ist, gilt Leber dafür als hervorragender Lieferant (8). Berücksichtigt werden muss, dass es in Abhängigkeit von der Zubereitungsmethode zu Verlusten insbesondere an B-Vitaminen kommt. Diese sind zum einen auf deren Wasserlöslichkeit und zum anderen auf eine thermische Instabilität zurückzuführen (9). Mineralstoffe: Rotes Fleisch zählt zu den wichtigsten Quellen für gut bioverfügbares Eisen und Zink. Es liefert aber auch Selen, wobei der Gehalt in Abhängigkeit vom Futter stark schwankt. Mageres Fleisch ist natriumarm und weist einen Kalium-Natrium-Quotienten von > 5 auf (8). Sonstige bioaktive Stoffe: Zusätzlich zu den essenziellen Nährstoffen mit definierten Aufnahmeempfehlungen enthält rotes Fleisch eine ganze Palette an potenziell bioaktiven Substanzen, die mehrfach Gegenstand von Untersuchungen zur ge-
sundheitlichen Relevanz waren und unter anderem für funktionelle Fleischprodukte Bedeutung erlangen könnten (13). Hierzu zählt die Aminosäure Taurin, die reichlich im Fleisch vorkommt (8) und für die es Hinweise für eine Beteiligung an verschiedenen physiologischen Prozessen (Osmoregulation, Immunmodulation, Schutz vor oxidativem Stress) gibt (14). Darüber hinaus liefert Fleisch Carnitin, konjugierte Linolsäure (bei Wiederkäuern), Kreatin sowie verschiedene endogene Antioxidanzien (z.B. Ubichinon, Glutathion, Carnosin) (8).
Fleisch als Risikofaktor
Rotes Fleisch ist natürlicherweise reich an gesättigten Fettsäuren und Cholesterin, von denen nicht zu viel aufgenommen werden sollte, wie allgemein anerkannt ist (15). Allerdings sehen neue Studien die Rolle gesättigter Fettsäuren bereits moderater. Darüber hinaus enthält Fleisch mit dem Hämeisen eine gut bioverfügbare Eisenquelle. Ungebundenes Eisen kann im Körper aber über die Fentonreaktion zur Generierung reaktiver Sauerstoffspezies (ROS) beitragen (16). Diese wirken zytotoxisch (17) oder können promutagene Läsionen erzeugen (18). ROS sind in der Lage, zelluläre Makromoleküle wie die DNS (19) zu schädigen. Darüber hinaus haben Metabolite der Lipidperoxidation ebenfalls DNS-schädigendes Potenzial (20). Negativ ist auch, dass Hämeisen zu einer verstärkten endogenen Bildung von N-Nitrosoverbindungen beiträgt (21). Diese können mit der DNS Addukte bilden (22). Zu viel Eisen kann somit auch das Risiko für Tumore im Darm erhöhen (23). Fleischprodukte wie Wurst, Salami oder Schinken enthalten reichlich Koch- und Pökelsalze. Während Erstere zu Bluthochdruck beitragen (24), erhöhen Nitritpökelsalze das Risiko für die exogene und die endogene Bildung von N-Nitrosoverbindungen. Hinzu kommt, dass bei der thermischen Verarbeitung von Fleisch toxische Verbindungen (polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, heterozyklische aromatische Amine, N-Nitrosoverbindungen) entstehen, denen eine Beteiligung am krebsauslösenden Potenzial von Fleischwaren zugeschrieben wird
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(25–27). Kim et al. verweisen darüber hinaus auf negative Effekte von bakteriell bedingten Fäulnisprodukten aus unverdautem Protein auf die epitheliale Homöostase im Darm (28). Gemeinsam tragen diese Stoffe dazu bei, dass der Verzehr von rotem Fleisch und Fleischwaren auch unerwünschte Nebeneffekte haben kann. Sterblichkeitsrisiko: Während die NHANESIII-Studie zu dem Schluss kommt, dass der Verzehr von Fleisch und Fleischwaren nicht mit einem erhöhten Mortalitätsrisiko verbunden ist (29), ergab die aktuelle Auswertung der Sterbedaten von 448 568 Teilnehmern der EPIC-Studie eine moderat positive Assoziation (HR = 1,18, je 50 g/Tag) zwischen dem Konsum von Fleischwaren – nicht aber unverarbeitetem Fleisch – und dem Risiko, vorzeitig zu sterben (30). Bei der Bewertung von zwei amerikanischen Kohortenstudien mit annähernd 25 000 Todesfällen wurde deutlich, dass sich das Mortalitätsrisiko, je mehr Fleischportionen am Tag verzehrt wurden, im Mittel um 13 Prozent und mit jeder zusätzlichen Portion an verarbeiteten Fleischwaren im Mittel um 20 Prozent erhöhte (31). Sowohl bei Männern als auch bei Frauen bestand für das Mortalitätsrisiko eine klare Dosis-Wirkungs-Beziehung. Wichtig erscheint aber auch, dass durch den Austausch jeweils einer Fleischmahlzeit durch andere Proteinquellen, wie Nüsse oder Leguminosen, das Risiko um 7 bis 19 Prozent reduziert werden konnte. Das zeigt, dass es sinnvoll ist, nicht nur einzelne Lebensmittel, sondern Ernährungsmuster zu berücksichtigen.
Abbildung 2: Ein reichlicher Verzehr von Fleisch und Fleischwaren kann das Erkrankungsrisiko erhöhen und die Lebenserwartung vermindern.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Oliveira et al. (32) gingen der Frage nach, ob sich eine gesunde Kostform mit viel Gemüse, Obst und Milchprodukten sowie moderaten Alkohol- und Fleischmengen im Vergleich zu einer fleisch- und alkohollastigen Ernährung günstig auf das Herzinfarktrisiko auswirkt. Dabei wurde deutlich, dass die ungesunde Ernährung bei Männern und Frauen mit einem etwa doppelt so hohen Herzinfarktrisiko verbunden war. Neben dem Herzinfarktrisiko scheint ein erhöhter Fleischkonsum auch das Risiko für Schlaganfälle zu steigern. So zeigte sich in einer Studie mit schwedischen Männern, dass nicht nur Alter, Rauchen, hoher Blutdruck oder Übergewicht Risikofaktoren für Schlaganfälle sind, sondern auch der reichliche Verzehr von verarbeiteten Fleischwaren (nicht natürliches Fleisch) (33). Die meisten der fast 2500 registrierten Schlaganfälle traten bei über 70-Jährigen auf, wobei Männer mit einem Verzehr von mehr als 57 g Fleischwaren am Tag ein um 23 Prozent höheres Risiko hatten als solche, die weniger als 20 g konsumierten. Die aktuell-
ste Metaanalyse (1 674 272 Personen) zum Zusammenhang zwischen Fleischverzehr und Mortalität ergab beim Vergleich der höchsten und niedrigsten Aufnahmen an verarbeiteten Fleischprodukten ein um 22 Prozent (Gesamtmortalität) beziehungsweise 18 Prozent (Todesfälle durch kardiovaskuläre Erkrankungen, CVD) erhöhtes Risiko. Rotes Fleisch führte zu einer um 16 Prozent höheren Mortalität durch CVD (34). Diabetes: Noch deutlicher war der Einfluss auf das Diabetes-Typ-2-Risiko. Im Mittel einer Metaanalyse (9 Studien) mit fast 450 000 Teilnehmern zeigte sich je 50 g verarbeitetes Fleisch pro Tag mehr ein um 50 Prozent erhöhtes Erkrankungsrisiko (35). Auch hier zeigte sich jedoch, dass das Risiko durch den Ersatz einer Fleischmahlzeit mit Nüssen, Vollkornoder Milchprodukten um 16 bis 35 Prozent verringert werden konnte. Katarakt: Inzwischen gibt es auch deutliche Hinweise, dass ein hoher Fleischverzehr das Risiko für Katarakt verstärkt (36). So wurde am Oxford-Studienkollektiv der EPIC-Studie deutlich, dass Fischesser,
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Vegetarier und Veganer im Vergleich zu Personen mit hohem Fleischverzehr (≥ 100 g/Tag Fleisch und Fleischprodukte) ein um etwa 20, 30 beziehungsweise 40 Prozent geringeres Kataraktrisiko aufwiesen. Krebs: Schätzungen besagen, dass etwa 35 Prozent aller Tumore durch die Ernährung bedingt sind (37), wobei der Verzehr von Fleisch und Fleischprodukten daran massgeblich beteiligt ist. Laut World Cancer Research Fund ist es als überzeugend (Daten bis 2005) (4) und laut Deutscher Gesellschaft für Ernährung (Daten aus 2006 und 2007) (38) zumindest als wahrscheinlich anzusehen, dass rotes Fleisch und Fleischprodukte das Risiko für Tumore in Dick- und Mastdarm erhöhen. Letzteres bestätigte sich auch bei der Beurteilung der relevanten Publikationen der Jahre 2008 bis 2011, die im aktuellen Ernährungsbericht Deutschlands Berücksichtigung fanden (39). Darüber hinaus wird es als möglich erachtet, dass Fleisch und Fleischerzeugnisse das Risiko für Tumore in Speiseröhre und Magen (nur Fleischerzeugnisse) erhöhen. Ferguson weist darauf hin, dass das Risiko nicht durch das Fleisch per se resultiert, sondern vor allem durch den hohen Fettgehalt und/oder durch die bei der Verarbeitung gebildeten Karzinogene (40). Das Eisen im nativen Fleisch und das bei der Verarbeitung eingesetzte Nitritpökelsalz ergänzen die Liste der Risikofaktoren. Die Stoffe gelangen entweder direkt oder nach Metabolisierung in der Leber in den Dickdarm. Hier können sie in den teilungsfähigen Stammzellen im Kryptengrund Schäden induzieren, die möglicherweise zu Mutationen führen. Wenn tumorrelevante Gene (Tumorsuppressor-, Protoonko- oder Reparaturgene) davon betroffen sind, kann sich durch die Anhäufung verschiedener Mutationen in derselben Zelle ein Tumor bilden (41). Neben den anerkannten fleischassoziierten Faktoren gibt es auch Hinweise auf einen weiteren Risikofaktor. So deuten epidemiologische Daten darauf hin, dass Kolorektalkrebs vor allem dort auftritt, wo viel unvollständig gegartes Rindfleisch verzehrt wird. Es wird ein sogenannter «Rinderfaktor» (Bovine-Infektion) postu-
liert, der relativ thermoresistent ist, karzinogenes Potenzial im Menschen besitzt und synergistische Effekte mit chemischen Kanzerogenen aufweist. Der in Japan und Korea zeitversetzt zum verstärkten Import und Verzehr von Fleisch nach dem Zweiten Weltkrieg beziehungsweise dem Koreakrieg verzeichnete deutliche Anstieg der Kolonkrebsinzidenz erhärtet diese Theorie (42). Neben Tumoren im Darm scheint der Verzehr von rotem Fleisch auch das Risiko für Pankreastumore zu erhöhen. So ergab eine Metaanalyse von prospektiven Studien mit über 2 300 000 Teilnehmern eine 19-prozentige Risikoerhöhung pro 50 g/Tag Mehrverzehr an verarbeiteten Fleischerzeugnissen (43). Demgegenüber erwies sich der Einfluss eines um 120 g/Tag erhöhten Verzehrs von rotem Fleisch im Mittel beider Geschlechter als insignifikant. Während sich bei separater Betrachtung der Frauen keine Abhängigkeit zeigte, ergab sich für Männer auch hier eine klare, signifikant positive Assoziation (HR = 1,29) zwischen dem Verzehr von Fleisch und den Tumoren der Bauchspeicheldrüse. Hinweise gibt es auch auf ein gesteigertes Risiko für Mammatumoren (Fallkontrollstudie; OR = 1,5; Vergleich höchstes und niedrigstes Quartil der Aufnahme von durchgegartem rotem Fleisch; [26]), Harnblasenkrebs (Fallkontrollstudie; OR = 1,41; Vergleich höchstes und niedrigstes Quartil der Aufnahme zubereiteter Fleischerzeugnisse [44]) und Nierenkrebs (prospektive Beobachtungsstudie; HR = 1,19; Vergleich höchstes und niedrigstes Quintil der Aufnahme von rotem Fleisch), wobei es deutliche Hinweise für die Beteiligung der durch die Zubereitung bedingten Mutagene Benzo[a]pyren und 2-Amino-1-methyl6-phenylimidazo(4,5-b)pyridin gab (25). Darüber hinaus weisen aktuelle Metaanalysen auf ein erhöhtes Risiko für Lungentumoren (HR = 1,44 bzw. 1,23 für rotes bzw. verarbeitetes Fleisch [45]) und Ösophagustumoren (HR = 1,57 bzw. 1,55 für rotes bzw. verarbeitetes Fleisch [46]) hin.
Bewertung
Zu Recht verweisen viele Autoren auf die Bedeutung von rotem Fleisch als wichtigem Bestandteil einer vollwertigen Kost
(9, 10, 12, 47). Dafür spricht auch, dass laut EPIC-Studie nicht die Personen mit dem niedrigsten Fleischverzehr das geringste Sterberisiko aufwiesen, sondern solche mit geringem bis moderatem Konsum (30). Allerdings kann man die aktuelle Datenlage, die auf verschiedene unerwünschte gesundheitliche Effekte eines reichlichen Verzehrs an rotem Fleisch und insbesondere daraus hergestellter Fleischwaren verweist, nicht ignorieren. Da viele, aber nicht alle Studien zeigten, dass vorwiegend verarbeitete Fleischwaren wie Wurst, Salami oder Schinken mit grösseren gesundheitlichen Konsequenzen verbunden sind als unprozessiertes rotes Fleisch (48, 49), sollte besonders hier über eine bewusste Reduzierung des Verzehrs nachgedacht werden. Neben der Menge entscheidet aber auch die Art der Zubereitung von Fleisch und Fleischprodukten, in welchem Umfang unerwünschte Schadstoffe entstehen. Je länger und heisser gegart wird, desto mehr Risikosubstanzen können sich bilden. Bestätigung fand dies in einer Analyse von Berjia et al., die das Krankheitsrisiko in Abhängigkeit von der Zubereitungsmethode analysierten. Demnach ist gegrilltes Fleisch ungesünder als gebratenes oder gebackenes (50). Zukünftig werden die gezielte Beeinflussung der Fleischzusammensetzung durch Fütterungs- und Zuchtmassnahmen, die Nutzung alternativer Verarbeitungsverfahren, der Einsatz von Phytochemikalien bei der Herstellung von Fleischprodukten, aber auch die generelle Optimierung unserer Ernährungsweise helfen, potenzielle Risiken des Fleischverzehrs zu vermindern (51).
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Michael Glei Lehrstuhl für Ernährungstoxikologie Institut für Ernährungswissenschaften Friedrich-Schiller-Universität Dornburger Str.24, D-07743 Jena E-Mail: michael.glei@uni-jena.de
Erklärung zum Interessenkonflikt: Ich erkläre, dass im Sinne der Richtlinien des International Commitee of Medical Journal Editors kein Interessenkonflikt besteht.
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